AFP ließ schwarze Fäden von internationalen Expert*innen prüfen, es handelt sich nicht um Lebewesen
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- Veröffentlicht am 9. April 2021 um 14:48
- Aktualisiert am 9. April 2021 um 15:08
- 11 Minuten Lesezeit
- Von: Marion DAUTRY, AFP Belgrad, AFP Deutschland, AFP Österreich, AFP Tschechien
- Übersetzung: Jan RUSSEZKI
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Mehr als 49.000 Facebook-User haben die Behauptung über Würmer auf Masken seit dem 24. März geteilt (etwa hier, hier und hier). Auf Telegram kursiert das Thema bereits seit dem 14. Januar. Dort erreichten ähnliche Videos mehr als 400.000 Nutzerinnen und Nutzer (etwa hier, hier und hier). In anderen Videos untersuchten User auch Teststäbchen von Corona-Schnelltests (etwa hier).
In allen Videos sind auf den Masken und Teststäbchen unter einem Mikroskop kleine schwarze Fäden zu sehen. Zum Teil bewegen sich diese Fäden, wenn sie angehaucht werden. So auch in zwei Facebook-Videos (hier). Eine Frau erklärt darin, dass sie das Teststäbchen zu Hause frisch ausgepackt habe. Auf einem mit dem Mikroskop verbundenen Bildschirm zeigt sie einen Faden, den sie nach eigenen Angaben an der Spitze des Stäbchens gefunden hat. Ihr Mann haucht diesen Faden daraufhin an, der anfängt sich zu bewegen. "Das ist ein Morgellon", sagt die Frau. In einem ergänzenden Video demonstriert sie das Gleiche an einer Maske.
In den Kommentarten zu solchen Videos fallen Sätze wie: "Die Menschen sollen diese Fasern per Körperkontakt abbekommen. Ob per Maske oder mit dem Stäbchen ins Hirn." Und zu den "Morgellons" heißt es etwa: "Alles ist möglich... Ob Krankheitsauslöser oder gar bis hin zur aktiven Bewusstseinskontrolle."
In einem anderen Video legt eine Frau eine Maske ins Wasser, um die "Parasiten/Morgellons" sichtbar zu machen. An der Wasseroberfläche schwimmen schwarze Fäden (hier).
In der Vergangenheit verbreiteten sich immer wieder falsche Behauptungen über Schnelltests und Masken. Diese bezogen sich etwa auf angebliche Giftstoffe in und vermeintliche Gesundheitsschäden durch Masken, etwa wegen eines angeblich gefährlichen Sauerstoffmangels oder einer CO2-Überflutung des Körpers. Auch Krebs oder der Tod mehrerer Kinder soll vermeintlich bereits durch Masken ausgelöst worden sein. Schnelltests seien ungenau, manipuliert und giftig, heißt es auch immer wieder. Einer Überprüfung durch AFP hielten all diese Behauptungen nicht stand. Ein möglicher Grund für die vielen Falschinformationen könnte sein, dass die Tests und Masken einen wichtigen Bestandteil der Anti-Corona-Strategie der Bundes- und Landesregierungen darstellen.
Auch die aktuelle Behauptung über Würmer in Masken reiht sich in diese Liste falscher Behauptungen ein. AFP hat sie bereits auf Serbisch geprüft und als falsch bewertet.
Journalistinnen und Journalisten von AFP in Serbien, Deutschland, Österreich und Tschechien haben sich zusammengetan, um drei Fragen zu der Behauptung zu beantworten: Lassen sich die beschriebenen Fäden tatsächlich wiederfinden? Zeigen sie tatsächlich kleine "Würmer" oder Ähnliches? Und warum scheinen sie sich zu bewegen?
Sind die schwarzen Fäden nur auf Masken zu finden?
Die schwarzen Fäden aus den Videos finden sich überall – nicht nur auf Masken und Teststäbchen. Das allein spricht gegen die These, dass sie eine Gefahr beim Tragen von Masken darstellen oder als "Würmer" absichtlich auf Masken platziert werden, um der Bevölkerung zu schaden oder sie zu manipulieren.
AFP in Serbien verwendete eine Vergrößerungs-App auf einem Smartphone, um verschiedene Alltagsgegenstände zu untersuchen. Darunter auch eine Baumwoll- und eine KN95-Maske, auf denen AFP die gleichen schwarzen Fäden fand. Die Ergebnisse zeigt die folgende Galerie.
Um was genau handelt es sich bei diesen schwarzen Fäden?
Nachdem AFP diese schwarzen Fäden überall gefunden hat, stellte sich die Frage, was diese Fäden sind und ob sie eine Gefahr darstellen. AFP hat Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gebeten, sich die Videos und Fotos anzusehen, die in den sozialen Medien geteilt wurden.
Jana Nebesarova, Assistenzprofessorin im Labor für Elektronenmikroskopie am Biologischen Zentrum der Tschechischen Akademie der Wissenschaften, erklärte am 31. März 2021 in einer E-Mail an AFP: "Höchstwahrscheinlich handelt es sich um Stofffetzen – entweder von der Kleidung der Person, die das Experiment durchgeführt hat oder von Vorhängen oder dem Teppich im Raum. Die Luft ist voll von diesen Stofffragmenten, die zusammen mit Pollen, Schimmel, Teilen abgestorbener Hautzellen, mikroskopischen Teilchen der Erde usw. frei herumschweben."
Sie fügte hinzu: "Die Maske oder ein (Tupfer für einen) Covid-19-Test kann also Fäden enthalten, die entweder während des Herstellungsprozesses oder während der Handhabung kurz vor der Verwendung dorthin gelangt sind. In jedem Fall sind sie für einen gesunden Menschen nicht gefährlich. Das sind Partikel, die wir jeden Tag einatmen. Unser Flimmerepithel (Anm. d. Red.: Teil der Schleimhäute), das unser Atmungssystem auskleidet, weiß sehr gut mit diesen fremden mikroskopischen Partikeln umzugehen."
AFP hat auch Jeffrey Marlow, Assistenzprofessor für Biologie an der Universität Boston, gebeten, das Experiment für uns durchzuführen. Er fand nach eigenen Angaben "Stränge" auf einer brandneuen Maske. "Als ich eine neue Maske aus der Tüte nahm und sie unter einem aufrechten Mikroskop von Nikon bei 80-facher Vergrößerung betrachtete, sah ich ein Netzwerk aus klaren und durchsichtigen Strängen. Ungefähr ein- oder zweimal pro Quadratzentimeter gab es dunklere Stränge, die kurz waren und sich oft aufrollten. Im Laufe meiner etwa 10-minütigen Beobachtung im Labor hat sich keiner der Stränge in der Maske bewegt", schrieb er in einer E-Mail an AFP am 5. April 2021.
Christian Scharlach, Sprecher des deutschen Herstellers D/Maske, erklärte in einer E-Mail an AFP am 7. April 2021: "Masken mit sehr guten Filtereigenschaften gegen Viren haben eine besonders gute elektrostatische Aufladung. "Diese ermöglicht es ihnen, auch kleine Viren anzuziehen und auf dem Gewebe zu fangen. Scharlach weiter: Verunreinigungen wie Fasern könnten durchaus beim Verpacken an den Masken hängen bleiben, eben weil "die Masken elektrostatisch aufgeladen sind". Das Gleiche gelte für die Umgebung, in der die Maske aufbewahrt wird. "Durch die elektrostatische Aufladung werden Fasern angezogen und gefiltert. Wenn man eine Maske zum Beispiel in der Jackentasche aufbewahrt, haften dann automatisch Fasern an der Maske", erklärte Scharlach.
Das bestätigte auch Marco Kremer vom Maskenhersteller Gehring am 8. April 2021 in einer E-Mail an AFP: "Solche Vliese werden gerne elektrostatisch aufgeladen und ziehen somit Aerosole und natürlich auch andere Dinge an, die in der Luft sind, und binden diese in ihrem Gefüge." Trotz aufwendiger Hygienestandards wie etwa einem "Sauberkeitsraum", könnten Haare oder Fasern auf den Masken nicht ausgeschlossen werden. Die Fasern seien "üblich", "ungefährlich" und "nicht besorgniserregend", schrieb Krämer.
Warum bewegen sich die Fasern?
Viele Menschen sind davon überzeugt, dass die Fasern lebende Organismen sind, weil sie sich "bewegen". Aber auch dafür gibt es eine einfache Erklärung.
Erstens sind diese "Aerosolfasern" so leicht, dass sie von Luftströmungen getragen werden, die wir als Menschen vielleicht nicht spüren. Statische Elektrizität ist eine weitere Erklärung. Außerdem haben manche Menschen die Masken unter Wasser gehalten, weil sie meinten, dass dadurch die "Würmer reagieren" würden.
Biologin Nebesarova erklärte: "Wenn Sie versuchen, ein Objekt in einem Pool zu fangen, bewegt es sich von Ihnen weg, weil Sie mit Ihrer Hand eine Welle erzeugt haben. Das Objekt bewegt sich weiter. Ähnlich verhält es sich, wenn Sie sich einem Faden mit der Spitze einer Pinzette nähern: Sie erzeugen eine Welle und der Faden bewegt sich. Das beweist jedoch in keiner Weise, dass das Teilchen lebendig ist oder sich von selbst bewegen kann."
Der rumänische Physiker Cristian Presură, leitender Forscher am Philips-Forschungslabor in Eindhoven, widerlegte die Behauptung, die Fasern seien Parasiten in einem Video am 2. April 2021 auf Youtube. Er hat das Experiment an verschiedenen Stoffen ausprobiert und festgestellt, dass es sich bei den schwarzen Fäden um Fasern handelt. "Der Dampf, der sich noch in der Maske befindet, steigt nach oben und setzt auf diese Weise etwas in Bewegung, von dem ich denke, dass es sich um eine Textilfaser handelt", sagt er in dem Video, nachdem er eine Maske auf einen Kessel gelegt hat.
"Der Dampf ist in das Textil eingedrungen, bleibt dort und kommt allmählich an die Oberfläche und bewegt diese Textilfasern (...) dann kühlen sie ab und verändern so ihre Struktur. Das ist das, was passiert. Sie reagieren auf diese Umweltveränderungen", erklärt er am Ende des Videos.
Ein ähnliches Video gibt es auch von dem deutschen Kriminalbiologen Mark Benecke, das er am 25. März 2021 veröffentlichte. Darin erklärt er ausführlich eigene Labor-Untersuchungen zu "Morgellonen". Auch er kommt zu dem Schluss, dass es sich dabei um Fasern und andere Teilchen handelt.
Auch das bestätigte Gehring-Sprecher Marco Kremer gegenüber AFP. Er erklärte, dass in den unterschiedlichen Schichten der Maske viele Fasern seien. "Mit etwas elektrostatischer Aufladung kommt ‘Leben in die Bude’, weil sich hier magnetische Phänomene feststellen lassen."
Was ergibt ein AFP-Experiment im Labor?
Um noch sicherer zu sein, zeigte AFP die Fotos der schwarzen Fäden Marina Jovanovic, Doktorin der Biowissenschaften und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für allgemeine und physikalische Chemie in Belgrad. "Das ist nur eine normale Faser – ein paar Fragmente davon", sagte sie am 6. April 2021. Hier ihr Test für AFP im Video:
Auf der nagelneuen Maske, die sie für AFP getestet hat, fand Jovanovic keinen schwarzen Faden. AFP gab ihr auch eine getragene Maske, auf der sie dann Fasern fand. Jovanovic merkte an, dass unter realen Laborbedingungen das Stück Maske unter dem Mikroskop zumindest zwischen zwei Glasschichten gelegt werden und nicht ständig mit der Hand berührt werden sollte. Eine ordnungsgemäße Untersuchung würde sich außerdem nicht nur auf ein Mikroskop stützen. In ihrem Experiment hielt sie sich allerdings nicht an solche Laborbedingungen, um näher an dem zu sein, was die Menschen in den Videos zu Hause gemacht haben.
Jovanovic erklärte: "Es ist nicht möglich, Fasern mit lebenden Organismen zu verwechseln. Fasern haben ein sich wiederholendes Muster, wir wissen, wie das aussieht, also sind es keine Mikroben." Sie betonte auch, dass die Bedingungen des "Testens" eine Rolle spielten. "Wenn Sie die Maske aufsetzen, wenn Sie sie berühren, bringen Sie verschiedene Fragmente wie Haarteile, Pflanzenfasern und alle Arten von Verunreinigungen mit. Was wir auf dieser Maske gesehen haben, waren Fragmente, keine Parasiten oder etwas Lebendiges. Es sind nur Überreste von irgendwelchen Materialien."
Um was handelt es sich bei den sogenannten "Morgellons"?
Viele der Beiträge in den sozialen Medien bezeichnen die schwarzen Fäden als "Morgellons" und behaupten, sie seien eine gefährliche Quelle für Krankheiten. Laut der Mayo Clinic, einem gemeinnützigen medizinischen Zentrum in den USA , ist die Morgellons-Krankheit ein, "unerklärlicher Hautzustand". Zu den berichteten Symptomen gehören "krabbelnde Empfindungen auf und unter der Haut, oft verglichen mit sich bewegenden, stechenden oder beißenden Insekten und Fasern, Fäden oder schwarzen, fadenförmigen Material in und auf der Haut".
Eine Studie, die von den Centers for Disease Control (CDC) in den USA? an 115 Patienten zwischen 2006 und 2008 durchgeführt wurde, berichtet, dass "keine Parasiten oder Mykobakterien nachgewiesen wurden. Die meisten Materialien, die von der Haut der Teilnehmer gesammelt wurden, bestanden aus Zellulose, die wahrscheinlich aus Baumwolle stammt."
Laut der Mayo Clinic haben einige Studien die Krankheit mit Borrelia-Spirochäten, einer Bakterien-Art, in Verbindung gebracht. Die Borrelien werden für die Lyme-Borreliose verantwortlich gemacht. Spirochäten sind an ihrer "schraubenförmigen oder spiralförmigen Form" zu erkennen, wie die Seite der Medizinischen Biologie der Universität Paris 5 zeigt. Sie sehen ganz anders aus als die Fasern, die auf Masken zu finden sind.
Screenshots von der Seite über Spirochaeten des Campus Medizinische Biologie der Universität Paris 5 (oben links), von einem Fragment auf einer Maske, das durch das Mikroskop von Marina Jovanovic beobachtet wurde (oben rechts), und von zwei auf Facebook geposteten Videos (unten), die am 6. April 2021 aufgenommen wurden
Andere Studien halten "Morgellons" für den Ausdruck einer "wahnhaften Parasitose", also einer psychologischen Krankheit. Dieser 2010 im Journal der Deutschen Gesellschaft für Dermatologie veröffentlichte Artikel bezeichnet sie als "eine fixe, irrige Überzeugung von einem Erreger, Parasiten oder kleinem Lebewesen befallen zu sein". Weiter heißt es: "Patienten berichten über medizinisch nicht nachweisbare Fasern oder Filamente in oder auf ihrer Haut, verbunden mit zahlreichen unspezifischen Symptomen und nennen dies selbst ‘Morgellons-Krankheit’, wenngleich bislang medizinische Beweise für diese Entität fehlen."
Fazit
Bei den angeblichen Würmern oder "Morgellons" handelt es sich lediglich um harmlose Fasern. Diese sind auf vielen Alltagsgegenständen zu finden und können auch bei einer streng hygienischen Maskenproduktion nicht ausgeschlossen werden. Gefährlich sind sie nicht, erklären Hersteller und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler.
AFP hat die Fasern in einem Labor untersuchen lassen. Das Ergebnis bestätigt die Einschätzung der Expertinnen und Experten.
"Morgellons" sind außerdem keine Würmer. Es handelt sich dabei möglicherweise um eine noch undefinierte psychotische Wahnvorstellung, bei der sich Betroffene lediglich einen Wurmbefall vorstellen, oder möglicherweise auch um Bakterien. Die Fäden auf den Masken stehen damit in jedem Fall nicht in Verbindung.