White House Chief Medical Adviser on Covid-19 Dr. Anthony Fauci listens to US President Joe Biden (out of frame) speak during a visit to the National Institutes of Health (NIH) in Bethesda, Maryland, February 11, 2021. (Photo by SAUL LOEB / AFP) (AFP / Saul Loeb)

Vorsicht bei der Interpretationen dieser Fauci-Mails

Anfang Juni haben amerikanische Medien einen umfangreichen E-Mailverkehr des US-Immunologen Anthony Fauci veröffentlicht, der auch das Weiße Haus in Corona-Fragen berät. Autor*innen eines hundertfach geteilten Facebook-Postings zogen daraufhin einige dieser E-Mails heran, um Behauptungen rund um das Coronavirus zu verbreiten. Die Masken seien demnach unwirksam und das Virus als Biowaffe hergestellt, heißt es. Solche Interpretationen der Fauci-Mails sind allerdings irreführend bis falsch.

Hunderte User haben im Juni auf Facebook die Veröffentlichung von E-Mails des US-Immunologen Anthony Fauci durch die "Washington Post" und "BuzzFeed News"aufgegriffen und darauf aufbauend irreführende Behauptungen geteilt. Fauci ist einer der führenden Corona-Berater des Weißen Hauses. Ein hundertfach geteiltes Posting interpretiert auf Grundlage seiner veröffentlichten E-Mails etwa: "Alles, was die 'Verschwörungstheoretiker' schon länger wissen, wird bestätigt, von der Unwirksamkeit der Masken über die wirksamen Medikamente gegen C. bis hin zur Herkunft des Virus."

AFP hat sich die als Quelle benannten E-Mails angesehen.

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Facebook-Screenshot: 08.06.2021

Veröffentlichung der Fauci-Mails

Anthony Fauci ist Direktor des US-amerikanischen Nationalen Instituts für Allergie- und Infektionskrankheiten (Niaid) sowie Berater des Weißen Hauses in der Covid-Krise. Mithilfe einer Anfrage nach dem sogenannten Freedom of Information Act (Foia) gelangten "Washington Post" und "Buzzfeed" an Tausende Seiten seines E-Mailverkehrs. Der Foia gibt Bürgerinnen und Bürgern das Recht, Zugang "zu Unterlagen jeder Bundesbehörde zu beantragen", wie die Website des US-Justizministeriums erklärt. Mithilfe solcher Anfragen wurden in der Vergangenheit etwa Dokumente des Prozesses gegen die Whistleblowerin Chelsea Manning und E-Mails der früheren US-Außenministerin Hillary Clinton veröffentlicht.

"Washington Post" und "Buzzfeed" beschreiben unter Bezug auf die E-Mails in ihren Veröffentlichungen den Druck auf den Immunologen Fauci durch die Trump-Administration, die diesen Informationen zufolge das Ausmaß der Corona-Krise herunterzuspielen versuchte. Andere Medien wie "Fox News" wollten mit den E-Mails beweisen, dass Fauci Informationen über den Ursprung des Virus verschwiegen habe.

Aber beweisen die E-Mails außerdem, dass Masken unwirksam sind und das Virus als Biowaffe hergestellt wurde, wie es die Autor*innen des aktuell verbreiteten Facebook-Postings behaupten?

Sinnlose Masken: Ratschlag an Politikerin Sylvia Burwell

Das aktuell geteilte Posting zieht für die angebliche Bestätigung der "Unwirksamkeit der Masken" zwei tatsächlich existierende Mails heran, die auf Seite 3027 und auf Seite 2778 der Fauci-Dokumente zu finden sind.

Auf Seite 3027 der veröffentlichten Mails schreibt Anthony Fauci am 5. Februar 2020 an die demokratische US-Politikerin Sylvia Burwell, die sich vor einer Reise nach Maskenempfehlungen erkundigt hatte.

Fauci schreibt: "Masken sind eigentlich für infizierte Personen gedacht, um zu verhindern, dass sie die Infektion auf nicht infizierte Personen übertragen." Die "typische Maske", die man in der Drogerie kaufen könne, sei nicht wirklich effektiv, um Viren abzuhalten, da diese klein genug seien, um das Material zu durchdringen. Allerdings, so Fauci weiter: "Sie kann jedoch einen leichten Vorteil bieten, indem sie grobe Tröpfchen, wenn jemand auf Sie hustet oder niest."

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Mail von Anthony Fauci an Sylvia Burwell vom 5. Februar 2020, Screenshot: 08.06.2021

Die Posting-Autor*innen sehen darin die Bestätigung, dass Masken unwirksam seien. Die Mail bildet jedoch nur den damaligen Wissensstand in diesem frühen Stadium der Epidemie ab. Ende Februar 2020 empfahl die amerikanische Gesundheitsbehörde Centers for Disease Control and Prevention (CDC) das Tragen einer Maske noch nicht.

Auch das deutsche Robert Koch-Institut (RKI) schloss sich dem an. Es warnte damals vor einem falschen Sicherheitsgefühl und teilte mit, dass die Masken Hygienemaßnahmen wie Händewaschen nicht ersetzen könnten.

Einige Wochen später änderte sich die Einschätzungen zu Masken allerdings. Im April 2020 empfahlen die amerikanischen Behörden das Tragen von Masken. Den Ratschlag gab auch Fauci selbst. Nachdem die CDC ihre Richtlinien veränderten, riet auch Fauci gegenüber "Fox News" zu Masken. In einem CNN-Interview im Mai 2020 sagte der Immunologe außerdem: "Ich möchte mich selbst und andere schützen." Die Maske biete zwar keinen hundertprozentigen Schutz, sei jedoch eine wertvolle Absicherung. Auch im Juli 2020 erklärte Fauci gegenüber der "Washington Post" (hier das Video ohne Paywall) seine veränderte Meinung zu Masken. Das Risiko der Übertragung ließe sich durch Masken verringern, schwenkte auch das RKI Anfang April 2020 um.

Eine solch schnelle Anpassung der Empfehlungen sei mit den laufenden Veränderungen während einer Pandemie verbunden, erklärte Virologe Benjamin Neuman von der Universität Texas gegenüber AFP: "Die E-Mails und Aussagen von Dr. Fauci zeigen die Entwicklung des Verständnisses und die fortschreitende Änderung der Prioritäten."

Von "CNN" im Juni 2021 zu seinem Mail-Ratschlag an Sylvia Burwell befragt, antwortete Fauci ebenfalls, dass sich seine Einschätzung im Laufe der Zeit verändert habe. Ob er ihr mit dem heutigen Wissensstand etwas anderes raten würde, fragte ihn CNN-Journalist John Berman. "Natürlich, wenn wir damals gewusst hätten, dass ein wesentlicher Teil der Übertragung durch asymptomatische Menschen erfolgt. Wenn wir gewusst hätten, dass die Daten zeigen, dass Masken außerhalb eines Krankenhauses tatsächlich funktionieren, während wir das damals noch nicht wussten", antwortete Fauci.

Sinnlose Masken: der Newsletter-Auszug

Auf Seite 2778 der Mails bat die Redakteurin einer Pharma-Zeitschrift Anthony Fauci am 11. Februar 2020 um seine Einschätzung für einen Artikel. Man plane einen Newsletter mit Tipps gegen die Verbreitung von Infektionskrankheiten. Dazu schickte sie einen Entwurf des beschriebenen Newsletters, in dem dann die in den Postings fälschlich Fauci zugeschrieben Passage auftaucht:

"Klären Sie Verwirrungen über Masken auf. Betonen Sie, dass Masken für KRANKE Patienten sind .. damit ihre Keime nicht in die Luft gelangen. Aber raten Sie den meisten Patienten OHNE Symptomen von OP-Masken ab .. es gibt keinen Beweis, dass sie helfen. Sie sind zu locker, um das Einatmen von Keimen zu begrenzen .. und Viren können auch über die Augen aufgenommen werden."

Aus den veröffentlichten Mails geht nicht hervor, wie genau Fauci geantwortet hat. In der März-2020-Ausgabe des "Prescriber’s Letter" erschienen die Tipps dann in einer ähnlichen Version. Der "Prescriber‘s Letter" ergänzte am 14. April 2020 in derselben Ausgabe: "Dieser Artikel wurde veröffentlicht, bevor die CDC Empfehlungen zu Gesichtsbedeckungen aus Stoff in der Öffentlichkeit herausgegeben hat, die hier verfügbar sind. Bitte denken Sie daran, dass sich die Richtlinien schnell ändern."

Beide Antworten zeigen den sich wandelnden Konsens über die Wirksamkeit von Masken. Eines der dabei Fauci zugeschriebenen Zitate stammt dabei nicht einmal von ihm, sondern aus einer E-Mail an ihn. Die angebliche Gesundheitsgefahr oder Unwirksamkeit von Masken hat AFP bereits in der Vergangenheit mehrfach widerlegt (hier, hier, hier, hier, hier).

Herkunft des Virus

Eine "Hammer-Mail" habe Fauci laut Posting am 11. März 2020 bekommen, in der es um den Ursprung des Virus geht. "Fauci wusste also spätestens seit dem 11. März 2020 (er wusste es sicherlich schon viel früher), daß das Coroni-Virus künstlich hergestellt wurde und eine Biowaffe ist", folgert das Posting. Die Mail gibt es tatsächlich, sie findet sich auf Seite 2286 der veröffentlichten Dokumente.

Darin schreibt ein gewisser Adam Gaertner an Fauci über eine angebliche "Coronavirus-Biowaffen-Produktionsmethode". In seinem Twitterprofil behauptet dieser Gaertner, im April 2020 "das Heilmittel für Covid entdeckt" zu haben. In den veröffentlichten Mails kommt keine Antwort Faucis auf die E-Mail Gaertners vor. Dessen Anfrage scheint intern lediglich an Fauci weitergeleitet worden zu sein, wie die Mails zeigen. Klar ist: Die Worte stammen nicht von Fauci, sondern von Gaertner.

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Mail von Adam Gaertner an Anthony Fauci vom 11. März 2020, Screenshot: 09.06.2021

"So wurde das Virus erzeugt", beginnt Gaertner seine E-Mail, die dann mit wissenschaftlichen Fachbegriffen ausgeschmückt eine vermeintliche Covid-19-Herstellungsanleitung beschreibt. Diese Anleitung stammt allerdings Wort für Wort aus einer bereits 2005 veröffentlichten Studie der Universität von Pennsylvania.

Die Studie beschäftigte sich dementsprechend mit einem anderen, wesentlich länger bekannten Coronavirus (mehr zur Familie der Coronaviren hier). Die Forschenden wollten darin einen Weg finden, die Aktivierung eines SARS-CoV-Spike-Proteins – das nichts mit dem aktuell die Krankheit Covid-19 auslösenden neuen Coronavirus zu tun hat – zu blockieren. So sollte eine Infektion mit diesem Virus verhindert werden, erklärte einer der Studienautoren gegenüber den Faktencheckenden von "USA Today". Die Missinterpretation der Studie sei "abstoßend", um eine Coronavirus-Biowaffen-Produktionsmethode handele es sich nicht.

Im bereits erwähnten CNN-Interview im Juni 2021 zu den veröffentlichten E-Mails nimmt Fauci auch selbst Stellung zu seiner Position, was Theorien um den Ursprung des Virus angeht. Er sagte:

"Ich habe immer gesagt, und werde es heute zu Ihnen sagen, dass ich noch immer glaube, dass der wahrscheinlichste Ursprung von einer Tierart zu einem Menschen ist. Aber ich habe einen absolut offenen Geist, dass, wenn es andere Ursprünge geben könnte, es einen anderen Grund geben könnte, es ein Labor-Leck gewesen sein könnte. (..) Das ist der Grund, warum ich öffentlich gesagt habe, dass wir weiterhin den Ursprung suchen sollen."

In einem weiteren Interview im Juni sagte Fauci gegenüber MSNBC ähnlich:

 "Die Situation war, dass wir nicht wussten – und wir wissen immer noch nicht – wo der Ursprung liegt." Er erklärt weiter: "Wenn man es historisch betrachtet und die Art und Weise, wie sich die Dinge entwickelten, dann fühlten wir alle und tun es noch immer, dass es wahrscheinlicher ist, dass es sich eher um einen natürlichen Sprung der Spezies von einem tierischen Reservoir zu einem Menschen handelt. Da wir das aber nicht sicher wissen, müssen wir einen offenen Geist behalten."

Die E-Mail an Fauci bestätigt also keineswegs, dass dieser schon im März 2020 gesichert von der künstlichen Herstellung von Sars-Cov-2 als Biowaffe wusste. Der Immunologe erhielt lediglich eine Mail mit einem Ausschnitt aus einer Studie von 2005, die nichts mit dem neuartigen Coronavirus zu tun hatte. In aktuellen Interviews sagte Fauci, dass man nach wie vor nicht absolut sicher wisse, was der genaue Ursprung des neuen Coronavirus sei, einen natürlichen Sprung bezeichnete er als wahrscheinlicher. (AFP hat hier ausführlich über die Debatte berichtet)

Für Spekulationen über den Ursprung ziehen Postings in anderen Sprachen auch andere E-Mails heran, die AFP hier überprüft hat.

Tote in Italien

Außerdem skandalisiert das Posting einen Mailaustausch mit der Information, dass "99 % der italienischen C19-Todesfälle andere Krankheiten hatten". Fauci verheimliche das in seinen zahlreichen Interviews.

Das Posting bezieht sich auf eine Mail, die Fauci tatsächlich am 18. März 2020 erhielt und die auf Seite 2043 des Mailverkehrs zu finden ist. Darin leitet ihm sein Kollege Gregory Folkers einen am selben Tag erschienen Artikel von "Bloomberg" weiter.

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Mail von Greg Folkers an Anthony Fauci vom 18. März 2020, Screenshot: 09.06.2021

Der Bloomberg-Artikel bezieht sich auf eine Studie der italienischen Gesundheitsbehörde Istituto Superiore di Sanità (ISS) mit Daten bis zum 17. März 2020. 355 der bis dahin 2003 verstorbenen Patienten in Italien hatten tatsächlich auch noch eine andere Krankheit. Knapp die Hälfte hatte drei oder mehr Krankheiten, nur 0,8 gar keine. 99 Prozent der Verstorbenen hatten zu dem Zeitpunkt in Italien also eine Vorerkrankung. Die dabei am häufigsten erfasste Vorerkrankung war Bluthochdruck, wie auch Fauci beim Weiterleiten der Mail am selben Tag anmerkte.

Dabei ist wichtig zu betonen, dass das nicht automatisch bedeutet, dass die Mehrheit an anderen Krankheiten als Covid-19 verstarben, sondern lediglich, dass Vorerkrankungen ein Risiko bei einer Corona-Infektion darstellen. Das aktuell geteilte Posting macht diese Unterscheidung durchaus.

Der hohe Anteil an Vorerkrankten unter den Toten führte jedoch in der Vergangenheit wiederholt zur Entstehung von Falschinformationen. Im April 2020 hatte etwa ein italienischer Abgeordneter eine ähnliche Studie des ISS zum Anlass genommen, um zu behaupten, dass die Todeszahlen falsch seien. In Wahrheit seien die Menschen an den Vorerkrankungen verstorben. AFP hat das im Mai 2020 überprüft, genauso wie eine ähnliche Fehlinterpretation von Zahlen der CDC. Auch andere Falschbehauptungen über angeblich mehrfach gezählte Corona-Tote hat AFP in der Vergangenheit widerlegt.

Auch klar ist: Der E-Mailaustausch bezog sich auf einen öffentlich zugänglichen Artikel und zeigt keineswegs ein von Faucis verschwiegenes Geheimwissen. Auch deutsche Medien diskutierten die Studie (hier, hier).

Fazit: Die Empfehlungen Faucis spiegeln den damaligen wissenschaftlichen Stand wider, der sich schnell veränderte. Ein Beweis für die Unwirksamkeit von Masken sind sie nicht. Auch die Herkunft des neuartigen Coronavirus als künstlich erzeugte Biowaffe wird in den E-Mails nicht bestätigt. Fauci bekam lediglich eine alte, zusammenhanglose Studie mit einer vermeintlichen Bauanleitung des Virus zugeschickt. Fauci selbst betonte wiederholt, dass der Ursprung von Sars-Cov-2 nicht sicher geklärt sei, er jedoch eine natürliche Übertragung für wahrscheinlicher halte.

Mit der Wirksamkeit von Medikamenten wie Hydroxychloroqin, die in den Mails angesprochen wird, beschäftigte sich AFP ebenfalls bereits in einem Faktencheck (auf Französisch).

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