Kein Zusammenhang zwischen Krebs und Autoimmunkrankheiten durch mRNA-Impfstoffe: Studie falsch interpretiert

Seit dem Ausbruch von Covid-19 und der Einführung von neuartigen Impfstoffen, die geholfen haben, die Pandemie einzudämmen, sind mRNA-Impfstoffe immer wieder Ziel von Desinformation. Online wurde behauptet, eine deutsche Studie sei zu dem Schluss gekommen, dass die Vakzine Krebs sowie Autoimmunerkrankungen verursachen könnten. Doch ein Mitautor der besagten Studie sowie weitere Experten stritten dies gegenüber AFP ab. Die Beiträge griffen einen Artikel auf, der Wochen zuvor von einer Anti-Impfstoff-Interessengruppe veröffentlicht worden war, deren Vorsitzender einst der US-Gesundheitsminister Robert F. Kennedy Jr. war.

Eine aktuelle deutsche Studie zeige, dass mRNA-Impfstoffe "die Genetik des Menschen auf eine Weise" veränderten, "die mit Krebs und Autoimmunerkrankungen in Verbindung gebracht wird", lautet der Untertitel eines tkp-Blogeintrags, der seit 1. April 2025 vielfach auf Facebook, Telegram und X zirkulierte. 

Die Falschbehauptung zirkulierte auch in anderen Sprachen, wie zum Beispiel auf Schwedisch, und wurde schon hier von AFP überprüft.

Der Blog namens tkp fiel in der Vergangenheit öfter damit auf, Falschinformationen über Impfungen oder das Tragen von Schutzmasken zu verbreiten.

Die Behauptung über mRNA-Impfstoffe publizierte die Anti-Impfstoff-Interessengruppe Children's Health Defense am 1. April 2025 in ähnlicher Form. US-Gesundheitsminister Robert F. Kennedy Jr. war einst Vorsitzender der Organisation.

Der Artikel von Children's Health Defense sowie der tkp-Blogeintrag zitierten wiederum einen Substack-Beitrag von Alex Berenson, der zuvor wegen der Verbreitung falscher und irreführender Behauptungen über Covid-Impfstoffe von X gesperrt worden war.

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Facebook-Screenshot der Behauptung: 21. Mai 2025

Einer der Mitautoren der Studie erklärte jedoch gegenüber AFP, dass er und seine Kollegen keinen Zusammenhang zwischen mRNA-Covid-Impfstoffen und Krebs oder Autoimmunerkrankungen festgestellt hätten.

Die Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) gibt an, dass Covid-Impfstoffe Millionen Menschenleben gerettet hätten. Darüber hinaus sieht die Agentur "keine Hinweise auf einen Anstieg der Todesfälle im Zusammenhang mit Covid-19-Impfungen in irgendeiner Altersgruppe, auch nicht bei Kindern".

Impfstoffe können das Immunsystem stärken

Die in den Beiträgen erwähnte Studie wurde am 25. März 2025 in der Fachzeitschrift Molecular Systems Biology veröffentlicht (hier archiviert).

Wie in einer Pressemitteilung der Universität Köln – an der viele der Autorinnen und Autoren der Studie tätig sind – am 25. März 2025 erläutert, hat die Studie ergeben, dass mRNA-Covid-Impfstoffe das Immunsystem langfristig prägen, was dem Körper helfen könnte, "auf künftige Infektionen schneller und breiter" zu reagieren. 

Messenger-RNA (mRNA)-Impfstoffe – dazu gehören die Covid-Impfstoffe von Moderna und Biontech/Pfizer – enthalten genetische Informationen mit Anweisungen zum Kopieren des Spike-Proteins des Coronavirus, das dem Virus den Eintritt in die Zellen ermöglicht. Dadurch lernt das Immunsystem, das Protein zu erkennen und im Falle einer Infektion anzugreifen, wie das deutsche Bundesinstitut für Öffentliche Gesundheit, ehemals Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, erklärte.

Das Immunsystem verfügt über zwei Immunstrategien, die angeborene und die erworbene, hieß es in der Pressemitteilung der Universität Köln. Das angeborene Immunsystem biete einen unspezifischen Schutz vor Krankheitserregern und müsse schnell reagieren können. Das adaptive, also das erworbene Immunsystem passe sich neuen oder veränderten Erregern an: "Beide Teile arbeiten eng zusammen."

In der Studie zeigten die Forscherinnen und Forscher, dass mRNA-Covid-Impfstoffe neben der Auslösung der Antikörperproduktion auch zu "langanhaltenden epigenetischen Veränderungen in Abwehrzellen des angeborenen Immunsystems" führen würden.

Epigenetische Veränderungen bezeichnen Veränderungen, die die Expression von Genen beeinflussen, also welche Gene "eingeschaltet" werden, nicht die DNA-Sequenz selbst, erklärte das Umweltbundesamt auf seiner Website

AFP fragte Jan Rybniker, einen der Studienautoren, ob die Ergebnisse der Studie die Behauptung in den irreführenden Beiträgen stützen, dass mRNA-Impfstoffe langfristige Veränderungen in der genetischen Struktur des Körpers verursachen könnten, die wiederum zu "Entzündungsreaktionen, Autoimmunerkrankungen und Krebs" führen würden.

"Es ist völliger Unsinn, diese Ergebnisse mit Krebs oder anderen Krankheiten in Verbindung zu bringen", sagte Rybniker am 24. April 2025 gegenüber AFP.

Rybniker, der auch Leiter der Abteilung für Infektionskrankheiten am Universitätsklinikum Köln und Hauptforscher am Zentrum für Molekulare Medizin Köln ist, sagte: "Epigenetische Veränderungen finden in menschlichen Zellen täglich als Reaktion auf Umwelteinflüsse statt."

"Nach dieser Logik könnte man genauso gut behaupten, dass eine Grippeinfektion Krebs verursacht", sagte er.

Unabhängig davon erklärte Malin Sund, Professorin für Chirurgie an den Universitäten Umeå in Schweden und Helsinki in Finnland, gegenüber AFP, dass die Studie keinen Zusammenhang zwischen den Impfstoffen und Krebs oder Autoimmunerkrankungen herstelle.

"Einfach ausgedrückt ist das Ergebnis der Studie, dass der mRNA-Impfstoff eine Art permanente 'Gedächtnisspur' hinterlässt, damit er schnell auf eine neue Infektion reagieren kann. Diese Gedächtnisspur ähnelt dem, was nach einer Infektion auftritt", sagte Sund, die auch als Beraterin, Krebsforscherin und Vorsitzende des Forschungsausschusses der Schwedischen Krebsgesellschaft Cancerfonden tätig ist.

"Mit anderen Worten, es handelt sich um einen gewünschten Effekt der Impfung, da der Sinn von Impfstoffen darin besteht, das Immunsystem des Körpers zu lehren, auf Gefahren zu reagieren", erklärte sie gegenüber AFP am 5. Mai 2025.

Studie erwähnt Krebs nie

Die irreführenden Behauptungen konzentrierten sich auf einen angeblichen Zusammenhang zwischen mRNA-Impfstoffen und Krebs, doch in der von ihnen zitierten Studie wurde Krebs mit keinem Wort erwähnt.

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Ein Mediziner bereitet am 27. Juni 2022 in Mexiko-Stadt eine Dosis eines Covid-Impfstoffs vor (AFP / Pedro PARDO)

Rybniker erklärte, dass epigenetische Veränderungen keine genetischen Mutationen sind und auch keine dauerhaften Veränderungen des Genoms mit sich bringen, und betonte, dass sie in der Regel vorübergehend sind.

"Zwar können Krebserkrankungen tatsächlich mit epigenetischen Veränderungen einhergehen, doch treten diese innerhalb von Krebszellen auf, die auch genetische Mutationen aufweisen. Es gibt absolut keine Hinweise darauf, dass mRNA-Impfstoffe echte genetische Mutationen auslösen, die gesunde Zellen in Krebszellen verwandeln könnten", sagte er.

Sund stimmte dem zu und fügte hinzu: "Hoffentlich kann die Studie Einfluss auf die weitere Entwicklung von Krebsimpfstoffen nehmen, was die Hoffnung für diese Art von Impfstoffen ist."

Keine Hinweise darauf, dass mRNA-Impfstoffe Autoimmunerkrankungen verursachen

AFP stellte fest, dass in der Studie auch keine Autoimmunerkrankungen erwähnt werden.

Karina Top, Professorin an der Fakultät für Medizin und Zahnmedizin der Universität von Alberta in Kanada, erklärte gegenüber AFP am 28. April 2025 in diesem finnischen Faktencheck, dass ihr "keine überzeugenden Beweise für einen Zusammenhang zwischen Autoimmunerkrankungen und Covid bekannt sind".

"Es gibt sicherlich Fallberichte", sagte sie. Das sei aber auch "zu erwarten, da fast die gesamte Bevölkerung etwa zur gleichen Zeit geimpft wurde, während Covid-19 zirkulierte". Ihr Kollege habe einmal gesagt: "Wenn man alle impft, ist jedes medizinische Ereignis ein unerwünschtes Ereignis nach der Impfung." Ein kausaler Zusammenhang müsse also nicht gegeben sein, nur weil zwei Ereignisse zur selben Zeit passieren. Top ist Kinderärztin für Infektionskrankheiten und klinische Wissenschaftlerin in der Impfstoffforschung.

Julie Bettinger, Wissenschaftlerin für Impfstoffsicherheit am Vaccine Evaluation Center des BC Children's Hospital Research Institute in Kanada, stimmte dem zu.

Sie erklärte gegenüber AFP am 28. April 2025, dass mRNA-Impfstoffe das Immunsystem darauf trainieren, Fremdstoffe zu erkennen, um eine Reaktion gegen sie auszulösen. Im Falle von Covid-Impfstoffen handelt es sich dabei um Proteine des Sars-CoV-2-Virus. "Da die Impfstoffe eine spezifische Reaktion auf das Sars-CoV-2-Virus fördern, kommt es nicht zur Entstehung von Autoimmunerkrankungen", sagte sie.

Mehrere Studien sind zu dem Schluss gekommen, dass mRNA-Impfstoffe zwar noch weiter erforscht werden müssen, dennoch sicher sind und nicht mit einem erhöhten Risiko für Autoimmunerkrankungen verbunden sind.

Keine Daten zu chronischen Entzündungen

Schließlich wird in den Blogbehauptungen auch von "Entzündungskrankheiten" durch mRNA-Impfstoffe gesprochen.

Im Diskussionsteil der Studie schreiben die Autorinnen und Autoren, dass die "Reprogrammierung" der angeborenen Immunzellen gewisse Auswirkungen haben könnten. Dazu gehören etwa "die Verbesserung der Impfstoffreaktionen und -designs", die "allgemeine Immunantwort" auf nicht mit Covid verwandte Infektionen und "sogar" auf das Verständnis von "postvakzinalen Entzündungskrankheiten". Diese könnten "bei einer kleinen Anzahl von geimpften Personen" auftreten.

Dieser Abschnitt sei jedoch "dazu gedacht, andere Forscher zu inspirieren, unsere Ergebnisse in jede Richtung weiterzuverfolgen", erklärte Rybniker am 6. Mai 2025. Dazu gehörten auch Post-Impf-Syndrome wie Myokarditis, also eine Entzündung des Herzmuskels, die in einigen Fällen mit mRNA-Impfstoffen in Verbindung gebracht werden könne, fügte er hinzu.

Die Studie enthalte keine Daten, die die Annahme stützen würden, dass die Impfstoffe zu chronischen Entzündungen führen, erklärte er.

AFP hat bereits mehrere Behauptungen über Covid-Impfstoffe und Krebs widerlegt, beispielsweise hier, hier und hier.

Fazit: In einer Falschbehauptung in sozialen Medien hieß es, dass eine deutsche Studie zu dem Schluss gekommen sei, dass mRNA-Impfstoffe Krebs und Autoimmunerkrankungen verursachen könnten. Das stimmt nicht, wie ein Mitautor der besagten Studie sowie weitere Expertinnen und Experten gegenüber AFP erläuterten. In der besagten Studie wurden diese Krankheiten zudem mit keinem Wort erwähnt.

Fragestellung im Header präzisiert
22. Mai 2025 Fragestellung im Header präzisiert

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