Das Versammlungsrecht gilt in Deutschland auch für ausländische Staatsangehörige
- Veröffentlicht am 18. Dezember 2025 um 14:14
- Aktualisiert am 18. Dezember 2025 um 14:47
- 4 Minuten Lesezeit
- Von: Katharina ZWINS, AFP Österreich
In Deutschland sind ausländische Staatsangehörige immer wieder Ziel von Hass und Falschinformationen. Im Dezember 2025 wurde etwa behauptet, ausländische Staatsangehörige hätten kein Versammlungsrecht. Das ist irreführend. Der entsprechende Artikel zur Versammlungsfreiheit im Grundgesetz nennt tatsächlich explizit nur "Deutsche". Jedoch haben auch ausländische Staatsangehörige ein Recht auf Versammlung. Andere Rechtsgrundlagen sichern Menschen ohne deutschen Pass dieses zu.
"Ich möchte nochmal drauf hinweisen, dass Ausländer in Deutschland kein Versammlungsrecht haben", schrieb Anabel Schunke am 7. Dezember 2025 auf X. "Also entweder sind die Syrer, die da heute demonstriert haben, alle schon eingebürgert oder man könnte diese Scheiße sofort auflösen, wenn man denn wollen würde", fügte die neurechte Influencerin hinzu. Sie teilte einen Screenshot ihrer Aussage auch auf Facebook, der über 1700 Mal verbreitet wurde. AFP hat bereits zahlreiche Falschbehauptungen von Schunke überprüft.
Auch andere Nutzerinnen und Nutzer verbreiteten den Beitrag auf Facebook. Auf Threads wurde die Behauptung ebenfalls geteilt.
Ausgangspunkt der Behauptung war eine Demonstration in Berlin am 7. Dezember 2025 zum ersten Jahrestag des Sturzes des ehemaligen syrischen Machthabers Baschar al-Assad, an der laut Medienberichten rund 3000 Menschen teilnahmen. Im Jahr zuvor sind in Deutschland bereits tausende Menschen auf die Straße gegangen. Allein in Berlin feierten Anfang Dezember 2024 nach Polizeiangaben rund 5000 Menschen den Sturz des syrischen Diktators.
Die geteilte Aussage ist jedoch irreführend.
Grundgesetz regelt Versammlungsrecht
Im deutschen Grundgesetz (GG) sind die grundlegenden Rechte von Bürgerinnen und Bürgern sowie die wichtigsten Prinzipien des Staates festgelegt. In Artikel 8 ist bestimmt, dass "alle Deutschen" das Recht haben, "sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln". Das Grundrecht eröffnet Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit, ihre Meinung und ihren politischen Willen kundzutun. Die Formulierung bezieht sich ausdrücklich auf Deutsche, was zu dem Irrtum führen kann, dass ausländische Staatsangehörige dieses Recht gar nicht hätten. Die Influencerin Schunke, die die Behauptung teilte, erklärte gegenüber dem Recherchenetzwerk Correctiv, sich explizit auf diese Bestimmung bezogen zu haben.
Doch obwohl Artikel 8 GG formal nur Deutsche schützt, genießen auch Ausländerinnen und Ausländer verfassungsrechtlichen Schutz, wie das Innenministerium auf seiner Website anführt: "Für sie folgt das Recht, Versammlungen zu veranstalten oder an ihnen friedlich und unbewaffnet teilzunehmen, aus dem für jedermann, also nicht nur für Deutsche, geltenden allgemeinen Recht auf Handlungsfreiheit nach Artikel 2 Absatz 1 GG." Auf der digitalen Plattform Rechtskunde Online der Universität Potsdam wird konkretisiert, dass diese Bestimmung nach "überwiegender Auffassung" eine "vergleichbare Schutzwirkung für Ausländer, die von den sogenannten 'Deutschengrundrechten' ansonsten ausgeschlossen wären" entfalte. Auch in einem Bericht der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages aus dem Jahr 2018 wird dazu erläutert: "Im Ergebnis müssen beide Lösungen auf denselben Schutzstandard hinauslaufen."
Weitere Rechtsquellen gewähren Versammlungsrecht
Es existieren jedoch auch andere Rechtsakte, die das Versammlungsrecht gleichermaßen für ausländische Staatsangehörige sichern. Sowohl Bundes- als auch Landesgesetze gewähren allen Personen in Deutschland das Recht auf Versammlungsfreiheit. Im Versammlungsgesetz ist in Paragraph 1 bestimmt: "Jedermann hat das Recht, öffentliche Versammlungen und Aufzüge zu veranstalten und an solchen Veranstaltungen teilzunehmen". Es handelt sich somit um ein sogenanntes "Jedermannsrecht", wie auch die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages erläutern. "Hierauf können sich neben Deutschen auch EU-Ausländer, Ausländer aus Drittstaaten und Staatenlose berufen."
2006 wurde den Ländern zudem die Möglichkeit eingeräumt, eigenständige Regelungen zum Versammlungsrecht zu schaffen. Auf Landesebene sieht beispielsweise die Berliner Verfassung in Artikel 26 explizit vor, dass "alle Männer und Frauen" ein Recht auf Versammlung haben. Dieses Recht gilt somit genauso für ausländische Staatsangehörige.
Zudem gibt es Regelungen auf völkerrechtlicher Ebene, die auch in Deutschland allen Menschen Versammlungsfreiheit gewähren – unabhängig von ihrer Nationalität. In der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) heißt es in Artikel 11: "Jede Person hat das Recht, sich frei und friedlich mit anderen zu versammeln und sich frei mit anderen zusammenzuschließen." Die EMRK ist in Deutschland unmittelbar geltendes Recht und gilt für alle staatlichen Stellen. Laut einem zentralen Beschluss des deutschen Bundesverfassungsgerichts vom Oktober 2004 ist die EMRK zudem bei der Interpretation aller Regelungen in Deutschland, auch des Grundgesetzes, zu beachten und anzuwenden. Das Recht auf Versammlung hat folglich nicht allein den Vorgaben des Grundgesetzes zu entsprechen, sondern muss ebenso völkerrechtlichen Verpflichtungen – wie eben der EMRK – genügen.
Aus einem Leitfaden des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte geht zudem hervor, dass Staaten aktiv dafür sorgen müssen, dass Versammlungen durchgeführt werden können und geschützt werden. Das bezieht sich gleichermaßen auf Versammlungen von ausländischen Staatsangehörigen.
Bürgerinnen und Bürger aus anderen EU-Mitgliedstaaten können sich zudem auf das Diskriminierungsverbot berufen, wonach Diskriminierung durch die Mitgliedstaaten aufgrund der Staatsangehörigkeit untersagt ist. Daraus folgt, dass EU-Ausländerinnen und -Ausländer auch beim Versammlungsrecht im Vergleich zu deutschen Staatsangehörigen nicht benachteiligt werden dürfen, erklärten die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages.
AFP sammelt Falschbehauptungen zum Thema Migration auf der Website.
Fazit: Anders als online behauptet, steht das Versammlungsrecht in Deutschland auch ausländischen Staatsangehörigen zu. Tatsächlich nennt das Grundgesetz im Artikel zur Versammlungsfreiheit explizit nur "Deutsche". Die Versammlungsfreiheit gilt jedoch auch für Menschen ohne deutschen Pass – allerdings gestützt auf andere Rechtsquellen.
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