mRNA-Impfstoffe schwächen nicht das Immunsystem und führen so zu Affenpocken

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Im Mai 2022 wurden in Deutschland die ersten Fälle von Affenpocken-Infektionen gemeldet. Mitte August sind dem Robert-Koch-Institut (RKI) bereits mehr als 3200 Fälle bekannt. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) rief aufgrund des Affenpocken-Ausbruchs den internationalen Gesundheitsnotstand aus. Unterdessen verbreitet sich im Netz die Behauptung eines israelischen Arztes, wonach der Ausbruch die Folge der mRNA-Impfungen sei. Diese würden das natürliche Immunsystem beeinträchtigen. Expertinnen und Experten bestreiten jedoch, dass Corona-Impfstoffe das Immunsystem schwächen würden. Ein Zusammenhang zum Affenpocken-Ausbruch kann daher nicht abgeleitet werden.

Dutzende Nutzerinnen und Nutzer haben einen Artikel mit der Behauptung des israelischen Arztes auf Facebook verbreitet. Ein Video der Anwältin Beate Bahner, das die Behauptung weiterverbreitete, wurde hunderttausende Male auf Telegram angesehen. Auch auf Twitter teilten Tausende den Clip. AFP überprüfte bereits in der Vergangenheit Falschaussagen Bahners zum Corona-Impfstoff.

Die Behauptung: Der israelische Arzt Shmuel Shapira soll auf Twitter erklärt haben, es sei erwiesen, dass mRNA-Impfstoffe das natürliche Immunsystem beeinträchtigen. Ein Ausbruch von Affenpocken nach den Corona-Impfungen sei daher "kein Zufall". Er nennt auch weitere angebliche Nebenwirkungen der Corona-Impfstoffe wie Schlaganfälle.

Facebook-Screenshot der Behauptung: 11.08.2022

Immer wieder werden Falschbehauptungen zu angeblichen Nebenwirkungen der Corona-Impfstoffe im Netz verbreitet. So überprüfte AFP in der Vergangenheit, ob Impfstoffe von Geimpften auf Ungeimpfte übertragbar seien, ob mRNA-Impfstoffe das Erbgut veränderten oder ob die Impfstoffe schädlich für Kinder seien. Die nun verbreiteten Behauptungen zu Impfstoffen in Verbindung mit dem Affenpocken-Ausbruch reihen sich ebenfalls in diese Serie von Falschbehauptungen, die AFP hier sammelt.

Aktueller Affenpocken-Ausbruch

Laut dem Robert-Koch-Institut wurden in Deutschland bis zum 17. August 2022 mehr als 3200 Fälle von Affenpocken gemeldet. Die Fälle stünden im Zusammenhang mit einem Ausbruch, der seit Mai 2022 viele Länder weltweit, insbesondere Europa, betreffe. Die Weltgesundheitsorganisation erklärte den Affenpocken-Ausbruch deshalb am 23. Juli 2022 zu einem internationalen Gesundheitsnotstand. In Spanien wurden kurz darauf die ersten beiden Todesfälle in Europa gemeldet. Laut RKI verläuft die Krankheit zumeist mild, obwohl "bei einigen Betroffenen auch schwere Verläufe auftreten" können.

Auch nach Angaben der WHO klingen die Symptome der Affenpocken wie Fieber oder Hautausschlag in der Regel nach ein paar Wochen von selbst ab, Todesfälle sind selten. Das Virus wird durch engen Kontakt mit einer infizierten Person, einem infizierten Tier oder durch mit dem Virus kontaminiertes Material übertragen.

Wie das für Tiergesundheit zuständige Friedrich-Loeffler-Institut (FLI) erklärt, kommen die Affenpocken natürlicherweise in West- und Zentralafrika vor. Jaya Dantas, Professorin für Internationale Gesundheit an der australischen Curtin University, erläuterte am 9. August 2022 gegenüber AFP, bereits vor dem aktuellen Ausbruch seien Fälle von Affenpocken in nicht-endemischen Ländern, also abseits dieser Region, vorgekommen. So sei es beispielsweise im Jahr 2003 in den USA zu einem Ausbruch durch importierte Wildtiere aus Ghana gekommen. Dabei kam es laut der US-Gesundheitsbehörde CDC zu 47 bestätigten und wahrscheinlichen Fällen von Affenpocken.

Woher stammt die Behauptung?

Als Ursprung der Behauptungen wird ein Tweet des israelischen Arztes Shmuel Shapira angegeben. Der Beitrag ist mittlerweile für AFP nicht mehr einsehbar, andere User verbreiten den Inhalt des Tweets aber weiter und schrieben, dieser sei von Twitter gelöscht worden. Eine Suche nach dem Affenpockentweet in Englisch und Hebräisch auf Shapiras Profil ergab in der Tat keine passenden Treffer. Auf AFP-Anfrage wollte sich Shapira am 22. August nicht weiter zu den Behauptungen äußern. Er erklärte lediglich, die "Zufälle" sollten untersucht werden.

Nutzerinnen und Nutzer verweisen dabei immer wieder darauf, dass Shapira jahrelang Leiter des israelischen Instituts für biologische Forschung war. Israelische Medien berichteten, Shapira habe sich im März 2021 entschieden, seine Aufgaben am Institut ab Mai desselben Jahres niederzulegen (hier, hier). Zuvor habe er an der Entwicklung eines israelischen Corona-Impfstoffs gearbeitet. Das israelische Gesundheitsministerium sprach im Mai 2022 von einem "Managementversagen" Shapiras als Direktor des Biologischen Instituts.

Im Mai 2022 twitterte Shapira, er habe selbst drei Impfungen erhalten und sei nun körperlich schwer geschädigt. Sein Vertrauen in die Entscheidungen rund um die Impfstoffe sei stark beschädigt. Tatsächlich äußerte sich Shapira auf Twitter auch kritisch zum mRNA-Impfstoff von Pfizer und dessen Geschäftsführer Albert Bourla.

Affenpocken sind keine Folge der Coronaimpfungen

Die Behauptung, Affenpocken seien eine Folge der mRNA-Impfungen, lässt sich nicht bestätigten. Angeblich sollen diese Impfstoffe das natürliche Immunsystem beeinträchtigen. Ähnliche Behauptungen hat AFP in der Vergangenheit aber bereits mehrfach widerlegt (hier, hier, hier).

Mehrere Forschende erläuterten gegenüber AFP, Corona-Impfstoffe würden das Immunsystem nicht schwächen. Thomas Russo, Leiter der Abteilung für Infektionskrankheiten an der Jacobs School of Medicine and Biomedical Sciences der University of Buffalo in den USA, widersprach am 17. Dezember 2021 bereits der Behauptung, Covid-Impfungen würden das Immunsystem schwächen. "Die Impfung bewirkt tatsächlich das Gegenteil", schrieb er.

Auch Pablo Penaloza-MacMaster, Assistenzprofessor für Mikrobiologie und Immunologie an der Feinberg School of Medicine der Northwestern University in den USA, widersprach am 16. Dezember Jahr: "Covid-19-Impfstoffe verursachen keine Immunsuppression. Dies ist nur eine Fehlinformation, ähnlich wie zu sagen, dass die Erde eine Scheibe ist."

Penaloza-MacMaster schrieb weiter: "Diese Impfstoffe wurden bereits Millionen von Menschen weltweit verabreicht und die Daten zeigen, dass diese Impfstoffe äußerst sicher und wirksam sind, selbst bei Menschen mit Vorerkrankungen oder geschwächtem Immunsystem."

Sogenannte Messenger-Ribonukleinsäure-Impfstoffe (mRNA) liefern dem Körper den Bauplan eines Coronavirus-Spike-Proteins. Der Körper baut dieses nach, das Immunsystem erkennt es und reagiert darauf. Dabei lernt das Immunsystem, sich auch gegen das echte Virus zu wehren. Die Impfstoffe von Pfizer-Biontech oder Moderna nutzen dieses Verfahren. Das folgende Video von AFP erklärt genauer, wie die mRNA-Impfstoffe funktionieren.

Auf AFP-Anfrage erklärte am 10. August 2022 Bodo Plachter, kommissarischer Leiter des Instituts für Virologie an der Universität Mainz, mRNA-Impfungen dienten genau wie andere Impfungen dazu, das Immunsystem zu stimulieren. "Dabei reagiert das Immunsystem auf die Impfung ähnlich wie auf eine natürliche Infektion. Dies ist auch bei mRNA-Impfungen so."

Impfungen würden das Immunsystem nicht schwächen, so Plachter. Ein durch Impfung beeinträchtigtes Immunsystem komme also als Erklärung für die Affenpocken nicht infrage. "Sowohl gesunde Menschen wie auch Menschen mit geschwächten Immunsystem können sich infizieren. Das Risiko, schwer zu erkranken, ist jedoch bei Menschen mit eingeschränkter Immunitätslage deutlich erhöht." Immungeschwächte Menschen, die beispielsweise immunsuppressive Therapien erhalten oder an Aids leiden, hätten aber natürlich auch nach Affenpockenvirus-Infektion ein erhöhtes Risiko für einen schwereren Verlauf, erläuterte Plachter. Daten, die einen vermeintlichen Zusammenhang zwischen den Affenpocken und Coronaimpfungen belegen würden, gibt es laut Plachter nicht.

Die Verbreitung der Affenpocken sei wohl mit der Infektiosität des Erregers zu erklären. "Vor allem die Bläschen sind hoch infektiös, die Infektion kann durch direkten Kontakt mit Bläschenflüssigkeit gut übertragen werden." Die Krankheit könne unter Umständen auch unerkannt bleiben. "Ein paar Bläschen können auch übersehen werden, der Patient kann das Virus aber unerkannt weitergeben." Der aktuelle Ausbruch sei klar dadurch zu erklären, dass sich viele Leute getroffen haben, unter denen sich Infizierte befanden.

Vermeintliche Nebenwirkungen der Coronaimpfungen

In einigen Postings wird zudem auf einen weiteren Tweet Shapiras verwiesen, in dem es heißt, neben Affenpocken seien auch Herzmuskelentzündungen, tödliche Herzrhythmusstörungen, ein Anstieg an Schlaganfällen, Gesichtslähmung, Gürtelrose, Tinnitus und exzessive Regelblutungen Folgen der Coronaimpfungen.

In Deutschland sammelt das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) Berichte zu Verdachtsfällen von Impfnebenwirkungen und veröffentlicht entsprechende Sicherheitsberichte. Die Ständige Impfkommission (Stiko) empfiehlt allen Personen ab zwölf Jahren eine Auffrischimpfung sowie besonders gefährdeten Personen eine 2. Auffrischimpfung. Auch die US-Gesundheitsbehörde CDC empfiehlt weiterhin Auffrischimpfungen ab fünf Jahren.

Die Deutsche Herzstiftung erklärt dazu online, inzwischen sei die Herzmuskelentzündung als mögliche Nebenwirkung in die Fach- und Gebrauchsinformationen der mRNA-Impfstoffe aufgenommen worden, die Stiko passte ihre Empfehlung zur Impfung junger Menschen mit dem Moderna-Impfstoff entsprechend an. Solche Fälle seien aber sehr selten. Das Risiko einer schweren Herzschädigung sei bei einer Infektion mit dem Erreger Sars-CoV-2 aber größer als bei einer Impfung mit einem mRNA-Impfstoff. Dies deckt sich mit den Angaben der US-Gesundheitsbehörde CDC.

Zu Herzrhythmusstörungen schreibt die Herzstiftung, es sei unwahrscheinlich, dass diese durch die Corona-Impfung ausgelöst würden, aber nicht undenkbar. Hunderttausende Menschen mit vorbestehenden Herzrhythmusstörungen hätten die Impfung mittlerweile erhalten, ohne dass es zu erneuten Herzrhythmusstörungen gekommen sei.

Die Deutsche Schlaganfall-Hilfe erläutert auf ihrer Website, jedes Jahr würden in Deutschland etwa 270.000 Menschen einen Schlaganfall erleiden. Daher sei es schon statistisch wahrscheinlich, "dass einzelne Menschen kurz nach ihrer Impfung einen Schlaganfall erleiden". Ob ein kausaler Zusammenhang mit der Impfung bestehe, müsse individuell abgeklärt werden. Schlaganfall-Betroffene hätten aufgrund eines möglicherweise schweren Covid-19-Verlaufs zuvor allerdings eine Priorisierung bei der Impfstoffvergabe gehabt.

Die Epilepsy Foundation of America schreibt, es gebe keine Hinweise darauf, dass Menschen mit Epilepsie ein höheres Risiko an Impfnebenwirkungen aufweisen. Ebenso wenig sei eine Verschlechterung der Epilepsie infolge der Impfung bekannt. Mögliche Risiken der Betroffenen sollten aber individuell besprochen werden.

Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie erklärte im Mai 2022, dass die Impfung mit dem Biontech-Impfstoff ebenso wie eine Corona-Erkrankung möglicherweise mit einem gering erhöhten Risiko für eine Gesichtslähmung verbunden sein könnte. Das Bundesgesundheitsministerium schreibt hingegen online: "Nach millionenfacher Anwendung des Impfstoffs sind keine Signale in den nationalen Monitoringsystemen zur Impfstoff-Sicherheit bezüglich Gesichtslähmungen nach einer Corona-Schutzimpfung aufgetreten." Auch in der Erprobung des Biontech-Impfstoffs sei kein ursächlicher Zusammenhang nachgewiesen worden. Auch die US-Behörde CDC sieht bisher keinen Zusammenhang der Impfung zu Bell Palsy, einer Gesichtslähmung.

Betreffend einem Zusammenhang mit Gürtelrose, auch genannt Herpes Zoster, erklärte im September 2021 die australische Regulierungsbehörde für Arzneimittel, Therapeutic Goods Administration (TGA), in einem Faktencheck gegenüber AFP, die Untersuchungen der Behörde hätten "keine ausreichenden Beweise dafür gefunden, dass Covid-19-Impfstoffe eine Herpes-Zoster-Infektion (Gürtelrose) auslösen".

"Die Untersuchung ergab, dass die Raten der Gürtelrose nach der Impfung mit dem Covid-19-Impfstoff in Australien bis heute (September 2021) signifikant niedriger waren als die erwartete/Hintergrundrate der Herpes-Zoster-Infektion in der Allgemeinbevölkerung, unabhängig vom Impfstatus."

Die Hilfsorganistaion Deutsche Tinnitus-Liga, schreibt auf ihrer Website mit Stand vom September 2021, es gebe keine wissenschaftliche Studie, die einen Zusammenhang zwischen der Impfung und einer Hörstörung belege.

Zu verstärkten oder ausbleibenden Regelblutungen, Zwischenblutungen oder Unregelmäßigkeiten infolge von Corona-Impfungen schreibt das Bundesgesundheitsministerium, die Anzahl der Meldungen sei auf Basis der Daten des Paul-Ehrlich-Instituts "nicht ungewöhnlich" hoch, wenngleich davon auszugehen sei, dass einige, insbesondere vorübergehende Zyklusstörungen, nicht berichtet werden. Es sei nicht abschließend geklärt, "ob die Corona-Schutzimpfung einen Einfluss auf den weiblichen Zyklus hat. Ein möglicher Zusammenhang wird weiter untersucht."

Fazit: Affenpocken sind keine Folge der Corona-Impfungen. Wie Forschende und Behörden betonen, verursachen mRNA-Impfungen keine Schwächung des Immunsystems. Es ist nicht das erste Mal, dass Affenpocken auch außerhalb Afrikas auftreten. Die WHO untersucht aktuell den Ursprung der auftretenden Infektionen.

22. August 2022 Formulierung aktualisiert
IMPFUNGEN COVID-19