Diese EMA-Daten beweisen keine 354.177 Covid-Impfschäden
Tausende User haben Ende April eine Behauptung auf Facebook geteilt, wonach die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) 354.177 Impfschäden durch Corona-Impfstoffe gemeldet habe. Die Behörde stellt allerdings auf ihrer Website klar, dass die von ihr erhobenen Beschwerde-Daten nicht ursächlich auf die Impfung zurückgehen müssen. Das bestätigte ein EMA-Sprecher gegenüber AFP. Die Fälle in der Datenbank seien kein Beweis für "Impfschäden durch Covid-Impfungen".
Die Bombe sei geplatzt, heißt es in einem Ende April von Tausenden Menschen geteilten Bild auf Facebook (hier, hier, hier, hier). "Die EMA meldet 354.177 Impfschäden durch Covid-Impfungen!" Auf Telegram erreichte die Behauptung im gleichen Zeitraum mehr als 200.000 User (hier, hier, hier).
Sie alle teilen einen Screenshot der EMA-Datenbank. Außerdem heißt es in den Postings: "Und das in einem Zeitraum von nicht einmal drei Monaten!!! Mach Dir selbst ein Bild mit dem folgenden Link oder schau Dir die Daten an, die Karlheinz Klement zusammengestallt hat." Bei Letzterem handelt es sich um einen Politiker des rechtspopulistischen Bündnis Zukunft Österreich (BZÖ). Der Link, auf den verwiesen wird, führt zu einem entsprechenden Artikel auf einer Seite der Partei.

Die Europäische Datenbank gemeldeter Verdachtsfälle von Arzneimittelnebenwirkungen der EMA sammelt nach eigenen Angaben "Verdachtsfälle von unerwünschten Nebenwirkungen" im Europäischen Wirtschaftsraum, die im Zusammenhang mit zugelassenen Arzneimitteln stehen könnten. Dazu gehören auch Verdachtsfälle im zeitlichen Kontext von Covid-19-Impfungen.
Seit der Zulassung der Covid-Impfstoffe im Dezember 2020 und den weltweit folgenden Impfkampagnen kursieren immer wieder falsche Behauptungen über Impfstoffe und ihre Nebenwirkungen. Mal manipulierten diese menschliche Gene, mal führten sie zu unkontrollierbarem Zellsterben. Auch die EMA-Datenbank ist immer wieder Thema irreführender Erzählungen (hier, hier). AFP hat bereits mehrfach die Aussage widerlegt, dass die Daten aus der Datenbank Tausende Todesfälle belegten. Auch die aktuelle Behauptung passt in diese Reihe.
Wer steckt dahinter?
In dem hier archivierten BZÖ-Artikel, der auf den 27. April datiert ist, findet sich die wortgleiche Impfschäden-Behauptung sowie eine von einem Karlheinz Klement zusammengestellte Navigationsanleitung durch die EMA-Datenbank.
Klement war 2006 bis 2008 österreichischer Nationalratsabgeordneter für die FPÖ. Wegen "parteischädigendem Verhalten" schloss die Partei ihn 2008 aus. Anschließend wurde Klement Generalsekretär der BZÖ in Kärnten. Als solcher gab er etwa dem Verschwörungserzähler Oliver Janisch 2019 ein Interview. Darin sprach Klement unter anderem vom einem Austausch der Europäischen Bevölkerung durch Geflüchtete. Er behauptete außerdem, der Wahrheitsgehalt etablierter Medien nehme stetig ab, weswegen er auch mit anderen sogenannten alternativen Medien spreche.
Haftungsausschluss und Hinweise der EMA
In seinem Text erklärt Klement, wie User zu den von ihm gezeigten Daten der EMA kommen können. Der Politiker beginnt seine Ausführungen mit Verweis auf eine sortierte Liste der Impfstoffe Moderna, Biontech/Pfizer, Astrazeneca und Johnson und Johnson. Zusammengerechnet zeigen diese Angaben aus der EMA-Datenbank am 30. April 2021 tatsächlich 354.177 Fälle möglicher Nebenwirkungen von Impfstoffen.
Allerdings: Den ausdrücklichen Hinweis der EMA, dass diese Nebenwirkungen nur mögliche Folgen der Impfstoffe sind und es bisher keine bestätigten Zusammenhänge gibt, zeigt die Anleitung von Klement nicht. Diesen Hinweis müssen die User zu Beginn ihrer Recherche in der Datenbank aktiv per Klick akzeptieren. Erst danach verschwindet dieser sogenannte Haftungsausschluss wieder, und die Datenbank wird zugänglich. Dies unterschlägt Klement aber seinen Leser:innen. Weder in den Facebook-Postings noch auf der Seite der BZÖ Kärnten findet sich ein Verweis auf diese Tatsache.
Das sagt der Haftungsausschluss

In diesem Haftungsausschluss heißt es unter anderem: "Die Informationen auf dieser Website sind nicht als Bestätigung zu verstehen, dass zwischen dem jeweiligen Arzneimittel und der/den beobachteten Reaktion/en ein Zusammenhang besteht." Und weiter: "Die Informationen auf dieser Website betreffen vermutete Zusammenhänge und spiegeln die Beobachtungen und Ansichten des Melders wider." Die Verdachtsfälle von Nebenwirkungen würden von "Patienten, Verbrauchern und Angehörigen der Gesundheitsberufe entweder an die nationalen Arzneimittelbehörden oder das pharmazeutische Unternehmen, das die Zulassung für das Inverkehrbringen des Arzneimittels besitzt" gemeldet.
In weiteren Hinweisen zur Interpretation der Daten weist die EMA zusätzlich auf Wechselwirkungen gleichzeitig eingenommener Medikamente hin.
Was sagt die EMA zu den angeblich bestätigten Impfschäden?
AFP hat die EMA zu der Behauptung befragt. Am 21. April schrieb Sprecherin Violeta Pashova in einer E-Mail: "Wir haben eine Menge falscher Darstellungen öffentlich verfügbarer Daten zu Nebenwirkungen im Zusammenhang mit Covid-19-Impfstoffen gesehen, die in Artikeln und in sozialen Medien verbreitet werden."
Weiter schrieb sie: "Diese Website basiert auf den Daten von EudraVigilance, dem europäischen System zur Verwaltung und Analyse von Informationen über vermutete Nebenwirkungen von Arzneimitteln. Die Informationen auf dieser Website beziehen sich auf vermutete Nebenwirkungen, das heißt auf Effekte, die nach Verabreichung oder Behandlung mit einem Arzneimittel beobachtet wurden. Jedoch hängen diese vermuteten Nebenwirkungen möglicherweise nicht mit dem Arzneimittel zusammen."
Pashova erklärte außerdem, dass die EMA-Fallberichte nur als Teil eines Puzzles betrachtet werden sollten. Um ein vollständiges Bild über die Auswirkungen der Impfungen zu bekommen, brauche es alle verfügbaren Daten. Dazu gehörten etwa spontane Fallberichte weltweit, klinische, epidemiologische und toxikologische Untersuchungen. "Nur die Bewertung aller verfügbaren Daten erlaubt belastbare Schlussfolgerungen", schrieb Pashova.
Hinweise wie die der EMA sind in solchen Datenbanken durchaus üblich. So heißt es auch im US-amerikanischen Vaccine Adverse Event Reporting System (Vaers), das von den Centers for Disease Control and Prevention (CDC) und der Food and Drug Administration (FDA) betrieben wird: "Es ist im Allgemeinen nicht möglich, aus den Vaers-Daten herauszufinden, ob ein Impfstoff das unerwünschte Ereignis verursacht hat."
Ähnlich wie bei der EMA können auch im Vaers neben Gesundheitspersonal auch Betroffene und Eltern von geimpften Kindern Meldungen eintragen – auch wenn gar nicht klar ist, ob die Symptome in Verbindung mit einer Impfung stehen. Auf der Seite der Vaers heißt es, die Meldungen seien oft nicht detailliert genug und enthielten manchmal Fehler.
Was sagt Karlheinz Klement?
AFP hat den Verfasser der Behauptung und der auf der BZÖ-Seite veröffentlichten Anleitung kontaktiert. Karlheinz Klement ließ in einer E-Mail vom 3. Mai die Frage unbeantwortet, warum er trotz der Hinweise der EMA von einem ursächlichen Zusammenhang spricht.
In einer Pressemitteilung der BZÖ vom 29. April, in der Klement als Kontakt für Rückfragen auftaucht, zitiert die BZÖ selbst lediglich "Verdachtsfälle". AFP fragte Klement, warum er auf der BZÖ-Homepage die härtere Formulierung "Impfschäden durch Impfungen" wählte. Er schrieb: "Die EMA schreibt 'Verdachtsfälle', das ist deren Sprache. Unsere Sprache ist Klartext und wir verweisen auf mehrere Fakten." Solche "Fakten" hat der Politiker gegenüber AFP allerdings nicht präsentiert.
Fazit
Die Behauptung, dass in die EMA "354.177 Impfschäden durch Covid-Impfungen" meldet, ist irreführend. Die Datenbank führt zwar 354.177 mögliche Nebenwirkungen zu den unterschiedlichen Corona-Impfungen auf. Die Behörde weist allerdings an mehreren Stellen darauf hin, dass es sich bei den Meldungen lediglich um Verdachtsfälle handele und diese nicht ursächlich auf die Impfung zurückgehen müssen. Diese Hinweise fehlen in den Behauptungen.