Corona-Infizierte werden in der Statistik nicht mehrfach gezählt
Seit Ende Januar verbreiten hunderte Nutzerinnen und Nutzer eine Behauptung, wonach ein Altenheim im baden-württembergischen Überlingen Corona-positive Heimbewohnende mehrfach für die Fall-Statistik zähle. Die Gesundheitsämter verzeichnen allerdings immer auch die Namen, um genau solche Mehrfachmeldungen zu vermeiden.
Mehrere Hundert Facebook-User haben seit dem 22. Januar ein Posting geteilt, das beschreibt, wie in einem Altenheim in Überlingen am Bodensee angeblich künstlich die Corona-Statistik in die Höhe getrieben werde (hier, hier, hier). 18 Personen seien dort mit Corona infiziert und würden täglich wieder getestet. Ihr positives Testergebnis würde dann jeden Tag aufs Neue gezählt, berichtet eine vermeintliche Mitarbeiterin eines Heimes. "So werden die Zahlen hoch getrieben...", schreibt eine Nutzerin dazu. "Moral bzw. ihr Fehlen", ein anderer.

Einige Versionen des Postings (hier, hier) zeigen neben dem grünen Text noch etwas mehr Kontext: Das Bild ist dort Teil eines Videos des sogenannten "Corona-Ausschusses". Dieser selbsternannte Ausschuss von Corona-Skeptikern hält die Corona-Maßnahmen der Regierung für unverhältnismäßig und hält seit dem Sommer 2020 regelmäßig gestreamte Sitzungen mit Zeuginnen und Zeugen angeblicher Missstände ab. Prominenter Vertreter des Ausschusses ist etwa der Anwalt Reiner Fuellmich, Teile seiner Behauptungen zu Corona hat AFP bereits in diesem Faktencheck widerlegt. Auch Viviane Fischer ist im Video zu sehen, eine ihrer Behauptungen hat sich bei einer AFP-Überprüfung ebenfalls als falsch herausgestellt.
In der gestreamten Ausschuss-Sitzung Nummer 36 vom 22. Januar kommt auch das aktuell geteilte Bild vor. Interview-Gast Georg Lind zeigt es nach einer Videodauer von etwa drei Stunden und 45 Minuten.
Er behauptete, dass die 18 Infizierten eines Überlinger Altenheims in einer Woche zu 126 positiven Meldungen geführt hätten: "Die gehen alle ans RKI und blasen die Statistik auf." Er stellt sich dann die Frage, wie so etwas überhaupt geschehen könne und weshalb Mitarbeitende von Altenheimen bei solchen vermeintlichen Anweisungen nicht kündigen würden. Linds Antwort: "Es gibt viele Leute, die sehen da überhaupt kein Problem, die merken gar nicht, dass da Moral im Spiel ist. Das ist bei drei Viertel der Deutschen der Fall, bei manchen anderen Völkern sind das noch mehr, die das überhaupt nicht sehen." Zur Quelle seines eingeblendeten Bildes sagt er: "Hier ein Brief, der heute im Internet kam."

Aber kann es tatsächlich zu einer Mehrfachzählung kommen?
Die aktuellen Fallzahlen für Deutschland fasst das Robert Koch-Institut (RKI) in täglichen Situationsberichten und in seinem Dashboard zusammen. Grundlage dafür sind die Fälle, die dem RKI übermittelt werden. "Die Daten werden gemäß Infektionsschutzgesetz spätestens am nächsten Arbeitstag vom Gesundheitsamt elektronisch an die zuständige Landesbehörde und von dort an das RKI übermittelt", schreibt das RKI auf seiner Website.
Am 25. Januar schrieb eine RKI-Sprecherin außerdem an AFP: "Die Gesundheitsämter haben den Namen der infizierten Person, so dass etwaige Folgetests natürlich nicht mehrfach gezählt werden."
AFP hat auch das örtliche Gesundheitsamt nach den Vorwürfen befragt. Sprecher Robert Schwarz schrieb am 25. Januar in einer E-Mail: "Falsch ist, dass diese Fälle kumuliert gezählt werden. Jede Erstmeldung wird im Gesundheitsamt als Indexfall registriert und dem Landesgesundheitsamt gemeldet. Weitere Testergebnisse dieser Person werden selbstverständlich diesem Fall zugeordnet und NICHT als neuer Infektionsfall ans Landesgesundheitsamt weitergemeldet."
AFP hat außerdem das Landesgesundheitsamt Baden-Württemberg nach der Zählung von Corona-Fällen gefragt. Sprecherin Josephine Palatzky schrieb am 27. Januar: "Bei einer SARS-CoV-2-Meldung gemäß § 7 beziehungsweise § 6 Infektionsschutzgesetz (IfSG) handelt es sich um eine namentliche Meldung an das zuständige Gesundheitsamt. Doppelmeldungen bei mehrfacher Testung sind somit ausgeschlossen." Die namentliche Meldung verhindert also, dass eine Infektion mehrfach gezählt werden kann. Erkrankt eine Person tatsächlich ein zweites Mal, wird laut Palatzky vom zuständigen Gesundheitsamt geprüft, ob es sich um eine Reinfektion handelt. Nur dann wird dieser Fall als neuer Fall gezählt.
AFP hat am 28. Januar außerdem mit dem Deutschen Berufsverband für Pflegeberufe Südwest (DBfK) gesprochen. Eine Sprecherin sagte gegenüber AFP, dass ihr nichts von solchen Fällen in Überlingen oder woanders zugetragen worden sei.
Außerdem hat AFP den Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste (bpa) nach den Gerüchten aus Überlingen befragt. Präsident Bernd Meuerer schrieb am 28. Januar dazu: "In den Pflegeheimen wird regelmäßig per Schnelltest getestet. Ist das Ergebnis positiv, wird das Gesundheitsamt informiert. Das Gesundheitsamt löst dann zur Überprüfung einen PCR-Test aus, dessen Ergebnis in die Statistik einfließt. Jede andere Zählweise wäre unsinnig, weil in relativ kurzer Zeit die Zahl der angeblich infizierten Menschen die Platzzahl erheblich überschreiten würde. Solche Meldungen (wie im Posting, Anm. d. Red.) sind keine Basis für korrekte Informationen."
Außerdem hat AFP Altenheime in Überlingen kontaktiert. Davon gibt es mehrere: Das Augustinum, die beiden Heime St. Franziskus und St. Ulrich, das Haus Rengold, ein Altenzentrum der Diakonie sowie das Vianney Hospital. Die meisten haben bis zum Erscheinen diese Artikels nicht geantwortet. Das Augustinum schrieb, dass die Zahlen nicht aus ihrem Haus in Überlingen stammen können: "Seit Anfang 2020 hat das Augustinum Überlingen erfreulicherweise keinen einzigen Fall einer bestätigten Corona-Infektion unter den Bewohner*innen gehabt." Außerdem würden Infektionsfälle nicht in der im Posting dargestellten Weise gezählt. "Eine positiv getestete Person rechnen wir bis zum Negativnachweis als 1 Fall, während dieser Dauer natürlich durchgehend als aktuellen Fall, aber nicht täglich als neuen Fall."
Fazit: Bestätigte Corona-Fälle werden namentlich erfasst, um eine falsche Zählweise wie im Posting behauptet, zu vermeiden. Das bestätigen RKI, lokale und überregionale Gesundheitsämter, Pflegeheime sowie Berufsverbände von Pflegenden und sozialen Dienstleistern.