
Tonspur von altem Video aus Kiewer Metro wurde manipuliert, um Selenskyj zu diskreditieren
- Veröffentlicht am 20. Oktober 2025 um 16:07
- 4 Minuten Lesezeit
- Von: Eduard STARKBAUER, AFP Slowakei
- Übersetzung und Adaptierung: Elena CRISAN , AFP Österreich
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Mehr als drei Jahre nach Russlands Invasion in die Ukraine wird von russischer Seite weiterhin versucht, den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj zu diskreditieren. Ein online geteiltes Video soll angeblich zeigen, wie ihn eine Menschenmenge dazu auffordert, seinen "Bunker" zu verlassen und sich zu ihnen zu begeben. Doch die Tonspur wurde mithilfe von Künstlicher Intelligenz (KI) generiert und über alte Aufnahmen gelegt. Das bestätigte auch der Urheber des Originalvideos.
In sozialen Medien wird Wolodymyr Selenskyj oft vorgeworfen, eitel und verschwenderisch zu sein. Er wird auch als unnahbar dargestellt. Mitte Oktober 2025 behaupteten Userinnen und User verschiedener Plattformen, ukrainische Bürgerinnen und Bürger hätten Selenskyj aufgefordert, sich ihnen in der U-Bahn-Station Nyvky in Kiew anzuschließen und sich nicht in seinem "Bunker" zu verstecken. "Anstatt in sicheren Bunkern sollte er selbst erfahren, wie es ist, sich wochenlang in U-Bahn-Schächten verstecken zu müssen", lautete ein Facebook-Post. Auch auf Telegram kursierte dazu ein Video, das eine Menschenmenge zeigt, die in einer U-Bahn-Station im Chor ruft. Eine männliche Stimme gibt den Ton an und skandiert: "Ze, komm zu uns herunter". Das bedeutet auch der ukrainische Schriftzug im Video übersetzt.
Einige Posts verlinkten auf einen deutschsprachigen Blog namens InfoDefense, der laut eigenen Angaben 2022 auf die Initiative von Blogger Juri Podoljaka gegründet wurde, der angibt, vom russischen Staat eine Lizenz für seine Aktivitäten zu führen. Dessen Behauptungen überprüfte AFP bereits in der Vergangenheit. Dort erschien die aktuell verbreitete Behauptung samt dem Video am 13. Oktober 2025.
Das Video wurde ebenfalls in einem russischsprachigen Artikel veröffentlicht. Er handelt von einer angeblichen Empörung der Einwohnerinnen und Einwohner Kiews gegenüber Selenskyj nach russischen Angriffen auf die Energieinfrastruktur im Oktober 2025. Der Clip erschien auch in einem Artikel des Netzwerks "Pravda", welches Russland zur Verbreitung von Falschinformationen nutzt. Die Behauptung kursierte überdies auf X sowie in mehreren Sprachen, darunter auf Slowakisch und Bulgarisch.

AFP-Recherchen ergaben jedoch, dass die Audiospur im Video nachträglich mittels Audio-Deepfake-Technik manipuliert wurde. Der Clip kursierte drei Jahre nach der Veröffentlichung der Originalversion und nur wenige Tage, nachdem Russland am 10. Oktober 2025 die Ukraine laut Medienberichten mit 32 Raketen und 465 Drohnen angegriffen hatte, und dabei in erster Linie auf ihre Energieinfrastruktur abzielte.
Originalvideo stammt aus dem Jahr 2022
Eine umgekehrte Bildsuche nach Ausschnitten des Videos führte zu einem Facebook-Beitrag des Senders Radio Culture vom 10. Oktober 2022, der dem ukrainischen öffentlich-rechtlichen Rundfunk angehört. Der Beitrag, der einen 27-sekündigen Ausschnitt aus einer U-Bahn-Station zeigt, enthält die folgende Beschreibung: "U-Bahn-Station 'Nyvky' in Kiew. Die Menschen singen das Volkslied 'Spannt eure Pferde aus, Jungs', während russische Truppen weiterhin ukrainische Städte mit Raketen bombardieren."
Auf einer anderen Facebook-Seite desselben öffentlich-rechtlichen Rundfunks fand AFP einen weiteren Teil des Originalvideos in einem Beitrag, der mehrere Aufnahmen aus der U-Bahn-Station kombiniert. Dieser wurde auch am 10. Oktober 2022 veröffentlicht. In beiden Fällen wird der Autor des Videos als Produzent und Reporter des öffentlich-rechtlichen Senders Maxim Koshelev (auf Ukrainisch: Максим Кошелєв) angegeben.

Koshelev übermittelte AFP das gesamte 27 Sekunden dauernde Originalvideo, in dem das oben erwähnte Volkslied zu hören ist. Er bestätigte auch, dass er der Urheber sei. "Ja, das Originalvideo, in dem Menschen ukrainische Volkslieder singen, wurde von mir persönlich gedreht", schrieb er in einer E-Mail vom 14. Oktober 2025. "Ich habe dieses Video gedreht, als wir uns während des massiven Raketenangriffs auf Kiew am 10. Oktober 2022 in der U-Bahn-Station Nyvky versteckt hielten. An diesem Tag verbrachten wir mehrere Stunden unter der Erde, weil Russland Kiew mit Marschflugkörpern und ballistischen Raketen beschoss."
Darüber hinaus bestätigten eine AFP-Journalistin und ein AFP-Journalist in Kiew am 14. Oktober 2025 den Titel des Volksliedes, das tatsächlich im Originalvideo zu hören ist, und dass sich die Bezeichnung "Ze" im gefälschten Video auf den ukrainischen Präsidenten Selenskyj bezieht.
Seit Beginn der groß angelegten Invasion Russlands in der Ukraine sind die Einwohnerinnen und Einwohner Kiews oft gezwungen, sich in U-Bahn-Stationen vor Raketenangriffen auf die Stadt zu schützen. Das Singen von Volksliedern, während sich Ukrainerinnen und Ukrainer vor Bombenangriffen verstecken, ist seit Kriegsbeginn zu einem Ausdruck von Widerstand geworden. Darüber berichteten im Oktober 2022 mehrere internationale Medien.
Audiospur wurde mithilfe von KI erstellt
Mithilfe des Tools deepfake-total.com des Fraunhofer-Instituts für Angewandte und Integrierte Sicherheit konnte AFP bestätigen, dass die Audiospur des Videos, das sich online im falschen Kontext verbreitete, nachträglich bearbeitet wurde. Die Analyse ergab, dass die ursprüngliche Tonspur im Video mit einer Wahrscheinlichkeit von 81,3 Prozent durch eine von KI erstellte Spur ersetzt wurde.
Eine noch höhere Wahrscheinlichkeit von 98 Prozent, dass die Audiospur in dem veränderten Video mithilfe von KI erstellt wurde, ergab die neueste Entwicklerversion des Hiya-Tools im Verifizierungstool InVID-WeVerify.

Das gefälschte Video aus der U-Bahn wurde auch vom ukrainischen Zentrum zur Bekämpfung von Desinformation gemeldet, das zum Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrat der Ukraine gehört.
Weitere Faktenchecks über den Krieg in der Ukraine sind auf der Website aufrufbar.
Fazit: Online wurde behauptet, dass eine Menschenmenge in der U-Bahn-Station Nyvky angeblich Präsident Selenskyj aufgefordert habe, seinen "Bunker" zu verlassen und sich ihnen anzuschließen. Doch die Tonspur des Videos wurde mittels KI generiert und über alte Aufnahmen aus dem Oktober 2022 gelegt. Der Urheber des Originalvideos bestätigte dies ebenfalls.