
So entstanden die Bilder einer Spritze ohne Nadel
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- Veröffentlicht am 17. Dezember 2020 um 17:54
- Aktualisiert am 17. Dezember 2020 um 18:05
- 4 Minuten Lesezeit
- Von: Eva WACKENREUTHER, AFP Deutschland
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Seit Mitte Dezember haben mehr als tausend Nutzerinnen und Nutzer das Video mit der "nadellosen Impfung" geteilt (hier oder hier). Die Kamera filmt darin kurz einen Fernsehbildschirm ab, verschwommen ist darauf die Impfung einer Frau mit einer Spritze ohne Nadel zu sehen. "Ups da hat wohl jemand für die Medienwirksame Impfung die Nadel vergessen", schreibt ein User, ein anderer kommentiert: "Na, da hat das Fernsehteam der 'Aktuellen Kamera' wohl dummerweise die Nadel für das Propaganda-Video vergessen." Zum Hintergrund: Bei der "Aktuellen Kamera" handelte es sich um die Nachrichtensendung des staatlichen Fernsehsenders der DDR.

Behauptungen, wonach Medien Falschinformationen und dramatisierende Bilder verwendeten, um die Krise zu inszenieren, tauchen seit Beginn der Corona-Zeit immer wieder auf. Hier etwa hat AFP vermeintlich gestellte Bilder von Corona-Leichen überprüft. Dieser Faktencheck widerlegte, dass eine Zeitung angeblich einen Corona-Toten erfunden hatte. Im September teilten Nutzer außerdem ein Corona-Notfall-Training in Berlin als Beweis für gestellte Bilder der Pandemie. Auch diesen Fall hatte AFP damals überprüft. Das jetzt verbreitete Video der nadellosen Spritze setzt diese Reihe nun fort.
AFP fand bei der Recherche eine frühere Version des jetzt verbreiteten Clips vom 14. Dezember. Er ist nur drei Sekunden länger, an seinem Ende zoomt er aber etwas aus der Bildmitte heraus. Dadurch lassen sich zwei zusätzliche Details erkennen: Erstens steht im Beitrag die Einblendung "Radikalisierung von Impfgegnern" und zweitens das verschwommen gezeigte Logo des Fernsehsenders von "Welt".
Einen weiteren Hinweis auf den Ursprung liefert die Tonspur der gerade verbreiteten Aufnahme. Eine weibliche Kommentatorin sagt dort folgendes (Anfang und Ende der Aufnahme brechen ab): "(…) die FDP Bund und Länder aufgefordert, ein Sicherheitskonzept vorzulegen. Impfzentren sowie die Lager und Transporte der Impfstoffe seien sensible Ziele und die Szene der Corona-Leugner habe gezeigt (…)." Die Forderung nach dem Schutz von Impfstoffen kam von FDP-Politiker Konstantin Kuhle, er hatte sie am 9. Dezember im Gespräch mit dem "Mannheimer Morgen" gestellt. Auch die "Welt" berichtete am selben Tag darüber, allerdings kommen in diesem Beitrag die gesuchten Bilder von der nadellosen Spritze nicht vor. Klar ist dadurch aber: Das verbreitete Video kann nicht vor dem 9. Dezember entstanden sein.

Mit diesen drei Hinweisen hat AFP nach Inhalten von "Welt" zum Thema seit dem 9. Dezember gesucht. Ein Beitrag mit dem Titel "Sorge um Sicherheit von Impfzentren: Innenminister warnen vor Radikalisierung der Impfgegnern" des Senders auf YouTube enthält die aktuell verbreiteten Aufnahmen. Auch die Einblendung "Radikalisierung von Impfgegnern“ taucht im Beitrag auf. Ab Sekunde 14 impft ein Mann in gelber Schutzkleidung eine Frau. Diese Aufnahme mit höherer Auflösung zeigt, dass die Spritze tatsächlich keine Nadel enthält, außerdem scheint sie gänzlich leer zu sein.
Eine erste Erklärung dazu gibt ein anderer "Welt"-Beitrag vom 11. Dezember, den AFP ebenfalls mit Hilfe der drei Hinweise gefunden hat. Darin wird dasselbe Filmmaterial ebenfalls verwendet, die Beitragsstimme sagt dazu: 2Hier in den Impfzentren soll sie beginnen, die Immunisierung gegen Covid-19. Bundesgesundheitsminister Spahn rechnet damit, dass spätestens im Januar der erste Pieks gesetzt werden kann, so wie hier beim Probelauf." Tatsächlich finden in zahlreichen deutschen Städten solche Übungen in Impfzentren statt, etwa in Essen, in Stuttgart oder in Hanau (mehr dazu hier).
AFP hat "Welt" kontaktiert. Eine Sprecherin bestätigte am 16. Dezember, dass die Aufnahme eine Probe-Impfung zeigen: "Der Beitrag wurde von WELT Nachrichtensender am 5.12.2020 in Darmstadt während eines logistischen Probelaufs für die Corona-Impfung produziert." Der Sender habe den Beitrag dann lediglich mehrfach am 12. Dezember in den Nachrichten ausgestrahlt. Durch das wechselnde Moderationsteam seien unterschiedliche Stimmen zu hören – die im auf Facebook geteilten Beitrag sei jene von Moderatorin Lena Mosel. Die Stadt Darmstadt selbst hatte eine Mitteilung herausgebracht, die den Probelauf beschreibt.
In der Mitteilung erklärte Oberbürgermeister Jochen Partsch: "Der heutige Testlauf sollte möglichst realitätsnah sein. Es ging uns darum, zu prüfen, ob die Abläufe stimmen, der Platzbedarf fürs Einchecken, für die ärztliche Aufklärung und fürs Impfen richtig bemessen ist. Wichtig war auch herauszufinden, ob bei der Technik noch Korrekturen nötig sind."
AFP hat die Stadt noch einmal kontaktiert. Die gezeigte Szene sei bei einer anschließenden Führung für Medien am 5. Dezember nach dem vom Bürgermeister beschriebenen Testlauf im Impfzentrum entstanden, erklärte ein Sprecher. "Zu Schnittbildzwecken ließ sich dabei eine Mitarbeiterin der Stadt vom Personal 'impfen'" schrieb der Stadtsprecher. Schnittbilder sind kurze Einstellungen im Filmschnitt, die eine Szene illustrieren und das Schneiden von Aufnahmen in einem Beitrag möglich machen. Bei der vorausgegangenen Übung habe es keine solchen nadellosen Spritzen gegeben, erklärte der Sprecher weiter.
Fazit: Die Spritze hatte keine Nadel. Um ein "aufgeflogenes Versehen" handlte es sich auch nicht. "Welt" hat am 5. Dezember solche Szenen in einem Darmstädter Impfzentrum aufgenommen und anschließend zur Berichterstattung über Impfzentren verwendet. Aufnahmen von echten Corona-Impfungen sind auch schwer möglich, da die noch gar nicht begonnen haben. Deutschland peilt einen Start der Impfungen noch im Dezember an, Österreich hat ebenfalls einen Beginn zu Jahresende in Aussicht gestellt. Die EU-Kommission hatte einen Start der Impfungen in Europa ab 27. Dezember angekündigt.