Dieser niederländische Politiker verbreitet Falschaussagen über Corona
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- Veröffentlicht am 18. Juni 2021 um 13:25
- 5 Minuten Lesezeit
- Von: Katarina SUBAŠIĆ, AFP Belgrad
- Übersetzung: Eva WACKENREUTHER
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Mehrere Tausend Facebook-User feiern den niederländischen Politiker Thierry Baudet: "Im Gegensatz zum noch immer im Tiefschlaf schlummernden Deutschland, wird im niederländischen Unterhaus Tacheles gesprochen", beschreibt der Autor eines Facebook-Postings ein Video dieser Rede. Darin verbindet Baudet einen 2010 erschienen Bericht der Rockefeller-Stiftung über mögliche Krisenszenarien mit der aktuellen Corona-Krise. Zahlreiche Posting-Autorinnen und -Autoren ziehen die Rede als Beweis heran: Der "jetzige Corona-Irrsinn" sei geplant, eine "PLANdemie", heißt es in einem tausendfach geteilten Facebook-Posting. "Zufall oder doch von langer Hand geplant!?", fragt der Autor eines anderen ebenfalls tausendfach geteilten Beitrags.
Auch auf Kroatisch teilten Zehntausende die Behauptung, auf Polnisch weitere Tausende.
Wer ist Thierry Baudet?
Thierry Baudet ist Vorsitzender der rechtspopulistischen und EU-skeptischen Partei "Forum für Demokratie" (FvD) in den Niederlanden. Die FvD agitiert gegen die dortige Corona-Politik. Trotz geltender Corona-Beschränkungen hielt die Partei etwa als einzige öffentliche Wahlveranstaltungen im Vorfeld der Parlamentswahlen im März ab. Bereits in der Vergangenheit hat Baudet außerdem Falschinformationen verbreitet, die AFP hier überprüft hat. Er war auch der erste niederländische Politiker, dessen Tweet über Corona von Twitter als "irreführend" markiert wurde.
Der Rockefeller-Bericht
Baudets Rede stammt aus einer Debatte über das Coronavirus am 3. Juni 2021 im niederländischen Parlament. Am selben Tag veröffentlichte seine Partei auch ein Video davon auf Youtube. Darin zieht Baudet Parallelen zwischen der aktuellen Corona-Pandemie und den Beschreibungen eines alten Dokuments der Rockefeller-Stiftung. Die aktuell geteilten Postings schließen daraus wie oben gezeigt auf eine von langer Hand geplante Corona-Pandemie, der sogenannten "Plandemie".
Konkret bezieht sich Baudet in seiner Rede auf einen Bericht der Rockefeller-Stiftung, der in Zusammenarbeit mit dem Global Business Network im Jahr 2010 entstanden ist. Das Global Business Network ist eine inzwischen aufgelöste Beratungsfirma, die sich auf Szenarienplanung spezialisiert hatte. Dabei handelt es sich um eine Methode, mit der Unternehmen oder Politik versuchen, mögliche Entwicklungen der Zukunft zu analysieren und so potenzielle Probleme und Lösungen im Notfall schneller zu erkennen.
Der Bericht mit dem Namen "Szenarien für die Zukunft von Technologie und internationaler Entwicklung" stammt aus dem Mai 2010. Er untersuchte vier verschiedene fiktive Zukunftsszenarien. Eines davon, im Bericht "Lock Step" genannt, handelt von einem von Gänsen übertragenen Virus, das in sieben Monaten acht Millionen Menschen töten könne. Das führe zu einer verstärkt autoritären Herrschaft in mehreren Ländern, erklärte der Bericht für sein Szenario.
Bereits im September 2020 hatte AFP im Rahmen eines anderen Faktenchecks zu dem Rockefeller-Bericht, Ashley Chang kontaktiert, Sprecherin der Rockefeller-Stiftung. Sie gab an, dass der Bericht darauf abgezielt habe, den Umgang mit einer zukünftigen Pandemie zu planen. Er habe nicht den aktuellen Covid-19-Ausbruch vorhergesagt oder gar verursacht, so wie das die aktuellen Postings behaupten. "Die Rockefeller-Stiftung hat nicht und wird keine Pandemie fabrizieren", schrieb sie per E-Mail.
Der Rockefeller-Bericht war auch bereits Gegenstand zahlreicher anderer Faktenchecks (hier, hier, hier, hier), die die die Behauptung von der lang geplanten Pandemie als Verschwörungserzählung entlarvten.
Selbst Baudet sagt in seiner Rede in Zusammenhang mit dem Bericht lediglich Sätze wie: "Und in diesem Bericht beschreibt die Rockefeller Foundation das sogenannte Lock-Step-Szenario über die Ankunft einer globalen Pandemie und ihre Folgen. Also schon 2010" und "Alle ihre Vorhersagen haben sich bewahrheitet. Ich hoffe, sie liegen hier wirklich falsch, dass ein Punkt kommen wird, wenn wir aufwachen, dass wir sehen, dass es eine kollektive Psychose ist."
Baudet zitiert also im Grunde lediglich die Warnungen aus dem Report, um seine Annahmen über ein aktuelles Corona-Regime in den Niederlanden zu untermauern. Allerdings überzieht der Politiker seine Behauptungen über den Report teilweise irreführend. Er sagt etwa: "Genau wie jetzt, wenn die Leute lächeln und Bilder von sich selbst machen, nachdem sie geimpft wurden, es ist alles in diesem Bericht, werden sie um einen Covid-Pass betteln." Die Wörter Corona und Covid fallen dabei kein einziges Mal im Rockefeller-Report - Sätze wie diese knüpfen durchaus an frühere Verschwörungserzählungen über den Rockefeller-Report an.
Corona ist keine "Grippe-Variante"
Baudet sagte in seiner Rede außerdem: "Dass das ganze Land, die halbe Welt wegen einer Grippevariation anderthalb Jahre lang gesperrt wird, ist verrückt." Er fügte hinzu, dass das, "was wir früher Grippe nannten", komplett verschwunden sei. Solche Behauptungen über einen Austausch von Grippe und Coronavirus kommen immer wieder vor, sie stimmen nicht.
Wie AFP bereits mehrfach überprüfte, sind das Coronavirus und das Grippevirus unterschiedlich (hier, hier, hier) und die Grippewelle wurde nicht als Corona-Pandemie ausgegeben (hier). "Obwohl SARS-CoV-2 und das Grippevirus beide von Mensch zu Mensch übertragen werden und ähnliche Symptome haben können, sind diese beiden Viren sehr unterschiedlich und verhalten sich daher völlig anders", schrieb etwa das serbische Institut für öffentliche Gesundheit auf seiner Website.
Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) töten Grippe-bedingte Atemwegserkrankungen jährlich zwischen 290.000 und 650.000 Menschen weltweit. Die Krankheit ist also keineswegs verschwunden, wie behauptet. Demgegenüber stehen laut Daten der Johns Hopkins University bis 17. Juni 2021 weltweit mehr als 3,8 Millionen an Covid-19 verstorbene Menschen, seit das Virus im Dezember 2019 entdeckt wurde.
"Flu News Europe" ist eine Website, die mit Daten des Europäischen Zentrums für die Prävention und Kontrolle von Krankheiten (ECDC) und der WHO über die Grippe in Europa berichtet. In ihrem Saisonübersicht 2020/2021 heißt es, dass "die Grippe-Epidemie in der europäischen Region nicht über den Ausgangswert hinaus gestiegen ist." Und weiter: "Die gemeldete Influenza-Aktivität ist während der gesamten Saison auf einem sehr niedrigen Niveau geblieben, was wahrscheinlich auf die Auswirkungen der verschiedenen öffentlichen Gesundheits- und Sozialmaßnahmen zurückzuführen ist, die zur Verringerung der Übertragung von SARS-CoV-2 durchgeführt wurden." Die Grippe ist im vergangenen Winter also nicht verschwunden, es gab nur vergleichsweise wenig Fälle (siehe auch hier).
Ivermectin als Corona-Heilmittel
Obwohl Baudet behauptete, dass Covid-19 nur eine "Grippe-Variante" sei, sprach er gleichzeitig dennoch davon, "dass wir ausgezeichnete First-Line-Medikamente wie Ivermectin blockieren, nur um diesen experimentellen Injektionen beschleunigt den Status eines zugelassenen Impfstoffs geben zu können."
In den USA wird Ivermectin zur Behandlung von parasitären Würmern verschrieben, und Cremes und Lotionen werden bei Erkrankungen wie Kopfläusen und Rosacea, eine entzündliche Erkrankung der Gesichtshaut?, eingesetzt. Als Behandlungs- oder Präventionsmethode für Covid-19 hat die US-amerikanische Food and Drug Administration (FDA) Ivermectin jedoch nicht zugelassen und warnte im März 2021 sogar davor: "Die FDA hat mehrere Berichte über Patienten erhalten, die nach einer Selbstmedikation mit Ivermectin, das für Pferde bestimmt ist, medizinische Unterstützung benötigten und ins Krankenhaus eingeliefert wurden."
Zum jetzigen Zeitpunkt sagen GesundheitsexpertInnen, dass es keine schlüssigen Beweise für die Wirksamkeit von Ivermectin gegen Covid-19 gibt und dass noch mehr Forschung dazu notwendig sei. Im April 2021 beschäftigte sich AFP in einem englischsprachigen Faktencheck mit der angeblichen Wirksamkeit von Ivermectin bei der Bekämpfung von Corona. Für die Wirksamkeit gebe es derzeit keine Beweise, schrieb damals auch die auch die WHO an AFP: "Es gibt keine Beweise, die den Einsatz von Ivermectin zur Vorbeugung oder Behandlung von COVID-19 unterstützen." Die WHO riet im März 2021 außerdem, Ivermectin nur im Rahmen von klinischen Studien anzuwenden. Dutzende von Ivermectin-Studien, die auf der ganzen Welt laufen, sind in dieser US-Datenbank.
Fazit: Der Bericht der Rockefeller-Stiftung ist Thema weit verbreiteter Verschwörungserzählungen, enthält aber lediglich verschiedene fiktive Zukunftsszenarien. Bei Grippe und Corona handelt es sich um verschiedene Erkrankungen, wie Forschende weltweit immer wieder bewiesen haben. Ivermectin ist derzeit kein nachgewiesen wirksames Heilmittel gegen Corona.