In Polen gibt es keine neuen Zwangsimpfungen und in Australien keine Strafen für Impfverweigernde

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  • Veröffentlicht am 25. November 2020 um 16:11
  • Aktualisiert am 25. November 2020 um 16:20
  • 5 Minuten Lesezeit
  • Von: Jan RUSSEZKI, AFP Deutschland
60.000 Euro oder fünf Jahre Gefängnis. Laut eines auf Facebook tausendfach geteilten Videos von Anfang November steht diese Strafe auf Impfverweigerung in Australien. Im Video spricht eine Anwältin außerdem von einer vermeintlich gesetzlich neu beschlossenen Zwangsimpfung in Polen. In Australien gibt es allerdings keine Impfpflicht und in Polen keine neuen Gesetze dazu.

Der erste von AFP gefundene Facebook-Post, der das Video zeigt, stammt mit bisher knapp 800 Shares vom 13. November. Das Video taucht auch hier (4300 Shares), hier oder hier auf. Auch auf Twitter (etwa hier), auf der für Rechtsextremismus und Verschwörungsmythologien offenen Video-Plattform Bitchute und auf Dein Tube verbreiten sich die falschen Behauptungen.

In dem 1:35-Minuten langen Video ist die Anwältin Viviane Fischer in einem Interview mit Robert Cibis, dem Geschäftsführer der Produktionsfirma "OVALmedia", zu sehen. Sie behauptet im Gespräch:

"Es ist auch absolut höchste Eisenbahn, deshalb haben wir uns recht spontan dazu entschlossen, diese Geschichte jetzt auch politisch zu verfolgen. Weil das sehen wir in den anderen Ländern: Wir haben aus Australien gehört, ganz schrecklich, dass wohl 60.000 Euro oder Dollar Strafe, wenn man sich nicht impfen lässt, oder fünf Jahre Knast. Also das geht jetzt richtig ab. Das Gleiche ist in Polen: Ist auch eine Zwangsimpfung jetzt beschlossen, wie der polnische Kollege mir gesagt hat. Also das ist wirklich etwas ganz Irrsinniges und ich glaube, da müssen wir einfach Gas geben auf allen Ebenen und es eben versuchen abzuwenden."

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Facebook-Screenshot: 19.11.2020

Der Videoausschnitt ist Teil eines mehr als 90 Minuten langen Interviews, das der Youtube-Kanal "Stiftung Corona-Ausschuss" am 9. November veröffentlicht hat. Im Interview geht es vor allem um eine geplante Parteigründung. Die Anwälte Viviane Fischer und Reiner Fuellmich, der ebenfalls im Video zu sehen ist, sind dort nach eigenen Angaben neue Mitglieder.

Wer ist Viviane Fischer?

Fischer ist zugelassene Anwältin mit einer Kanzlei in Berlin. Sie ist nach eigenen Angaben Teil eines JuristInnen-Netzwerks mit dem Namen "Schluss jetzt". Es gibt an, "juristische Mustertexte und Informationen" zusammengestellt zu haben, mit denen Interessierte im "Lockdown" ihre Grundrechte selbst verteidigen könnten. Sie kritisieren die Corona-Maßnahmen auf ihrer Website.

Fischer taucht auch im Impressum einer "Stiftung Corona Ausschuss" auf. Der gleichnamige Youtube-Kanal, der auch das Interview veröffentlicht hatte, gibt dasselbe Spendenkonto in den Video-Informationen an.

Mit drei weiteren Anwälten als Ausschussmitglieder will Fischer nach eigenen Angaben außerdem juristische Schritte gegen die Corona-Maßnahmen der Bundes- und der Landesregierungen einleiten. Sie schrieb außerdem für das Rubikon Magazin, das Verschwörungserzählungen verbreitet.

Ein weiteres Mitglied des "Corona-Ausschusses" ist auch im Video zu sehen: Reiner Fuellmich. Er trat bereits mehrfach in Zusammenhang mit einer vermeintlich geplanten Sammelklage gegen den deutschen Virologen Christian Drosten von der Berliner Charité in der Öffentlichkeit auf. Fuellmich ist ein zentraler Akteur der Anti-Corona-Bewegung in Deutschland. In einem Faktencheck hat AFP einige seiner Corona-Behauptungen bereits geprüft.

1. Falsche Behauptung: Australien bestraft Impfverweigernde mit 60.000 Dollar Bußgeld oder fünf Jahren Haft

AFP kontaktierte zur angeblichen Impflicht in Australien die dortige Gesundheitsbehörde. Sprecher Vincent Tulley schrieb am 18. November in einer Mail an AFP: "Das ist nicht korrekt. Impfungen sind in Australia nicht verpflichtend." Somit könne es auch keine Strafen für fehlende Impfungen geben.

Statt einer Impfpflicht gibt es seit 2016 in Australien lediglich Belohnungen für Impfungen. Mit der sogenannten "No Jab, No Pay"-Politik gibt die Regierung dabei finanzielle Anreize für bestimmte Impfungen für unter 20-Jährige. Statt auf Strafen zu setzen, versucht die Regierung Ungeimpfte durch zusätzliche Leistungen zu überzeugen. "Es gibt Impfungen, die Kinder brauchen, um Zugang zu Kinderbetreuungsleistungen, Kinderbetreuungsrabatte oder Steuervergünstigungen für Familien zu bekommen", schreibt Tulley an AFP. 

Aus dem geteilten Video geht dabei nicht hervor, von welcher Art der Zwangsimpfung Anwältin Fischer genau spricht. Weil sie sich besonders gegen Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus einsetzt, hat AFP noch einmal gezielt eine Corona-Impflicht in Australien geprüft.

Ergebnis: Es gibt aktuell keine Gesetze zu etwaigen neuen Corona-Impfstoffen in Australien. In einem Impf-Bericht kündigt die Regierung lediglich an: "Auch wenn die australische Regierung die Immunisierung stark unterstützt und eine große Ermutigungs-Kampagne zur Impfung betreiben wird, wird sie nicht verpflichtend sein." So stehe es den Menschen frei, sich impfen zu lassen oder nicht.

Im Bericht nennt die Regierung eine mögliche Einschränkung für Bürgerinnen und Bürger: "Es kann passieren, dass die australische Regierung und andere Regierungen Einreise- oder Rückreisebestimmungen einführen, die vom Nachweis einer Impfung abhängen können."

Dass eine Impfung durchaus zur Voraussetzung für internationales Reisen werden könnte, zeigt eine Ankündigung der australischen Fluggesellschaft Qantas vom 24. November. Sie will nur noch Corona-Geimpfte mitnehmen.

2. Falsche Behauptung: Polen hat eine neue Zwangsimpfung beschlossen

Die Verfassung von Polen regelt bereits, dass die "Bekämpfung von Seuchen" zur Pflicht der dortigen Behörden gehört. Die aktuellen Impfregeln lassen sich über Suchmaschinen finden: Bereits seit 2008 gibt es für Polinnen und Polen bis zur Vollendung des 19. Lebensjahres eine Impflicht gegen bestimmt Krankheiten. In jährlich aktualisierten Impfprogrammen listet die Gesundheitsbehörde Polens diese Krankheiten auf. Bürgerinnen und Bürger sind verpflichtet, sich kostenlos gegen sie impfen lassen. Ausgenommen sind demnach kranke oder zu junge Kinder, für die eine Impfung zu gefährlich wäre. Die polnische Regierung rechtfertigte die Impflicht bereits 2008 mit dem Schutz der Bevölkerung durch Herdenimmunität. Von so ausbleibenden Erkrankungen sollen auch Ungeimpfte profitieren.

AFP fragte das polnische Gesundheitsministerium am 17. November per Mail, ob es im Jahr 2020 Gesetzesänderungen im Kontext der Impflicht gab. Sprecherin Agnes Pochrzęst-Motyczyńska schrieb: "Im Jahr 2020 gab es keine Änderungen an der aktuellen Liste der Infektionskrankheiten, für die obligatorische Impfungen durchgeführt werden."

Eine Google-Suche nach dem aktuellen Schutzimpfungsprogramm für das Jahr 2020 führte AFP zu einer Mitteilung der Gesundheitsbehörde vom 2. Januar 2020. Darin steht, es gebe "keine wesentlichen Änderungen" im Vergleich zum Vorjahr.

Wer der Impfpflicht nicht nachkomme, werde nach dem "Gesetzbuch für Bagatelldelikte" bestraft, schrieb Pochrzęst-Motyczyńska an AFP. Darin steht auf Polnisch: "Wer sich trotz Anwendung administrativer Maßnahmen keiner obligatorischen Impfung gegen Tuberkulose oder anderen Infektionskrankheiten oder einer obligatorischen Gesundheitsuntersuchung (...) unterzieht, wird mit einer Geldstrafe von 1500 Zloty (etwa 336 Euro) oder einer Rüge bestraft." Haftstrafen sieht das Ministerium für Impfverweigerer nicht vor.

Polens Impfpläne in Bezug auf Corona

AFP hat auch im Detail eine Corona-Zwangsimpfung in Polen geprüft. Am 16. November sagte der stellvertretende Gesundheitsminister Waldemar Kraska auf einer Pressekonferenz: "Ich bin niemals für einen Zwang." Er glaube, solch eine Pflicht sei nicht nötig, um die Bevölkerung zu überzeugen. Es würde reichen, die guten Seiten des Impfstoffes und dessen Sicherheit zu zeigen,natürlich, nachdem dieser den nötigen Forschungsprozess durchlaufen habe.

Auch die Ministeriumssprecherin Pochrzęst-Motyczyńska schrieb an AFP: "Gemäß den vorläufigen Empfehlungen ist eine Impfung gegen COVID-19 in Polen nicht verpflichtend."

FazitFischer belegt ihre Behauptungen im Video nicht. Nachfragen bei den jeweiligen Gesundheitsbehörden von Australien und Polen und eine Recherche in den jeweiligen Gesetzestexten der Länder widerlegen ihre Behauptungen. Es gibt weder in Australien eine Impflicht mit Strafen für Impfverweigernde noch gab es in Polen im Jahr 2020 Änderungen der bestehenden Impflicht.

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