Welt TV-Interview mit Wagenknecht zu Friedensplan in der Ukraine auch ungekürzt ausgestrahlt
- Veröffentlicht am 27. November 2025 um 12:42
- 5 Minuten Lesezeit
- Von: Katharina ZWINS, AFP Österreich
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Sahra Wagenknecht sorgt mit ihren Positionen zur Russland-Politik regelmäßig für Diskussionen. In sozialen Netzwerken wurde Ende November 2025 behauptet, die deutsche Politikerin sei bei einem Interview mit Welt TV wegen unerwünschter Äußerungen zu diesem Thema "abrupt" und "absichtlich" stummgeschaltet worden. Tatsächlich zeigt der verbreitete Clip lediglich einen Ausschnitt aus einem zuvor durchgängig gesendeten Live-Interview. Das bestätigte auch Wagenknecht. Der kurze Ausschnitt wurde in einer späteren Sendung erneut verwendet. Die vollständige Version ist online weiterhin ohne Unterbrechung verfügbar.
"EKLAT BEI @WELTTV! Das Interview mit @SWagenknecht vom BSW wurde abrupt und wohl absichtlich nach 50Sek. stummgeschaltet, weil es den Journalisten im Studio augenscheinlich zuviel Wahrheit war", schrieb ein User am 24. November 2025 auf X und teilte ein rund zweiminütiges Video. Dabei handelt es sich um einen Clip von Welt TV, der Sender der Zeitung "Welt", in dem eine Moderatorin Aussagen der Politikerin Sahra Wagenknecht (BSW) über den US-Plan zur Beendigung der Kämpfe in der Ukraine ankündigt. "Noch vor zwei oder drei Jahren, also beispielsweise in Istanbul, hätte man einen sehr sehr viel besseren Friedensplan erreichen können", sagt Wagenknecht in dem daraufhin zu sehenden Interview. Damals hätte die Ukraine keine Gebiete abtreten müssen, führt sie aus. Der aktuelle Plan sei jedoch "deutlich differenzierter" als vielfach behauptet. Immerhin wären 100 Milliarden US-Dollar aus dem russischen Vermögen für den Aufbau der Ukraine verfügbar, so die Politikerin.
Danach, ab Minute 01:09 etwa, ist Wagenknecht plötzlich nicht mehr zu hören und es wird zurück ins TV-Studio geschaltet, wo ein Moderator die Aussagen von Wagenknecht "nochmals einordnen" müsse, wie er sagt. Nach allen aktuell bekannten Infos zu den Verhandlungen in Istanbul 2022 sollen "die Russen damals quasi die Kapitulation der Ukraine" gefordert haben. Daraufhin kündigt der Moderator den deutschen Politiker Anton Hofreiter (Grüne) an, der zum ausgehandelten Vertragskompromiss eine "ganz andere Meinung" hätte. Der 28-Punkte-Plan der USA sei ein "imperialer Teilungsplan für die Ukraine" und würde auch dem westlichen Europa keinen Frieden bringen, sagt Hofreiter in dem eingeblendeten Ausschnitt sodann.
Die Aussage kursierte zudem auf Facebook und Telegram. Auch auf Englisch wurde die Behauptung tausendfach geteilt. In einem X-Beitrag behauptete ein Nutzer außerdem, es habe sich um ein "Live-Interview" gehandelt, in dem Wagenknecht unterbrochen wurde.
Die geteilte Behauptung in diesem Zusammenhang ist jedoch irreführend.
Die USA hatten Ende November 2025 einen 28-Punkte-Plan zur Beendigung des Konflikts in der Ukraine vorgelegt. Der vorgestellte Plan wurde auf Druck der Ukraine und ihrer europäischen Verbündeten mittlerweile durch einen Vorschlag ersetzt, der die Interessen der Ukraine stärker berücksichtigt. Russland hat Teile des US-Plans zur Beendigung der Kämpfe in der Ukraine als positiv bezeichnet. "Einige Aspekte können als positiv angesehen werden, viele erfordern jedoch spezielle Diskussionen unter Experten", sagte der Kreml-Berater Juri Uschakow am 26. November 2025 im staatlichen russischen Fernsehen. Moskau habe den Plan bislang mit "niemandem im Detail" besprochen. Wie die Nachrichtenagentur Reuters am selben Tag unter Berufung auf drei mit der Angelegenheit vertraute Personen berichtete, liegt dem Plan ein von Russland verfasstes Papier zugrunde.
Russland führt seit Februar 2022 einen großangelegten Angriffskrieg gegen die Ukraine. Die Invasion löste internationale Sanktionen sowie breite Verurteilung durch westliche Staaten aus. Bereits Ende März 2022 trafen sich Delegationen Russlands und der Ukraine in Istanbul zu Verhandlungen über ein mögliches Ende des Krieges. Im Mai desselben Jahres trennten sich die beiden Seiten letztlich, ohne ein Friedensabkommen zu erzielen. Ein endgültiger Bruch ereignete sich im September 2022, als Russland die völkerrechtswidrige Annexion von vier ukrainischen Gebieten erklärte. Wagenknecht verwies bereits damals auf diese Gespräche, bei denen Regierungen aus dem westlichen Ausland angeblich eine Einigung verhindert hätten.
Wagenknecht ist frühere Spitzenpolitikerin der Linken und Mitgründerin des Bündnisses Sahra Wagenknecht (BSW), dessen Vorsitz sie laut Berichten von Anfang November 2025 abgegeben hat. Die Politikerin ist seit längerem für Positionen bekannt, in denen sie eine kritischere Haltung gegenüber westlichen Sanktionen und eine stärkere diplomatische Annäherung an Russland befürwortet. Diese Ansichten stoßen regelmäßig auf öffentliche Diskussionen. Das BSW ist zudem mehrfach mit Falschbehauptungen in Bezug auf den Krieg in der Ukraine aufgefallen. Zudem soll es laut Medienberichten Russland-Verbindungen des BSW geben.
Gespräch wurde vollständig gesendet
Der online geteilte Clip mit Wagenknecht ist jedoch lediglich ein Ausschnitt aus einem zuvor ausgestrahlten Live-Interview vom 24. November 2025. Das vollständige Interview ist unter anderem auf Youtube sowie auf der Website von Welt TV in voller Länge abrufbar (hier und hier archiviert). Es dauert insgesamt rund sieben Minuten. Nach jenem Satz, nach dem Wagenknecht laut den Online-Behauptungen "stummgeschaltet" wurde, geht das Interview noch über fünf Minuten weiter.
Die ehemalige BSW-Vorsitzende kritisiert darin etwa Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) wegen dessen Umgang mit dem Krieg. Sie wirft ihm unter anderem fehlende Friedensbemühungen vor. "Wagenknecht sieht Europa in der 'Rolle der tributpflichtigen Vasallen'", lautet der Titel des Live-Interviews. "Für Frieden muss man Russland entgegenkommen", ist das Video untertitelt.
Im geteilten Video mit der irreführenden Behauptung in sozialen Medien wurde demnach nur ein kurzer Teil gezeigt. Der Ausschnitt scheint aus einer Übertragung von Welt TV vom selben Tag wie dem Live-Interview zu stammen, in der mehrere Interviews zu einem Thema hintereinander gezeigt wurden. Die Beiträge wurden von zwei "Welt"-Journalisten an- und abmoderiert. AFP fand Aufzeichnungen von Streams von Welt TV vom 24. November 2025, in dem dieselbe Moderatorin und derselbe Moderator mit jeweils derselben Kleidung wie im online geteilten Ausschnitt zu sehen sind (hier und hier archiviert). Auch das Interview mit dem Politiker Hofreiter vom selben Tag, das in dem geteilten Beitrag nach Wagenknecht eingeblendet wird, ist online vollständig abrufbar (hier archiviert).
Eine Anfrage von AFP an Welt TV blieb bis zur Veröffentlichung dieses Artikels unbeantwortet.
Wagenknecht bestätigte Ausstrahlung von Live-Interview
Am 25. November 2025 postete Wagenknecht einen rund einminütigen Ausschnitt des Interviews selbst auf X und verlinkte dabei auch auf die vollständige Version des Videos. "Der #Friedensplan von US-Präsident #Trump ist eine Chance, das schreckliche Sterben in der #Ukraine endlich zu beenden. Es ist unverantwortlich, dass die Europäer den Friedensplan von vorneherein ablehnen und versuchen, die Verhandlungen durch unrealistische Gegenvorschläge zum Erliegen zu bringen", schrieb sie dazu unter anderem.
In einem Kommentar darunter schrieb sie: "Es spricht Bände, dass man sich bei WELT TV offenbar genötigt sah, meine Äußerungen bei einer späteren Ausstrahlung 'einzuordnen'." Auf AFP-Anfrage verwies das Büro von Wagenknecht am 26. November 2025 ebenfalls auf jenes X-Posting, in dem die Politikerin darauf eingehe, "dass es sich um eine spätere Ausstrahlung eines Ausschnitts aus dem zuvor gesendeten Live-Interview handelt". Sie erachte es dennoch als "befremdlich", dass ihre Aussagen dabei nachträglich "eingeordnet" wurden.
Alle Faktenchecks zum Krieg in der Ukraine sammelt AFP auf der Website.
Fazit: Online kursierte die irreführende Behauptung, die deutsche Politikerin Sahra Wagenknecht sei in einem Gespräch mit Welt TV aufgrund kritischer Aussagen zum Krieg in der Ukraine "stummgeschaltet" worden. Der kursierende Clip zeigt jedoch nur einen Ausschnitt aus einem zuvor vollständig gesendeten Live-Interview. Das bestätigte auch Wagenknecht. Der kursierende Ausschnitt wurde in einer späteren Sendung erneut verwendet, das gesamte Gespräch ist online weiter in voller Länge abrufbar.