Diese Proteste in Serbien richteten sich gegen Korruption und standen nicht mit Religion in Verbindung
- Veröffentlicht am 18. Dezember 2025 um 10:07
- 4 Minuten Lesezeit
- Von: Liesa PAUWELS, Mina PEJAKOVIC, AFP Niederlande, AFP Belgrad
- Übersetzung und Adaptierung: Elena CRISAN , AFP Österreich
Im Jahr 2025 fanden in Serbien großangelegte Proteste statt. Sie waren ausgelöst durch den tödlichen Einsturz eines Bahnhofsvordachs, das kurz vor dem Unglück renoviert und zum Symbol der Korruption der Regierung wurde. Über ein Video einer Demonstration in Belgrad heißt es online fälschlich, dass mehr als eine Million Serbinnen und Serben "das Land zu einem christlichen Staat" erklären würden. Die Demonstration im Video fand jedoch bereits im März 2025 in der serbischen Hauptstadt statt und richtete sich gegen die Korruption im Land.
"Mehr als 1 Million Christen füllten die Straßen Serbiens und erklärten das Land zu einem 'christlichen Staat'", lautet ein irreführender Beitrag, der seit 11. Dezember 2025 auf X mehr als 90.000 Mal angesehen wurde. "Das Christentum wird siegen", sollen angebliche Regierungsgegnerinnen und -gegner im Video gesagt haben. Laut dem Video hätten rund 1,4 Millionen Menschen dort demonstriert. In dem Video ist von einem Balkon aus eine Menschenmenge zu sehen, die auf einem großen Platz in der serbischen Hauptstadt Belgrad steht und serbische Flaggen schwenkt.
Der Account, der das Video postete, beschreibt sich selbst als "unabhängige" und "zuverlässige" Nachrichtenquelle, doch ein fehlendes Impressum auf der angegebenen Website und überflüssige Leerzeichen in der Profilbeschreibung deuten darauf hin, dass es sich dabei um keine seriöse Quelle handelt.
Die Behauptung kursierte auch auf Facebook und Instagram. Das Video wurde mit ähnlichen Behauptungen auch auf Niederländisch, Englisch, Französisch, Griechisch und Spanisch geteilt.
Die in dem Video gezeigte Protest wurde jedoch organisiert, um sich öffentlich gegen die Korruption in Serbien zu positionieren. Er steht in keinem Zusammenhang mit religiösen Bestrebungen.
Auslöser für die von Studierenden angeführten Proteste in Serbien war der tödliche Einsturz des Vordaches eines Bahnhofs in der Stadt Novi Sad im November 2024, bei dem 16 Menschen ums Leben kamen und eine Person schwer verletzt wurde. Im vergangenen Jahr organisierten Studierende gemeinsam mit Unterstützerinnen und Unterstützern landesweite Kundgebungen, bei denen zehntausende Menschen in großen Städten auf die Straße gingen. Die Tragödie schürte die Wut in der Bevölkerung auf die angeblich weit verbreitete Korruption in der Regierung des serbischen Präsidenten Aleksandar Vucic und die nachlässige Aufsicht der serbischen Behörden über Bauprojekte.
Demonstration gegen Korruption im März 2025
Eine umgekehrte Bildsuche mit Screenshots aus dem Video zeigt, dass die Aufnahmen von den Protesten im Jahr 2025 stammen und mindestens neun Monate zuvor veröffentlicht wurden. Die ältesten Beiträge, die AFP fand, stammen vom 15. März 2025.
Einer der Accounts, der das Video am 15. März 2025 gepostet hatte, veröffentlichte weitere Videos aus einer ähnlichen Perspektive. Anscheinend wurden sie vom selben Balkon aus gefilmt. Eine Bildunterschrift lautete übersetzt aus dem Englischen: "Belgrad, 15. März 2025 – über 750.000 Menschen protestieren gegen das Regime und die Korruption."
Ein weiterer Kommentar des Autors unter einem anderen Video liefert zusätzliche Eindrücke: "Gestern, am 15. März 2025, erlebte Serbien eine der größten Proteste seit Jahrzehnten". Der User schrieb weiter: "Die von Studierenden angeführte Demonstration mit dem Namen 'Am 15. für die 15' war der Höhepunkt monatelanger Anti-Korruptions-Proteste, die durch den Einsturz eines Bahnhofsdachs in Novi Sad im November 2024 ausgelöst worden waren, bei dem 15 Menschen ums Leben kamen". Die Zahl 15 bezieht sich auf die Todesfälle und auf das Datum der Großdemo.
Laut Medienberichten nahmen an der Demonstration in Belgrad am 15. März 2025 etwa 275.000 bis 325.000 Menschen teil, was sie zu einer der größten Demonstrationen in Serbien seit Jahrzehnten machte. Auch AFP berichtete über die Kundgebung.
Ein AFP-Reporter in Belgrad erkannte den Drehort des Videos als den Slavija-Platz, einen der bekanntesten in der serbischen Hauptstadt. AFP lokalisierte den genauen Ort auf Google Maps, an dem das Video aufgenommen wurde: in einem der Wohnblöcke in der Beogradska-Straße gegenüber eines Parks, in dem sich Demonstrierende versammelt hatten. Die Fassaden der Gebäude im Hintergrund stimmen mit jenen in Bildern auf Google Street View überein.
AFP-Drohnenaufnahmen (archiviert) zeigen ebenfalls, wie sich an diesem Tag tausende Demonstrierende am Slavija-Platz versammelten. Auf den Bildern ist derselbe Park zu sehen. Zudem ist sichtbar, wie die blauen Lichter des Gebäudes hinter der Straße reflektieren, die parallel zum Park verläuft.
Auf einem anderen AFP-Video ist eine Menschenmenge aus dem gleichen Blickwinkel wie im Video in sozialen Medien zu sehen. Darin sind die Ampeln und das Hochhaus auf der anderen Seite des Parks zu erkennen.
In anderen Sprachen wurde über ähnliche Videos der Demonstration vom 15. März 2025 fälschlich behauptet, dass sie andere Proteste zeigen würden. AFP widerlegte diese. Auch andere Aufnahmen der Studierendenproteste in Serbien waren häufig Ziel von Desinformation, worüber AFP berichtete.
AFP überprüfte zudem mehrere Behauptungen, die rund um verschiedene Demonstrationen kursierten.
Fazit: Eine Aufnahme einer Demonstration in Belgrad vom 15. März 2025 kursierte im Dezember 2025 in falschem Kontext. Dabei hieß es fälschlich, dass mehr als eine Million Serbinnen und Serben "das Land zu einem christlichen Staat" erklären würden. Die im Video gezeigte Demonstration wurde jedoch als Protest gegen Korruption und nicht für religiöse Zwecke organisiert.
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