
Desinformation zielt auf Studierendenproteste in Serbien ab
- Veröffentlicht am 7. April 2025 um 16:27
- 4 Minuten Lesezeit
- Von: Mina PEJAKOVIC, AFP Belgrad
- Übersetzung: Lisa-Marie ROZSA
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Der Einsturz des Daches eines frisch renovierten Bahnhofs im November 2024 löste eine landesweite Protestwelle aus. Bei dem Unglück in Serbiens zweitgrößter Stadt Novi Sad kamen 16 Menschen ums Leben. Viele Menschen machen staatliche Korruption und unzureichende Sicherheitsvorkehrungen für das Unglück verantwortlich. Daher haben die Proteste den Druck auf die nationalistische Regierung von Präsident Aleksandar Vučić erhöht.
Hochrangige Regierungsvertreterinnen und -vertreter und regierungsfreundliche Nachrichtenagenturen – die in Serbiens Medienlandschaft überwiegen – stellen die Studierenden und diejenigen, die sie unterstützen, seit Monaten als "ausländische Agentinnen und Agenten" und gewalttätige Unruhestifter vor, die einen "Staatsstreich" planen würden. Sie beschuldigen sie auch, von der Opposition finanziert zu werden.
In der Boulevardzeitung "Kurir" wurde geschrieben, dass die Studierenden "Belgrad terrorisieren" würden, während in der Boulevardzeitung "Informer" und auf dem gleichnamigen Fernsehsender behauptet wurde, dass sie von der US-amerikanischen Entwicklungsbehörde USAID und dem Milliardär George Soros bezahlt werden würden. Letzterer ist ein regelmäßiges Ziel rechtspopulistischer Verschwörungserzählungen.
Auf einem weiteren regierungsfreundlichen Sender, Pink TV, wurde die Protestbewegung als Aufstand bezeichnet, der von der albanischen Bevölkerungsmehrheit im Kosovo unterstützt werde. Die ehemalige südserbische Provinz hatte sich 2008 von Serbien unabhängig erklärt.
Desinformation laut Expertin zur Diskreditierung genutzt
Die Medienexpertin und Professorin an der Universität Belgrad, Snježana Milivojević, erklärte gegenüber AFP, dass solche Narrative darauf abzielten, die Proteste als Versuch einer "Farbrevolution" darzustellen. Dies ist eine Anspielung auf die prowestlichen Revolten, die in den vergangenen Jahrzehnten die postsowjetischen Staaten erschütterten.
Medien sowie Regierungsvertreterinnen und -vertreter verbreiteten auch regelmäßig Falschmeldungen über die Demonstrantinnen und Demonstranten, "um sie zu diskreditieren", fügte sie hinzu. Ein Beispiel aus jüngster Zeit sei ein Film der Studierenden der Universität der Künste in der zentral gelegenen Stadt Kragujevac: Diese drehten ein Dokudrama über die Angriffe mit Autos, die mehrere Proteste erschütterten und durch die einige Menschen schwer verletzt wurden. In Medien wie "Informer" und TV Prva wurde mit dem Filmmaterial dann fälschlicherweise behauptet, dass die Angriffe von den Studierenden ausgegangen seien – sie wurden also von Opfern zu Tätern.
Bogdan Vučić, Student an der Belgrader Fakultät für Politikwissenschaft, sagte gegenüber AFP, dass die regierungsfreundliche Berichterstattung über die Proteste "zur Feindseligkeit gegenüber den Studierenden beiträgt und sie zu Staatsfeinden macht – dabei sind die Studierenden die Kinder und die Zukunft dieses Landes".
Professorin Ana Milojević vom Fachbereich Journalismus der Fakultät für Politikwissenschaft an der Universität Belgrad sagte, die Fehlinformationen zielten darauf ab, "die Proteste zu delegitimieren".
Bei einem weiteren Vorfall im März 2025 wurde ein Polizist in Zivil bei einer Studierendenblockade des Hauptsitzes des staatlichen Rundfunksenders RTS in Belgrad verletzt. In regierungsfreundlichen Medien wurde den Studierenden vorgeworfen, den Polizisten angegriffen zu haben. Diese Behauptung wiederholte Präsident Vučić auf seinem Instagram-Account zusammen mit einem Bild des verletzten Mannes. Doch in sozialen Medien kursierende Videoaufnahmen zeigten, dass er von einem Kollegen geschlagen wurde.

Vučić räumte später ein, dass der Beamte "vielleicht ein paar Schläge von seinen Kollegen eingesteckt hat", bestand aber darauf, dass auch mehrere Schläge von den Studierenden und anderen Personen kamen, die sich in der Nähe des RTS-Gebäudes versammelt hatten.
Fotos von alten Protesten
Serbiens regierungsfreundliche Medien verbreiten seit Jahren "Propaganda" und ihre "Taktik wurde noch verschärft, als die Proteste begannen", so Milivojević. "Das Ziel ist, die Proteste zu kriminalisieren und sie als gewalttätig und ineffektiv darzustellen."
Die Studierendenproteste gehören zu den größten in der jüngeren serbischen Geschichte. Die Demonstrationen haben regelmäßig Zehntausende angezogen. Doch in regierungsfreundlichen Medien wurden alte Fotos oder Filmmaterial verwendet, die Menschenmengen zeigen, wie sie sich auflösen. Damit sollte die Zahl der Teilnehmenden der aktuellen Proteste kleiner erscheinen. "Medienberichten zufolge versammeln sich bei vom Regime unterstützten Veranstaltungen mehr Menschen auf kleineren Plätzen als bei Protesten auf den größten Plätzen, und die Zahl der Studierenden wird ständig heruntergespielt", so Milivojević.
Falschmeldungen zum Demonstrationsrecht
Als sich auch Oberstufenschülerinnen und -schüler den Blockaden anschlossen, behauptete Vučić, dass Minderjährige kein Recht auf Versammlungsfreiheit hätten. In regierungsnahen Medien wurden seine Worte schnell aufgegriffen und Schlagzeilen veröffentlicht, die in sozialen Medien weit verbreitet wurden und besagten, dass Studierende das Recht hätten zu demonstrieren, Minderjährige jedoch nicht. Gemäß der Staatsverfassung und den Konventionen der Vereinten Nationen ist es jedoch allen Menschen in Serbien erlaubt, zu demonstrieren – unabhängig von ihrem Alter.
Auch die Protestierenden selbst sind nicht davor gefeit, auf Falschinformationen hereinzufallen. Ein vielfach geteiltes Video sollte angeblich die "Verhaftung von 'RTS'-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeitern, die die Wahrheit über die Proteste aufdecken wollen", zeigen. Tatsächlich war es jedoch das Video einer Verhaftung von Mitgliedern einer kleinen politischen Bewegung im Jahr 2022, die das RTS-Gebäude gestürmt hatten.
Um Falschmeldungen und ihrer Meinung nach voreingenommene Berichterstattung zu bekämpfen, nutzen protestierende Studierende regelmäßig soziale Medien, um vermeintliche Desinformationen aufzudecken, die von regierungsfreundlichen Medien verbreitet werden. Sie haben auch in ganz Serbien Informationsstände unter dem Motto "Sprich mit einem Studierenden" eingerichtet, um mit den Menschen über Fehlinformationen zu sprechen. Außerdem gründeten Studierende eine Gruppe in der Messaging-App Viber mit mehr als 47.000 Mitgliedern, um Fragen der Öffentlichkeit zu beantworten. Sie demonstrierten auch vor den Büros von RTS und "Informer".