Eine Person in Schutzkleidung zeigt am 21. Juli 2020 in Cali, Kolumbien, eine Schachtel mit einer Flasche Ivermectin (AFP / Luis ROBAYO)

Experten warnen: Falschinfos über Ivermectin kursierten erneut

Gesundheitsexpertinnen und -experten haben erneut betont, dass das Entwurmungsmittel Ivermectin unter anderem Krebs nicht heilen kann, nachdem wiederholt Falschinformationen über die angeblichen Vorteile des Medikaments kursierten. Sie erklärten gegenüber AFP, es sei "grob fahrlässig" und "gefährlich", das Medikament außerhalb seiner zugelassenen Anwendungsgebiete zu verwenden, da derzeit noch nach alternativen Verwendungsmöglichkeiten geforscht werde. Falschinformationen über Ivermectin werden bereits seit Beginn der Covid-Pandemie verbreitet.

"Erinnert ihr euch, als die Medien lachten und sagten, dass Ivermectin nur für Pferde und Kühe sei? Seit 1987 wussten sie, dass es für Menschen gemacht ist", lautet der Beginn eines Telegram-Beitrags vom 27. April 2025. Anschließend werden zwölf angebliche Anwendungsgebiete und Eigenschaften des Medikaments Ivermectin aufgezählt, hauptsächlich in Bezug auf Covid-19, Krebserkrankungen oder Autoimmunerkrankungen.

Derselbe Text wird auch in Beiträgen auf Facebook sowie bereits seit Januar 2025 zahlreich auf anderen Sprachen wie Spanisch, Tschechisch und Ungarisch geteilt. Im Text sind Grammatikfehler und teilweise unverständliche Sätze enthalten, was auf eine automatisierte Übersetzung hindeuten könnte. In einigen Beiträgen ist zusätzlich ein Bild eingefügt, auf dem eine Ampulle mit der Aufschrift "Ivermectin-Injektion für Rinder und Schweine" zu sehen ist.  

Dem Beitrag zufolge soll das Medikament eine Reihe verschiedener Gesundheitsprobleme heilen, darunter Krebs. Außerdem soll es das Herz schützen, die Muskeln stärken und den Insulin- und Cholesterinspiegel des Körpers regulieren.

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Facebook-Screenshot der Behauptung: 14. Mai 2025

Die Posts tauchten etwa zur gleichen Zeit auf, als der US-Schauspieler Mel Gibson unbelegte Behauptungen über die angeblich krebsheilende Wirkung von Ivermectin aufstellte. AFP widerlegte diese Behauptungen bereits.

Schon seit Beginn der Covid-Pandemie kursierten Falschinformationen über das Medikament. Es war besonders bei Impfskeptikerinnen und -skeptikern beliebt. Es wurde zudem fälschlicherweise als "Wundermittel" angepriesen, wofür es jedoch keine Belege gibt. 

Gesundheitsexpertinnen und -experten wiesen jedoch die jüngsten Behauptungen über Ivermectin zurück und betonten, dass seine angeblichen Vorteile – über die klinisch nachgewiesenen Anwendungsgebiete hinaus – "unbegründete Spekulationen" oder "völlig aus der Luft gegriffen" seien.

Der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) zufolge "sind Ivermectin-Tabletten in der EU für die Behandlung bestimmter parasitärer Wurminfektionen zugelassen, während Ivermectin-Hautpräparate für die Behandlung von Hauterkrankungen wie Rosazea zugelassen sind". In Deutschland sind laut Arzneimittel-Informationssystem des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte Ivermectin-Tabletten mehrerer Hersteller sowie ein Ivermectin-Gel zur Behandlung von Pferden im Handel.

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Screenshot der Liste von Ivermectin-Präparaten, Website des Azneimittel-Informationssystems: 15. Mai 2025

"Unbegründete Spekulationen" über Ivermectin

Expertinnen und Experten erklärten, Ivermectin sollte nicht zur Behandlung von Erkrankungen verwendet werden, für die das Medikament nicht getestet wurde.

Die Verwendung von Ivermectin sei "für die genannten Erkrankungen nicht indiziert", erklärte Markus Zeitlinger, Klinikdirektor an der Universitätsklinik für Klinische Pharmakologie in Wien, am 29. April 2025 gegenüber AFP in Bezug auf die online geteilten Beiträge.

"Wäre Ivermectin tatsächlich für die Behandlung der von Ihnen erwähnten Erkrankungen geeignet, dann gäbe es die entsprechenden klinischen Studien und die jeweiligen Präparate wären zugelassen", erklärte Akos Heinemann, Forschungsleiter an der Abteilung für Pharmakologie der Medizinischen Universität Graz, gegenüber AFP am 29. April 2025. "Dieses Geschäft würde sich die Pharmaindustrie sicher nicht entgehen lassen."

Das Medikament habe allerdings "nur bei bestimmten Wurmerkrankungen und Scabies [Krätze, Anm. d. Red.] eine erwiesene klinische Wirkung", erklärte Heinemann weiter. "Alles andere sind unseriöse Spekulationen, die aufgrund von wissenschaftlich unhaltbaren Daten behauptet werden, oder einfach nur frei erfunden sind." Er fügte hinzu: "Die Verschreibung bzw. Einnahme von Ivermectin außerhalb der zugelassenen Indikationen ist grob fahrlässig."

Monika Redlberger-Fritz, Forscherin am Zentrum für Virologie der Medizinischen Universität Wien, bestätigte gegenüber AFP am 29. April 2025 ebenfalls: "Ivermectin ist ausschließlich im Rahmen der Zulassung anzuwenden, alle anderen Anwendungen sind nicht indiziert." 

Weitere klinische Studien nötig

Besonders gesundheitsgefährdend ist die Behauptung in den geteilten Beiträgen, dass Ivermectin Krebszellen abtöte und die Ausbreitung von Krebs verhindere, ohne Beweise dafür zu liefern.

Die Wirksamkeit von Ivermectin bei der Behandlung von Krebs ist derzeit Gegenstand wissenschaftlicher Forschung. Das Medikament sei allerdings noch lange nicht als Alternative zu bestehenden Behandlungsmethoden anzusehen, erklärten Experten gegenüber AFP.

Seit Mitte der 1990er-Jahre haben In-vitro- und Tierversuche gezeigt, dass das Molekül Ivermectin krebshemmende Eigenschaften haben könnte.

Jérôme Hinfray, Leiter der wissenschaftlichen Information der Französischen Krebsliga, erklärte gegenüber AFP im März 2025, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gezeigt hätten, "dass das Molekül antiproliferative Eigenschaften haben könnte, die somit die Entwicklung von Krebszellen verlangsamen, sowie antimetastatische Eigenschaften, die die Ausbreitung von Krebs in den Organismen der Versuchstiere verhindern würden."

Solche Studien lassen sich jedoch nicht direkt auf den Menschen übertragen und es sind weitere Forschungen und klinische Studien erforderlich. "Wir können Daten aus einem Versuchsmodell an Mäusen keinesfalls auf die Behandlung von Menschen übertragen", erklärte Claude Linassier, Onkologe und Direktor der Abteilung für Prävention, Organisation und Behandlungswege am Nationalen Krebsinstitut Frankreichs. "Bevor ein Medikament zur Behandlung von Krebserkrankungen eingesetzt werden kann, muss es in drei Arten von klinischen Studien getestet werden."

"Die Behauptung, dass Ivermectin bei der Heilung von Krebs wirksam ist, ist sicherlich falsch oder ausgedacht und basiert nicht auf wissenschaftlichen Daten", erklärte er. "Sie ist besonders gefährlich, weil diese falschen Informationen ungewöhnliche und daher potenziell toxische Dosierungen empfehlen" ohne dass Nutzerinnen und Nutzer dies wüssten.

Ivermectin hat mögliche Nebenwirkunge

In den online geteilten Beiträgen wird behauptet, dass Ivermectin "nur positive Wirkungen hat" – in Wirklichkeit hat das Medikament jedoch mögliche Nebenwirkungen

Die EMA warnte online bereits 2021, dass Ivermectin zwar "in den für andere Indikationen zugelassenen Dosierungen im Allgemeinen gut verträglich ist", bei höheren Dosierungen jedoch "Toxizität nicht ausgeschlossen werden kann". So waren im Jahr 2021 beispielsweise Intensivstationen im US-Bundesstaat Oklahoma zeitweise mit impfskeptischen Patientinnen und Patienten überfüllt, die sich mit Ivermectin selbst behandelt hatten.

Auch das österreichische Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen warnte im Jahr 2021 vor der Einnahme von Ivermectin zur Behandlung von Coronainfektionen. Die Fachzeitschrift "Deutsches Ärzteblatt" attestierte dem Medikament in diesem Zusammenhang auf Grundlage von Untersuchungen "keine klinische Wirksamkeit". 

Ivermectin und angebliche Impfschäden

Außerdem wird in den geteilten Beiträgen behauptet, dass Ivermectin Schäden heilen würde, die durch Spike-Proteine von mRNA-Impfstoffen verursacht worden seien.

Es ist jedoch eine wiederkehrende Falschbehauptung, dass sich Spike-Proteine, die nach einer Impfung mit mRNA-Impfstoff vom Körper produziert werden, frei im Körper bewegen und Schaden anrichten oder sogar andere infizieren könnten. AFP hat diese Behauptungen in mehreren Faktenchecks widerlegt.

Wie AFP in einem Faktencheck von April 2025 erklärte, stuft die EMA mRNA-Impfstoffe auf der Grundlage der Daten, die nach Milliarden von verabreichten Dosen weltweit gesammelt wurden, als sicher und wirksam ein.

Fazit: Gesundheitsexpertinnen und -experten erklärten die angebliche Wirkung des Medikaments Ivermectin gegen Krebs und andere Erkrankungen für haltlos. Ivermectin solle nur in den empfohlenen Anwendungsgebieten eingenommen werden. Falschinformationen zur Wirkung von Ivermectin gegen Covid-19 sowie gegen Impfnebenwirkungen kursierten bereits seit Beginn der Corona-Pandemie und wurden widerlegt.

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