Kein Prozess von Robert F. Kennedy Jr. zu Covid-Impfstoffen am Obersten Gerichtshof der USA

Mit Robert F. Kennedy Jr. hat US-Präsident Donald Trump einen langjährigen Impfkritiker zum Gesundheitsminister ernannt. Bereits vor einigen Jahren, lange vor seiner Ernennung auf seinen jetzigen Posten, kursierte online die Falschbehauptung, Kennedy Jr. habe vor dem Obersten Gerichtshof der USA gegen Pharmaunternehmen geklagt und gewonnen – der Gerichtshof habe Covid-19-Impfstoffe in diesem Zusammenhang als "keine Impfstoffe" bezeichnet. Diese Behauptung kursierte seit April 2025 erneut. Der Oberste Gerichtshof der USA hat jedoch nie ein solches Urteil gefällt. Covid-19-Impfstoffe sind tatsächlich Impfstoffe und gelten nach bisheriger Studienlage als sicher und wirksam.

"Grossartiges und wegweisendes Urteil des Obersten Gerichtshofs der USA: Covid-Impfstoffe sind KEINE Impfstoffe", lautete der Beginn eines langen Telegram-Posts vom 30. April 2025. Und weiter: "Robert F. Kennedy Jr. hat seinen Prozess gegen alle Pharma-Lobbyisten gewonnen." Außerdem habe der Oberste Gerichtshof der USA in seiner Entscheidung mitgeteilt, "dass die Schäden durch Covid mRNA-Gentherapien UNREPARABL" seien. Die Behauptung wird mit großer Reichweite auch in Facebook-Beiträgen geteilt sowie auf anderen Sprachen wie Kroatisch, Niederländisch, Tschechisch und Ungarisch

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Telegram-Screenshot der Behauptung: 6. Mai 2025

Die Behauptungen in dem Beitrag – die so formuliert sind wiejene, die bereits vor einigen Jahren in Umlauf waren – sind jedoch falsch.

Robert F. Kennedy Jr. ist US-Gesundheitsminister in der zweiten Amtszeit von US-Präsident Donald Trump. Der Neffe des ehemaligen US-Präsidenten John F. Kennedy ist umstritten, da er impfkritische Positionen vertritt und wiederholt Falschinformationen über Impfungen sowie zu anderen Gesundheitsthemen verbreitete. So stellte er unter anderem eine Verbindung zwischen Impfungen und Autismus her, die jedoch widerlegt ist. Vor seinem Amtsantritt als Gesundheitsminister war Kennedy Vorsitzender der impfkritischen Organisation Children's Health Defense, deren Gründer er auch ist.

Angesichts eines schweren Masernausbruchs im März 2025 in den USA mit mehreren Todesfällen äußerte sich der Impfskeptiker Kennedy jedoch öffentlich positiv zu Impfungen und empfahl den Kombinationsimpfstoff gegen Mumps-Masern-Röteln zur Eindämmung der Viruserkrankung.

Alte Behauptungen kursierten wieder

Bereits im Spätsommer 2022 kursierten die Behauptungen in verschiedenen Sprachen, darunter Finnisch, Englisch und Spanisch. Die Behauptungen ähnelten denjenigen, die im April 2025 verbreitet wurden. Angeblich habe der Oberste Gerichtshof bestätigt, "dass die durch Covid-mRNA-Gentherapien verursachten Schäden irreparabel sind", lautete die Überschrift eines Blogartikels vom 24. August 2022. "Robert F. Kennedy Jr. hat den Prozess gegen alle Pharmalobbyisten gewonnen", hieß es weiter. AFP wies diese Behauptungen bereits 2022 zurück.

Keine solche Gerichtsentscheidung gefällt

Die Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs der USA können öffentlich auf seiner Website eingesehen werden. Seit Beginn der Coronapandemie im Jahr 2020 und der ersten Notfallzulassung des Covid-19-Impfstoffs der Pharmaunternehmen Biontech/Pfizer in den USA im Dezember 2020 war Kennedy an nur einem Prozess beteiligt. Diese Entscheidung vom 29. April 2025 betraf jedoch eine Klage von Krankenhäusern in Bezug auf Zahlungen für einkommensschwache und nicht versicherte Patientinnen und Patienten. Die Begriffe "Covid", "Corona" und "vaccine" kommen in der Gerichtsentscheidung nicht vor.  

Das US-Gesundheitsministerium dementierte die Falschinformation über das angebliche Gerichtsurteil am 7. Mai 2025 auf AFP-Anfrage. "Diese Behauptungen sind nicht zutreffend", erklärte eine Sprecherin in Bezug auf das angebliche Urteil. In einem AFP-Faktencheck aus dem Jahr 2022, als die Behauptung schon einmal kursierte und Kennedy noch Vorsitzender von Children's Health Defense war, erklärte ein Sprecher der Organisation bereits, die Behauptung sei "unwahr".

mRNA-Impfstoffe erfüllen Definition eines Impfstoffs

Neben der Falschinformation über das angeblich gefällte Gerichtsurteil ist die online geteilte Behauptung auch inhaltlich unzutreffend. mRNA-Impfstoffe sind, anders als behauptet, Impfstoffe. Die Definition von Impfstoffen ist in Deutschland im Arzneimittelgesetz festgeschrieben. Demnach sind sie Arzneimittel, "die dazu bestimmt sind, beim Menschen zur Erzeugung von spezifischen Abwehr- und Schutzstoffen angewendet zu werden".

Ulrike Protzer, Professorin für Virologie an der Technischen Universität München und Forscherin am Deutschen Zentrum für Infektionsforschung, erklärte auf Anfrage von AFP am 7. Mai 2025, wie Impfstoffe funktionieren. "Ein Impfstoff aktiviert eine Immunantwort, die gezielt gegen einen Krankheitserreger gerichtet ist", schrieb Protzer. "Die Immunantwort soll das Eindringen von Krankheitserregern in den Körper und daraus resultierende Krankheitserscheinungen verhindern." Diese Funktion erfüllten auch mRNA-Impfstoffe. 

(AUDIO NETWORK / David LORY, Jonathan STOREY)

Das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) – Bundesinstitut für Impfstoffe und biomedizinische Arzneimittel – bestätigte das auf AFP-Anfrage am 8. Mai 2025: "Auch mRNA-Impfstoffe dienen ausschließlich zur Vorbeugung oder Behandlung von Infektionskrankheiten." Zudem hätten sie "keine erbgutverändernde Wirkung". 

Gentherapien und mRNA-Impfungen funktionieren unterschiedlich

Darüber hinaus wurden mRNA-Impfstoffe in den geteilten Beiträgen fälschlicherweise als "Gentherapien" bezeichnet. Das PEI erklärte: "Gentherapeutika verändern die Erbinformationen, um genetisch bedingte Krankheiten zu behandeln oder diesen vorzubeugen." Das treffe auf mRNA-Impfstoffe nicht zu. "Die in mRNA-Impfstoffen enthaltene sogenannte 'Boten-RNA' (messenger RNA) verändert das menschliche Erbgut hingegen nach allen vorliegenden Erkenntnissen nicht." In das innere des Zellkerns, wo mit der DNA das Erbgut liegt, gelange die in den Impfstoffen enthaltene mRNA nicht.

Bei einer Gentherapie "achtet man strikt darauf, dass keine Immunantwort induziert wird, weil die Therapie dann nicht von Dauer wäre", führte Protzer zusätzlich aus. Damit erfüllten mRNA-Impfstoffe das genaue Gegenteil von einer Gentherapie: "Im Gegensatz zu einer Gentherapie sind sie darauf ausgerichtet, gezielt eine Immunantwort auszulösen."

Marcus Altfeld, wissenschaftlicher Direktor des Leibniz-Instituts für Virologie und Leiter der Abteilung "Virus Immunologie", fasste am 8. Mai 2025 auf Anfrage von AFP zusammen: "Diese mRNA-Impfstoffe verändern nicht humane Gene, was das Ziel einer Gentherapie wäre." 

Langzeitnebenwirkungen sind selten

Schließlich hieß es in den geteilten Beiträgen, die Schäden, die mRNA-Impfstoffe verursachen würden, wären irreraparabel. Das PEI bezeichnete diese Behauptung auf AFP-Anfrage als "falsch" und erklärte: "Die sehr umfangreiche Datenbasis, die durch klinische Prüfungen mit mehreren zehntausend Teilnehmenden sowie durch eine außergewöhnlich große Anzahl von Impfungen mit den im Europäischen Wirtschaftsraum zugelassenen COVID-19-Impfstoffen vorliegt zeigt, dass die Impfstoffe sicher, wirksam und insgesamt gut verträglich sind." 

Protzer erläuterte, dass "in sehr seltenen Fällen" anhaltende Beschwerden nach einer Impfung mit mRNA-Impfstoff kommen könne. "Das ist aber kein Schaden, der durch den mRNA-Impfstoff diekt ausgelöst wird, sondern typischerweise durch eine überschießende Immunreaktion oder Entzündungsreaktion."

Die Nebenwirkungen der Covid-19-Impfstoffe führt die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) online auf. Stand Dezember 2023 sind demnach rund eine Milliarde Impfdosen gegen Covid-19 im Europäischen Wirtschaftsraum verabreicht worden. Rund 12.000 Todesfälle seien der EMA gemeldet worden, was "etwa 0,001 gemeldeten Todesfälle pro 100 verabreichte Impfstoffdosen" entspreche. Zwei schwere Nebenwirkungen sind die Herzmuskel- und die Herzbeutelentzündung. Auch sie sind jedoch mit weniger als einem Fall pro 10.000 geimpften Personen selten. In Deutschland erkannten die Behörden der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" zufolge bis April 2025 in mindestens 573 Fällen in Deutschland Schäden nach einer Impfung gegen Covid-19 an.

Weitere Faktenchecks zu Impfungen und Covid-19 sammelt AFP auf der Website.

Fazit: Der Oberste Gerichtshof der USA entschied nicht über eine Klage von US-Gesundheitsminister Robert F. Kennedy Jr. zu Covid-19-Impfstoffen. Einen solchen Prozess gibt es in der offiziellen Datenbank des Gerichtshofs nicht. Die Behauptung kursierte bereits vor einigen Jahren und wurde auch damals für haltlos befunden.

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