Ablehnung einer Resolution von Russland bedeutet nicht, dass EU-Staaten Nationalsozialismus unterstützen

Russland drängte in den vergangenen Jahren mehrfach auf UN-Resolutionen "gegen die Verherrlichung des Nationalsozialismus". Nach dem russischen Überfall auf die Ukraine im Jahr 2022 wurde diese Initiative zunehmend genutzt, um die Darstellung des Kremls zu untermauern, dass die Ukraine Neonazis unterstütze – ein wichtiger Grund, warum viele westliche Länder von einer Enthaltung zu einer Ablehnung übergegangen sind. Als ein UN-Ausschuss im November 2025 die Resolution erneut verabschiedete, hieß online, dass das "Nein" der Europäischen Union einer Unterstützung des Nationalsozialismus gleichkomme. Die Debatte während der Sitzung und Experteneinschätzungen zeigen jedoch, dass diese Interpretation irreführend ist.

"Gerade die 'Nie-Mehr-Wieder' Prediger stimmen nun GEGEN Kampf gegen Neonazis", lautet ein Facebook-Beitrag vom 17. November 2025. Dazu ist ein Bild mit Abstimmungsergebnissen eines Votums der Vereinten Nationen (UN) angehängt. "Österreich und alle anderen Staaten der Europäischen Union stimmen GEGEN eine UN Resolution, die die Glorifizierung des Nationalsozialismus verurteilt und deren Bekämpfung fordert", so die angebliche Eilmeldung, die 175 Mal geteilt wurde. Ein Kommentar lautet: "Österreich mit seinem Widerbetätigungsgesetz (Verbotsgesetz 1947) stimmt da zu!" Auf X wurde die Behauptung ebenfalls geteilt.

Auch russische Botschaften, beispielsweise in Bulgarien, Deutschland, Nordmazedonien und Österreich, verfassten dazu Beiträge. "Ukrainische Neonazis fühlen sich, wie man sieht, in Österreich pudelwohl", schrieb die russische Botschaft in Wien zu diesem Thema auch auf Telegram.

Die Behauptung wurde ebenfalls auf Bulgarisch, Englisch und Polnisch verbreitet.

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X- und Facebook-Screenshots der Behauptung, orange Kreuze von AFP hinzugefügt: 2. Dezember 2025

Dass die genannte Abstimmung als Beweis dienen soll, die Europäische Union (EU) und andere westliche Länder würden den Nationalsozialismus unterstützen, führt jedoch in die Irre.

Woher stammt diese Resolution?

Bei dem in den Beiträgen mit der irreführenden Behauptung erwähnten Text der UN-Generalversammlung handelt es sich um einen Resolutionsentwurf mit dem Titel "Bekämpfung der Verherrlichung des Nationalsozialismus, des Neonazismus und anderer Praktiken, die zur Förderung zeitgenössischer Formen von Rassismus, Rassendiskriminierung, Fremdenfeindlichkeit und damit zusammenhängender Intoleranz beitragen". Belarus entwarf das Dokument zusammen mit Laos, Nordkorea und Russland.

Im Hauptteil dieser Resolution erklärt Russland "tiefe Besorgnis" über "die Verherrlichung der nationalsozialistischen Bewegung". Dazu würden mitunter die "Unrechtmäßigkeit der sowjetischen Revolution und der sowjetischen Revolutionäre" sowie die Verherrlichung ehemaliger Mitglieder der Waffen-SS gehören. Des Weiteren erwähnt werden Denkmäler, Demonstrationen und Straßennamen "zur Verherrlichung der nationalsozialistischen Vergangenheit".

Die Online-Beiträge zeigen die Abstimmung, die am 14. November 2025 im Dritten Ausschuss der Generalversammlung der UN stattfand – auch bekannt als Ausschuss für soziale, humanitäre und kulturelle Fragen.

Dafür stimmten 114 Staaten (Abstimmverhalten der Länder in der offiziellen Aufzeichnung der UN ab Minute 01:25:00 zu sehen). Viele befinden sich im Globalen Süden – darunter Russland, China und Indien. Die meisten afrikanischen und arabischen Länder sowie viele asiatische und lateinamerikanische Länder zählen ebenfalls zu den Befürwortenden. 52 Staaten stimmten dagegen, hauptsächlich Staaten der EU und Nato-Mitglieder. Darunter fallen die EU-Mitgliedstaaten, die Vereinigten Staaten, Kanada, das Vereinigte Königreich, Japan, Südkorea, Australien, Neuseeland, Argentinien, Chile und die Ukraine. Zwölf Länder (darunter die Schweiz, die Türkei, Madagaskar, Mauritius oder Samoa) enthielten sich der Stimme.

Dagegen stimmende Länder befürworten den Nationalsozialismus nicht

Die Debatte über die Resolution (ab Minute 47:10) zeigt jedoch, dass die Länder, die gegen die Resolution gestimmt haben, den Nationalsozialismus nicht unterstützen – anders als die Posts irreführend suggerieren.

Eine Gruppe von Staaten, darunter Albanien, Australien, Japan, die Marshallinseln, Liechtenstein und Norwegen, hat einen Änderungsantrag eingebracht. Darin heißt es, dass die UN-Generalversammlung "mit Besorgnis feststellt, dass die Russische Föderation versucht hat, ihre territoriale Aggression gegen die Ukraine mit der angeblichen Beseitigung des Neonazismus zu rechtfertigen, und betont, dass die Verwendung des Neonazismus als Vorwand zur Rechtfertigung territorialer Aggression echte Bemühungen zur Bekämpfung des Neonazismus ernsthaft untergräbt".

"Wir verurteilen die Instrumentalisierung der Geschichte in dieser Resolution, die sie zu einem Mittel der Propaganda und Desinformation macht, um die Aggression der Russischen Föderation gegen die Ukraine zu rechtfertigen", sagte der Vertreter Liechtensteins bei der Vorstellung des Änderungsantrags ab Minute 52:00.

"Die Ukraine bekräftigt ihre unmissverständliche Verurteilung aller Formen von Nazismus, Neonazismus, Rassismus, Rassendiskriminierung, Fremdenfeindlichkeit und damit verbundener Intoleranz", sagte die Vertreterin der ukrainischen Delegation während der Abstimmung ab Minute 01:20:17. Der Resolutionsentwurf würde nicht darauf abzielen, "diese abscheulichen Phänomene zu bekämpfen". Stattdessen nutze Russland "diese jährliche Resolution systematisch als Propagandainstrument, um ihren brutalen Angriffskrieg gegen die Ukraine und die schrecklichen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die sie begeht, zu rechtfertigen", fügte sie hinzu.

Die dänische Vertreterin sprach anschließend etwa ab Minute ab 01:23:00 im Namen der EU: "Es ist falsch, zu behaupten, den Nationalismus bekämpfen zu wollen, indem man die Existenz eines souveränen Volkes leugnet", sagte die Vertreterin und fügte hinzu: "Nichts davon wird die EU, ihre Mitgliedstaaten und Partner von dem ablenken, was wirklich wichtig ist." Die EU kämpfe gemeinsam "gegen zeitgenössische Formen extremistischer und totalitärer Ideologien" und engagiere sich "uneingeschränkt für den weltweiten Kampf gegen Rassismus, Rassendiskriminierung, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus, antimuslimischen Hass und damit verbundene Intoleranz".

In einer gemeinsamen Erklärung der acht nordischen und baltischen Staaten heißt es: "Wir verurteilen unmissverständlich Rassismus, Rassendiskriminierung, Fremdenfeindlichkeit und alle Formen rassistischer Intoleranz, einschließlich Nazismus und Neonazismus." Die "Instrumentalisierung der Geschichte zur Rechtfertigung einer vollständigen Invasion und versuchten Annexion eines souveränen Nachbarlandes" lehnen die Länder "kategorisch ab", heißt es weiter in der Erklärung.

Warum Deutschland und Österreich dagegen stimmten

"Die genannte Resolution lehnen wir in ihrer jetzigen Form ab, da sie von Russland als Plattform für politische Propaganda genutzt wird", lautete die Antwort der Pressestelle des deutschen Auswärtigen Amts am 2. Dezember 2025 an AFP. Die Resolution werde "instrumentalisiert, um den verbrecherischen russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine zu rechtfertigen, was im Widerspruch zu den vorgeblichen Zielen der Resolution" stehe. Deutschland setze sich "nachdrücklich gegen alle Formen von Extremismus, Rassismus und Antisemitismus ein".

Auch das österreichische "Nein" zur Resolution sei "vor allem ein Nein zur versuchten Untergrabung und Instrumentalisierung der UNO", hieß es auf AFP-Anfrage am 2. Dezember 2025 schriftlich aus dem Außenministerium. Gleichzeitig dürfe "der Kampf gegen Extremismus sowie die Verurteilung der verabscheuungswürdigen Ideologie des Nationalsozialismus nicht für politische Zwecke instrumentalisiert werden".

Russland habe als Einbringer der Resolution "keinerlei Offenheit" für Verhandlungen über den Text gezeigt. Dieser lege "Schwerpunkt auf Themen, die im Wesentlichen nichts mit der Bekämpfung von Rassismus und Diskriminierung zu tun" haben. In der Stellungnahme hieß es weiter: "Vielmehr handelt es sich hierbei um einen recht offensichtlichen Versuch der Geschichtsverzerrung und -instrumentalisierung, der darauf abzielt, Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine zu rechtfertigen."

Holocaustleugnung ist in den meisten EU-Staaten illegal. In Österreich ist das im Verbotsgesetz aus dem Jahr 1947 geregelt. In Deutschland erfüllt die Leugnung des nationalsozialistischen Völkermords den Straftatbestand der Volksverhetzung.

Über Resolution wird immer wieder abgestimmt

Es ist nicht das erste Mal, dass Russland und seine Verbündeten eine Resolution gegen den Nationalsozialismus verfasst haben. So löste beispielsweise die Resolution von 2021 wenige Wochen nach der vollständigen Invasion der Ukraine durch den Kreml eine Welle von Desinformation aus, die AFP auf Französisch widerlegte.

Tatsächlich steht diese Resolution seit 2012 jedes Jahr auf der Tagesordnung der Generalversammlung. Russland hat schon viele Jahre zuvor in der UN-Diplomatie Themen gegen Nazi-Ideologien aufgegriffen.

"Dem Regime von Wladimir Putin gelang es, Anti-Nazismus-Kampagnen zu einer Eigenmarke zu machen", erklärte Alex Baturo, Associate Professor für Politikwissenschaft an der Dublin City University, am 18. November 2025 gegenüber AFP.

"Zu diesem Zweck hat sich Russland seit Anfang der 2000er-Jahre auf wiederkehrende UN-Resolutionen gegen den Nationalsozialismus gestützt, um seine Statusansprüche voranzutreiben", sagte Baturo. Alle diese Resolutionen seien "erfolgreich auf die Tagesordnung der UN-Generalversammlung gesetzt, entweder einstimmig angenommen oder mit großer Mehrheit beschlossen", erklärte er. Russland habe dadurch "seinen Status auf der globalen Bühne stärken" können.

Die Abstimmung des Westens gegen die besagte Resolution habe also "komplexe Gründe", die laut Baturo auf sozialen Plattformen verkürzt dargestellt werden. Die meisten Userinnen und User sozialer Medien würden sich "fast nie" bemühen, diese zu verstehen. Sie "sehen nur, dass der Westen für den Nationalsozialismus gestimmt hat", sagte Baturo. "Dies wiederum ermöglicht russischen Politikerinnen und Politikern zu behaupten, dass die Bemühungen des Westens, Russland zu isolieren, nicht funktionieren und dass stattdessen die westlichen Akteure selbst isoliert sind, während der Globale Süden die Besorgnis Russlands über Nazismus und Rassismus teilt", lautet seine Schlussfolgerung.

Narrativ sei wiederkehrend

In ihrer Stellungnahme zur Resolution von 2022 warnte die UN-Sonderberichterstatterin der für zeitgenössische Formen von Rassismus, Rassendiskriminierung, Fremdenfeindlichkeit und damit zusammenhängender Intoleranz, E. Tendayi Achiume, dass Russland versucht habe, seine "militärische Invasion und territoriale Aggression in der Ukraine mit der angeblichen Beseitigung des Neonazismus zu rechtfertigen".

In der Einleitung ihres Berichts heißt es: "Die Verwendung des Neonazismus als Vorwand zur Rechtfertigung territorialer Aggressionen untergräbt ernsthafte Bemühungen zur Bekämpfung des Neonazismus erheblich."

Die Entnazifizierung werde als Rechtfertigung "für die Aggression Russlands gegen die Ukraine herangezogen, was zwei liberale Werte verzerrt – das Recht auf Widerstand gegen Regime (in diesem Fall das 'nazistische Kiewer Regime') und das Recht auf Selbstbestimmung (in diesem Fall der 'unterdrückten' Russinnen und Russen in der Ostukraine)", erklärte Mira Kaneva, außerordentliche Professorin am Institut für Internationales Recht und Internationale Beziehungen an der Universität Sofia, am 25. November 2025 gegenüber AFP.

AFP widerlegte bereits mehrfach falsche und irreführende Behauptungen zum Krieg in der Ukraine sowie zum Nationalsozialismus.

Fazit: Nachdem der UN-Ausschuss für Menschenrechtsfragen im November 2025 die Resolution "gegen die Verherrlichung des Nationalsozialismus" verabschiedete, behaupteten Userinnen und User online, dass das "Nein" von EU-Staaten einer Unterstützung des Nationalsozialismus gleichkomme. Doch mehrere offizielle Stellen sowie Fachleute bestätigen, dass die EU nationalsozialistisches Gedankengut bekämpft und die Staaten die Resolution aus diplomatischen Gründen abwiesen.

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