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Kein Kauf durch Selenskyj: Kehlsteinhaus in Bayern weiterhin in Besitz des Freistaats
- Veröffentlicht am 27. Februar 2025 um 10:55
- Aktualisiert am 27. Februar 2025 um 17:20
- 7 Minuten Lesezeit
- Von: Johanna LEHN, Bozhidar ANGUELOFF, AFP Deutschland, AFP Bulgarien
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Die ehemalige Villa von Joseph Goebbels, zwei Luxusyachten für 49,7 Millionen Euro und der Paradewagen von Adolf Hitler – sie alle haben eins gemeinsam: Wolodymyr Selenskyj soll sie gekauft haben. Dass der ukrainische Präsident wahlweise Luxusgüter oder Immobilien mit nationalsozialistischer Vergangenheit erworben habe, sind beliebte Falschinformationen, die Selenskyj in Misskredit ziehen sollen. Zum einen sei er selbst Nationalsozialist, zum anderen veruntreue er westliche Hilfsgelder an die Ukraine.
Nun wurde ihm der Kauf eines weiteren geschichtsträchtigen Ortes nachgesagt: Selenskyj habe das Kehlsteinhaus in Berchtesgaden für 14,2 Millionen Euro erworben, hieß es Anfang Februar 2025 in Beiträgen auf Telegram, X und Facebook. Auch in anderen Sprachen wie Bulgarisch, Französisch, Polnisch oder Tschechisch sowie von dem staatlich unterstützten russischen Medium "Pravda" wurde die Behauptung geteilt.
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Für einen solchen Verkauf an Wolodymyr Selenskyj gibt es jedoch keine Beweise.
Das Kehlsteinhaus liegt auf dem Kehlstein im oberbayerischen Berchtesgaden. Es wurde von 1937 bis 1938 erbaut und sollte "als politischer Repräsentationsort abseits der Öffentlichkeit dienen", da es in unmittelbarer Nähe des Obersalzbergs gelegen ist, erklärt das zuständige Destinationsmanagement Berchtesgaden auf seiner Website. Der Obersalzberg war zwischen 1933 und 1945 zusätzlich zu Berlin das "wichtigste Machtzentrum der nationalsozialistischen Diktatur, in dem über Verfolgung, Krieg und Völkermord entschieden wurde". Letztendlich besuchte Adolf Hitler das Kehlsteinhaus jedoch selten und wenn dann nur gemeinsam mit Diplomaten oder anderen Gästen aus dem Ausland. Der Ausflugsort wurde eher von am Obersalzberg tätigen NS-Funktionären "zur Erholung und für private Feiern" genutzt.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Kehlsteinhaus zunächst an den Deutschen Alpenverein Sektion Berchtesgaden vermietet, heißt es auf der Website des Ausflugsorts. Im Jahr 1952 wurde dort eine Berggaststätte eröffnet. Seither ist es der Öffentlichkeit zugänglich. Am Ausflugsort selbst gibt es eine Ausstellung zur nationalsozialistischen Geschichte des Kehlsteinhauses. In der Nähe der Abfahrtstelle der Busse zum Kehlsteinhaus befindet sich zudem das Dokumentationszentrum Obersalzberg, das über die NS-Diktatur und die Geschichte des Ortes informiert.
In den Beiträgen mit der Falschbehauptung wurde ein Video geteilt. Darin sind neben historischen Aufnahmen des Kehlsteinhauses Bilder von Besucherinnen und Besuchern auf dem Weg zum Ausflugsort zu sehen. Zudem werden angebliche Besucherzahlen von 1999 bis 2021 eingeblendet, die ab 2020 drastisch eingebrochen zu sein scheinen, was zum Verkauf geführt haben soll. Dadurch sei das Kehlsteinhaus ab 2025 voraussichtlich nicht mehr öffentlich zugänglich. Schließlich wird ein angebliches Zitat des Geschäftsführers des landeseigenen Betriebs Immobilien Freistaat Bayern (IMBY) sowie ein angeblicher Kaufvertrag zwischen IMBY und der Firma San Tommaso S.R.L. eingeblendet. Bei der Firma handele es sich um ein Unternehmen Selenskyjs.
Freistaat dementiert den Verkauf
Das Kehlsteinhaus ist Eigentum des Freistaats Bayern. Für die Verwaltung landeseigener Immobilien ist die im angeblichen Kaufvertrag aufgeführte IMBY zuständig. Am 7. Februar 2025 veröffentlichte sie auf ihrer Website eine Pressemitteilung, in der sie die Behauptung als "gezielte Falschinformationen" bezeichnete. "Das Kehlsteinhaus befindet sich weiterhin im Eigentum des Freistaats Bayern", erklärte der landeseigene Betrieb. Ein Verkauf habe weder stattgefunden noch sei er geplant. Die IMBY geht auch auf Einzelheiten aus dem Video ein: "Der im Video gezeigte angebliche Kaufvertrag ist eine Fälschung, gleiches gilt für das angebliche Zitat der IMBY-Geschäftsführung." Zudem werde sie rechtlich gegen die Falschinformation vorgehen.
In dem angeblichen Kaufvertrag ist Petra Schmid als Stellvertreterin für die IMBY aufgeführt. Ihre Funktion als Leiterin der Regionalvertretung Oberpfalz ist korrekt wiedergegeben. Jedoch stimmt die Schreibweise ihres Namens nicht mit der Unterschrift überein, wo der Name Schmidt gut lesbar anders geschrieben wurde. Den Vertrag soll sie mit einer Firma namens San Tommaso S.R.L. geschlossen haben. Gemäß eines Eintrags aus dem Jahr 2022 im ukrainischen Vermögensregister gehört diese Firma Selenskyjs Frau Olena Selenska. Im März 2019 berichtete das Journalismusprojekt Organized Crime and Corruption Reporting Project (OCCRP), Selenskyj – damals noch Präsidentschaftskandidat – habe es versäumt, eine Villa in seiner Vermögenserklärung aufzuführen, die seine Firma San Tommaso S.R.L. zwei Jahre zuvor gekauft habe.
Eine AFP-Anfrage an das Notariat, das den angeblichen Kaufvertrag beglaubigt haben soll, blieb bis zur Veröffentlichung unbeantwortet. Das Muster, einen angeblichen Kaufvertrag zwischen einem landeseigenen Betrieb und einer Firma Selenskyjs als Beweis zu präsentieren, erinnert jedoch stark an eine weitere Falschbehauptung über den ukrainischen Präsidenten, die AFP widerlegte: Ende 2023 wurde fälschlicherweise behauptet, eine andere seiner Firmen, Film Heritage Inc., hätte die ehemalige Villa des NS-Propagandaministers Joseph Goebbels in der Nähe von Berlin gekauft. Damals wurde ebenfalls mit einem angeblichen Kaufvertrag argumentiert, der nachweislich gefälscht war.
Kehlsteinhaus plant reguläre Öffnung im Mai
Laut der Website des Destinationsmanagements Berchtesgaden ist der geplante Eröffnungstermin des Ausflugsortes für die kommende Saison der 9. Mai 2025. Auch in der Pressemitteilung der IMBY heißt es, dass das Kehlsteinhaus "regulär im Mai 2025 seinen Saisonbetrieb wieder aufnehmen" wird. Dass die Attraktion im Winter geschlossen ist, ist zudem keine Neuigkeit oder gar ein Indiz für einen Verkauf. Der Grund ist laut Radiosender Bayernwelle ein pragmatischer: Der Weg zum Kehlsteinhaus sei im Winter schlicht nicht befahrbar.
Dem verbreiteten Video zufolge seien angeblich rückläufige Besucherzahlen ausschlaggebend für den Verkauf gewesen. Von zuvor rund 169.000 sei die Anzahl der Besucherinnen und Besucher in den Jahren 2020 und 2021 auf rund 53.700 beziehungsweise 44.700 eingebrochen. AFP konnte die Grafik aus dem Video mithilfe einer Stichwortsuche ausfindig machen. Sie ist Teil des Jahresberichts des Jahres 2021 des Dokumentationszentrums Obersalzberg und zeigt die Besucherinnen und Besucher seit der Eröffnung des Lern- und Erinnerungsortes, nicht der Berggaststätte. Die Zahlen darin sind identisch zu jenen im Video. Allerdings ist die Legende im Video abgeschnitten, die den Einbruch der Zahlen in den Jahren 2020 und 2021 erklärt: In beiden Jahren war das Museum wegen der Corona-Pandemie nur eingeschränkt geöffnet.
Eine Meldung der Bayernwelle über das Ende der Saison 2023 des Kehlsteinhauses spricht ebenfalls gegen einen Verkauf wegen ausgebliebener Gäste: Fast 280.000 Besucherinnen und Besucher seien von Mai bis Oktober 2023 mit Bussen zum Kehlsteinhaus gebracht worden. Da das Kehlsteinhaus jedoch auch zu Fuß erreichbar ist, kann davon ausgegangen werden, dass Wanderinnen und Wanderer nicht in der Aufstellung berücksichtigt sind und die tatsächlichen Besucherzahlen möglicherweise höher ausfielen.
Ursprung der Desinformation: Spur führt nach Russland
Ein englischsprachiger Post mit der Falschbehauptung enthält einen Link zu einer angeblichen Nachrichtenwebsite "Aktuelle Nachrichten in Deutschland". Dort erschien ohne Angabe eines Veröffentlichungsdatums oder eines Autorennamens ein Artikel mit derselben Falschbehauptung wie im Video und dem Video selbst. Die Website führt zwar eine Firma und eine Adresse in Dresden im Impressum auf, beides konnte AFP jedoch nicht finden.
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Das internationale Rechercheprojekt Gnida Project, das sich darauf spezialisiert hat, russische Desinformationskampagnen zu enttarnen, zählt die Falschbehauptung laut einem Post auf X zu einer Kampagne mit dem Namen "Storm-1516". Das deutsche Recherchenetzwerk Correctiv und das US-Journalistenprojekt NewsGuard, das sich auf eine Bewertung der Glaubwürdigkeit und Transparenz von Internetseiten spezialisiert hat, berichteten Ende Januar 2025 über die russische Einflussoperation "Storm-1516". Daran sei demnach ein US-amerikanischer Ex-Polizeibeamter beteiligt gewesen. Er habe hunderte Websites aufgesetzt, über die der Bundestagswahlkampf in Deutschland durch Desinformation beeinflusst werden sollte. Unter diesen Websites ist auch die angebliche Nachrichtenwebsite, die das Video über den vermeintlichen Verkauf des Kehlsteinhauses enthält.
Diese Einschätzung wird zusätzlich durch die Tatsache gestützt, dass die Falschinformation unter anderem von dem X-Account "Mina7777" geteilt wurde. Die Non-Profit-Organisation Alliance4Europe, die sich gegen Desinformation einsetzt und derartige Kampagnen systematisch auswertet, zählt diesen Account zu jenen Influencern, die Inhalte russischer Desinformationskampagnen verbreiten.
Weitere Faktenchecks über Selenskyj und zum Ukrainekrieg finden sich auf der AFP-Website.
Fazit: Bei dem angeblichen Kauf des Kehlsteinhauses durch Wolodymyr Selenskyj handelt es sich um eine Falschinformation. Mehrere Organisationen sehen ihren Ursprung in der russischen Desinformationskampagne "Storm-1516". Der Freistaat Bayern dementierte den Verkauf und leitete rechtliche Schritte ein.
Informationen zu Besucherzahlen im elften und zwölften Absatz hinzugefügtTippfehler im achten Absatz korrigiert27. Februar 2025 Informationen zu Besucherzahlen im elften und zwölften Absatz hinzugefügt
27. Februar 2025 Tippfehler im achten Absatz korrigiert