Nein, Grippe-Impfungen führen nicht zu positiven Corona-Tests
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- Veröffentlicht am 25. November 2020 um 16:33
- Aktualisiert am 16. Dezember 2020 um 16:19
- 4 Minuten Lesezeit
- Von: Max BIEDERBECK, AFP Deutschland
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Hunderte Facebook-User teilen den vermeintlichen Erfahrungsbericht samt Impfbehauptung seit dem 23. November auf Facebook (hier, hier, hier): Die steigenden Zahlen an Corona-Fällen, so schließen sie, könnten deshalb in Wahrheit lediglich etwas mit der Grippe-Impfung zu tun haben. Als Beweis für diese Behauptung dient der Screenshot eines nicht näher beschriebenen Leserinnen-Kommentars einer Simone S.
Sie schreibt: "Heute habe ich etwas sehr Interessantes von einer Nachbarin gehört. Diese wird in dieser Woche operiert. Zwingend vorgeschrieben ist zuvor ein PCR-Test. Soweit so verständlich. Sie wurde aber vom Krankenhaus darauf hingewiesen, dass sie sich hoffentlich nicht gegen Grippe hat impfen lassen und dass sie dies auch auf keinen Fall vor dem Test tun soll – dieser wäre dann nämlich positiv. Da stellt sich mir die Frage, haben wir deshalb steigende Positiv-Zahlen, weil sich viele Leute haben testen lassen, die zuvor gegen Grippe geimpft wurden? Hat jemand ähnliche Erfahrung?"
Die Behauptung eines angeblichen Zusammenhangs zwischen Grippe-Impfung und positiven Corona-Tests fällt in eine Phase hoher Infektionszahlen in Deutschland. Sie führen aktuell zu bundesweit heftig geführten Debatten über die Eignung und Dauer von Gegenmaßnahmen. Falschbehauptungen von GegnerInnen zielen auch immer wieder auf PCR-Tests ab, weil Gesundheitsämter diese zur Berechnung der Zahl an Corona-Infektionen heranziehen (etwa hier, hier, hier). Auch die jetzt behauptete Wechselwirkung zwischen Tests und Grippe-Impfungen gibt es nicht.
Der angebliche Erfahrungsbericht
Auf einen ersten Blick scheint der verbreitete Screenshot einen Artikel der Zeitung “Welt” zu zeigen. Schaut man sich das Layout genauer an, stellt sich heraus: Es handelt sich um einen User-Kommentar. Angemeldete, aber anonyme Leserinnen und Leser können "Welt"-Artikel kommentieren. AFP hat das Profil von Sabine S. in der "Welt"-Community dabei nicht wiederfinden können. Es bleibt auch unklar, auf welches Krankenhaus sie sich bezieht, und ob ihre Aussagen über die Nachbarin überhaupt echt sind.
AFP hat bei der Deutschen Krankenhausgesellschaft nach solchen Erfahrungsberichten wie dem von Sabine S. gefragt. Sprecher Jörn Wegner schrieb am 25. November in einer Email: "Die Behauptung ist frei erfunden." Er erklärt weiter: "Medizinische oder pflegerische Fachkräfte würden aufgrund ihrer Ausbildung solche Aussagen, wie in dem Screenshot behauptet, nicht tätigen."
Können Grippeimpfungen das Ergebnis des PCR-Tests beeinflussen?
AFP hat am 24. November bei der Ständigen Impfkommission (Stiko) nachgefragt. Dabei handelt es sich um ein unabhängiges Gremium von Expertinnen und Experten, die Impfempfehlungen für Deutschland erarbeiten. Inhaltliche Unterstützung und Beratung für das Gremium kommt vom Robert-Koch-Institut (RKI). Stiko-Mitglied und Inhaber des Lehrstuhls für Mikrobiologie und Infektionsimmunologie an der Universität Erlangen-Nürnberg, Christian Bogdan, schrieb in einer Email an AFP: "Dies ist eine Falschinformation."
Eine COVID-19-Infektion werde mittels PCR-Test molekular im Atemweg nachgewiesen. Dabei erkennt der Test "spezifisch RNA von SARS-CoV2", sagt Bogdan. Er erklärt weiter: "Eine Grippe-Impfung erfolgt hierzulande in Form eines Totimpfstoffs." Dieser enthalte nur Teile des Grippe-Virus, keine vermehrungsfähigen Viren und keine virale RNA. Bogdan stellt fest: "Eine COVID-19-PCR erfasst keine Influenzaviren (ganz andere Gruppe von Viren) und schon gar nicht einen Influenza-Impfstoff. Eine erregerspezifische PCR wird immer so entwickelt, dass andere Erreger nicht erfasst werden."
AFP hat außerdem am 24. November beim Verband der Diagnostica-Industrie (VDGH) nachgefragt. Er vertritt einen Großteil der deutschen Unternehmen, die PCR-Tests und Antikörpertests bereitstellen. Sprecherin Gabriele Köhne sagte: "Die angewendeten PCR-Tests sind darauf ausgelegt, die typische Signatur des Gen-Strangs von Coronaviren zu erkennen. Bei der Grippe fehlt genau dieser Baustein, deswegen kann auch ein Test nach der Impfung gegen die Grippe nicht positiv ausschlagen."
Auch der stellvertretenden VDGH-Vorsitzende und promovierte Chemiker, Thorsten Hilbich, sagte im Gespräch mit AFP am 25. November: "Labore vervielfältigen beim Corona-PCR-Test die RNA des SARS-CoV-2-Virus. Bei einer Grippe-Impfung verabreichen Ärzte in der Regel lediglich inaktivierte Bestandteile der Proteinhülle von Influenza-Viren. In diesen ist aber keine vermehrungsfähiger Virus enthalten." Weiterhin seien Influenza- und Corona-Viren Mitglieder unterschiedlicher Viren-Familien , so dass es auch nicht zu Wechselwirkungen bei den PCR-Tests kommen könne. Daraus folge: “Grippe-Viren können den Corona-Test nicht beeinflussen, die Impfung gegen Grippe-Viren kann es genauso wenig", sagt Hilbich.
Schließlich bestätigte auch noch einmal der Sprecher der Deutschen Krankenhausgesellschaft, Wegner, gegenüber AFP: Mit der PCR-Methode werde eine vorher klar definierte DNA-Sequenz vervielfältigt. "Da im Fall von COVID-19 die DNA eines Coronavirus vervielfältigt wird, ist es bereits ausgeschlossen, dass der PCR-Test außerhalb seiner sehr geringen Fehlertoleranz auf Influenzaviren reagiert, da Influenzaviren nicht aus der Familie der Coronaviren sondern aus der der Orthomyxoviren stammen." Genetisch unterschieden sie sich komplett.
Fazit: Ob die Szene, von der Sabine S, gehört haben will, im Krankenhaus wirklich stattgefunden hat, lässt sich nicht sagen. Jedenfalls kann der Grippe-Impfstoff keine Auswirkungen auf PCR-Tests haben, erstens weil diese im Unterschied zum Grippe-Impfstoff mit RNA arbeiten und zweitens, weil sich die beiden Viren-Stämme einfach nicht ähnlich sind, also vom Test nicht verwechselt werden können. Die Corona-Tests sind auf die RNA von Sars-CoV-2 spezialisiert.
Update, 16.12.: Missverständlicher Satz zu RNA-DNA-Beziehung entfernt.