Nein, diese Autopsie beweist keine durch Corona-Impfung entstandenen und tödlichen Spike-Proteine im Körper

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  • Veröffentlicht am 12. August 2021 um 14:04
  • 7 Minuten Lesezeit
  • Von: AFP Frankreich
  • Übersetzung: Max BIEDERBECK
Hunderte User auf Facebook und Tausende auf Telegram haben seit Anfang August eine Behauptung geteilt, wonach die Autopsie eines gegen Corona geimpften und anschließend verstorbenen 86-Jährigen die Gefahr von Impfungen belege. Eine darauf basierende Studie zeige, wie sich von der Impfung erzeugte Spike-Proteine in allen Organen des Mannes verbreitet hätten, heißt es. Die Studienautoren hinter der Autopsie erklärten AFP allerdings, dass die Postings ihre Ergebnisse völlig verzerren. Ihre Beobachtungen sprechen demnach für die Wirksamkeit der Impfstoffe.

Hunderte User haben die Autopsie-Behauptung seit Anfang August auf Facebook geteilt (hier, hier, hier). Tausende sahen sie auf Telegram (hier, hier). User teilen dabei unterschiedliche Blog-Beiträge von Webseiten, die AFP zum Teil schon öfter wegen der Verbreitung von Falschinformationen aufgefallen sind (hier, hier, hier, hier).

In den Blogeinträgen heißt es in unterschiedlichen Versionen: "Bei der ersten Autopsie eines Toten, der gegen Covid geimpft war, wurden im ganzen Körper verteilt Spike-Proteine gefunden." Und weiter: Bei der Einlieferung des Mannes ins Krankenhaus etwa einen Monat nach seiner Impfung seien Antigentest und die Polymerase-Kettenreaktion (PCR) für SARS-CoV-2 negativ gewesen.

"Später stellten die Forscher fest, dass der gesamte Körper des Patienten mit einer hohen viralen RNA-Last, auch bekannt als impfstoffinduzierte Spike-Proteine, überzogen war. Der Mann wurde eindeutig durch die Impfung getötet." Es sei weiterhin festgestellt worden, dass "die tödliche Injektion im Körper des Mannes eine Immunreaktion auslöste, doch konnte sie weder die Ausbreitung des Virus noch die Spike-Proteine, die das Versagen seiner Organe verursachten, aufhalten", behaupten die Blog-Artikel.

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Facebook-Screenshot der Falschbehauptung: 12.08.2021

Am 31. März hatte eine Studie aus dem wissenschaftlichen Fachjournal "Circulation Research", dass bei einer Infektion mit Sars-Cov-2 zusätzlich zum Virus selbst auch eine große Gefahr von dessen Andockprotein ausgeht, dem S-Protein oder auch Spike. Weil Corona-Impfungen ebenfalls den Körper zur Herstellung von S-Protein veranlassen, verbreiten sich seit dieser Studie immer wieder Falschinformationen über die angebliche Gefahr der Impfungen. Dazu gehöre demnach angeblich auch, dass sich Spikeproteine nach einer Impfung in gefährlichen Mengen im Körper ausbreiten könnten. AFP hat diese Behauptungen allerdings widerlegt (hier, hier, hier).

Auch die aktuellen Beiträge gehören in diese Reihe an Falschinformationen. AFP fand sie bereits am 13. Juni auf der rechtsextremen US-amerikanischen Verschwörungsseite "Hal Turner Radio Show". Auch der US-Verschwörungserzähler Alex Jones stellte schon am 14. Juni eine Version der Behauptung online.

Auch die Autorinnen und Autoren der aktuellen Blogbeiträge und Postings stellen die Impfung des Verstorbenen im besten Fall als unwirksam und im schlimmsten Fall als gefährlich dar. Die zur Autopsie des Mannes gehörende Studie existiert dabei tatsächlich, das Fachjournal "International Journal of Infectious Diseases" hat sie am 16. April 2021 veröffentlicht. Geleitet hat sie ein Team von Forschenden der Universität Bielefeld. Ihr Hauptautor Torsten Hansen erklärte gegenüber AFP allerdings am 18. Juni, dass die aufgestellten Behauptungen auf Social Media nicht stimmen. Er schrieb:

Virale RNA in "allen Organen"? Nein

In den "Highlights" am Anfang der Studie stellen die Forschenden bereits fest: "Wir fanden RNA in fast allen untersuchten Organen". Zum einen geht es also nicht um alle oder jedes einzelne Organ des Verstorbenen, wie in vielen Blog-Beiträgen behauptet wird. Zum anderen geht es nur um die von den Forschenden untersuchten Organe – die Untersuchung umfasste also bei weitem nicht alle Organe des Körpers des Verstorbenen. In der Studienzusammenfassung heißt es, dass Sars-CoV-2-RNA im Mundrachen, in der Riechschleimhaut, in der Luftröhre, in der Lunge, im Herz, in der Niere und im Gehirn nachgewiesen wurde, nicht aber in der Leber oder im Riechkolben, die ebenfalls untersucht wurden.

"Wir haben nur neun Organe analysiert", bestätigte Hansen in seiner E-Mail an AFP und erklärte, dass das Ziel dieser Fallstudie darin bestand, die Immunreaktion des Körpers nach einer ersten Impfstoffdosis zu untersuchen.

Was ist mit dem Verstorbenen geschehen?

Der 86-jährige Pflegeheimbewohner mit schweren gesundheitlichen Problemen hatte der Studie zufolge am 9. Januar 2021 eine erste Dosis des mRNA-Impfstoffs von Biontech/Pfizer erhalten.

18 Tage später wurde er mit schlimmer werdenden Durchfall-Symptomen ins Krankenhaus eingeliefert. Da er keine klinischen Anzeichen von Covid-19 gezeigt habe, sei er nicht isoliert worden, heißt es in der Studie. Außerdem sei er negativ auf Sars-CoV-2 getestet worden. Die Untersuchungen ergaben eine geschwürartige Schädigung im Darm, die den Durchfall verursachte.

Der Zustand des Patienten verschlechterte sich dann aufgrund von Nierenversagen. Am Tag 25 wurde der 86-Jährige dann positiv auf Corona getestet. Die Autoren vermuten, er habe sich bei seinem zuvor ebenfalls positiv getesteten Zimmernachbarn angesteckt.

Die serologischen Tests des Verstorbenen ergaben Antikörper gegen das S-Protein des Corona-Virus, aber nicht gegen dessen N-Protein. Da der Corona-Impfstoff nur Anti-S-Antikörper hervorruft, "zeigt diese Serologie, dass der Patient bereits durch die Impfung eine Immunität entwickelt hatte", so die Forscher der Studie. (Mehr Informationen zu den unterschiedlichen Protein-Strukturen von Coronaviren stellt das Robert-Koch-Institut hier bereit.)

Der Zustand des Patienten verschlechterte sich laut der Studie weiter mit Fieber, Atembeschwerden und Knistern in der Lunge. Trotz der Behandlung mit Sauerstoff und Antibiotika starb der "Patient an akutem Atem- und Nierenversagen" an Tag 26.

Was hat die Autopsie ergeben?

Der Patient litt an einer "akuten bilateralen Bronchopneumonie", also einer Lungenentzündung mit Beteiligung der Bronchien, mit bakteriellen Abszessen. Außerdem stellten die Forschenden eine schwere Herzerkrankung ("ischämische Kardiomyopathie") fest. Die Obduktion zeigten außerdem andere schwere Verletzungen in den Nieren und im Gehirn.

In Ermangelung klinischer Befunde, die für Covid-19 "charakteristisch" sind (z. B. Verletzungen in der Lunge), hielt die Autopsie als Ergebnis fest, dass der Patient "an Bronchopneumonie" und "akutem Nierenversagen" gestorben sei.

Facebook-Postings und Blogbeiträge scheinen dabei Sars-CoV-2 und Covid-19 zu verwechseln: Es ist fast seit Beginn der Pandemie bekannt, dass man positiv auf Sars-CoV-2 sein kann, ohne Symptome der Krankheit Covid-19 aufzuzeigen.

Um besser zu verstehen, wie sich das Virus im Körper verbreitet, untersuchten die Forscher neun Organe auf Spuren von Sars-Cov-2und fanden diese, wie bereits erwähnt, in sieben Organen. Das ist nicht überraschend, weil das Virus bekanntermaßen über den sogenannten ACE2-Rezeptor an Zellen im Körper andockt. Dieser ist in zahlreichen Organen enthalten, dementsprechend kann sich das Virus ausbreiten (Mehr dazu hier).

Impfstoff und Immunität gegen Sars-CoV-2

In vielen der verbreiteten Blog-Artikel heißt es wie oben beschrieben: Das Vorhandensein von viraler RNA in allen Organen trotz eines Impfstoffs deute darauf, dass dieser nicht gewirkt habe. Die Autoren der Studie schreiben allerdings genau das Gegenteil. Darin heißt es: "Diese Ergebnisse könnten darauf hindeuten, dass die erste Impfung zwar eine Immunität, aber keine sterilisierende Immunität hervorruft."

Dieser Satz steht im Einklang mit dem, was bisher über Covid-19-Impfstoffe bekannt ist: Sie verhindern nicht zu hundert Prozent, dass man sich mit dem Virus infiziert, schränken aber das Risiko der Entwicklung von Symptomen, insbesondere schwerer Formen, sehr stark ein. Das gilt auch für die Delta-Variante (mehr dazu in diesem Faktencheck).

Das Vorhandensein von Virusteilen in den Organen des Verstorbenen bedeutet demnach NICHT, dass der Impfstoff unwirksam ist. Wissenschaftler Hansen wies sogar darauf hin, dass der Impfstoff möglicherweise verhindert hat, dass der Patient Symptome von Covid entwickelt hat.

Auch andere Faktoren könnten die Immunität dieses Verstorbenen beeinflusst haben: Er hatte nur die erste Impfung erhalten (während der maximale Schutz nach der zweiten Dosis eintritt), war älter und litt an zahlreichen Krankheiten, die die durch den Impfstoff ausgelöste Immunantwort schwächen können.

Was die Behauptung betrifft, das Vorhandensein viraler RNA würde zeigen, dass der Impfstoff die Ausbreitung des Virus beschleunigen könnte, so hat AFP weder in der deutschen Studie, noch in sonstigen Anhaltspunkte gefunden, die dies belegen.

Verwirrung um das S-Protein ("Spike")

Viele der verbreiteten Artikel verwechseln die "Spike"-Proteine des Virus mit der Boten-RNA der Impfstoffe, die angeblich dazu führe, dass im ganzen Körper "gefährliche" S-Proteine produziert würden. Dass dies nicht der Fall ist, hat AFP bereits in diesem Faktencheck festgestellt.

Die mRNA-Impfstoffe funktionieren so: Nach der Injektion weisen die Impfstoffe Körperzellen an, Spike-Proteine zu produzieren, wie sie auch das Virus nutzt.

Sobald der Körper diese Proteine erkennt, löst er eine Immunreaktion aus und produziert Anti-S-Antikörper, genauso als würde er dem echten Virus gegenüberstehen. Er lernt so, sich auch gegen das echte Coronavirus zu wehren.

Das durch den Impfstoff erzeugte "Spike"-Protein ist allerdings nicht das Virus, es ist harmlos. Es wird nur lokal produziert, kann sich nicht vermehren und wird nach kurzer Zeit vom Körper wieder abgebaut. Gefährlich ist nur das Sars-CoV-2-Virus (siehe auch hier).

Eine Fallstudie

Abgesehen zu den offensichtlichen Widersprüchen mahnte Hansen zusätzlich zur Vorsicht bei der Interpretation seiner Ergebnisse. Da es sich bei dieser Autopsie lediglich um eine Fallstudie handele, könnten die darin enthaltenen Beobachtungen und Empfehlungen nicht verallgemeinert werden, schrieb er.

"Es handelt sich um einen Fallbericht, was bedeutet, dass wir nur für einen Patienten interessante Daten präsentieren. Zweifellos sind weitere Untersuchungen mit größeren Kohorten von geimpften Patienten erforderlich (...), um allgemeine Schlussfolgerungen zu ziehen. Daher sollten unsere Ergebnisse mit Vorsicht interpretiert werden", schreibt er.

Fazit: Nein, die vorliegende Autopsie zeigt weder, dass der Patient an der Impfung starb, noch dass diese keine Wirkung zeigte. Die Studienautoren gehen davon aus, dass der Mann von der Impfung vor Covid-19-Symptomen geschützt wurde und andere Todesursachen verantwortlich waren.

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