
Es gibt in Deutschland und Österreich keine Beweise für kranke und tote Kinder durch Masken
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- Veröffentlicht am 3. Oktober 2020 um 12:10
- Aktualisiert am 4. Oktober 2020 um 19:52
- 7 Minuten Lesezeit
- Von: Eva WACKENREUTHER, Max BIEDERBECK, AFP Deutschland
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In nur einem Tag haben über 3.500 Menschen die Behauptung geteilt, zehn Kinder in Österreich seien aufgrund von Masken erkrankt (Stand: 2. Oktober). Im Post heißt es: "Eine Ärztin bestätigt daß in Wien bereits 10 Kinder im Spital mit einer Lungenpilzinfektion wegen Tragen der Maske liegen!" Die Behauptung findet sich auch auf Twitter (hier) und in der 51.800 Follower starken Telegram-Gruppe "unzensiert" (hier).

Gleichzeitig verbreiten sich in Deutschland tausendfach Gerüchte über eine steigende Zahl maskenbedingter Todesfälle bei Kindern. Sie gehen auf einen Zeitungsartikel der Tageszeitung "Rheinpfalz" zurück, die am 7. September über ein verstorbenes 13-jähriges Mädchen in Germersheim berichtet hatte. Diese Nachricht bildet im September die Grundlage für mehrere Wellen an Behauptungen über tote Kinder durch Masken. Die erste Welle an Postings sprach noch von einem toten Kind kurz nach Erscheinen des "Rheinpfalz"-Artikels (hier, hier, hier), dann folgten zahlreiche Postings über zwei tote Kinder (hier, hier, hier oder hier), bis hin zu Postings Anfang Oktober, die von drei oder sogar vier toten Kindern sprechen (hier, hier, hier).
Die Behauptungen werden vor allem von Menschen geteilt, die die Corona-Politik der Regierung kritisieren. Darunter befinden sich auch die Anhänger jener Bewegung, die wegen des Schulterschlusses mit Verschwörungsmythologen und Rechtsradikalen kritisiert wurde - etwa während einer Großdemonstration von "Querdenken" im August in Berlin. Immer wieder spielen bei der Mobilisierung der Anhänger von "Querdenken" auch Falschinformationen im Internet eine Rolle, etwa über die Gefahr von Masken.
Wie AFP zeigen wird, legt allerdings keiner der aktuellen Postings ausreichende Beweise vor, um solche Behauptungen zu tragen.
1. Die Fälle in Österreich
Eine Google-Suche nach den zehn Kindern in Wiener Krankenhäusern ergab keine Ergebnisse, es existieren bislang keine Medienberichte darüber. Die einzige Quelle für die Behauptungen scheinen die Aussagen der nicht näher identifizierten Ärztin aus dem Post zu sein. Der Post nennt darüber hinaus dennoch einige Details, die seine Behauptungen überprüfbar machen.
Der Verfasser schreibt etwa, dass die Kinder "im Krankenhaus liegen". Die zehn Kranken müssten also in einem Wiener Krankenhaus stationär behandelt werden. Deshalb kommen nur Krankenhäuser mit Kinderstation in Frage. Ambulante Kliniken und Arztpraxen lassen sich ausschließen, weil die Kinder dort wieder nach Hause gegangen wären.
Nach Angaben der Ärztekammer für Wien und der Österreichischen Gesundheitskasse gibt es acht Krankenhäuser mit Kinderstationen in der Stadt: die Klinik Donaustadt, die Klinik Favoriten, die Klinik Floridsdorf, die Klinik Hietzing, die Klinik Landstraße, die Klinik Ottakring, das AKH und das St. Anna Kinderspital. Es gab vor kurzem Umbenennungen bei den Kliniken, so heißt zum Beispiel das ehemalige Wilhelminenspital jetzt Klinik Ottakring.
Der "Wiener Gesundheitsverbund" führt sieben dieser Krankenhäuser. Dessen Sprecherin Marion Wallner erklärt am 2. Oktober gegenüber AFP, dass kein einziges Kind mit einer Lungen-Pilz-Infektion in eines ihrer Krankenhäuser eingeliefert wurde. Ein Sprecher des vom Verband unabhängigen St. Anna-Kinderspitals bestätigte ebenfalls, dass es keinen solchen Fall im Kinderspital gebe.
Darüber hinaus nahm AFP auch mit mehreren anderen größeren Krankenhäusern ohne Kinderstationen Kontakt auf. Von zehn Kindern hatte keines von ihnen Kenntnis. Weiter hieß es in Gesprächen mit AFP: Normalerweise würden gar keine Kinder aufgenommen und wenn, dann nur für besondere Fälle wie etwa Operationen. Das Krankenhaus der Barmherzigen Brüder würde Kinder etwa bei HNO-Problemen aufnehmen, etwa im Fall einer Mandeloperation, wie ein Sprecher erklärte. Kein einziges Kind aber gebe es dort gerade mit einer Lungenpilz-Infektion.
Es gibt demnach keine Beweise dafür, dass die Behauptung des Posts über die kranken Kinder wahr ist. Keines der von AFP kontaktierten Krankenhäuser konnte einen Fall von Kindern mit Lungenpilz-Infektion bestätigen, geschweige denn zehn Fälle.
Darüber hinaus hat AFP bereits in der Vergangenheit die Behauptung entkräftet, dass Masken solche Infektionen überhaupt verursachen können. (hier)
2. Das erste Mädchen in Deutschland
Um die Akkumulation von Mythen über tote Kinder in Deutschland zu verstehen, hilft ein Blick auf das erste 13-jährige Mädchen, das angeblich an einer Maske gestorben ist.
Tatsächlich brach dieses Mädchen auf dem Heimweg im Landkreis Germersheim in einem Schulbus zusammen und starb später in einem Krankenhaus in Karlsruhe. Die zuständige Oberstaatsanwältin von Landau, Angelika Möhlig, bestätigte dies gegenüber AFP bereits im September telefonisch.
Sie bestätigte auch, dass eine Autopsie des Mädchens stattgefunden hatte. Möhlig versicherte AFP außerdem, dass die erste medizinische Untersuchung des Mädchens keine Ergebnisse gebracht hätte. Deshalb ordnete die Staatsanwaltschaft weitere Untersuchungen durch die Gerichtsmedizin an.
Auf Facebook glauben User, diese Ergebnisse bereits zu kennen: Es war die Maske. Ein weit verbreiteter Post behauptet etwa, dass es einen "Leak" der Ergebnisse der zweiten Autopsie gegeben habe. Die Behauptung: "Das Obduktionsergebnis sagt aus, dass kein medizinischer Grund für den Tod der Schülerin gefunden werden konnte. Der Atemantrieb reduzierte sich jedoch kontinuierlich und führte vermutlich zu einer Herz-Rhythmus-Störungen bis hin zu Ersticken, laut einem Arzt und dem Kardiologen des Klinikums." Im selben Posting wird auch behauptet, die Staatsanwaltschaft habe die zusätzlichen Untersuchungen angeordnet, weil sie einen "Sauerstoffmangel" bei dem Mädchen nicht ausschließe.
Aber Möhlig erklärte gegenüber AFP, dass sie und ihr Büro so etwas überhaupt nicht annehmen. Auch sagte sie: "Es konnte gar kein Ergebnis der zweiten Untersuchung durchsickern, weil es einfach noch keine Ergebnisse gibt". In der letzten Septemberwoche erhielt die Staatsanwältin schließlich so viele Presseanfragen zu dem toten Mädchen, dass ihr Büro beschloss, eine öffentliche Erklärungabzugeben. Darin heißt es noch einmal: "Die Todesursache des Mädchens ist noch nicht bekannt" und das "Ergebnis – ebenso wie das endgültige Gutachten über die Obduktion – liegt bisher noch nicht vor".
3. Das zweite Mädchen in Deutschland
Am Wochenende um den 26. September findet sich ein weiteres 13-jähriges Mädchen, das angeblich an der Maske gestorben ist. Ein bekannter Sprecher der oben beschriebenen Anti-Corona-Bewegung "Querdenken", Bodo Schiffmann, setzt das Gerücht über sie in die Welt. Er erwähnt das Mädchen in einem etwa zehnminütigen Video, das sich auf Social Media verbreitet.
Schiffmann liefert allerdings keine Beweise für seine Aussage, nicht einmal Hinweise. Er sagt nur: "Jetzt fragen wieder ein paar Menschen nach Quellen", und fährt fort: "Ich bin die Quelle und ich werde meine Informanten nicht in die Schusslinie bringen."

Bodo Schiffmann behandelt normalerweise Patienten in seiner Praxis in Sinsheim gegen Schwindel, seit Beginn der Corona-Maßnahmen aber hat er sich zu einem der berüchtigtsten deutschen Aktivisten gegen die Corona-Maßnahmen der Regierung entwickelt. AFP hat sich sein Video komplett angesehen. Darin sagt Schiffmann, in der Regierung säßen “Faschisten" und "diese Faschisten gehen an unsere Kinder". Er bezieht sich auch auf den bekannten deutschen Verschwörungsmythologen Attila Hildmann und sagt: "In meinem Herzen bin ich mit ihm".
Im Video wiederholt Schiffmann außerdem immer wieder die selbe Behauptung "13 Jahre. Zwei Kinder. Tot. Wegen einer Maske". Der Arzt produziert damit nicht nur einen zweiten Todesfall, sondern er verwandelt auch nachträglich den ersten überhaupt nicht bestätigten Todesfall in eine Tatsachenerzählung.
4. Das dritte Mädchen und das vierte Kind
Ende September gibt es bereits Tausende von Beiträgen zum Thema, viele Menschen teilen etwa Beileidsbekundungen für das tote Mädchen mit schwarzer Schleife. Doch noch einmal taucht ein neues Kind auf, diesmal handelt es sich um ein sechsjähriges Mädchen aus Schweinfurt, das angeblich wegen einer Maske gestorben sei (hier oder hier).
Und wieder verbreitet auch Bodo Schiffmann ein Video über das dritte tote Kind durch Maske. Es wird von Attila Hildmanns in dessen 84.000 Follower starken Telegram-Gruppe weitergeleitet. (hier)
Die Behauptungen über die Sechsjährige verbreiten sich so schnell, dass die Polizei vor Ort selbst beschließt, eine Stellungnahme auf Facebook zu veröffentlichen: "Seit Dienstag verbreiten sich auf Social Media Falschmeldungen über den angeblichen Tod eines 6-jährigen Mädchens in #Schweinfurt. In den Beiträgen wird behauptet das Kind wäre aufgrund der Maskenpflicht gestorben. Ein solcher Fall ist uns in ganz Unterfranken, insbesondere im Raum Schweinfurt nicht bekannt. Schenkt diesen #fakenews bitte keinen Glauben und teilt sie auf keinen Fall."
Schließlich wird Anfang Oktober in vielen Beiträgen ein viertes Kind erwähnt. Dieses Kind hat nicht einmal mehr eine Hintergrundgeschichte oder einen Ort, an dem es gestorben sein soll. Es ist nur die Nummer "4" auf mehreren Bildern.

Fazit
Die zehn Kinder in Wien sind das aktuellste Beispiel für eine steigende Zahl an Behauptungen über Kinder, die unter ihren Masken leiden oder sogar daran sterben. In keinem dieser Fälle gibt es Beweise für die Behauptungen.
Die von AFP kontaktierten Krankenhäuser in Wien wissen von keinen Kindern mit Pilzinfektion in der Lunge. Das erste 13-jährige Mädchen in Deutschland ist tatsächlich gestorben, aber angebliche Hinweise auf die Maske als Grund dafür widerlegt die Staatsanwaltschaft. Die Existenz des zweiten und des dritten toten Mädchens ist nicht einmal bewiesen. Und das vierte Kind wird nur noch als Nummer ohne jeglichen Hintergrund in den sozialen Medien erwähnt.