Vorsicht vor diesem irreführenden Vergleich zwischen Alkohol und Impfungen in der Schwangerschaft
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- Veröffentlicht am 11. Oktober 2021 um 17:11
- 9 Minuten Lesezeit
- Von: Saladin SALEM, AFP Deutschland
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Tausende Nutzerinnen und Nutzer haben die Behauptung zu Impfungen und Schwangerschaften auf Facebook geteilt (hier, hier, hier, hier). Auch auf Twitter (hier) und Telegram (hier) sahen Zehntausende eine ähnliche Behauptung.
Die Falschbehauptung: Im Facebook-Beitrag heißt es, "Big Pharma" würde schwangeren Frauen erklären, dass Alkohol und nicht pasteurisierte Säfte schädlich für ihre ungeborenen Kinder sein könnten. Auf der anderen Seite würden Schwangeren jedoch experimentelle und genverändernde Impfungen "ans Herz gelegt". In einem ähnlich lautenden Tweet heißt es, die Impfung sei weder von der US-amerikanischen Arzneimittelbehörde (FDA) zugelassen, noch gebe es Langzeitversuche dazu.
AFP widerlegte in der Vergangenheit bereits mehrfach Behauptungen, die Impfungen mit Fehlgeburten oder auch mit einer Sterilisation von Frauen in Verbindung brachten (hier, hier). Die überprüften Aussagen zum Einfluss der Impfung auf Schwangere waren falsch. Auch die aktuell verbreitete Behauptung gehört in diese Reihe an Falschinformationen.
Empfiehlt "Big Pharma" die Impfungen?
Hinter dem Begriff "Big Pharma" steckt die Vorstellung, die Pharmaindustrie sei vor allem daran interessiert, Profite aus ihren eigenen Medikamenten zu erzielen (mehr dazu hier, hier). Dass die Impfung Schwangeren aber "wärmstens ans Herz gelegt wird", lässt sich aus den Angaben der Hersteller der vier in Deutschland verwendeten Impfstoffe nicht schließen.
Die Impfstoffhersteller Moderna, Biontech/Pfizer und Johnson & Johnson raten auf ihren Webseiten zum Thema Schwangerschaft zwar nicht von einer Impfung für Schwangere ab. Betroffene sollten ihre Impfstelle aber über eine vorliegende oder geplante Schwangerschaft informieren.
Das Unternehmen Astrazeneca erklärt auf seiner Webseite mit Stand vom August 2021, an klinischen Studien zur Wirksamkeit des eigenen Corona-Impfstoffs bei schwangeren Frauen zu arbeiten. Auch Biontech/Pfizer startete im Februar 2021 nach eigenen Angaben mit einer Studie, um weitere Erkenntnisse zur Sicherheit der Impfung während der Schwangerschaft zu erhalten.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) gibt mit Stand vom 2. September 2021 für die Impfstoffe von Moderna, Biontech und Johnson & Johnson an, die Impfung seien empfohlen, sofern der Nutzen der Impfung für die Schwangerschaft mögliche Risiken überwiege. Für die Astrazeneca-Impfung heißt es zusätzlich: "Es liegen nur wenige Daten zur Bewertung der Impfstoff-Sicherheit in der Schwangerschaft vor."
Die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) gibt für alle vier in Deutschland zugelassenen Impfstoffe von Moderna, Biontech, Astrazeneca sowie Johnson & Johnson an, es seien nur wenig Daten verfügbar. Tierversuche hätten keine schädlichen Auswirkungen auf Schwangerschaften gezeigt. Ein Risiko beim Stillen von Neugeborenen werde nicht erwartet. Die amerikanische Gesundheitsbehörde CDC empfiehlt die Corona-Impfungen auch für Schwangere (hier).
Die Ständige Impfkommission (STIKO) empfiehlt seit dem 17. September die Corona-Impfung auch für Schwangere ab dem zweiten Trimenon, also dem zweiten Drittel der Schwangerschaft, und Stillende. Im Epidemiologischen Bulletin zur Covid-19-Impfempfehlung der STIKO heißt es, COVID-19 stelle in der Schwangerschaft eine relevante Krankheitslast in Deutschland dar. "Hierbei ist die Schwangerschaft per se ein relevanter Risikofaktor für schwere COVID-19-Verläufe."
Im Zuge der Empfehlung hat sich die STIKO mit der Datenlage zur Impfung von schwangeren Frauen und Stillenden gegen COVID-19 beschäftigt. Diese spreche überwiegend für eine allgemeine Impfempfehlung vor dem Hintergrund möglicher Risiken einer Sars-CoV-2-Infektion.
Zur Aufarbeitung der wissenschaftlichen Evidenz seien im Rahmen eines sogenannten Umbrella-Reviews bereits publizierte systematische Reviews zum Einfluss einer Sars-CoV-2-Infektion auf Verlauf und Ausgang der Schwangerschaft analysiert worden. Ergänzend wurden aktuelle Studien aus dem Jahr 2021 betrachtet und eine systematische Literaturrecherche durchgeführt.
Im Fazit der STIKO-Empfehlung heißt es: "Die bisher vorliegenden nicht-randomisierten Studien zeigen, dass die Impfung mit mRNA-Impfstoffen während der Schwangerschaft mit hoher Wirksamkeit Infektionen und schwere COVID-19-Verläufe verhindert". Die bisher vorliegenden Sicherheitsdaten seien zwar limitiert, würden aber auf keine unerwünschten Wirkungen hinweisen.
Die Wirkung von Alkohol und Impfungen ist nicht vergleichbar
Die schädliche Wirkung von Alkohol auf Schwangerschaften wurde nachgewiesen. Die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen e.V. erläutert in einem Factsheet zum Thema: "Mittlerweile gilt als erwiesen, dass nicht nur intensiver Alkoholkonsum zu Schäden führt, sondern dass auch ein geringer Alkoholkonsum oder vereinzelte Trinkexzesse zu einem breiten Spektrum von gesundheitlichen Beeinträchtigungen beim Ungeborenen führen können."
Die Informationskampagne "Kenn dein Limit" der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) schreibt auf ihrer Webseite: "Bereits der Konsum kleiner Mengen Alkohol in der Schwangerschaft kann die körperliche und geistige Entwicklung Ihres Kindes empfindlich stören." Das Baby trinke immer mit.
Prof. Dr. Ulrich Pecks, Leiter der Geburtshilfe am Universitätsklinikum Schleswig Holstein, erklärte AFP in einem Telefonat am 7. Oktober, Alkohol habe eine toxische Wirkung auf das Kind. Aber: "Alkohol und Impfung sind nicht miteinander vergleichbar". Bei Schwangeren muss eine Risiko-Nutzen-Abwägung der Impfung erfolgen. Denn bei Infektion mit dem Coronavirus haben Schwangere laut Pecks "ein sehr hohes Risiko für einen schweren Verlauf".
Schwangere Frauen müssen, wenn sie sich infiziert haben, "häufiger intensivmedizinisch behandelt werden - bis hin zu Todesfällen - als Frauen im gleichen Alter, die nicht schwanger sind", erläutert Pecks weiter. Die Bundeszentrale für Gesundheitliche Aufklärung bestätigt das auf ihrer Informationsseite zum Thema.
Auch Dr. Gunda Pristauz-Telsnigg, Präsidentin der Österreichischen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (OEGGG) erklärte am 6. Oktober gegenüber AFP, die Auswirkungen von Alkohol auf eine Schwangerschaft seien auf keinen Fall mit den Corona-Impfungen vergleichbar. Mit Blick auf die Covid-19-Verläufe bei Schwangeren erläutert sie:
"Ein schwerer Erkrankungsverlauf mit Lungenentzündung, stationärer sowie intensivmedizinischer Betreuung war im Durchschnitt bei ungefähr 15 Prozent der erkrankten Schwangeren notwendig, im Vergleich zeigten nicht-schwangere Frauen mit COVID-19 Erkrankung lediglich in ca. 5,8 Prozent einen schweren Verlauf mit Notwendigkeit einer stationären Betreuung."
Bisherige Daten bestätigen Sicherheit der Impfungen für Schwangere
Zur Sicherheit der Impfstoffe für Schwangere und ungeborene Kinder erläuterte Pristauz-Telsnigg: "Die bisherigen Erfahrungen beim Menschen lassen nicht auf direkte oder indirekte schädliche Wirkungen in Bezug auf die Reproduktion, embryonale/fötale Entwicklung, Schwangerschaft, Geburt oder postnatale Entwicklung schließen." Die bisher vorliegenden Daten würden keine "nachteiligen Effekte oder Auffälligkeiten bei der Anwendung von COVID-19-Impfstoffen bei Schwangeren" aufzeigen.
Dies spiegeln auch die Empfehlungen zahlreicher internationaler Fachgesellschaften und Behörden wider, wie beispielsweise der amerikanischen Gesundheitsbehörde CDC, des American College of Obstetricians and Gynecologists oder des britischen Royal College of Obstetricians and Gynecologists. Auch dieser Faktencheck zu einer Studie des "New England Journal of Medicine" zeigte, Stand 1. Oktober, dass durch die Impfungen keine erhöhte Gefahr für Schwangere ausgeht.
Die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe erklärte in einer Stellungnahme gemeinsam mit zahlreichen anderen Fachgesellschaften bereits im Mai 2021, die Impfung mit mRNA-basierten Impfstoffen führe nicht vermehrt zu schwangerschaftspezifischen Komplikationen. Es bestehe auch kein Risiko einer erhöhten Mortalität für Schwangere und Feten oder ein unterschiedliches Nebenwirkungsprofil im Vergleich zu Nicht-Schwangeren. Zudem könne das Neugeborene durch die Impf-Immunisierung der Mutter ebenfalls einen potenziellen Infektionsschutz entwickeln.
Auch Ulrich Pecks erklärte, es gebe indirekte Hinweise darauf, dass die Impfung selbst gar nicht beim Kind ankomme (siehe auch dieser AFP Faktencheck). Dennoch könne das Kind von Antikörpern profitieren, die bei einer Immunisierung der Mutter entstehen und durch den Mutterkuchen zum Ungeborenen gelangen.
Warum gerade mRNA-Impfstoffe für Schwangere empfohlen werden, erklärt sich laut Pecks allein dadurch, dass die Datenlage wesentlich besser sei als bei Vektor-Impfstoffen.
Corona-Impfstoffe verändern nicht unsere Gene
Die Behauptung, Impfstoffe würden unsere Gene verändern, widerlegte AFP bereits mehrfach (hier, hier).
Internationale Expertinnen und Experten sowie medizinische Institute sind sich einig: Eine mRNA-Impfung verändert die DNA eines Menschen nicht. Sie erklären unisono, dass die geimpfte RNA lediglich in einem bestimmten Teil der Zelle zur Anwendung kommt. Der genetische Bauplan gelangt aber nicht in den Kern einer Zelle, wo sich die DNA befindet. Auf Grundlage der geimpften RNA bildet der Körper Teile des Corona-Virus nach, sogenannte Antigene. Mit der eigentlichen DNA der Zellen hat dieser Vorgang aber nichts zu tun. Das bestätigen das Bundesgesundheitsministerium, die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) oder auch das Schweizer Bundesamt für Gesundheit.
Auf AFP-Nachfrage teilte die Professorin für Infektionskrankheiten an der Universität von Chile, Jeannette Dabanach Peña, bereits im Dezember 2020 mit: "Sie (die Impfungen) manipulieren nicht die menschliche DNA. Sie sind dafür gemacht, bestimmte Proteine herzustellen, damit unser Körper sie identifizieren und die notwendigen Abwehrkräfte aufbauen kann. Das macht ein Virus natürlicherweise auch und es verändert dabei nicht unsere DNA."
María Victoria Sánchez, Forscherin im argentinischen Institut für experimentelle Medizin und Biologie, erklärte auf AFP-Anfrage im September 2020, dass es dabei einen Übersetzungsprozess des verabreichten genetischen Codes in ein Coronavirus-Protein gebe. Sie präzisierte: Dieser Prozess finde im sogenannten Zytoplasma statt, das den Zellkern umgibt, nicht aber im Zellkern selbst, in dem sich die DNA eines Menschen befindet. "Boten-RNA kann nicht in unsere DNA gelangen", sagte sie.
Die BZgA schreibt in Bezug auf Vektor-Impfstoffe: "Die COVID-19-Impfstoffe Vaxzevria von AstraZeneca und Janssen von Johnson & Johnson bestehen aus harmlosen, bei Menschen nicht vermehrungsfähigen Viren aus der Familie der Adenoviren (Erkältungsviren)." Bei solchen adenoviralen Vektoren handele es sich generell um sogenannte nicht integrierende Vektoren, welche ihr Erbgut nicht in das menschliche Erbmaterial einbauen. Das Genom der Covid-19-Vektorimpfstoffe verbleibe demnach außerhalb der menschlichen DNA im Zellkern.
Auch das Paul-Ehrlich-Institut (PEI), welches für die Überwachung der Impfstoffe in Deutschland zuständig ist, sieht keine Gefahr einer Veränderung der DNA durch Vektor-Impfstoffe:
"Auch vor dem Hintergrund, dass sich die adenoviralen Vektoren – anders als die natürlichen Erkältungsviren – aufgrund genetischer Veränderungen nicht im Impfling vermehren können und schnell vom Körper eliminiert werden, besteht nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft kein Risiko der Integration der Adenovirus-Vektor-DNA in das menschliche Genom."
Corona-Impfstoffe sind nicht experimentell
Immer wieder wird behauptet, die zur Bekämpfung der Coronavirus-Pandemie verwendeten Impfstoffe seien nicht ausreichend geprüft, unsicher oder wirkungslos. AFP widerlegte solche Behauptungen bereits mehrfach (hier, hier, hier).
Tatsächlich gibt es zu allen vier Impfstoffen abgeschlossene klinische Studien. Eine Ausarbeitung des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestags fasste den Forschungsstand bereits am 4. März 2021 hier ausführlich zusammen. Auch der Verband der forschenden Pharma-Unternehmen (vfa) fasste den Stand der Impfstoffentwicklung am 9. Oktober zusammen.
Das PEI schreibt zur Prüfung der Impfstoffe unter anderem, die schnelle Zulassung der Impfstoffe sei durch ein sogenanntes Rolling-Review-Verfahren ermöglicht worden, wobei die zu prüfenden Impfstoffe viele sonst nacheinander stattfindende Phasen gleichzeitig durchlaufen. Die Daten müssten dabei trotzdem eine "ausreichende Evidenz liefern" und "belastbar" sein, heißt es auf der Seite des PEI. Die Zeit werde zwar verkürzt, das Sicherheitsniveau bleibe aber genauso hoch wie bei einer üblichen Zulassung.
Bevor ein Zulassungsantrag gestellt werden kann, müssen die Impfstoffe demnach präklinische und klinische Studien durchlaufen, in denen ihre Sicherheit und Wirksamkeit bei Tieren und später auch ihre Verträglichkeit bei Menschen geprüft wird.
"Vom Zulassungsinhaber wird verlangt, dass er bestimmte Verpflichtungen (laufende oder neue Studien und in einigen Fällen zusätzliche Aktivitäten) in der vorgegebenen Zeit erfüllt, um umfassende Daten vorlegen zu können, die bestätigen, dass die Nutzen-Risiko-Bilanz weiterhin positiv ist." Einzelne Phasen der üblichen Impfstoffentwicklung dürften dabei nicht ausgelassen werden.
Die US-Arzneimittelbehörde FDA teilte 23. August mit, sie habe den ersten Corona-Impfstoff vollständig für Menschen ab 16 Jahren zugelassen. Die Behörde erklärte, der Biontech/Pfizer-Impfstoff erfülle die hohen Standards zur Sicherheit, Wirksamkeit und Produktionsqualität. "Die Öffentlichkeit und die Ärzteschaft können darauf vertrauen, dass wir diesen Impfstoff zwar schnell zugelassen haben, dass er aber in vollem Umfang unseren hohen Standards für Impfstoffe in den USA entsprach," erklärte Peter Marks, Leiter des FDA Center for Biologics Evaluation and Research.
Mehrere Studien zeigen zudem die Wirksamkeit der Impfstoffe gegen schwere Fälle von Covid-19 auf. Laut einem am 23. September 2021 veröffentlichten Covid-19-Impfstoff-Überwachungsbericht von Public Health England deuten die jüngsten britischen Schätzungen darauf hin, "dass durch das Impfprogramm über 230.800 Krankenhausaufenthalte direkt verhindert wurden" und ebenso "zwischen 23,7 und 24,1 Millionen Infektionen und zwischen 119.500 und 126.800 Todesfälle" verhindert werden konnten.
Eine Studie der Universität von Indiana und der RAND Corporation, die am 18. August 2021 in der Zeitschrift Health Affairs veröffentlicht wurde, schätzt zudem, dass die Impfung bis Mai 2021 fast 140.000 Todesfälle in den Vereinigten Staaten verhindert habe. Eine weitere, im Juli 2021 veröffentlichte Studie unter der Leitung der Yale School of Public Health kommt zu dem Ergebnis, dass "die koordinierte und schnelle COVID-19-Impfkampagne, die Ende letzten Jahres in den Vereinigten Staaten gestartet wurde, etwa 279.000 Leben gerettet und 1,25 Millionen Krankenhausaufenthalte verhindert hat."
Fazit: Schwangere haben ein erhöhtes Risiko für einen schweren Covid-19-Verlauf. Gerade deshalb empfehlen ihnen zahlreiche Behörden und Fachgesellschaften eine Corona-Schutzimpfung. Hinweise auf eine Gefährdung der Schwangerschaft durch die Impfung sind nicht bekannt. Sowohl mRNA- als auch Vektor-Impfstoffe können nicht die DNA von Menschen verändern und sind auf ihre Sicherheit und Wirksamkeit hin geprüft.