Dieser Professor verbreitet falsche Informationen über die Folgen von Corona-Impfungen ( AFP / )

Dieser Professor verbreitet falsche Informationen über die Folgen von Corona-Impfungen

Social Media-User haben weltweit ein Radio-Interview geteilt, in dem der Immunologe Byram Bridle mit angeblich wissenschaftlichen Quellen "beängstigende" Gefahren durch mRNA-Impfungen gegen Covid-19 entdeckt haben will. Der Professor der kanadischen Guelph Universität erklärte Ende Mai, eine Impfung führe zur angeblichen Ausbreitung von giftigen Spike-Proteinen im Blutkreislauf, was wiederum Anlagerungen in Organen, Blutverklumpungen, Unfruchtbarkeit und Hirnschäden auslöse. Über die Muttermilch seien auch gestillte Säuglinge in Gefahr. Die von Bridle selbst genannten Quelle lässt diesen Schluss aber gar nicht zu. Internationale Behörden, Expertinnen und Experten widersprechen seinen Behauptungen.

Für die Autoren bekannter deutscher Anti-Corona-Blogs liefert das Interview den Beweis für einen Impfskandal. "Reitschuster", "Alschner Klartext", "Uncut News" und andere (hier, hier) haben im Juni darüber geschrieben. Zehntausende Facebook-User haben es geteilt (hier, hier, hier). Auf Telegram erreichte es Hunderttausende Nutzerinnen und Nutzer (hier, hier, hier).

All diese Postings behandeln ein Gespräch des kanadischen Forschers Byram Bridle mit dem Radiosender "Global News" am 28. Mai. Bridle will darin zusammen mit weiteren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zum ersten Mal Zugang zu einer bis dahin angeblich unveröffentlichten japanischen Pfizer-Studie bekommen haben. Sie stelle die bisherige Sicherheitsbewertung der mRNA-Impfstoffe gegen Covid-19 von Biontech/Pfizer und Moderna als Fehler dar, gibt Bridle an. Er präsentiert davon ausgehend folgende Behauptungen:

"Das Spike-Protein gelangt ins Blut, zirkuliert im Blut über mehrere Tage nach der Impfung. Es reichert sich an, sobald es ins Blut gelangt und lagert sich in einer Reihe von Geweben an, wie der Milz, dem Knochenmark, der Leber, den Nebennieren, und, was für mich besonders besorgniserregend ist, es reichert sich in ziemlich hoher Konzentrationen in den Eierstöcken an." Die angeblich durch weitere Studien wissenschaftlich belegte Gefahr: Blutverklumpung, Herzprobleme, Hirnschäden, Unfruchtbarkeit und eine Übertragung der Gefahr auf Säuglinge über die Muttermilch.

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Global News-Screenshot: 11.06.2021 ( AFP / )

Wer ist Byram Bridle?

Byram Bridle ist Professor der viralen Immunologie an der kanadischen Guelph-Universität. Veröffentlichungen in der wissenschaftlichen Datenbank PubMed belegen, dass er tatsächlich in der Krebs- und Virologie-Forschung aktiv ist.

Bridle taucht außerdem mehrfach als Experte bei einer Ärzt*innen-Vereinigung auf, die in Zusammenhang mit der coronakritischen "Front Line Covid-19 Critical Care Alliance" (FLCCC) steht. AFP hat diese bereits in diesem Faktencheck überprüft.

AFP hat am 10. Juni die Guelph-Universität nach den Hintergründen von Bridles Radio-Äußerungen gefragt. Eine Sprecherin teilte mit, dass die Meinung von Forscherinnen und Forschern nicht der Haltung der Universität entsprechen müsse. Weiter schrieb sie in einer E-Mail: "Die Universität ermutigt nachdrücklich alle, die für eine Impfung infrage kommen, sich impfen zu lassen."

AFP hat außerdem am 10. Juni die kanadische Initiative "Science Up First" um eine Einschätzung zu Bridle gebeten. "Science Up First" ist ein Zusammenschluss von Forschenden, Gesundheitsdienstleistenden und Wissenschaftskommunikator*innen, die mit Unterstützung der kanadischen Regierung Falschinformationen zum Thema Covid-19 online entkräftet. Eine Sprecherin schrieb in einer E-Mail: "Obwohl wir keine Verbindung zu Byram Bridle haben, sind wir uns der Fehlinformationen bewusst, die er und die Allianz verbreiten, und wir arbeiten daran, diese zu widerlegen." (Hier gibt es erste Ergebnisse dieser Arbeit)

Bridle hat im Global-News-Interview versprochen, die Quellen für seine dort aufgestellten Behauptungen nachzureichen. Auf der Radioseite waren bis zur Veröffentlichung dieser Prüfung allerdings keine weiteren Quellenangaben zu finden. Weder Bridle noch Global News reagierten auf eine AFP-Anfrage. Auf der der Homepage der Ärzt*innen-Vereinigung ist ein Dokument von Bridle mit ähnlichen Behauptungen und wenigen zusätzlichen Quellen zu finden.

Die japanische "Studie" und was sie untersuchte

AFP hat zunächst die genannte Original-Studie gesucht und den Pharmahersteller Pfizer zum Hintergrund und der Herkunft der Studie angeschrieben. Pfizer-Sprecherin Maki Yamaguchi erklärte am 17. Juni in einer E-Mail an AFP, dass es sich bei der "Studie" um ein "Common Technical Document" handelt. Das sei ein internationales Standardformat im Zulassungsprozess verschreibungspflichtiger Medikamente. "Das Dokument ist Teil der Dateneinreichung, die von Pfizer bei der japanischen Behörde für Arzneimittel und Medizinprodukte (PMDA) zur Überprüfung getätigt wurde", erklärte Yamaguchi. Konkret handelt es sich beim genannten Bericht um eine Kontrolle der wichtigen Substanzen ALC-0315 und ALC-015 der Corona-Impfung von Biontech/Pfizer. (Dazu gleich mehr)

Eine komplette englische Übersetzung des Kontrollberichts gibt es bisher nur von Unbekannten.

Die PDMA hatte die Ergebnisse der Berichte allerdings schon 2020 veröffentlicht. Die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) beurteilte sie bereits in einer ausführlichen und öffentlich zugänglichen Zusammenfassung mehrerer Berichte und Studien zum Pfizer-Impfstoff am 19. Februar 2021. Auch das britische Gesundheitsministerium präsentierte am 11. Dezember 2020 eine Zusammenfassung der Ergebnisse. Die US-Arzneimittelbehörde FDA hatte den japanischen Bericht schon am 10. Dezember 2020 beschrieben.

Konkret hat Pfizer demnach eine sogenannte Biodistribution-Studie durchgeführt, also eine Studie über die Verbreitung seines Impfstoffs im Körper von Mäusen. Einfach ausgedrückt: Die Wissenschaftler*innen spritzten Mäusen eine radioaktiv markierte Mischung mit mRNA, in der auch die oben aufgeführten ALC-Substanzen enthalten waren. Durch diese Markierung konnten die Forscher die Verteilung der mRNA in den Körpern der Tiere überwachen.

Um die Inhalte des Berichts unabhängig zu bestätigen, hat AFP den Neurologen Dr. Amane Koizumi vom National Institute of Natural Sciences in Japan zum Inhalt des japanischen Dokuments befragt. Am 15. Juni bestätigte er die obige Zusammenfassung der Studieninhalte.

Falsche Behauptung: "Das Spike-Protein verbreitet sich über den Blutkreislauf im Körper"

Bridle behauptet nun, dieses Dokument belege, dass das Spike-Protein sich über den Blutkreislauf im Körper verbreite und sich in Milz, Knochenmark, Leber, Nebennieren und in den Eierstöcken anreichere. Blog-Artikel zum Interview sollen seine Aussage zusätzlich mit einer Tabelle aus dem Pfizer-Dokument belegen, in der das genannte Gewebe gelb markiert wurde.

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Ergebnistabelle aus dem übersetzten Dokument vom 14.06.2021 ( AFP / )

Diese Behauptung ist allerdings aus mehreren Gründen falsch – AFP erklärt diese im Folgenden. Zuvor ist es wichtig zu wissen, wie die mRNA-Impfung funktioniert. Hier im Video erklärt:

1. Japanisches Dokument belegt keine Verbreitung von Spikes im Körper

Wie bereits in der Zusammenfassung der EMA erklärt, wurden in der Studie, die im japanischen Dokument beschrieben wird, Mäusen und Ratten lediglich eine radioaktiv markierte Lipid-Nanopartikel-mRNA-Mischung (LNP) gespritzt.

Die Ergebnisse in der Tabelle zeigen demnach nicht die Verteilung von Spike-Proteinen, sondern der LNP/mRNA-Mischung an. Das Studienteam stellte lediglich fest, dass das LNP-Gemisch vor allem an der Injektionsstelle (im Muskel) und in der Leber der Mäuse zirkulierte. In deren Milz, den Nebennieren und den Eierstöcken waren die Mengen ebenfalls erkennbar, die Konzentration aber deutlich geringer.

Das bestätigt auch der japanische Wissenschaftler Amane Koizumi, der für AFP das Pfizer-Dokument gelesen hat: "Das Experiment testet nicht, ob das Spike-Protein, das durch mRNA in Zellen produziert wird, im Blut zirkuliert. Es ist nicht möglich zu sagen, dass das Spike-Protein selbst zirkuliert." Auch zeige die Tabelle keine Spikes an: "Sie zeigt die Verteilung und den zeitlichen Verlauf der Verteilung von Lipiden aus injiziertem LNP innerhalb jedes Organs an. Die linke Seite zeigt die absolute Konzentration, die rechte Seite den Prozentsatz der injizierten Gesamtmenge."

Prof. Dr. Daniel Sauter, Forschungsleiter der Gruppe "Mechanismen der angeborenen antiviralen Immunität" an der Universität Tübingen, schrieb am 11. Juni in einer E-Mail an AFP: "In dem Dokument wird an keiner Stelle die Ablagerung oder Konzentration von Spike-Protein in den Versuchstieren untersucht. Der methodische Ansatz der Studie lässt diesen Schluss nicht zu."

AFP hat am 11. Juni auch mit Frank Kirchhoff telefoniert. Er ist Direktor am Institut für Molekulare Virologie an der Uniklinik in Ulm. Er erklärte: "Nur, weil ich Vesikel einer mRNA-Impfung radioaktiv markiere und danach an anderen Stellen im Körper beobachte, bedeutet das noch nicht, dass dort auch Spike-Proteine, geschweige denn frei bewegliche Spike-Proteine vorkommen. Dazu müssten die Vesikel der Impfung dort erst einmal mit den Zellen fusionieren und ob dies geschieht, zeigt die radioaktive Markierung allein nicht."

Bridle spricht dennoch von einer Anreicherung der vermeintlichen Spike-Proteine in den Organen. Was er dabei auslässt: Das untersuchte LNP-Gemisch sammelt sich laut EMA-Zusammenfassung nur eine gewisse Zeit an und wird danach vom Körper ausgeschieden. So war die höchste Konzentration im Blutplasma bereits in weniger als zwei Stunden nach Verabreichung erreicht. 24 Stunden nach der Injektion war nur noch ein Prozent der Konzentration im Plasma zu finden.

2. Tierversuch nicht sicher auf Menschen übertragbar

Tierversuchsstudien können Hinweise auf die Verträglichkeit und die Funktion von Impfstoffen geben (mehr dazu hier). Ob die japanische Studie aber auf Menschen übertragbar ist, ist laut dem Virologen Kirchhoff unklar. Er erklärte: "Das kann nur einen ersten Hinweis liefern, lässt sich aber nicht ohne Weiteres auf den Menschen übertragen. Eine Injektion in den menschlichen Muskeln ist leichter und effektiver zu setzen. Ratten sind kleiner, ihre Muskel sind kleiner, die Abstände im Körper kürzer und der Stoffwechsel schneller."

Laut EMA-Zusammenfassung war auch die Dosis der mRNA-Injektion nicht mit der bei Menschen verwendeten Impfdosis vergleichbar. Die verabreichte Dosis bei den Mäusen war 300-1000 Mal höher als die bei Impfungen von Menschen.

3. Impfschäden müssten bereits sichtbar sein

Würden sich Spikes im Körper verteilen, in den Organen anlagern und die von Bridle behaupteten Schäden auslösen, müssten diese bereits bei Geimpften auf der ganzen Welt sichtbar sein. Die Anlagerung und die dadurch ausgelösten unerwünschten Effekte müssten bereits kurz nach der Impfung beginnen, wenn die Konzentration an mRNA und die dadurch ausgelöste Spike-Produktion hoch ist, erklärte Kirchhoff. Die meisten Impfkampagnen begannen im Dezember 2020. Mittlerweile sind viele Millionen Menschen mit mRNA-Impfstoffen behandelt worden und die Effektivität und Nebenwirkungen intensiv untersucht (siehe hier, hier). Die bisherigen Ergebnisse würden eine hohe Wirksamkeit und Sicherheit belegen, sagt auch Kirchhoff.

Das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) verzeichnete in Deutschland bei rund 40,5 Millionen Erst-Geimpften und rund 22 Millionen vollständig Geimpften bis zum 31. Mai 2021 79.106 gemeldete Verdachtsfälle von Nebenwirkungen im zeitlichen Zusammenhang mit allen vier Impfstoffen. Ein ursächlicher Zusammenhang ist dabei noch nicht gegeben. Häufigste gemeldete Nebenwirkungen sind dabei "Allgemeine Erkrankungen und Beschwerden am Verabreichungsort". Mit anderen Worten: Reaktionen auf die Injektion in den Oberarm. Erkrankungen des Nervensystems wurden weniger als halb so oft gemeldet und bilden die zweitgrößte Meldegruppe. Gefäßerkrankungen und Erkrankungen der Geschlechtsorgane sind in der Übersicht des PEI verschwindend gering.

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Impfdashboard-Screenshot: 17.06.2021 ( PEI/AFP / )

Bridle spricht auch angebliche Herzprobleme als Impffolge an. Laut Medienberichten könnte es tatsächlich nach mRNA-Impfungen in seltenen Fällen eine Herzmuskelentzündung gegeben haben (hier, hier). Laut israelischem Gesundheitsministerium sind solche Entzündungen besonders nach der zweiten Impfung als mögliche Nebenwirkung aufgetreten. Noch sei unklar, ob die Anzahl der Personen mit einer solchen Erkrankung ungewöhnlich hoch sei. Der Großteil der Erkrankten sei aber "in guter Verfassung" aus dem Krankenhaus entlassen worden. Ein ursächlicher Zusammenhang sei wahrscheinlich, müsse aber noch geprüft werden (hier, hier). Das Paul-Ehrlich-Institut beobachtete wenige ähnliche Fälle in Deutschland (hier). Was genau eine solche Entzündung auslöst, ist bisher nicht bekannt.

4. Selbst eine eventuelle Produktion von Spikes wäre nicht gefährlich

Eine Studie über das im Corona-Virus aktive Spike-Protein im Fachjournal "Circulation Research" hatte im April tatsächlich gezeigt, dass Spikes bei schweren Infektionen Schäden im Körper anrichten können. Schon damals behaupteten Impfgegner deshalb, dass Covid-Impfungen, basierend auf Spike-Proteinen, gefährlich seien. AFP hatte das bereits entkräftet, unter anderem mit dem Argument, dass Spikes nach Impfungen nicht frei im Körper zirkulieren.

Genau die Zirkulation will Bridle jetzt aber bestätigt haben, auch wenn die von ihm angeführte Studie diesen Schluss gar nicht zulässt. Doch selbst wenn es eine solche Produktion geben würde, erklärt der Tübinger Forscher Daniel Sauter: "Der Nachweis von freiem Spike-Protein außerhalb der Injektionsstelle wäre nicht zwangsläufig mit Nebenwirkungen oder Toxizität verbunden und daher an sich nicht beunruhigend. Im Organismus zirkulieren Hunderttausende Proteine, die in verschiedenen Organen verstoffwechselt und abgebaut werden. Das Vorhandensein körperfremder Proteine im Blut ist nicht unbedingt mit toxischen Effekten verbunden."

Peter Murray, Forschungsgruppenleiter für Immunregulation am Max-Planck-Institut erklärte Ähnliches gegenüber AFP am 2. Juni in einer E-Mail. Er ergänzte, dass körperfremde Stoffe immer aus dem Körper entfernt würden. Ausnahme seien etwa von klein auf tolerierte Nahrung, Darmbakterien, Kleidung am Körper. Das Spike-Protein gehöre aber nicht zu diesen Ausnahmen. "Das bedeutet, dass es, egal was passiert, eingefangen und entfernt wird", erklärte Murray.

Nur sehr große Mengen an Spike-Proteinen, die nach der Impfung nicht erreicht werden, können eine toxische Wirkung entfalten, dazu mehr im nächsten Kapitel.

Zwischenfazit

Das von Bridle angeführte japanische Dokument beweist keine Zirkulation von Spike-Proteinen im Körper, sondern lediglich das Vorhandensein einer überdosierten und markierten mRNA-Mischung im Körper von Mäusen. Bei den Begutachtungen europäischer Gesundheitsdienste wurde das mit einbezogen und als ungefährlich bewertet. Einen Beweis für eine gefährliche Ansammlung von Spike-Proteinen im Körper liefert der Pfizer-Bericht damit nicht. Selbst wenn freie Spike-Proteine im Körper zirkulieren würden, wäre das kein Problem. Die Gefahr hängt Experten zufolge von einer kritischen Menge ab, die nach einer Impfung nicht erreicht wird. Keinesfalls kommt es laut des japanischen Berichts zu einer Anlagerung von Spikes im Gewebe, der Körper würde die geringe Menge an Proteinen einfach wieder abbauen.

Irreführende Behauptung: "Spike-Proteine sind toxisch und gefährlich"

Bridle führt in seinem Interview zwei Behauptungen irreführend zusammen: Zum Einen sagt er, Spike-Proteine seien toxisch. Zum Anderen behauptet er, dass laut einer Studie bei elf von 13 geimpften Gesundheitsmitarbeiter*innen Spike-Proteine im Blut gefunden worden seien. Das Studienergebnis wird von Bridle allerdings falsch interpretiert, die Toxizität von Spike-Proteinen überschätzt.

Bridle führt im Interview eine zweite Studie von Forschenden der Universität Harvard an, um seine These über die angebliche Verbreitung der Spike-Proteine zu stützen. Darin wurden 13 mit Moderna geimpfte Gesundheitsmitarbeiter*innen untersucht. Angeblich seien bei elf von 13 Geimpften Spike-Proteine im Blutkreislauf gefunden worden.

AFP hat den Professor für Pathologie an der Harvard Medicine School, David Walt, zur Studie befragt, an der er mitgearbeitet hat. Er schrieb am 11. Juni in einer E-Mail: "Bridle nimmt unsere Ergebnisse und interpretiert sie völlig falsch."

Walt erklärte, dass das Ziel der Studie der Nachweis für eine Antigen-Zirkulation gewesen sei. Bei elf Geimpften seien Teile von Spike-Proteinen und lediglich bei drei Geimpften vollständige Spikes im Blutplasma gefunden worden. Warum genau das passiert, wird in der Studie lediglich gemutmaßt. Die Forscher fanden aber heraus, dass die Konzentration der Sars-Cov-2-Proteine abnahm, während die Antikörper-Konzentration zunahm. Bei allen Geimpften sind die Teil-Spikes nach 14 Tagen aus dem Plasma verschwunden. Die vollständigen Spikes bei den drei Geimpften waren nur nach der ersten Impfung nachweisbar und verschwanden nach der zweiten Dosis ebenfalls.

Auch, wenn sie schnell wieder aus dem Körper verschwinden, stellt sich die Frage: Sollten Geimpfte sich nun wegen diesen von Bridles als giftig bezeichneten Spikes Sorgen machen?

Walt antwortete:

"Bridle verwechselt die toxischen Wirkungen hoher Konzentrationen von Spike-Protein bei einigen infizierten Patienten mit den sehr niedrigen Spike-Konzentrationen, die bei einigen unserer geimpften Studienteilnehmer gefunden wurden. Es ist wahr, dass die Spikes, die bei einigen schweren Infektionen auftreten, toxisch sind. Die Werte, die wir nach der Impfung bei einigen Personen messen, sind unglaublich niedrig, und wir fanden bei den meisten geimpften Personen keine vollständigen Spikes. Unsere Schlussfolgerung war, dass der Impfstoff wie beabsichtigt wirkt. Der Impfstoff ist unglaublich sicher!"

Auch Virologe Kirchhoff bestätigte zur Giftigkeit von Spikes: "Ich bezweifle, dass die Mengen an freiem Spike-Protein, die möglicherweise nach einer Impfung entstehen könnten, ausreichen, um schädliche Nebenwirkungen hervorzurufen."

Christian Münz, Professor für Virale Immunbiologie an der Universität Zürich, bestätigte das gegenüber AFP bereits am 6. Mai. Er schrieb in einer E-Mail: "Damit das Spike-Protein Endothelzellen in Blutgefäßen schädigen könnte, müssten davon große Mengen im Blutstrom vorliegen." Die sei aber nach Impfungen eben nicht der Fall.

mRNA-Impfungen wurden ausgiebig bewertet und getestet

Für Bridles Behauptung gibt es keine Belege. Ganz im Gegenteil: Pfizer hat im Rahmen der Zulassung weitere wiederholte Studien zur Toxizität des mRNA-Impfstoffs durchgeführt (Studienkennung 38166 und 20GR142).

Laut der EMA-Bewertung kam dabei heraus, dass der getestete Impfstoff keine negativen Auswirkungen auf die Fruchtbarkeit und Sterblichkeit der geimpften Tiere hat. Dort heißt es: "Der Ausschuss für Humanarzneimittel (CHMP) ist der Ansicht, dass die nicht klinischen Daten auf der Grundlage konventioneller Studien zur Toxizität bei wiederholter Verabreichung sowie zur Reproduktions- und Entwicklungstoxizität keine besondere Gefahr für den Menschen erkennen lassen."

Die Phase 3-Studie der mRNA-Impfung von Pfizer lieferte ebenfalls genug belastbare Daten, um den Impfstoff auf den Markt bringen zu dürfen. Bei 43.448 Injektionen waren laut Studie schwerwiegende unerwünschte Ereignisse gering und in der Impfstoff- und Placebo-Gruppe ähnlich verteilt. Die tatsächlich mit mRNA Geimpften berichteten lediglich von kurzzeitigen, leichten bis mäßigen Schmerzen an der Injektionsstelle, Müdigkeit und Kopfschmerzen.

Nach der mRNA-Impfung habe es zwar laut einem zusammenfassenden Dokument der britischen Aufsichtsbehörde vom 11. Dezember 2020 Reaktionen an der Injektionsstelle, den Lymphknoten, im Knochenmark und in der Milz gegeben. Das sei "mit einer Immunantwort oder Entzündung an den Injektionsstellen vereinbar" und "typisch für die Verabreichung" solcher Gemische. Auch die US-amerikanische Zulassungsbehörde (hier) kommt zu dem Verständnis der Pfizer-Studien, dass die Impfstoffe nicht giftig sind.

Zusätzliche Behauptungen ohne Quellenangaben

Byram Bridle stellt in dem Interview noch weitere Behauptungen auf, ohne die wissenschaftliche Grundlage dafür konkret anzugeben. Auch im Papier auf der Homepage der CCCA tauchen diese Thesen auf. Auch dort fehlen die Quellen.

Falsche Behauptung: "Spike-Proteine führen zur Blutverklumpung"

Die Behauptung, Spike-Proteine würden zum Zellsterben und zur Blutverklumpung führen, ist falsch. AFP hat diese bereits im Februar 2021 im Zusammenhang mit einer Studie des Paul-Ehrlich-Instituts geprüft. In diesem Faktencheck kam AFP nach zahlreichen Expertengesprächen zum Fazit: "Die Corona-Impfung, so bestätigten sowohl der Studienleiter als auch andere Expertinnen und Experten auf AFP-Anfrage, könne solche unkontrollierte Zellfusionen überhaupt nicht auslösen. Die behauptete Lebensgefahr besteht nicht." Auch Bridle hat aktuell nichts Gegenteiliges bewiesen.

Falsche Behauptung: "mRNA wird über Muttermilch an Säuglinge übertragen"

Bridle behauptet ohne Quellenangabe, dass mRNA und Spikes aus Impfungen über die Muttermilch von Stillenden an Säuglinge übertragen würden und bei diesen Blutungen im Magen-Darm-Trakt auslösen könnten.

AFP hat diese Behauptung bereits im Zusammenhang mit einem angeblichen Kindstod im Mai 2021 geprüft. In diesem Faktencheck sind sich Expertinnen und Experten einig, dass mRNA aus Impfungen nicht in die Muttermilch und somit auch nicht ins Baby gelangen kann. Eine Gefahr für Säuglinge sei nicht plausibel. Auch hier greift außerdem das Argument, dass Spikes nicht in großer Menge durch den Körper wandern können.

Falsche Behauptung: "Spike-Proteine durchbrechen die Blut-Hirn-Schranke und verursachen Hirnschäden"

Bridle behauptet weiter ohne Quellen, dass die Spike-Proteine die Blut-Hirn-Schranke durchbrächen würden und neurologische Schäden anrichteten. Diese Behauptung hat AFP bereits im Mai in einem Faktencheck auf Französisch widerlegt.

Darin erklärte Daniel Dunia, Forschungsleiter im französischen Zentrum für wissenschaftliche Forschung CNRS, gegenüber AFP, es handele sich bei dieser Behauptung um "absolute Fake-News". "Der mRNA-Impfstoff wird in den Muskel injiziert, und die Ausbildung des Spike-Proteins wird auf die Zellen beschränkt, die die Immunantwort auslösen sollen. Die mRNA ist instabil und wird schnell abgebaut", schrieb er.

"Selbst während einer natürlichen und starken Covid-Infektion gibt es keine direkten Hinweise auf eine Schädigung der Blut-Hirn-Schranke, die direkt mit dem Virus zusammenhängt", erklärte er weiter. Am 14. Juni bestätigte Dunia erneut gegenüber AFP in einer E-Mail, dass es aktuell für die Behauptung, dass mRNA-Impfstoffe neurodegenerative Erkrankungen verursachten, keine wissenschaftliche Grundlage gebe.

Zum Thema kursiert in den sozialen Medien eine Studie mit Mäusen, die der Bundestagsabgeordneten Karl Lauterbach (SPD) geteilt hat. Darin wurden Teile von Spikes im Gehirn der Tiere nachgewiesen. Das bedeute laut Studie ein Überschreiten der Blut-Hirn-Schranke, die aber nicht auf Menschen übertragbar sei: "Es ist wichtig anzumerken, dass (...) dies beim Menschen möglicherweise nicht der Fall ist."

Der Forscher Dunia schrieb zu dieser Studie, dass die Folgen einer Sars-Cov-2-Infektion oder der Verabreichung großer Mengen künstlicher Spike-Proteine in die Vene (wie in der Studie) nicht mit einer mRNA-Impfung in den Muskel vergleichbar sei.

Fazit

Die Behauptungen des kanadischen Forschers Byram Bridle in einem Interview mit Global News sind falsch. Die von ihm angeführte Studie beweist keine Anlagerung von Spike-Proteinen im Körper. Selbst wenn es nach einer Impfung freie Spikes geben sollte, wären diese nicht gefährlich. Auch weitere Behauptungen von Bridle in Bezug auf eine Harvard-Studie sind irreführend bis falsch. Seine Folgerungen lassen sich wissenschaftlich nicht halten, wie mehrere Experten gegenüber AFP bestätigten.

23. Juni 2021 Link ausgebessert.

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