Ukrainische Soldaten in Butscha: 02.04.2022 ( AFP / Ronaldo Schemidt)

Diese beschädigten Autos aus Butscha belegen keine Inszenierung von Kriegsschäden

Tausende Facebook-User haben seit Mitte April einen Beitrag auf Facebook geteilt, in dem behauptet wird, Kriegsschäden in der ukrainischen Stadt Butscha seien bloß inszeniert. Das geteilte Foto ist allerdings kein Beleg dafür. Aussagen von Anwohnerinnen und Anwohnern und Journalisten vor Ort sowie Bilder und Videos aus der Straße widersprechen der Behauptung.

Tausende Nutzerinnen und Nutzer haben seit Mitte April einen Facebook-Beitrag geteilt (hier, hier), der den Eindruck erweckt, Schäden im bis vor kurzem durch russische Truppen besetzten ukrainischen Ort Butscha seien lediglich inszeniert. Die Behauptungen wurden auch auf Griechisch, Polnisch, Spanisch, Französisch und Englisch verbreitet.

Die Behauptung: Der Beitrag zeigt ein Foto einer Straßenecke. Ein Soldat in Kampfausrüstung geht umringt von fünf Kindern die Straße entlang. Am Straßenrand sind drei zerstörte Autos zu erkennen, von denen zwei auf dem Dach liegen und eines auf der Seite. Im Hintergrund befindet sich ein Wohnblock, der scheinbar unbeschädigt ist. Im Beitragstext heißt es: "Ich weiß nicht, wer hier alles bombardiert hat, dass die Fahrzeuge durch die Luft geschleudert wurden. Was ich wissen möchte ist – Wer ist der Hersteller der Kunststofffenster?"

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Facebook-Screenshot der Behauptung: 10.05.2022

Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine Ende Februar kursieren zahlreiche falsche Behauptungen in sozialen Netzwerken zum Krieg in der Ukraine. Darunter waren auch Behauptungen, die den Angriff auf den Kiewer Vorort Butscha als bloße Inszenierung darstellten. AFP hat solche Behauptungen bereits hier und hier überprüft. Faktenchecks zum Ukraine-Krieg sammelt AFP hier.

Die Stadt Butscha, ein Vorort der ukrainischen Hauptstadt Kiew, befand sich seit dem 27. Februar 2022 für rund einen Monat unter russischer Besatzung. Die Ukraine wirft den russischen Streitkräften vor, in dieser Zeit Kriegsverbrechen gegen die Zivilbevölkerung von Butscha begangen zu haben. Nach ukrainischen Angaben wurden nach dem Abzug der russischen Truppen etwa 400 Leichen in Massengräbern, vergraben in Gärten oder unbestattet im Freien entdeckt.

Nach dem Abzug der russischen Truppen erreichte ein AFP-Team am 2. April den Ort. Die Reporter berichteten von schweren Zerstörungen und dokumentierten die Leichen von 20 Zivilistinnen und Zivilisten, die in der Jablunska-Straße gefunden wurden.

Die Vereinten Nationen haben die "ungesetzliche Tötung" von etwa 50 Zivilistinnen und Zivilisten in der Stadt dokumentiert. Russland leugnet die Verantwortung und beschuldigt seinerseits die Ukraine, die Leichen erst nach dem Abzug der russischen Truppen nach Butscha gebracht zu haben. Diese Behauptung wurde von AFP anhand von Satellitenbildern widerlegt, die zeigen, dass die Leichen schon Wochen vor dem russischen Abzug dort lagen.

In der Folge verbreiteten sich in sozialen Netzwerken verschiedene Falschmeldungen, die zeigen sollten, dass die Verbrechen der russischen Truppen inszeniert wurden. AFP widerlegte in diesem Zusammenhang etwa ein Video, das belegen soll, dass ukrainische Streitkräfte für die Morde verantwortlich sind.

Auch das aktuell geteilte Foto der umgekippten Autos soll als Beweis dienen, dass ein Bombenangriff auf Butscha inszeniert worden ist. Eine Analyse von Medienberichten, Fotos und Zeugenaussagen ergab jedoch keine Beweise für einen Bombenangriff an der gezeigten Straßenecke. Vielmehr gibt es zahlreiche Hinweise dafür, dass die Zerstörungen auf russische Soldaten und deren Fahrzeuge zurückgehen. Zudem legen Drohnenaufnahmen nahe, dass die beschädigten Autos bereits während der russischen Besetzung in der Straße lagen und nicht erst nach dem Abzug der Truppen dort platziert wurden.

Bilder zeigen ein Wohnhaus, das russische Soldaten besetzt hatten

Eine Bilderrückwärtssuche mit Hilfe von Google ergab, dass das Foto der beschädigten Fahrzeuge am 4. April 2022 von dem argentinischen Pressefotografen und Kriegsreporter Rodrigo Abd für die US-amerikanische Nachrichtenagentur Associated Press (AP) aufgenommen wurde. AP veröffentlichte das Foto mit folgender Bildunterschrift: "Ein ukrainischer Soldat geht mit Kindern an zerstörten Autos vorbei, die durch den Krieg gegen Russland entstanden sind, in Butscha, am Rande Kiews, Ukraine, Montag, 4. April 2022."

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Screenshot der AP-Website: 02.05.2022

Gegenüber AFP sagte Abd, dass Anwohner ihm berichteten, dass russische Soldaten das Wohngebäude beschlagnahmt hätten. "Das Gebäude war eines der Hauptquartiere der russischen Armee in Butscha", sagte er und fügte hinzu, dass es Beweise für zahlreiche Schäden in der Nachbarschaft gab, darunter Panzerspuren im Schlamm in der Nähe der umgestürzten Autos. Neben dem Foto veröffentlichte AP auch ein Video von demselben Ort, in dem auch das gelbe Haus in Form eines "L" zu erkennen ist.

Mit den Informationen aus den AP-Aufnahmen ließ sich das Gebäude mit Hilfe von Google Earth und Google Street View lokalisieren. Ein solches Gebäude findet sich auf dem Platz zwischen den Straßen Zentralna, Sadowa, Wodoprowidna und Jablunska im Süden Butschas.

Die Nachrichtenagentur Reuters und die Bilddatenbank Getty Images veröffentlichten weitere Fotos, die dieselbe Straße an unterschiedlichen Tagen zeigen. Auch hier sind die beschädigten Autos und Trümmer vor dem Wohngebäude zu erkennen. Anwohnerinnen und Anwohner posteten zudem Fotos und Videos in einer lokalen Facebook-Gruppe von Einwohnerinnen und Einwohnern Butschas mit über 30.000 Mitgliedern. In dieser Gruppe postete ein Facebook-Nutzer das Foto, das derzeit in sozialen Medien kursiert, und fragte nach Informationen zu den Hintergründen. Auch AFP bat in der Gruppe um Zeugenaussagen zum Geschehen in der Straße.

Ein anderer Facebook-Nutzer schrieb daraufhin: "Die Autos wurden von schwerem Gerät umgeworfen, nicht von Bomben". Er merkte außerdem an: "An der Seite des orangefarbenen Autos ist ein großer Kratzer. Man kann sehen, dass es von einem gepanzerten Mannschaftswagen oder etwas Ähnlichem umgeworfen wurde."

Andere Nutzer bestätigten die Adresse, an der die Fotos aufgenommen wurden: Zentralna 33, neben dem Kindergarten "Jablunska". Das Wohngebiet ist nur etwa zwölf Gehminuten von der berüchtigten Jablunska-Straße entfernt, in der das AFP-Team am 2. April die Leichen von 20 getöteten Einwohnerinnen und Einwohnern Butschas sahen.

Die folgenden Screenshots zeigen weitere Fotos und Videos, die in der Facebook-Gruppe geteilt wurden. Darunter ist das Bild eines weißen Lieferwagens (von AFP rot markiert), der ebenfalls beschädigt wurde und in der Nähe des orangefarbenen Autos aus dem Facebook-Post geparkt war.

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Screenshot eines Beitrags in der lokalen Facebook-Gruppe: 04.05.2022 ( AFP / )
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Screenshot eines Beitrags in der lokalen Facebook-Gruppe: 04.05.2022

Am Heck des weißen Lieferwagens sind eine Webadresse sowie eine Telefonnummer zu erkennen. Über die Nummer erreichte AFP am 26. April Pawel Stanislawowitsch Dirinko, den Geschäftsführer von Automotors, einem Handel für Fahrzeugteile, der eine Filiale und ein Materiallager in Butscha unterhält. "Das ist unser Auto, eines von denen, die von unserer Filiale in Butscha gestohlen wurden", sagte er über den weißen Transporter.

Er war an dem Ort, an dem das Auto gefunden wurde, und sagte gegenüber AFP: "Das Auto ist von allen Seiten ramponiert. Es sieht aus, als ob ein großes Fahrzeug – ein Panzer oder ein gepanzerter Mannschaftstransporter – in das Auto gekracht ist. Es muss ein Fahrzeug mit breiten Rädern oder einem Kettenfahrwerk gewesen sein. Im Boden sind tiefe Spuren zu sehen. Da sind Löcher im Asphalt. Auf der weißen Karosserie sind Kratzer in dunkelgrüner Farbe zu sehen." Dirinko schickte die folgenden Fotos von den Schäden an AFP.

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Kollisionsspuren am weißen Lieferwagen: 26.04.2022 ( Pawel Stanislawowitsch Dirinko / )

Um weitere Zeugen zu finden, suchte AFP mit Hilfe von Google nach der Adresse des Gebäudes – Zentralna 33. Demnach hat dort ein medizinischer Fachverlag seinen Sitz. Die Geschäftsführerin des Unternehmens, Olena Trusz, sagte gegenüber AFP, ihre Wohnung im vierten Stock sei zusammen mit anderen Wohnungen in dem Gebäude einen Monat lang "von den russischen Soldaten besetzt" gewesen.

Sie habe Butscha am 26. Februar verlassen und erst nach dem Abzug der Besatzer zurückkehren können. "Die meisten Wohnungen sind jetzt völlig zerstört. Ich hatte Glück, dass meine nicht so stark beschädigt wurde. Die Soldaten schliefen dort, tranken den ganzen Alkohol und benutzten meine Einrichtung", sagte Trusz. Auf die Frage, ob es Anzeichen für Bombenexplosionen in der Nachbarschaft gebe, wie in den sozialen Medien behauptet wird, antwortete sie: "Es gibt keine Spuren von Explosionen rund um das Gebäude. Ich habe keine gesehen, als ich dort war."

Die Aussagen decken sich mit einem Reuters-Bericht vom 7. April über genau diese Wohnsiedlung. Der Bericht enthält Fotos von russischen Militärfahrzeugen, die vor dem Gebäude in der Zentralna 33 geparkt sind. Der Bericht, der mindestens ein Dutzend Anwohner zitiert, beschreibt Tötungen und Einschüchterungen durch russische Soldaten, die mehrere Wohnungen in dem Gebäude besetzt hatten. Ein Bombenangriff wird nicht erwähnt.

Ein in dem Reuters-Bericht erwähnter Bewohner, Oleksij Tarasewitsch, sprach auch mit dem griechischen Faktencheck-Portal "Ellinika Hoaxes". Dort sagte er über die Autos, die auf dem aktuell geteilten Foto zu sehen sind: "Die Autos im Hof unseres Hauses wurden von russischen Soldaten umgeworfen, um ihre eigene Ausrüstung zu verstecken. Als diese 'Schutzräume' gebaut wurden, befand sich russisches Militärgeräte in der Nähe der Gebäude und die russischen Soldaten deckten sie von beiden Seiten mit Autos. Sie warfen Teppiche und Decken aus den Wohnungen über die Ausrüstung, um zu verhindern, dass diese von Satelliten oder Drohnen erfasst wird."

Die beschädigten Fahrzeuge sind auch auf Drohnenaufnahmen zu erkennen, die von ukrainischen Einheiten am 29. März von Butscha gemacht wurden, als die Stadt noch unter russischer Besatzung war. Die Auflösung der Bilder ist zu gering, um daraus konkrete Schlussfolgerungen ziehen zu können, allerdings scheinen sie dieselben beschädigten Autos zu zeigen, die auf dem aktuell geteilten Foto zu sehen sind. Die Aufnahmen wurden von dem unabhängigen russischsprachigen Nachrichtenportal Meduza verifiziert und widerlegen die Behauptung, die Autos seien erst nach dem Abzug der Russen dort platziert worden.

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Screenshot der Drohnenaufnahmen von Butscha: 29.03.2022. Die Stelle, an denen sich die umgekippten Autos befanden, wurde von AFP orange markiert
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Vergleich der Drohnenaufnahmen (links) und dem aktuell auf Facebook geteilten Foto (rechts). Die Stellen, an denen sich die umgekippten Autos befinden, wurden von AFP orange markiert


Fazit: Das Foto von beschädigten Autos und gleichzeitig intakten Fenster beweist nicht, dass die Angriffe auf Butscha inszeniert worden sind. Bilder, Interviews und Medienberichte bestätigen, dass in dem Gebäude Verbrechen und Zerstörungen durch russische Soldaten begangen wurden.

Obwohl AFP nicht in der Lage war, die konkrete Ursache für die Beschädigung der Autos zu bestätigen, deuten zahlreiche Zeugenaussagen und andere Hinweise darauf hin, dass sie die Folge eines Zusammenstoßes mit einem oder mehreren Militärfahrzeugen und nicht einer Bombenexplosion waren. Auch Drohnenaufnahmen scheinen zu zeigen, dass die beschädigten Fahrzeuge bereits während der russischen Besetzung vor Ort waren und nicht erst nach dem Abzug der Russen dort platziert wurden.

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