Lebensversicherungen können nach Corona-Impfungen abgeschlossen werden und zahlen weiter aus

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Hunderte User auf Facebook und Tausende auf Telegram haben Mitte März eine Behauptung der impfkritischen "Stiftung Corona Ausschuss" geteilt. Demnach würden Impfungen zu Problemen mit der Lebensversicherung führen, heißt es in einem Video des selbst ernannten Ausschusses. Gegenüber AFP dementierte sowohl der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV), als auch die größten deutschen Lebensversicherungen sowie der Bund der Deutschen Versicherten (BdV) und Lehrstuhlinhaber für Versicherungsrecht der Universität Frankfurt und Düsseldorf, dass es aktuell Nachteile für Lebensversicherte aufgrund von Impfungen gibt.

Hunderte User sahen die Versicherungsbehauptung auf Facebook (hier, hier). Zehntausende auf Telegram (hier, hier, hier) und noch einmal mehr als zehntausend Menschen auf Youtube (hier). Geteilt wird ein kurzes Video der "Stiftung Corona Ausschuss" rund um den Anwalt und Anti-Corona-Aktivisten Reiner Füllmich, dessen Behauptungen AFP in der Vergangenheit bereits mehrfach als falsch widerlegte (hier, hier, hier).

Im Video spricht Füllmich von einem Problem, das sich gerade in den USA, Kanada und Japan sowie auch in Deutschland bemerkbar mache. Er behauptet: "Lebensversicherungen haben offenbar Probleme damit, nach dem Versterben nach Impfung Auszahlungen ohne Weiteres vorzunehmen. Lebensversicherungen haben außerdem Probleme damit, mit Menschen, die geimpft worden sind, neue Verträge abzuschließen." Impfungen seien "medizinische Experimente", führt Füllmich fort, und da machten immer mehr Lebensversicherungen nicht mehr mit.

Er führt aus: "Genauso, wie sie außerordentliche Risiken nicht mehr versichern müssen, zum Beispiel Bungee Jumping, genauso wenig wollen sie Dead Men Walking versichern."

Facebook-Screenshot: 18.03.2021

Versicherungen werden in der Corona-Pandemie immer wieder Ziel von Falschinformationen. So etwa im Fall von Behauptungen über die Deutsche Unfallversicherung oder im Fall eines Schreibens der Techniker Krankenkasse. Auch die jetzt verbreitete Aussage über Lebensversicherungen gehört in diese Reihe. Für Kanada hat AFP die von Füllmich erwähnten Probleme bereits hier widerlegt.

Das sagen Dachverbände

AFP hat zunächst beim Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) nach Füllmichs Aussagen gefragt. Der GDV ist die Dachorganisation der privaten Versicherungen und umfasst rund 460 Mitglieder. Am 18. März teilte Sprecher Christian Ponzel in einer E-Mail mit: "Es gibt nach unserer Kenntnis keine Probleme für Geimpfte bei Abschluss oder Auszahlung einer Lebensversicherung."

Auch Bianca Boss, Sprecherin des Bundes der Versicherten (BdV), der für die Rechte von 45.000 Versicherten eintritt, schrieb am 18. März an AFP: "Es gab in der kurzen Vergangenheit wohl Einzelfälle, in denen beim Abschluss einer Berufsunfähigkeitsversicherung und einer vorhandenen Corona-Erkrankung der Antrag abgelehnt wurde. Über eine Häufung ist uns nichts bekannt, – schon gar nicht im Bereich der Lebensversicherungen." Weiterhin müssten Versicherte beim Abschluss einer Lebensversicherung die Fragen im Antrag wahrheitsgemäß beantworten. "Somit auch die Frage nach ärztlichen Behandlungen, unter die auch eine Impfung fallen könnte. Doch auch das scheinen die Versicherer unterschiedlich zu handhaben", erklärte Boss.

Das sagen Versicherungen

AFP hat deshalb bei den größten deutschen Lebensversicherern nachgefragt. Der Leiter der Kommunikation Lebensversicherungen bei der der Allianz, Franz Billinger, differenzierte in einem Telefonat am 17. März: "Für eine Lebensversicherung zur Altersvorsorge ergeben die Aussagen aus dem Video schon einmal keinen Sinn, gemeint ist mit Blick auf ein  frühzeitiges Ableben eher die Risikolebensversicherung", erklärte Billinger. "Für eine solche Risikolebensversicherung gibt es eine klare Antwort: Sind Impfungen im Allgemeinen und damit die Corona-Impfung speziell gesetzlich zugelassen, gibt es für Geimpfte keine grundsätzlichen Probleme mit etwaigen Auszahlungen bzw. Leistungen und auch keine Probleme beim Abschluss einer Risikolebensversicherung." Die Aussagen Füllmichs seien nicht nachvollziehbar, sagt Billinger. "Die Allianz zahlt außerdem auch dann aus, wenn eine Person sich gegen eine Impfung entscheidet und dann an Corona versterben sollte."

Gegenüber AFP bestätigten Sprecherinnen und Sprecher zahlreicher Versicherungen, dass die von Füllmich angesprochenen Probleme nicht existierten. Michael Kuhn von den Sparkassen-Versicherungen etwa, Christian Arns von der Debeka, Frank Senger von der R+V, Simone Szydlak vom Volkswohl Bund, Sandra Liedtke von der Zurich Gruppe Deutschland und Hanni Tokgözoglu von der Talanx Gruppe, die mehrere Lebensversicherungen unter ihrem Dach hat, unter anderem die Targo. 

Liedtke etwa schrieb am 18. März: "Den Aussagen stimmen wir ebenso wie der GDV nicht zu. Kurz und knapp: Der Tod infolge einer Impfung – sei es einer Covid-19-Impfung oder auch einer anderen Impfung – ist grundsätzlich vom Versicherungsschutz umfasst. Zudem haben Impfungen grundsätzlich keinen Einfluss beim Abschluss eines neuen Vertrages – auch eine Covid-19-Impfung nicht."

Senger schrieb am 18. März: "Es handelt sich bei den aktuellen Corona-Impfungen um sogenannte Schutzimpfungen, welche wir mit einer vorsorgenden Behandlung gleichsetzen. Diese Schutzimpfungen führen als solche weder zu einer Verweigerung von Auszahlungen noch zu einer Ablehnung in der Risikoprüfung."

Szydlak sagte in einem Telefonat am 19. März: "Das ist blanker Unsinn. Impfungen sind keinerlei Hindernis für eine Lebensversicherung, im Gegenteil. Impffolgeschäden sind außerdem für Covid-19 überhaupt nicht bekannt und sind auch bei anderen Impfungen so selten, dass sie nicht ins Gewicht fallen."

Tokgözoglu schrieb am 19. März an AFP. "Die Behauptungen von Herrn Füllmich sind unzutreffend. Geimpfte Personen werden bei uns genauso versichert wie ungeimpfte Personen und es gibt keinen entsprechenden Ausschluss, der eine Antragsannahme verhindert. Auch bei der Leistungsgewährung im Todesfall kommt es nicht darauf an, ob die versicherte Person geimpft war – diese Tatsache würde auch nicht geprüft werden."

Das sagen Rechtswissenschaftler

AFP hat beim Institut für Versicherungsrecht der Goethe-Universität Frankfurt nach dem rechtlichen Rahmen der Lebensversicherungen und der Corona-Impfung gefragt. Am 19. März schrieb Lehrstuhlinhaber Manfred Wandt: "Angebliche Probleme der Auszahlung von Lebensversicherungsleistungen nach Versterben eines Covid-geimpften Lebensversicherten kann ich nicht nachvollziehen."

Grundsätzlich seien Lebensversicherer im Rahmen einer Risikoprüfung nach §19 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) dazu berechtigt, sowohl nach dem Vorliegen einer früheren oder akuten Covid-Erkrankung als auch nach einer erfolgten Covid-Impfung zu fragen. "Inwieweit dies in der Praxis geschieht und welche Folgerungen ein Versicherer für den Vertragsabschluss aus derartigen Antworten ziehen würde, entzieht sich meiner Kenntnis", erklärte Wandt.

Zum von Füllmich angesprochenen "außerordentlichen Risiko" fügte er hinzu: Nach § 158 VVG seien solche Gefahrumstände nur im Falle einer sogenannten Gefahränderung relevant, die bei Vertragsschluss als "erheblicher Gefahrumstand" ausdrücklich vereinbart worden seien müssten. "Zum Beispiel in einem Nichtrauchertarif die spätere Aufnahme des Rauchens", erläuterte Wandt. "Ich vermute, dass die Versicherungspraxis bislang keine Covid-impfungsbezogene Vereinbarungen in den Verträgen vorsehen und dies aufgrund der intendierten Wirksamkeit der Impfungen hoffentlich auch nie notwendig sein wird."

Auch der Lehrstuhlinhaber für Privatversicherungsrecht an der Universität Düsseldorf, Dirk Looschelders, bestätigte diese Sicht gegenüber AFP. Am 19. März schrieb er außerdem: "Aus meiner Sicht bereitet eine Corona-Impfung für die Versicherten in der Lebensversicherung keine Probleme." In der Lebensversicherung trete der Versicherungsfall mit dem Tod der versicherten Person ein. "Aus welchem Grund der Tod eintritt, ist dabei grundsätzlich unerheblich", schrieb Looschelders. Eine Ausnahme gelte nur für den Fall der Selbsttötung (§ 161 VVG).

Ein Ausschluss von Schäden durch (Corona-) Impfungen sei in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen des GDV zur Lebensversicherung außerdem nicht enthalten. "Ein solcher Ausschluss wäre zumindest bei zugelassenen Impfstoffen auch nach § 307 Abs. 2 Nr. 2 Bürgerliches Gesetzbuch unwirksam, weil wesentliche Rechte der Versicherten, die sich aus der Natur eines Lebensversicherungsvertrags ergeben, dadurch so eingeschränkt würden, dass die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet wäre", erklärte Looschelders weiter. 

Fazit: Die Aussagen von Reiner Füllmich halten einer Überprüfung nicht stand. Sowohl der Verband der Versicherungen als auch der Verband der Versicherten, zahlreiche große Versicherungen selbst sowie das Institut für Versicherungsrecht der Universität Frankfurt und der Lehrstuhl für Versicherungsrecht der Universität Düsseldorf sehen keine aktuellen Probleme bei der Lebensversicherung durch die Impfung gegen Corona. 

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