Nein, Covid-Impfstoffe verursachen keine Immunschwäche namens Vaids

Tausende User haben seit Februar 2022 einen Blogartikel auf Facebook geteilt, wonach Covid-Impfungen angeblich zu einer Immunkrankheit führen würden. Im Artikel werden mehrere Studien und Videos als Belege für die Behauptung angeführt. Allerdings belegt keine der Quellen eine Immunschwäche durch Covid-Impfungen. Die Studien-Autorinnen und -Autoren sowie weitere Experten erklärten gegenüber AFP, dass die Behauptung falsch sei.

Tausende Facebook-User haben den Artikel des rechten Portals "Unser Mitteleuropa" seit Mitte Februar 2022 geteilt (hier, hier). Auf Telegram sahen die Behauptung Zehntausende (hier, hier). AFP hat in der Vergangenheit bereits mehrere Artikel von "Unser Mitteleuropa" hier, hier, hier und hier überprüft.

Die Behauptung: Im auf Facebook geteilten Blogartikel heißt es im Titel: "Sogar EMA muss nun warnen: Spätestens 'Booster-Impfungen' führen zu 'Vaids' und schwächen das Immunsystem." Der Artikel nennt mehrere Quellen, etwa die Europäische Arzneimittelagentur (EMA), eine schwedische Studie, ein Video des wegen seiner umstrittenen Äußerungen in Verruf geratenen Nobelpreisträgers Luc Montagnier sowie einen im Wissenschaftsjournal "The Lancet" veröffentlichten Text.

AFP hat alle Behauptungen einzeln geprüft.

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Screenshot der Behauptung auf Facebook: 25.03.2022

Covid-Impfungen schwächen nicht das Immunsystem und führen nicht zu Vaids

Die Behauptung, Covid-Impfungen würden zum "Vaccine-Acquired Immunodeficiency Syndrome" (Vaids) führen, also einer durch Impfung erworbenen Immunschwäche oder Aids, hat AFP bereits im Dezember 2021 überprüft. In diesem englischen Faktencheck haben drei Experten der Behauptung widersprochen.

Jason McKnight, klinischer Assistenzprofessor am US-amerikanischen Texas A&M College of Medicine, sagte am 17. Dezember zu der Behauptung: "Es gibt kein durch Impfung erworbenes Immunschwächesyndrom oder Vaids. Die Behauptung, dass über Monate abnehmende Antikörperspiegel das Vorhandensein von Vaids belegen, ist falsch. Diese Abnahme ist einfach ein natürliches Phänomen, das wir beim Immunsystem beobachten."

Die US-amerikanischen Centers for Disease Control and Prevention (CDC) empfehlen deshalb Auffrischungsimpfungen – nicht wegen einer Immunschwäche oder Vaids, sondern aufgrund des mit der Zeit nachlassenden Schutzes der Covid-19-Impfstoffe.

Thomas Russo, Leiter der Abteilung für Infektionskrankheiten an der Jacobs School of Medicine and Biomedical Sciences der University of Buffalo in den USA, widersprach am 17. Dezember 2021 gegenüber AFP ebenfalls der Behauptung, Covid-Impfungen würden das Immunsystem schwächen. "Die Impfung bewirkt tatsächlich das Gegenteil", schrieb er.

Pablo Penaloza-MacMaster, Assistenzprofessor für Mikrobiologie und Immunologie an der Feinberg School of Medicine der Northwestern University in den USA, schrieb am 16. Dezember: "Covid-19-Impfstoffe verursachen keine Immunsuppression. Dies ist nur eine Fehlinformation, ähnlich wie zu sagen, dass die Erde eine Scheibe ist."

Penaloza-MacMaster schrieb außerdem: "Diese Impfstoffe wurden bereits Millionen von Menschen weltweit verabreicht und die Daten zeigen, dass diese Impfstoffe äußerst sicher und wirksam sind, selbst bei Menschen mit Vorerkrankungen oder geschwächtem Immunsystem."

Die EMA-Pressekonferenz

In dem auf Facebook geteilten Blogartikel heißt es, "das stetige Nachboostern mit Corona-Impfstoffen" sei "nicht zielführend, sondern kontraproduktiv". Das habe die EMA am 11. Januar 2022 bei einer Pressekonferenz bestätigt. Der Leiter der Abteilung "Biologische Gesundheitsbedrohungen und Impfstrategien", Marco Cavaleri, habe erklärt, dass regelmäßige Booster-Impfungen im Abstand von vier Monaten das Immunsystem überlasteten. Diese "Warnung" soll Cavaleri laut Blog wegen einer möglichen zweiten Auffrischungsimpfung, also einer vierten Impfdosis, in manchen Ländern geäußert haben.

Der als Beleg gezeigte Video-Ausschnitt stammt wirklich von der EMA-Pressekonferenz. Cavaleri warnte dort zwar tatsächlich, dass man vorsichtig sein müsse, das "Immunsystem nicht mit wiederholten Immunisierungen zu überladen". Er erklärte im Satz zuvor aber, dass es sich um ein "potenzielles Problem" handele:

"Wenn wir eine Strategie hätten, in der wir alle, sagen wir etwa alle vier Monate boostern, werden wir potenziell Probleme mit der Immunantwort bekommen. Die Immunantwort wird vielleicht nicht so gut ausfallen, wie wir es wollen."

Gegen eine zweite Booster-Impfung, also eine vierte Impfdosis, hat sich Cavaleri bei der Pressekonferenz nicht ausgesprochen. Er erklärte, dass das Boostern aus der epidemiologischen Perspektive die beste auf dem Tisch befindliche Option sein könnte. Dann könne man "einmal oder vielleicht zweimal boostern", aber es sei nichts, was kontinuierlich wiederholt werden solle. Eine explizite Warnung an Länder, die möglicherweise ein zweites Mal boostern wollen, spricht er nicht aus. Cavaleri schlug stattdessen vor, die Auffrischungsimpfungen ähnlich der Grippeimpfungen saisonal zu verabreichen.

Die EMA überwacht die Sicherheit von Impfstoffen und nennt die Impfung "sicher und effektiv".

In Deutschland haben bereits etwa 58 Prozent der Geimpften eine erste Auffrischungsimpfung erhalten. Die Bundesregierung empfiehlt vor allem "besonders gefährdeten Personen" eine zweite Auffrischung. Eine zweite Booster-Impfung sieht aktuell auch die seit dem 15. März 2022 für Gesundheitspersonal geltende Impfpflicht nicht vor.

Autor der schwedischen Studie dementiert Vaids

Laut Blogartikel soll Cavaleri bei der Pressekonferenz indirekt Vaids angesprochen haben, was wiederum unter den Begriffen "Immunerosion" oder "erworbene Immunschwäche" von schwedischen Forschenden nachgewiesen worden sei. AFP hat diese Behauptung bereits im Dezember 2021 widerlegt.

Die als Beleg angeführte und damals nicht von unabhängigen Forschenden überprüfte Preprint-Studie stammt von Forschenden um Peter Nordström von der Universität Umeå in Schweden. AFP hat Nordström, der die dortige Geriatrie leitet, am 15. Dezember 2021 zu der Behauptung befragt. Nordström bezeichnete die Behauptung als "Falschinformation". Er ergänzte: "Es ist nicht wahr, dass wir in irgendeiner Untergruppe eine signifikante Umkehrwirkung des Impfstoffs gesehen haben."

Die Studie ergab, dass die "Wirksamkeit der Impfstoffe gegen symptomatische Covid-19-Infektionen im Laufe der Zeit mit unterschiedlichen Raten in den Untergruppen schrittweise abnimmt". Vaids wird in der Studie nicht erwähnt.

Nordström schrieb außerdem: "Es ist auch falsch, basierend auf unseren Daten oder anderen Daten, die ich kenne, zu behaupten, dass eine Impfung zu einer Erosion des Immunsystems oder einer erworbenen Immunschwäche führt, falls so etwas überhaupt existiert."

Luc Montagnier erwähnte im verlinkten Video kein Aids oder HIV

Laut dem auf Facebook geteilten Blogartikel soll der inzwischen verstorbene umstrittene Nobelpreisträger Luc Montagnier in einem Video gesagt haben, dass "durch die Covid-19-Impfstoffe eine Aids-ähnliche Krankheit" ausgelöst werde und sich zudem das "Risiko, HIV-positiv zu sein", massiv erhöhe.

Luc Montagnier spricht in dem Video aber überhaupt nicht über Aids oder HIV. Er stellt stattdessen andere falsche und bereits von AFP überprüfte Behauptungen über Virusvarianten und Todesfälle sowie über vermeintliche infektionsverstärkende Antikörper (ADE) auf.

Auch mit einem möglichen Zusammenhang von HIV und Impfstoffen hat sich AFP bereits in der Vergangenheit beschäftigt. Rafael Larocca, Immunologe in den USA und Autor einer Publikation zum Thema, erklärte im Oktober 2021 gegenüber AFP: "Man kann sich nur mit HIV infizieren, wenn die Person dem Virus ausgesetzt ist, ein Impfstoff würde das niemals verursachen."

Lancet-Artikel belegt kein erhöhtes HIV-Risiko durch in Deutschland verwendete Covid-Impfstoffe

Schließlich wird im Blogartikel behauptet, eine Gruppe von Forschenden habe im medizinischen Fachjournal "The Lancet" belegt, dass aktuell in der Testphase befindliche Covid-Impfstoffe das Risiko für eine HIV-Infektion erhöhten. Der Artikel stützt sich auf einen eineinhalb Jahre alten wissenschaftlichen Brief vom 19. Oktober 2020. Federführend war dabei Susan Buchbinder vom Institut für Öffentliche Gesundheit in San Francisco in den USA.

AFP prüfte diese Behauptung bereits im Oktober 2021 und kontaktierte Buchbinder damals zu ihrem Brief. Sie antwortete in einer E-Mail am 26. Oktober:

"Vor mehr als einem Jahrzehnt haben wir zwei Studien über einen HIV-Impfstoff durchgeführt, der das Risiko einer HIV-Infektion bei Menschen zu erhöhen schien, die sich bei sexuellen Praktiken infizierten. Dies galt nur für unbeschnittene Männer, die zuvor mit AD-5, einem Erkältungsvirus, in Kontakt gekommen waren. Dieser Risikoanstieg war vorübergehend. Wir waren nicht in der Lage, den genauen Mechanismus herauszufinden, durch den dies geschah, aber wir empfahlen, in Zukunft keine Impfstoffe mit AD-5-Vektoren mehr zu verwenden."

Sie erklärte weiter: "Unsere Empfehlung gilt nur für AD-5-Impfstoffe wie Sputnik V und CanSinoBio und bezieht sich lediglich auf das theoretische Risiko, dass eine Person, die mit diesen Impfstoffen geimpft wurde, danach mit HIV in Kontakt kommt. Diese hat ein erhöhtes HIV-Infektionsrisiko. Das gilt nicht für die große Mehrheit der international verwendeten Impfstoffe." Beide Impfstoffe werden laut Impf-Dashboard des Gesundheitsministeriums in Deutschland bisher nicht verimpft.

AFP bat außerdem die Redaktion von "Unser Mitteleuropa" am 24. März 2022 um eine Stellungnahme, bekam bis zur Veröffentlichung jedoch keine Antwort.

Fazit: Die Behauptung, Covid-Impfungen führten zu Vaids oder Immunschwächen, ist falsch. Covid-Impfungen lösen laut Expertinnen und Experten kein Aids aus. Auch gibt es keine Hinweise darauf, dass in Deutschland verwendete Covid-Impfstoffe ein Risiko dafür erhöhen würden.

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