Die Vaers-Datenbank des CDC beweist nicht den Impftod eines Babys nach dem Stillen
Hunderte Nutzerinnen und Nutzer haben eine Behauptung auf Facebook geteilt, wonach die US-amerikanische Datenbank für Nebenwirkungen von Medikamenten (Vaers) den Todesfall eines Säuglings nach einer mRNA-Impfung der Mutter "verifiziert" haben soll. Die Datenbank führt allerdings nur Verdachtsfälle auf, die nicht geprüft sind. Expertinnen und Experten sind sich einig, dass mRNA aus Impfungen nicht in die Muttermilch und somit auch nicht ins Baby gelangen kann.
Rund 360 User haben seit dem 25. April den Screenshot eines Tweets des Arztes Stefan Hockertz auf Facebook geteilt, dessen Behauptungen AFP schon öfter als falsch überprüfte (hier, hier, hier). Hockertz verbreitete in seinem Tweet ein Bittube-Video mit dem Titel "Baby stirbt durch Muttermlich von geimpfter Mutter mit Biontech-Impfung". Der Tweet wurde mittlerweile gelöscht, ist allerdings weiterhin hier archiviert zu finden. Auch das Bittube-Video selbst haben rund 300 User seit dem 24. April auf Facebook geteilt (hier, hier). Auf Telegram sahen es mehr als 185.000 Accounts (hier).
Das Bittube-Video zeigt einen Sprecher des hier ebenfalls bereits mit Falschbehauptungen aufgefallenen Internetradiosenders "ddbradio". Er klickt sich durch die Datenbank Vaccine Adverse Event Reporting System (Vaers). Dabei handelt es sich um ein US-amerikanisches Meldesystem der Centers for Disease Control and Prevention (CDC) für Verdachtsfälle unerwünschter Wirkungen von Impfstoffen in den USA. Der Sprecher zeigt in dem Video eine Meldung in der Datenbank, in der von einem verstorbenen Baby die Rede ist. Die Mutter habe laut der Meldung einen Tag vor dem Stillen ihre zweite mRNA-Impfdosis von Biontech/Pfizer bekommen. Der Sprecher behauptet im Video: "Damit ist also aus offizieller Quelle verifiziert, dass das Baby durch den Konsum der Muttermilch der geimpften Mutter verstorben ist."

Beweisen die Daten im Vaers wirklich den Tod durch Impfung?
Allein das Auftauchen des Falles in der Datenbank scheint dem Urheber des Videos für seine Behauptung Beweis genug zu sein. Die Vaers-Datenbank belegt diese jedoch nicht. Ganz im Gegenteil: Sie weist mehrfach auf die Grenzen der Aussagekraft ihrer Daten hin.
AFP hat den Fall mit dem Baby tatsächlich in der Datenbank über den beschriebenen Pfad gefunden. Der Sprecher im Video lässt aber wichtige Informationen auf der Seite unkommentiert, die im Video nur kurz zu sehen sind.
So steht bereits vor der angesteuerten Suchemaske in der Datenbank auf der Vaers-Seite: "Die Datenbank [...] Vaers enthält Informationen über nicht verifizierte Berichte über unerwünschte Ereignisse [...] nach Impfungen mit in den USA zugelassenen Impfstoffen. Berichte werden von jedermann akzeptiert und können elektronisch [...] eingereicht werden."
Auf der gleichen Seite muss vor Zugriff auf die Datenbank ein Disclaimer akzeptiert werden, der auch noch einmal auf Folgendes hinweist: "[...] die Berichte von Vaers allein [...] können [...] nicht dazu verwendet werden, festzustellen, ob ein Impfstoff ein unerwünschtes Ereignis oder eine Krankheit verursacht oder dazu beigetragen hat."
Und weiter heißt es zur Qualität der Daten: "Die Berichte können Informationen enthalten, die unvollständig, ungenau, zufällig oder nicht überprüfbar sind." Der Sprecher im Video hat all diese Hinweise mit einem Klick akzeptiert, seinem Publikum aber nicht vorgelesen.
Die in der Datenbank aufgeführten Fälle können also falsch sein. Das verdeutlicht eine Meldung, über die die Faktencheck-Organisation Politifact schon 2017 berichtet hatte. Demnach hatte ein Dr. James R. Laidler nach einer Influenza-Impfung dem Vaers berichtet, er hätte sich in die Marvel-Comicfigur "Hulk" verwandelt. Die Symptome: grüne Haut, wachsende Muskeln und Wutprobleme. Die CDC bestätigten die offensichtlich erfundene aber dennoch im Vaers aufgeführte Meldung gegenüber Politifact. Mittlerweile wurde dieser Fall in Absprache mit Laidler aus der Datenbank entfernt.
Hinweise auf die Qualität der Daten wie die der CDC sind bei solchen Datenbanken üblich. Auch die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) sammelt Fälle von vermuteten Nebenwirkungen und weist in einem Disclaimer auf die Grenzen der Aussagekraft dieser Daten hin. In der Vergangenheit kam es immer wieder zu ähnlichen Behauptungen wie im aktuellen Video. AFP widerlegte diese bereits hier, hier und hier.
Widerspruch in den angegebenen Daten
Auch der Muttermilch-Fall weist inhaltliche Ungereimtheiten auf. Laut des Berichts in der Vaers-Datenbank erhielt die Patientin die zweite Dosis des Pfizer Corona-Impfstoffes am 17. März 2020. Zu diesem Zeitpunkt gab es jedoch keine Pfizer-Impfungen.

AFP hat Pfizer am 2. Juni 2021 dazu kontaktiert. Das Unternehmen bestätigte, dass der Impfstoff im März 2020 noch nicht verfügbar war. Sprecherin Jutta Joutseno erklärte: „Phase 1/2 der klinischen Studie begann am 23. April 2020, als die ersten Probanden unseren Covid-19-Impfstoff erhielten. Der Impfstoff wurde vor diesem Datum noch nicht verabreicht.“ Die ersten Pfizer-Impfungen wurden im Mai 2020 gemeldet.
In der weiter oben angezeigten Tabelle zu den Vorgangsinformationen ist das Verabreichungsdatum auf 2021 datiert. Daher könnte es sich um einen Fehler in der detaillierten Vorgangsbeschreibung handeln.
Ist eine mRNA-Übertragung über Muttermilch überhaupt möglich?
Die Ursache des genannten Todesfalls ist also völlig unklar. Dennoch wollte AFP wissen, ob das beschriebene Szenario überhaupt möglich ist und hat deshalb zwei Expert*innen zum Video befragt.
Prof. Dr. Christian Münz ist Fakultätsmitglied am Institut für Experimentelle Immunologie an der Universität Zürich. Zum Video schrieb er am 28. April in einer E-Mail: "Es handelt sich vermutlich um einen unglücklichen Zufall, dass das Baby kurz nach der Impfung der Mutter verstarb, so wie auch einzelne Geimpfte sicherlich nach der Impfung in Autounfällen zu Schaden kommen werden."
Münz erklärte weiter: "Es ist unwahrscheinlich, dass Teile des mRNA-Impfstoffs, der intramuskulär verabreicht wird, in die Muttermilch gelangen." Bei der Injektion in einen Muskel werde die Spike-RNA, die das Abwehrsystem des Körpers aktiviert, vor allem dort gebildet – in den Muskelzellen. (Eine ähnliche Behauptung über die Gefahren frei im Körper zirkulierender Impf-RNA widerlegte AFP hier).
Kurz gesagt: Das Spike kann nicht in die Muttermilch gelangen, weil es sich nicht frei im Körper bewegt, sondern fest auf den Muskelzellen sitzt und dort eine Immunantwort des Körpers erzeugt.
"Dieses Geschehen spielt sich fernab von der Muttermilch ab", schrieb Münz. Ein Wandern des RNA-Moleküls vom Muskel bis in die Muttermilch-Zellen sei für ihn "nahezu ausgeschlossen".
Dr. med. Janine Zöllkau, Ärztin in der Geburtsklinik des Universitätsklinikums Jena, schrieb in einer E-Mail vom 3. Mai an AFP: "Die Folgerung, dass Babys nach Impfung der stillenden Mutter lebensbedrohlich gefährdet sind, ist nicht tragbar."
Sie erklärte weiter: "Es ist aus meiner Sicht nicht plausibel, dass relevante Impfstoffmengen in der Muttermilch nach der Impfung vorliegen. Auch eine relevante Gefährdung des gestillten Säuglings durch potenziell oral aufgenommenen Impfstoff ist nicht plausibel."
Zur Untermauerung ihrer Einschätzung verwies Zöllkau auf eine Preprint-Studie der Abteilung für Bioengineering und therapeutische Wissenschaften der Universität von Kalifornien, die sie der E-Mail an AFP beifügte. Dabei handelt es sich um eine neue vorab veröffentlichte Studie, die noch nicht von anderen Wissenschaftler*innen auf ihre Qualität geprüft wurde. Sie ist also zunächst noch mit Vorsicht zu lesen.
In der Preprint-Studie stellen sechs Mütter innerhalb von vier bis 48 Stunden nach einer mRNA-Impfung gegen Covid mehrere Muttermilch-Proben zur Verfügung. Fünf der Frauen wurden wie die Mutter in dem aktuellen Video mit Biontech/Pfizer geimpft. Das Ergebnis: Die Wissenschaftler*innen stellten laut Studie fest, "dass keine der Proben von geimpften stillenden Müttern zu irgendeinem Zeitpunkt nachweisbare Mengen an Impfstoff-mRNA in der Milchfettschicht oder im Milchüberstand aufwiesen".
Unter anderem auf diese Preprint-Studie stützt sich auch die Empfehlung der Covid-19-Impfung für schwangere und stillende Frauen der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) und neun weiteren Fachverbänden. Darin steht: "In informierter partizipativer Entscheidungsfindung und nach Ausschluss allgemeiner Kontraindikationen wird empfohlen, Schwangere priorisiert mit mRNA-basiertem Impfstoff gegen COVID-19 zu impfen."
Auch die CDC, die die Vaers-Datenbank betreiben, sehen aktuell kein Problem bei der Impfung von Schwangeren oder Stillenden. Auf der Internetseite heißt es: "Basierend auf der Wirkungsweise dieser Impfstoffe im Körper wird davon ausgegangen, dass die zugelassenen COVID-19-Impfstoffe kein Risiko für stillende Personen oder ihre stillenden Babys darstellen."
Ein Schutz der Säuglinge durch die Übertragung von Antikörpern ist wahrscheinlicher
In der Empfehlung des DGGG taucht ein weiteres Argument für die Impfung Stillender auf. Die Impfung könne demnach zu einer "Nestimmunität" führen, also einer Weitergabe von Antikörpern von der Mutter an das Baby. Zum Beweis führt die DGGG zwei Studien an.
Eine Studie der Abteilung für Geburtshilfe und Gynäkologie der Washington-Universität hat bei fünf Müttern Antikörper nach einer mRNA-Impfung in der Muttermilch gefunden. In der Zusammenfassung heißt es: "Somit könnte die Impfung mit Pfizer-BioNTech/BNT162b2 auch gestillten Säuglingen einen Schutz gegen COVID-19 bieten." Allerdings seien wegen der kleinen Testgruppe weitere Studien für fundiertere Aussagen nötig.
Eine andere Preprint-Studie, die vom Brigham and Women's Hospital stammt, das wiederum zur Harvard Medical School in Boston gehört, stützt dieses Ergebnis. Sie belegt dasselbe Ergebnis bei 31 stillenden Müttern.
Auch eine dritte Studie aus Israel belegt das für 84 Mütter. Dort heißt es: "Antikörper, die in der Muttermilch dieser Frauen gefunden wurden, zeigten eine starke neutralisierende Wirkung, was auf eine mögliche Schutzwirkung gegen die Infektion des Säuglings hindeutet."
Faziz: Die Behauptung, es sei erwiesen, dass der Tod eines Babys durch die Muttermilch der geimpften Mutter verursacht worden sei, ist falsch. Die als vermeintlicher Beleg angeführte Vaers-Datenbank verweist an mehreren Stellen eindeutig darauf, dass keine ursächlichen Zusammenhänge zwischen den vermuteten Nebenwirkungen und einer Covid-Impfung durch die Datenbank belegt seien.
Außerdem sind sich zahlreiche Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen einig, dass keine mRNA nach einer Covid-Impfung in die Muttermilch gelangt. Eine Gefahr für das Kind sei nicht plausibel. Im Gegenteil: Studien legen nahe, dass von der Mutter gebildete Antikörper nach der Impfung über die Muttermilch auch dem Baby einen Immun-Vorteil verschaffen könnten.
Eine AFP-Anfrage vom 5. Mai beim Internetradio ddbradio blieb bis zur Veröffentlichung dieses Aritkels unbeantwortet.
Update, 3. Juni 2021: Der Faktencheck wurde um zeitliche Widersprüche in der Vaers-Datenbank ergänzt.