KI-manipuliertes Video: Vorschlag zu Mikrochip-Implantaten für ukrainische Streitkräfte ist unecht
- Veröffentlicht am 3. Dezember 2025 um 11:14
- 4 Minuten Lesezeit
- Von: Maja CZARNECKA, AFP Polen
- Übersetzung und Adaptierung: Johanna LEHN , AFP Deutschland
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Zahlreiche Soldatinnen und Soldaten verließen die ukrainische Armee seit dem russischen Angriff auf die Ukraine im Februar 2022. Kürzlich kursierte online ein manipulierter Ausschnitt eines Fernsehinterviews, in dem ein ukrainischer Soldat angeblich vorschlägt, Streitkräften Mikrochips zu implantieren, damit sie nicht desertieren. AFP fand jedoch heraus, dass der Ausschnitt mithilfe von Künstlicher Intelligenz manipuliert worden war. Eine Sprecherin des Fernsehsenders bestätigte ebenfalls, dass es sich um eine Fälschung handelt.
"Neue Idee in der Ukraine im Kampf gegen Fahnenflucht: Die Soldaten chippen wie Hunde, damit sie nicht weglaufen können", heißt es in einem X-Beitrag vom 18. November 2025. Der Beitrag enthält zusätzlich ein elf Sekunden langes Video.
Darin scheint ein angeblicher ukrainischer Soldat der Nachrichtensprecherin Anna Valevska des Senders Kyiv24 während eines Live-Interviews zu sagen: "Im 21. Jahrhundert werden sogar Hunde mit Chips versehen, damit sie nicht weglaufen können. Ich verstehe nicht, warum wir sie (die Streitkräfte, Anm. d. Red.) nicht mit Chips versehen sollten, damit sie über GPS geortet und zurückgebracht werden können." Der Name oder die Funktion des Mannes werden im Video nicht genannt.
Die Behauptung kursierte auch auf Facebook und Telegram sowie auf anderen Sprachen wie Englisch, Französisch, Polnisch, Slowakisch und Spanisch. Zuerst tauchte das Video auf Russisch auf, unter anderem bei dem staatlich unterstützten russischen Medium "Pravda".
Das Video wurde jedoch mit Künstlicher Intelligenz (KI) gefälscht.
Nachrichtenbeitrag ist KI-generiert
In dem elf Sekunden langen Clip wird kein Name und keine Kampfeinheit des angeblichen Soldaten eingeblendet. Deshalb hat AFP versucht, die Identität des Mannes mit einer umgekehrten Bildsuche von Screenshots des Videos und mit Gesichtserkennungstools wie Pimeyes und Facecheck festzustellen, aber die Ergebnisse waren nicht eindeutig.
Zudem hat AFP die Tonspur des Videos mit dem KI-Erkennungstool Hiya des Analyseprogramms InVID WeVerify überprüft, an dessen Entwicklung AFP beteiligt ist. Das Ergebnis zeigt, dass die Audiospur mit einer Wahrscheinlichkeit von 99 Prozent KI-generiert ist.
Auch Deepfake Total, ein weiteres Tool zur Erkennung von KI-generierten Tonspuren des Fraunhofer-Instituts für Angewandte und Integrierte Sicherheit, lieferte ein Ergebnis von 99,9-prozentiger Wahrscheinlichkeit, dass die Tonspur des Videos mit KI erstellt wurde.
Mit einer umgekehrten Bildsuche und einer erweiterten Stichwortsuche fand AFP den echten Report des Senders Kyiv24 auf Youtube (hier archiviert), der für das online geteilte Video genutzt wurde. Bei Stunde 2:46:30 beginnt die für den Clip manipulierte Sequenz.
In der tatsächlichen Fernsehreportage stellt Nachrichtensprecherin Anna Valevska den Kommandeur des zweiten Sturm-Bataillons der dritten Sturmbrigade (OShBr) Dmytro Kuhartschuk vor, der von der Front zugeschaltet ist, um über Desertionen in der ukrainischen Armee zu sprechen.
AFP hat einige übereinstimmende Elemente in beiden Videos gefunden, mit deren Hilfe der exakte Ausschnitt aus der Reportage bestimmt werden konnte:
Das Logo des öffentlich-rechtlichen Senders Kyiv24 ist in der oberen linken Ecke des Bildes im veränderten Clip sowie im Originalinterview zu sehen. Zudem trägt die Nachrichtensprecherin Anna Valevska dasselbe Oberteil und denselben roten Blazer.
Da Valevska im KI-Clip nicht spricht, hat AFP ihre Mimik und Gestik analysiert und festgestellt, dass ihr nach unten gerichteter Blick bei Minute 00:01 in der manipulierten Version mit ihrer Augenbewegung bei 2:46:30 im Originalvideo übereinstimmt. Im KI-Clip bei 00:05 scheint sie ihre Hände zusammenzufalten – dieselbe Geste macht sie im Originalvideo bei etwa 2:46:34.
Darüber hinaus zeigt der bearbeitete Clip einen geteilten Bildschirm, ebenso wie der Originalausschnitt des Interviews. Auf der rechten Seite im manipulierten Video werden Bilder zu einer Nachricht über einen Korruptionsskandal eingeblendet mit der ukrainischen Bildunterschrift "Staatsanwaltschaft beantragt wegen Korruptionsverdacht eine Haftstrafe oder eine Kaution in Höhe von fast 137 Millionen für Igor Mironyuk". Dieselbe Nachricht mit übereinstimmender Bildunterschrift und Bildern erscheint im ursprünglichen Bericht bei etwa 2:46:30.
Im gefälschten Video scheint Kuhartschuks Gesicht mit dem eines ukrainischen Soldaten ausgetauscht worden zu sein, wobei es sich höchstwahrscheinlich um einen Deepfake handelt. Die Haut wirkt unnatürlich glatt und gleichmäßig beleuchtet, was Anzeichen für einen Deepfake sind.
Der Sender Kyiv24 bestätigte gegenüber AFP, dass er ein solches Interview nie ausgestrahlt habe. Das Video, in dem ein Soldat vorschlägt, Streitkräften Mikrochips zu implantieren, sei "komplett gefälscht", schrieb Natalia Lyaschtschenko, ausführende Produzentin bei Kyiv24, in einer E-Mail vom 20. November 2025.
Sie bestätigte, dass das Thema Desertion zwar in der Sendung diskutiert wurde, jedoch eine andere Person dazu interviewt wurde und das Gespräch nichts mit Mikrochips zu tun hatte. AFP überprüfte das gesamte Interview mit Kuhartschuk, in dem er zu keinem Zeitpunkt einen Vorschlag zur Implantation von Mikrochips bei Soldaten gemacht hat.
Zahlreiche Streitkräfte desertieren
Zehntausende ukrainische Soldatinnen und Soldaten kämpfen seit der Invasion Russlands im Februar 2022 ununterbrochen. Angesichts des andauernden Krieges haben die Desertionen tausender Soldatinnen und Soldaten aus ihren Einheiten heftige Debatten ausgelöst.
Seit Februar 2022 haben 310.000 Streitkräfte den Dienst verlassen oder sind unerlaubt nicht zum Dienst erschienen, berichtete die unabhängige ukrainische Nachrichtenplattform "New Voice of Ukraine", die sich auf Daten der ukrainischen Generalstaatsanwaltschaft beruft. Unentschuldigtes Fernbleiben vom Dienst bezieht sich in der Regel auf Fälle, in denen sich Soldatinnen und Soldaten ohne Erlaubnis für kurze Zeit von ihrer Position entfernen, während jene, die ihre Einheit verlassen, dies mit der Absicht tun, sich dauerhaft dem Militärdienst zu entziehen.
In seinem Interview mit Kyiv24 merkte Kuhartschuk an, dass es zwar Einheiten gebe, aus denen Soldatinnen und Soldaten desertieren würden, aber auch Einheiten, zu denen sie zurückkehrten: "Was das dritte Armeekorps betrifft, so sind bis jetzt etwa 1500 aller desertierten Soldatinnen und Soldaten zurückgekehrt", wird er zitiert.
Das Problem der Desertion beschränkt sich jedoch nicht auf die ukrainische Armee. Verschiedene Berichte unabhängiger russischer Medien sowie ein UN-Bericht vom Oktober 2025 schätzen, dass bis Ende Dezember 2024 über 50.000 russische Soldatinnen und Soldaten aus der Armee desertierten.
AFP sammelt weitere Faktenchecks zu KI-generierten Inhalten und zum Ukrainekrieg auf der Website.
Fazit: Ein angebliches Interview, in dem ein ukrainischer Soldat zu fordern scheint, dass Streitkräften Mikrochips implantiert werden sollten, damit sie nicht desertieren, ist gefälscht. Im Originalvideo kommt eine solche Äußerung nicht vor. Zudem zeigen die Ergebnisse von KI-Erkennungstools, dass die online geteilte Sequenz des Interviews manipuliert wurde.