
Dieses Video, in dem Putin Deutschland mit Militärschlägen droht, ist ein Deepfake
- Veröffentlicht am 11. Juli 2025 um 17:14
- 10 Minuten Lesezeit
- Von: Bozhidar ANGUELOFF, AFP Bulgarien
- Übersetzung: Lisa-Marie ROZSA
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Am 28. Mai 2025 wurde ein Video von einem bulgarischen Nutzer auf Facebook veröffentlicht, welches bisher über 960 Mal in sozialen Netzwerken geteilt wurde. Dieses zeigt einen angeblichen Nachrichtenbericht, in dem behauptet wird, dass der russische Präsident Wladimir Putin alle Beschränkungen für Angriffe auf deutsches Territorium aufgehoben hätte. Er habe dies als Reaktion auf die Entscheidung einiger europäischer Länder und der Vereinigten Staaten, der Ukraine nun auch Langstreckenwaffen zu liefern, getan.
Das Video kursierte erstmals, nachdem der deutsche Bundeskanzler Friedrich Merz am 26. Mai 2025 bekannt gegeben hatte, dass Deutschland zusammen mit anderen wichtigen westlichen Verbündeten die Reichweitenbeschränkung für an die Ukraine gelieferte Waffen aufgehoben hat. Durch den Einsatz von Langstreckenwaffen konnte Kiew ab diesem Zeitpunkt nun russische Streitkräfte nicht nur in den besetzten ukrainischen Gebieten, sondern auch innerhalb Russlands angreifen. Einige Facebook-Nutzerinnen und -Nutzer schienen zu glauben, dass es sich bei dem Video tatsächlich um die Aufnahme einer Nachrichtensendung handle. Kommentare wie "Alles rächt sich irgendwann" oder "Was denkt sich dieser hagere Kerl aus Deutschland? Er kann machen, was er will, und Russland soll still sitzen und Socken stricken? Oh nein, keine Chance. Jetzt werdet ihr sehen, was passiert!" belegen dies. Dasselbe Video wurde auch in einem anderen Facebook-Post in bulgarischer Sprache am 27. Mai 2025 veröffentlicht. "Bald wird die russische Flagge in Berlin wehen... wieder einmal!!", heißt es in einem Kommentar unter dem Beitrag.
Das Video ist 47 Sekunden lang. Es beginnt mit Aufnahmen von militärischer Ausrüstung und einer Rakete, gefolgt von einer Online-Veröffentlichung der staatlichen Nachrichtenagentur Russlands Tass mit der Überschrift: "Deutschland hebt Beschränkungen für Waffenlieferungen an die Ukraine auf." Anschließend werden erneut Aufnahmen von militärischer Ausrüstung gezeigt. Währenddessen verkündet eine Stimme aus dem Off: "Zu dieser Stunde hat Wladimir Putin alle Beschränkungen für Angriffe auf deutsches Territorium aufgehoben, als Reaktion auf die Entscheidung europäischer Länder und der Vereinigten Staaten, der Ukraine Langstreckenangriffe auf russisches Territorium zu gestatten."
Der Bericht wird mit Aufnahmen des deutschen Bundeskanzlers Friedrich Merz fortgesetzt, während eine weibliche Stimme aus dem Off erklärt, dass er sich exklusiv gegenüber dem Telegram-Kanal "Moscow Never Lies" schockiert über Putins Vorgehen geäußert und dabei auch ein Schimpfwort verwendet habe. Am Ende des Videos erscheint die Sprecherin selbst – eine weiß gekleidete Frau, die mit den Worten "Nachrichten ohne Zensur" für den Telegram-Kanal wirbt. Das Video enthält ein Wasserzeichen desselben Telegram-Kanals – "Moscow Never Lies".
Dasselbe Video wurde am 26. Mai 2025 auf dem oben genannten Telegram-Kanal veröffentlicht und hat über 1000 Interaktionen gesammelt. Das Video ist auch auf dem Account des Telegram-Kanals auf Tiktok zu sehen, auf dem es am selben Tag veröffentlicht wurde. Es wurde mehr als drei Millionen Mal angesehen und über 40.000 Mal geteilt. Auch in anderen sozialen Netzwerken wurde der Videoclip weit verbreitet. Durch eine Stichwortsuche und eine umgekehrte Bildsuche (unter Verwendung von Screenshots aus dem Video) auf Google und Yandex konnten russischsprachige Beiträge mit dem Video auf Instagram und Tiktok ausfindig gemacht werden. Ein Beitrag auf X wurde mehr als 200 Mal geteilt und über 40.000 Mal angesehen.

Der angebliche Nachrichtenbericht ist jedoch nicht authentisch – er wurde mit künstlicher Intelligenz (KI) erstellt und die darin enthaltenen Informationen sind erfunden und falsch. Fachleute bestätigten gegenüber AFP, dass die Stimme des Sprechers mit KI generiert wurde und der Ausschnitt von Wladimir Putin ein Deepfake ist. Deepfakes sind realistisch wirkende Medieninhalte, die mithilfe von künstlicher Intelligenz erzeugt oder abgeändert wurden.
In dem gefälschten Nachrichtenbericht wird echtes Filmmaterial aus einer Online-Sitzung zwischen Putin und einer Regierungsvertreterin sowie mehreren Regierungsvertretern am 22. Mai 2025, in der er die Schaffung einer Sicherheitszone entlang der russisch-ukrainischen Grenze ankündigte und die Rückgewinnung der betroffenen Grenzregionen forderte, verwendet. In dem manipulierten Video wurden Putins Lippenbewegungen und seine Stimme verändert. AFP fand auch keine Hinweise aus glaubwürdigen Quellen, dass Putin derartige Äußerungen getätigt hätte. Das Moskauer AFP-Büro bestätigte, dass Putin in öffentlichen Fernsehauftritten nicht gesagt hatte, dass er Angriffe auf Deutschland in Betracht ziehe. AFP fand auch keine öffentlichen Aufzeichnungen, in denen er die im Video zu hörenden Worte gesagt hatte.
Eine Stichwortsuche auf Russisch, Englisch und Bulgarisch ergab keine glaubwürdigen Quellen, die über eine Äußerung des russischen Präsidenten berichten, wonach "Angriffe auf Deutschland nicht eine Frage des 'Ob', sondern des 'Wann' sind", wie in dem manipulierten Video behauptet wird. Die Dramatik einer solchen Äußerung – die einer Kriegserklärung gleichkäme – hätte auch eine umfassende Berichterstattung in internationalen Medien zur Folge gehabt. Das war aber eben nicht der Fall.
Darüber hinaus gibt der Telegram-Kanal, der das Video zuerst geteilt hat, an, dass er satirische Inhalte verbreitet und Deepfakes produziert.
Clip ist Deepfake-Video
Obwohl Putins Lippenbewegungen im Allgemeinen seiner Rede folgen, konnte AFP Inkonsistenzen feststellen. Putin macht eine Pause im Satz: "Jetzt sind die Angriffe auf Deutschland keine Frage des 'Ob' [… Pause …], sondern des 'Wann' und 'Wie intensiv'." In diesem Moment, zwischen Sekunde 32 und 34 des Videos, wird Putin von einer Seitenkamera im Profil gezeigt. Obwohl das Wasserzeichen des Telegram-Kanals genau in diesem Moment über seinen Mund wandert, ist deutlich zu sehen, dass sich seine Lippen während der Pause weiter bewegen.
Um das Video genauer zu analysieren, hat AFP es aus einem Telegram-Kanal heruntergeladen. Mithilfe von Online-Videobearbeitungsprogrammen wurde der Teil extrahiert, in dem Wladimir Putin erscheint und spricht. Anschließend wurde das zugeschnittene Video in das spezialisierte Online-Tool Deepfake-O-Meter hochgeladen – ein Open-Source-Werkzeug, das vom Media Forensics Lab der University at Buffalo entwickelt wurde und mehrere verschiedene Systeme zur automatischen Erkennung manipulierter Videos verwendet.

Die Analyse ergab unterschiedliche Ergebnisse: Einige Algorithmen, wie DSP-FWA und SBI, erkannten keine klassischen visuellen Anzeichen für eine Gesichtsmanipulation, aber alle anderen Modelle wiesen auf eine hohe oder extrem hohe Wahrscheinlichkeit hin, dass es sich bei dem Video um ein Deepfake handelt. Zum Beispiel: TALL: 100 Prozent Wahrscheinlichkeit, dass es sich um ein synthetisches Video handelt; AVSRDD: 99,9 Prozent Wahrscheinlichkeit basierend auf einer audiovisuellen Sprachkorrelationsanalyse; XCLIP: 99,9 Prozent Wahrscheinlichkeit für gefälschte Gesichter im Video.
AFP kontaktierte Martin Stamenow, einen Experten für künstliche Intelligenz. "Die Analyse des Videos mit der angeblichen Aussage von Wladimir Putin zeigt eindeutig, dass es sich um ein Deepfake handelt", erklärte er in einer E-Mail vom 25. Juni 2025.
Ihm zufolge erkennen Algorithmen wie DSP-FWA und SBI, die nach klassischen visuellen Artefakten und strukturellen Gesichtsverzerrungen suchen, zwar keine eindeutigen Anzeichen für Manipulationen, dies lässt sich jedoch teilweise durch die Qualität der verwendeten Deepfake-Technologie erklären. Solche Videos vermeiden erfolgreich grobe visuelle Verzerrungen und setzen auf subtilere Manipulationen – wie die präzise Synchronisation von Lippen und Gesichtsausdrücken.
AFP extrahierte den Ton aus dem Video, das als Nachrichtenbericht präsentiert wurde, und lud ihn zur Analyse in den Deepfake-Stimmen-Detektor Hiya hoch, der in das InVID- und WeVerify-Tool zur Faktenprüfung integriert ist.
Diese Analyse ergab Unterschiede zwischen verschiedenen Teilen der Aufnahme. In den Abschnitten, in denen die Sprecherin (eine weibliche Stimme, die die Ereignisse im Stil einer Nachrichtensendung präsentiert) spricht, erkannte das Tool eine hohe Wahrscheinlichkeit für synthetische Sprache – an einigen Stellen lag die Wahrscheinlichkeit einer KI-generierten Stimme bei etwa 65 Prozent. "Laut Hiya hat die Fernsehmoderatorin eine KI-Stimme", sagte Denis Teyssou, Leiter der Innovationsabteilung für die Projekte InVID und WeVerify bei AFP. Ihm zufolge gilt eine Wahrscheinlichkeit von 65 Prozent als starker Indikator – "sehr wahrscheinlich KI-generiert" –, was ausreicht, um die Authentizität der Audioaufnahme anzuzweifeln.

AFP analysierte den Audioausschnitt, in dem Wladimir Putin spricht, mit Hiya und mehreren anderen Tools zur Spracherkennung, aber keines dieser hochmodernen Systeme erkannte eindeutige Anzeichen für eine synthetische Sprachgenerierung. Diese Tools sind jedoch nicht darauf trainiert, die Imitation menschlicher Stimmen oder nachträgliche Bearbeitungen zu erkennen. Ohne zusätzliche überprüfbare Beweise ist es nicht möglich, mit Sicherheit festzustellen, ob oder wie die Audioaufnahme verändert wurde.
Originalvideo beinhaltet keine derartige Erklärung Putins
In dem manipulierten Video, das Putin beim Sprechen zeigt, erscheint das Tass-Logo in der oberen rechten Ecke. Mithilfe einer umgekehrten Bildsuche von Einzelbildern aus Putins Rede fand AFP auf Youtube-Aufnahmen einer Videokonferenz zwischen Putin und Mitgliedern der Regierung vom 22. Mai 2025. Anhand der Informationen in diesem Clip konnte das Originalvideo ausfindig gemacht werden, das auf der offiziellen Website der russischen Präsidialverwaltung kremlin.ru veröffentlicht und von dort an verschiedene Medien weitergegeben wurde.
Während des Treffens kündigte Putin an, dass Russland eine Sicherheitszone entlang der Grenze zur Ukraine einrichten werde. Außerdem forderte er dringende Maßnahmen zur Rückgewinnung der von den jüngsten Angriffen betroffenen Grenzgebiete. Berichte über das Treffen finden sich auf der Website des Präsidenten sowie bei der russischen Nachrichtenagentur Tass (hier und hier). Weder in der Videokonferenz noch in den Berichten wird jedoch eine Erklärung zur Aufhebung der Beschränkungen für Angriffe auf deutsches Territorium erwähnt.
AFP verglich das manipulierte Video mit den Aufnahmen der Videokonferenz und stellte mehrere eindeutige Übereinstimmungen fest – in beiden Videos sind identische Bewegungen von Putins linker Hand und seinen Fingern zu sehen. Auch die Unterlagen, die Putin in den Händen hält, sind in beiden Clips identisch. Darüber hinaus sind Wladimir Putin und die andere Teilnehmerin und die anderen Teilnehmer, die in der Sitzung zu sehen sind, in beiden Videos genau gleich gekleidet. All diese Elemente bestätigen, dass diese Originalaufnahme verwendet wurde, um das manipulierte Video zu erstellen. Im Folgenden ist ein Vergleich zu sehen: das manipulierte Video (links) und die auf der Website des russischen Präsidenten veröffentlichten Aufnahmen der Videokonferenz (rechts).
AFP fand keine Nachrichten oder andere Websites unter dem Namen "Moscow Never Lies" – die Hauptquelle der Inhalte ist ein Telegram-Kanal mit über 37.000 Abonnentinnen und Abonnenten. Der Kanal betreibt auch einen Tiktok-Account mit mehr als 25.000 Followerinnen und Followern.
Satirischer Telegram-Kanal
Obwohl viele Nutzerinnen und Nutzer zu glauben scheinen, dass die Informationen authentisch sind und sie teilen, ist der Telegram-Kanal tatsächlich humoristisch und satirisch. In der Beschreibung heißt es: "Russlands offizieller satirischer Nachrichtenkanal Nr. 1 auf Telegram! Mithilfe von künstlicher Intelligenz und modernen Technologien erstellen wir originelle Deepfakes, schwarzen Humor und Insiderinformationen aus dem Kreml." Der Kanal bietet auch Kontakte für die kostenpflichtige Bestellung von Deepfake-Videos sowie für die Vermittlung von Werbung. Auf dem Tiktok-Profil heißt es auch: "MNL Russland – Satire und Humor".
Die Videos und Texte auf dem Kanal enthalten häufig vulgäre Sprache und beleidigende Ausdrücke, darunter auch in dem in diesem Faktencheck untersuchten Deepfake-Video. Eine solche Wortwahl ist für die normale Berichterstattung nicht typisch und unterstreicht den satirischen und humoristischen Charakter der Inhalte.
AFP hat den angegebenen Kontakt des Kanals kontaktiert, um zu fragen, ob den Urheberinnen und Urhebern der Inhalte bewusst ist, dass ihr Material in sozialen Medien als authentische Information geteilt wird. Bis zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Artikels erhielt AFP keine Antwort.
Bei der Durchsicht der Videos auf dem Kanal fand AFP auch einen weiteren Beitrag vom 12. Juni 2025, der ein Video enthält, das erneut im Format einer Nachrichtensendung präsentiert wird und dasselbe Filmmaterial von Putin verwendet, aber mit einer völlig anderen Aussage.
"Das neue Telegram-Video [vom 12. Juni 2025, Anm. d Red.] verwendet dasselbe Filmmaterial, wie das auf Youtube und auf der Website der russischen Präsidentschaft. Es handelt sich also definitiv um ein aus dem Zusammenhang gerissenes Video, in dem altes Filmmaterial mit einer anderen Rede wiederverwendet wird, was bedeutet, dass es nicht authentisch sein kann", erklärte Denis Teyssou.
AFP hat bereits mehrfach Deepfake-Videos aufgedeckt. Weitere AFP-Faktenchecks zum Ukrainekrieg finden sich auf der Website.
Fazit: In sozialen Medien kursierte ein Video, in dem Putin Deutschland angeblich den Krieg erklärt. Dies sei als Reaktion auf die Aufhebung der Reichweitenbeschränkung für an die Ukraine gelieferte Waffen geschehen. Dabei handelt es sich jedoch um ein Deepfake. Eine solche Aussage ist nicht gefallen.