
Dieser "Achse des Guten"-Artikel verbreitet falsche Behauptungen über Corona-Impfungen
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- Veröffentlicht am 22. Juni 2021 um 17:32
- Aktualisiert am 22. Juni 2021 um 17:55
- 7 Minuten Lesezeit
- Von: Max BIEDERBECK, Jan RUSSEZKI, Jeremy TORDJMAN, AFP Deutschland, AFP Frankreich
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Würde man der "Achse des Guten" glauben, würden rei neue Studien eine bange Frage über die Nebenwirkungen von Corona-Impfungen aufwerfen. "Wie viele wird es treffen?", fragt der anonyme Autor eines Berichts auf der rechtspopulistischen Plattform Achgut.com am 16. Juni 2021. Tausende haben seinen Artikel seitdem auf Facebook und Telegram geteilt (hier, hier, hier, hier).
Der Text beinhaltet drei Behauptungen und jeweils den Verweis auf eine Studie, um diese zu belegen. AFP hat sie alle überprüft und die Studienautoren zur Interpretation ihrer Ergebnisse befragt.

Seit die Impfkampagne in Deutschland im vergangenen Jahr gestartet ist, tauchen auf sozialen Medien auch gehäuft Falschinformationen vor allem über die Wirkstoffe der Impfanbieter neuartiger mRNA-Impfstoffe auf. Mal führen sie angeblich zu einer massiven Steigerung an Fehlgeburten, mal beinhalten sie giftige Stoffe (hier, hier), mal sind sie sogar radioaktiv. AFP hat alle diese Behauptungen widerlegt. Auch die Aussagen der “Achse des Guten” führt diese Reihe an Falschinformationen fort.
1. Studie beweist: Antikörper der Impfung können nichts gegen das Virus ausrichten - falsch
Der Autor präsentiert in seinem Artikel eine Studie der Icahn School of Medicine des Mount-Sinai-Krankenhauses in New York aus dem wissenschaftlichen Fachmagazin "Cell" vom 2. Juni. Sie trägt den komplizierten Titel "SARS-CoV-2 mRNA-Impfung induziert funktionell unterschiedliche Antikörper gegen NTD, RBD und S2".
Die Forschenden rund um den Immunologen und Impfforscher Florian Krammer hätten darin laut Artikel bewiesen, dass zwar viele Antikörper nach einer Impfung entstünden, diese allerdings gar nicht neutralisierend auf das Virus wirkten. "Sie sind zwar da, können aber wenig gegen das Virus ausrichten", heißt es im Artikel. Die Impfung erzeuge demnach "weitgehend wirkungslose Antikörpertiter". Besagter Titer ist ein Maß für die Anzahl bestimmter Antikörper im Blut.
AFP hat Florian Krammer am 21. Juni zu dieser Behauptung kontaktiert. In einer E-Mail antwortete er: "Was in diesen Blogs steht, ist völliger Unsinn und eine Fehlinterpretation der Studie (ich nehme an, mit Absicht)."
Weiter erklärte er:
"Die absoluten Neutralisationstiter sind bei geimpften Personen im Vergleich zur natürlichen Infektion höher und das ist es, was zählt (dies ist in Abbildung 1 unserer Studie dargestellt). Die Impfstoffe induzieren eine sehr starke neutralisierende Antikörperreaktion. Auch die nicht-neutralisierenden Antikörper, die ebenfalls induziert werden, können in vivo eine starke Schutzwirkung haben."
Tatsächlich ist diese Erklärung auch in der Studie zu finden. Vereinfacht ausgedrückt verglich diese die Abwehrreaktionen von Menschen nach einer Impfung mit der Abwehrreaktion von Menschen nach einer echten Corona-Infektion. Dabei betrachteten die Forschenden, wie sich das Verhältnis unterschiedlicher Antikörper-Varianten bei ihren Testpersonen nach Impfung und nach Infektion darstellte. Grundsätzlich verhalte sich die Immunantwort über die unterschiedlichen Antikörper hinweg "bei Geimpften robust und vergleichbar mit denen nach natürlicher Infektion oder übertrafen diese", schreiben die Forschenden.
Allein die Mischung der Antikörper, so stellen sie fest, sei nach der Impfung eine andere als nach einer Infektion. Es gebe bei Ersterem mehr "bindende" als "neutralisierende" Antikörper und "die Mehrheit der impfinduzierten Antikörper (hatte) keine neutralisierende Aktivität". Das bedeutet aber nicht, wie vom Artikel-Autor behauptet, dass diese Antikörper nutzlos sind.
"Dass nicht-neutralisierende Antikörper keine günstige Wirkung haben, ist in der Tat Unfug", erklärte Frank Kirchhoff in einer E-Mail an AFP am 22.Juni. Er ist Direktor am Institut für Molekulare Virologie an der Uniklinik in Ulm. "Die Bindung nicht-neutralisierende Antikörper an die Erreger oder an infizierte Zellen markiert diese u.a. für die Aufnahme durch Fresszellen (Phagozyten) und die Abtötung durch Natürliche Killerzellen."
2. Studien beweisen: Die Partikel reichern sich in zahlreichen Geweben an - falsch
Das nach einer Corona-Impfung vom eigenen Körper produzierte Spike-Protein verteile sich im ganzen Körper, schreibt der Autor und verlinkt zum Beweis auf eine Studie vom 20. Mai von Forschenden der Universität Harvard. Diese Studie beweise laut Autor: "Das Spike-Protein beginnt nach der Impfung auch im Blut zu zirkulieren."
Er verlinkt außerdem auf eine Tabelle einer japanischen Pfizer-Studie. Darauf aufbauend stellt der Autor fest: Es komme zur Anreicherung und "zu einer ubiquitären Verteilung des Spike-Proteins in Geweben." Dabei sei vor allem die Dosis entscheidend. Der Impfstoff erzeuge angeblich "eine sehr hohe Konzentration des Spike-Proteins im Vergleich zu einem (seltenen) schweren Infektionsverlauf, bei dem meistens deutlich weniger Viren im Körper verteilt werden. Das Protein kann in den Organen zu Schäden führen, was nun immer deutlicher wird."
AFP hat genau diese Behauptungen bereits in einem Faktencheck vom 17. Juni widerlegt. Demnach beweist weder die japanische Studie eine Anreicherung von Spike-Proteinen in den Geweben, noch zeigt die Havard-Studie eine gefährliche Zirkulation von Spike-Proteinen im Blut.
So schrieb etwa Prof. Dr. Daniel Sauter, Forschungsleiter der Gruppe "Mechanismen der angeborenen antiviralen Immunität" an der Universität Tübingen, am 11. Juni in einer E-Mail an AFP: "In dem Dokument (die japanische Studie) wird an keiner Stelle die Ablagerung oder Konzentration von Spike-Protein in den Versuchstieren untersucht. Der methodische Ansatz der Studie lässt diesen Schluss nicht zu."
AFP hat auch den Professor für Pathologie an der Harvard Medicine School, David Walt, zur genannten Studie vom 20. Mai befragt, an der dieser mitgearbeitet hat. Er schrieb am 11. Juni in einer E-Mail zur selben Behauptung, dass die Ergebnisse "völlig falsch" interpretiert würden.
Walt erklärte, dass das Ziel der Studie der Nachweis einer Antigen-Zirkulation gewesen sei. Bei elf Geimpften seien Teile von Spike-Proteinen und lediglich bei drei Geimpften vollständige Spikes im Blutplasma gefunden worden. Warum genau das passiert, wird in der Studie lediglich gemutmaßt. Die Forscher fanden aber heraus, dass die Konzentration der Sars-Cov-2-Proteine abnahm, während die Antikörper-Konzentration zunahm. Bei allen Geimpften sind die Teil-Spikes nach 14 Tagen aus dem Plasma verschwunden. Die vollständigen Spikes bei den drei Geimpften waren nur nach der ersten Impfung nachweisbar und verschwanden nach der zweiten Dosis ebenfalls.
Walt betonte:
Bei der Behauptung werde "die toxischen Wirkungen hoher Konzentrationen von Spike-Protein bei einigen infizierten Patienten mit den sehr niedrigen Spike-Konzentrationen, die bei einigen unserer geimpften Studienteilnehmer gefunden wurden" verwechselt. Weiter: "Es ist wahr, dass die Spikes, die bei einigen schweren Infektionen auftreten, toxisch sind. Die Werte, die wir nach der Impfung bei einigen Personen messen, sind unglaublich niedrig, und wir fanden bei den meisten geimpften Personen keine vollständigen Spikes. Unsere Schlussfolgerung war, dass der Impfstoff wie beabsichtigt wirkt. Der Impfstoff ist unglaublich sicher!"
3. Offener Brief beweist: Die Impfung erzeugt "Mittel- bis langfristige Autoimmunschäden" - falsch
In diesem Absatz geht der Autor überhaupt nicht näher auf die von ihm postulierten Autoimmunschäden ein. Stattdessen verweist er auf einen offenen Brief einer Dr. Tess Lawrie aus Großbritannien. Lawrie ist Direktorin eines nach eigenen Angaben "unabhängigen medizinischen Forschungsunternehmens". In diesem tatsächlich existierenden Brief vom 9. Juni behauptet sie, dass die britische Gesundheitsbehörde MHRA "genügend Beweise hat, um die Covid-19-Impfstoffe für unsicher zu erklären", und fordert die Aussetzung der Impfkampagne, die Anfang Dezember im Land begann. Der Artikel-Autor schreibt dazu: "In dem Brief listet sie die zahlreichen schweren Nebenwirkungen der Impfstoffe auf." Sie verweise auf eine angeblich "hohe Anzahl von Todesfällen" und führe die Zahl von 1253 Todesfällen zwischen dem 4. Januar und dem 26. Mai in Großbritannien an. AFP hat auch diesen Brief bereits am 16. Juni einem Faktencheck unterzogen.
Lawries Zahlen stimmen demnach zwar mit den von der MHRA gesammelten Daten ungefähr überein (1295 Todesfälle bis zum 2. Juni nach Berechnungen der AFP), aber ihre Interpretation ist irreführend: Berichte über Nebenwirkungen, einschließlich Todesfälle, sind Teil der Pharmakovigilanz der Behörde. Sie reichen nicht aus, um einen kausalen Zusammenhang mit den Impfstoffen herzustellen. Dies betont die MHRA auch immer wieder in ihren Berichten zu den Impfstoffen:
"Die Meldung einer ADR (Anm. d. Red: Adverse Drug Reaction) (...) bedeutet nicht zwangsläufig, dass sie durch den Impfstoff verursacht wurde, sondern lediglich, dass die meldende Person vermutet, dass dies der Fall ist. Vorbestehende oder nicht diagnostizierte Krankheiten können auch ein Faktor sein", schreibt die britische Agentur. Solche Berichte sollten "nicht verwendet werden, um die Sicherheit verschiedener Impfstoffe zu vergleichen."

Entgegen den Behauptungen aus dem Brief wurden die gemeldeten Todesfälle nie formell auf Impfstoffe "zurückgeführt". Von AFP am 16. Juni kontaktiert, teilte eine MHRA-Sprecherin im Gegenteil mit, dass Impfstoffe "Tausende von Leben" gerettet haben. Sie erinnerte daran, dass "kein Medikament oder Impfstoff ohne Risiko ist". Weiter schrieb sie: "Wir glauben weiterhin, dass die Vorteile des Impfstoffs die Risiken für die Mehrheit der Bevölkerung überwiegen."
Fazit:
Alle drei Behauptungen aus dem "Achse des Guten"-Artikel lassen sich widerlegen. Weder zeigte eine Studie, dass die Antikörper aus Impfungen nutzlos sind, noch zeigten Studien, dass sich toxische Mengen an Spike-Proteinen nach der Impfung im Körper anreichern. Auch für die behaupteten Autoimmunschäden liefert der Artikel keinerlei Belege.