Diese Geschichte über radioaktive Corona-Impfstoffe ist frei erfunden

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  • Veröffentlicht am 21. Januar 2021 um 14:43
  • Aktualisiert am 21. Januar 2021 um 14:47
  • 4 Minuten Lesezeit
  • Von: Marion DAUTRY, AFP Belgrad
Mehrere Hundert Facebook-User haben seit Mitte Dezember die Behauptung einer Person geteilt, die sich als Angestellte des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) ausgibt. Diese will eine Ampulle eines Impfstoffes aus dem Institut gestohlen und diese zu Hause untersucht haben. Ergebnis: Der Impfstoff soll angeblich leicht radioaktiv sein. Das BfArM lagert aber keinen Impfstoff, den Angestellte stehlen könnten. Das Institut ist nicht für Impfstoff-Zulassungen zuständig.

Seit dem 14. Dezember 2020 haben mehr als 750 Nutzerinnen und Nutzer die Erzählung vom gestohlenen Impfstoff auf Facebook geteilt (etwa hier, hier und hier). Bereits am 4. Dezember kursierten Beiträge darüber in Telegram-Gruppen (etwa hier, hier und hier).

Sie alle teilen denselben Text zum Bild einer grün leuchtenden Spritze. Darin erzählt ein angeblicher Mitarbeiter anonym:

"Ich arbeite beim BfArM (Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte) und konnte eine Ampulle des Impfstoffes heimlich herausschmuggeln um diese zu Hause analysieren zu können. Was ich festgestellt habe ist, dass dieses angebliche Impfstoff im dunklen leuchtet und leicht radioaktiv ist. Ich habe zu Hause ca. 70 mikrosievert pro Stunde gemessen. Also genug um Krankheiten sowie auch genetische Schäden zu verursachen. Es könnte sich um Radium in diesem Impfstoff handeln. Warnt alle anderen vor dieser Wahnsinn !!! Hier ist Bild des "Impfstoffes" welches ich mit der Spritze aus der Ampulle herausholen konnte."

Die Behauptungen kursierten auch auf Serbisch und Italienisch. AFP Faktencheck prüfte diese bereits Mitte Dezember hier auf Serbisch.

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Facebook-Screenshot: 19. Januar 2021

Auf seiner Webseite erklärt das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, dass die Zulassung von Arzneimitteln und Medizinprodukten in Deutschland zwischen dem BfArM und dem Paul-Ehrlich-Institut (PEI) aufgeteilt ist. Das PEI sei zuständig für Zulassungen von "Sera, Impfstoffen, Testallergenen, Testsera und Testantigenen sowie Blutzubereitungen."

In der Selbstbeschreibung auf seiner Webseite schreibt das PEI, dass es als Bundesinstitut für Impfstoffe und biomedizinische Arzneimittel "biomedizinische Human-Arzneimittel und immunologische Tierarzneimittel" erforsche und bewerte und diese Arzneimittel auch zulasse.

Das bestätigte auch Maik Pommel, Pressesprecher des BfArM, am 7. Dezember 2020 in einer E-Mail an AFP: "Ihre Annahme, dass nicht wir für Impfstoffe zuständig sind, sondern das PEI, ist richtig."

Es sei unmöglich, dass Mitarbeitende einen Impfstoff stehlen könnten, den das BfArM gar nicht lagere.

Impfstoffe sind nicht radioaktiv

Der Facebook-Beitrag lässt offen, welchen Impfstoff der oder die vermeintliche Angestellte  hier angeblich getestet hat. Er deutet aber an, dass es sich um einen gegen Covid-19 handele. Am 21. Dezember hatte die EU-Kommission dem Impfstoff von Biontech und Pfizer die Zulassung erteilt, am 6. Januar folgte die Genehmigung des Moderna-Impfstoffs. Grundlage sind entsprechende Empfehlungen der Europäischen Arzneimittel-Agentur EMA. Seitdem impft Deutschland mit diesen Impfstoffen. (Der Impfhersteller Astrazeneca hat die Zulassung für seinen Impfstoff am 12. Januar bei der EMA beantragt.)

Der am schnellsten zugelassene Impfstoff BNT162b2 stammt von Biontech/Pfizer. Radium ist in der Liste seiner Inhaltsstoffe nicht enthalten. Die Liste wurde von der Federal Drug Agency (FDA) in den USA, die ihn bereits am 11. Dezember zugelassen hatte, und von der britischen Medicines & Healthcare Products Regulatory Agency veröffentlicht. Sie sind die  für die Zulassung zuständigen Institutionen der jeweiligen Länder.

Die FDA veröffentlichte ebenfalls die Zusammensetzung des Impfstoffs von Moderna. Radium ist auch in diesem Impfstoff nicht enthalten.

Außerdem meldeten sich serbische Wissenschaftler in sozialen Netzwerken zu Wort. Um etwas gegen die Sorgen und die Desinformation rund um die Zusammensetzung von Impfstoffen zu tun, erklärten etwa die Biomedizin-Doktorandin am Weill Cornell Medical College in New York, Isidora Stankovic, in einer Nachricht: "Nicht alles, was 'gefährlich' klingt, weil wir es aus dem Chemieunterricht kennen, ist wirklich gefährlich." Auf Facebook und Twitter listete auch sie die Inhaltsstoffe des "Pfizer-Impfstoffs" auf.

Sie schrieb zum Beispiel: "ALC-0315 = (4-Hydroxybutyl) azandiyl)bis (hexan-6,1-diyl)bis (2-hexyldecanoate), ALC-0159 = 2-[(Polyethylenglycol)-2000]-N,N-ditetradecylacetamid und 1,2-Distearoyl-sn-glycero-3-phosphocholine, SIND FETTE. Sie bilden eine Lipidblase, um die RNA-Moleküle vor dem Abbau zu schützen"

Sie erklärte auch: "Kaliumchlorid, Kaliumdihydrogenphosphat, Natriumchlorid, Dinatriumhydrogenphosphat-Dihydrat. DAS SIND SALZE. Sie sorgen dafür, dass die Konzentration der Ionen in der Blase ausreichend ist."

Einsatz von Strahlen bei der Herstellung

Wissenschaftler verwenden in der Medizin Strahlen, um zum Beispiel einige Krebsarten zu erkennen und zu behandeln. Auch bei der Entwicklung von Impfstoffen kommen sie zum Einsatz, um durch Strahlung Viren vermehrungsunfähig zu machen. Das erklärt folgendes englischsprachiges Video der Internationalen Atomenergiebehörde von 2017.

Bei den aktuell zugelassenen Impfstoffen ist das aber nicht der Fall. Morgane Bomsel, Forscherin am Biomedizinischen Forschungsinstitut Cochin in Paris, erklärte in einer E-Mail an AFP am 15. Dezember 2020: "Die Impfstoffe mit mRNA (Pfizer und Moderna) oder Adenoviren (AstraZeneca) werden nicht mithilfe von Strahlen hergestellt. Das könnte bei der Strategie mit inaktiven Viren der Fall sein. Eine Möglichkeit, sie vermehrungsunfähig zu machen, könnte zwar Röntgen- oder Gammastrahlung (elektromagnetische Strahlung) sein. Aber die Energie dabei ist zu gering, um Radioaktivität zu erzeugen."

Auch Bruno Pitard, Forscher am Zentrum für Onkologie und Immunologie der Universität Nantes-Angers, erklärte in einer E-Mail am selben Tag: "Soweit ich weiß, wird keiner der von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) genannten Impfstoffkandidaten gegen Covid-19 mit dieser Bestrahlungstechnik entwickelt." Die WHO führt eine Liste, die alle Impfstoffkandidaten gegen Covid-19 beschrieb. Bis zum 10. Dezember, kurz vor Verbreitung des Märchens um den gestohlenen Impfstoff, befanden sich 52 Impfstoffe in der klinischen Prüfung und 162 in der präklinischen Prüfung.

Impfgegner verbreiten seit Jahrzehnten Zweifel und falsche Informationen über die Inhaltsstoffe von Impfungen. Aktuell konzentrieren sie sich auf die neuen Covid-19-Impfstoffe. AFP widerlegte bereits am 19. Dezember die Behauptung, dass die mRNA-Covid-19-Impfungen bei Frauen zur Sterilisation führen würden. Auch die Behauptung, dass mRNA-Impfstoffe die DNA von Menschen verändern würden, widerlegte AFP hier.

Fazit: Die Geschichte über einen aus dem Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte gestohlenen Impfstoff, der sich als radioaktiv herausstellte, ist frei erfunden. Die Behörde hat keine Impfstoffe, die geklaut werden könnten, weil sie für deren Zulassung gar nicht zuständig ist. Auch werden bei den Covid-19-Impfstoffen keine radioaktiven Strahlen zur Herstellung genutzt, noch beinhalten die Impfstoffe radioaktive Substanzen.

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