
Käufe mit digitalem Euro sollen nicht kontrolliert werden
- Veröffentlicht am 19. August 2025 um 17:13
- 7 Minuten Lesezeit
- Von: Pierre MOUTOT, AFP Frankreich
- Übersetzung und Adaptierung: Johanna LEHN , AFP Deutschland
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"Die Finanzdiktatur kommt!", schrieb ein User in einem X-Beitrag vom 2. August 2025. "Nach Einführung des digitalen Euros sind Barzahlungen nur noch bis zu 1000 Euro möglich. Bargeldlose Zahlungen werden ab einer Höhe von 300 Euro automatisch kontrolliert", habe Christine Lagarde, Präsidentin der Europäischen Zentralbank, in einem Livestream gesagt.
Dazu teilte der User ein Video, in dem Lagarde per Onlinekonferenz mit einer Person, die nicht im Bild ist, über mögliche Kontrollmaßnahmen durch die Einführung des digitalen Euro zu sprechen scheint. Diese Behauptung wurde auch auf Facebook und Telegram sowie auf Französisch verbreitet. Bereits 2023 kursierte das Video online.

Derartige Kontrollmöglichkeiten können aus den geplanten Maßnahmen im Verordnungsentwurf der Europäischen Union jedoch nicht abgeleitet werden. Zudem gibt es derzeit zwar keine Bargeldobergrenze in Deutschland, die EU hat allerdings unabhängig von den Planungen zum digitalen Euro eine solche Grenze beschlossen, die 2027 in Kraft treten soll. Der digitale Euro befindet sich darüber hinaus noch in der Planungsphase – ob er tatsächlich eingeführt wird, ist noch nicht sicher.
Lagarde wurde prorussischer Streich gespielt
Eine umgekehrte Bildsuche führte zur ursprünglichen, 20 Minuten langen Version des Videos, das unter dem Titel "Vollständiges Video des Streichs mit Christine Lagarde, Präsidentin der Europäischen Zentralbank" ("Full video prank with European Central Bank President Christine Lagarde") am 16. März 2023 auf der russischen Videoplattform Rutube veröffentlicht wurde. Hinter diesem als Interview getarnten Streich stecken die zwei russischen Satiriker Wladimir Kusnezow und Alexej Stoljarow, alias "Wowan" und "Lexus".
Lagarde ist nicht die erste Person, die von den Satirikern reingelegt wurde. Sie haben bereits zahlreiche Persönlichkeiten in die Falle gelockt, darunter den ehemaligen britischen Premierminister Boris Johnson, den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan oder auch den französischen Präsidenten Emmanuel Macron. Auch Prominente wie Prinz Harry oder Elton John wurden schon von den Satirikern ausgestrickst.

Seit mehr als einem Jahrzehnt haben sich die beiden Männer darauf spezialisiert, Persönlichkeiten zu täuschen, um sie zu sensiblen Äußerungen zu Themen zu bewegen, die als potenziell vertraulich gelten. Die Clips werden nicht nur auf Rutube veröffentlicht, sondern auch im russischen Fernsehen ausgestrahlt. So lief die Ausgabe mit Christine Lagarde am 15. März 2023 auf dem Pervy Kanal, dem ersten Fernsehsender des Landes.
In dem Video gibt sich einer der beiden Komiker als der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj aus und befragt die EZB-Präsidentin zu verschiedenen Themen, darunter die Einführung des digitalen Euros. Dieser sei dem falschen Selenskyj zufolge Gegenstand "zahlreicher Demonstrationen in Europa", was jedoch im Jahr 2023 nicht der Fall war. "Das Problem ist, dass sie (nicht näher definierte Personen oder Organisationen, Anm. d. Red.) nicht kontrolliert werden wollen", sagt der Komiker auf Englisch.
Daraufhin erinnert Lagarde daran, dass Kontrollen für Bargeldtransaktionen bereits bestehen würden: "In Europa gilt eine Obergrenze von 1000 Euro, über die hinaus Sie nicht bar bezahlen können." Wer das dennoch tue, befinde sich auf dem grauen Markt – einem parallelen Markt für Warenhandel, der sich der Kontrolle der Hersteller und des Staates entzieht. "Sie gehen also ein Risiko ein und wenn Sie erwischt werden, erhalten Sie eine Geldstrafe oder müssen ins Gefängnis", erklärt Lagarde.
Barzahlungen sind in Deutschland unbegrenzt
In Deutschland gilt bislang keine Obergrenze für Barzahlungen, wie das Europäische Verbraucherzentrum Deutschland online erklärt. "Wer jedoch Beträge über 10.000 Euro bar bezahlen möchte, muss sich ausweisen", heißt es auf der Website. Die Händlerinnen und Händler müssen dann persönliche Daten der Käuferinnen und Käufer erfragen und aufbewahren.
Ab 2027 soll EU-weit jedoch eine Bargeldobergrenze von 10.000 Euro gelten. Mit dem digitalen Euro hat diese Regelung allerdings nichts zu tun. Sie soll der Bekämpfung der Geldwäsche dienen, erklärte der Rat der EU in einer Pressemitteilung vom 30. Mai 2024. Laut Medienberichten soll das jedoch keinen Verkauf zwischen zwei Privatpersonen betreffen, wenn keine der beiden beruflich handelt.
Die Obergrenze von 1000 Euro für Barzahlungen, die Lagarde im Video nennt, gilt zudem in Frankreich, nicht in Europa. Diese Grenze wurde durch ein Dekret vom 24. Juni 2015 festgelegt, das den Höchstbetrag für Zahlungen einer Privatperson an Gewerbetreibende von zuvor 3000 Euro auf 1000 Euro senkte. Wie die EZB-Präsidentin im Video anschließend präzisiert, sind die Schwellenwerte von Land zu Land unterschiedlich. So sehen Österreich, die Niederlande und Finnland keine gesetzlichen Obergrenzen für Barzahlungen vor, während Italien, Griechenland und Spanien die strengsten Beschränkungen haben.
EZB plant keine Kontrolle von Ausgaben
In einigen Beiträgen mit der Falschbehauptung ist zudem davon die Rede, dass bargeldlose Zahlungen "ab einer Höhe von 300 Euro automatisch kontrolliert" würden. Zwar spricht Lagarde in dem online geteilten Video im Zusammenhang mit dem digitalen Euro von "Kontrollen" und nennt Beträge von 300 und 400 Euro – sie meint damit allerdings, dass die EZB "einen Mechanismus (...) ohne jegliche Kontrollen" plant und keinen Schwellenwert, ab dem Beträge in dieser Höhe oder auch niedrigere Summen überwacht würden. Anschließend führt Lagarde allerdings anonyme "Prepaid-Karten" als Beispiel für strengere Kontrollen an, mit denen die Terroranschläge von 2015 in Frankreich finanziert worden seien.
Weiter heißt es in einigen der online geteilten Beiträge: "Und wenn ein EU-Mitgliedsstaat mit einer Zahlung nicht einverstanden ist, darf der Bürger diese eben nicht durchführen." Diese Behauptung entbehrt jedoch jeder Grundlage. Die EZB legt nicht fest, welche Käufe zulässig oder verboten sind: Das Vorhaben der EU sieht keinen Mechanismus vor, demzufolge die EZB eine Transaktion aufgrund ihres Zwecks oder des Kaufverhaltens genehmigen oder ablehnen könnte.
Die Europäische Zentralbank erklärt online, dass der digitale Euro "unter keinen Umständen programmierbares Geld" wäre – also eine Art Gutschein, dessen Höhe, Kaufgegenstand oder Verwendungszweck begrenzt wären. Gemäß dem Verordnungsvorschlag der Europäischen Kommission, der dem Europäischen Parlament vorgelegt wurde, würde ein digitaler Euro genau einem Euro entsprechen und könnte auf die gleiche Weise verwendet werden.
Der digitale Euro soll auch eine "Offline-Funktion" enthalten. Dadurch soll garantiert werden, dass die digitale Währung wie eine physische Währung genutzt werden kann, berichtete die EZB in ihrem ersten Fortschrittsbericht von April 2024, der sich insbesondere mit dem Datenschutz bei Zahlungsmitteln befasste. Im Falle von Offline-Zahlungen wären die personenbezogenen Daten der Transaktion mit dem digitalen Euro nur denjenigen bekannt, die die Zahlung tätigen und empfangen. Sie "würden nicht an Zahlungsdienstleister, das Eurosystem oder andere unterstützende Dienstleister weitergegeben", heißt es im Bericht.
Schließlich erwähnt Lagarde weder in dem geteilten Ausschnitt noch während des gesamten Videos, dass die EZB die mit dem digitalen Euro getätigten Käufe validieren könnte oder nicht.
Digitaler Euro ist noch in Projektphase
Die Entwicklung des digitalen Euros befindet sich im Sommer 2025 noch in der Vorbereitungsphase und die konkreten Bedingungen für ihre Einführung stehen noch nicht fest. Eine Entscheidung, ob der digitale Euro tatsächlich umgesetzt werden wird, ist noch nicht gefallen.
Dem offiziellen Zeitplan der EZB zufolge soll die erste Reflexionsphase nach zwei Jahren im Oktober 2025 abgeschlossen sein. Dann soll der Rat der Europäischen Zentralbank zusammentreten, um über die nächsten Schritte zu entscheiden. Wenn er den europäischen Gesetzgebungsprozess erfolgreich durchläuft, könnte der digitale Euro ab 2027 oder 2028 eingeführt werden, erklärten Funktionärinnen und Funktionäre gegenüber AFP im April 2025.
Zuletzt hatte eine Pressekonferenz der EZB-Präsidentin im März 2025 eine Welle von Falschinformationen mit ähnlichen Behauptungen zum digitalen Euro ausgelöst, die AFP damals widerlegte. In der Konferenz hatte Lagarde das Ende der ersten Vorbereitungsphase im Oktober 2025 angekündigt.
Fazit: Die Präsidentin der Europäischen Zentralbank Christine Lagarde hat keine Obergrenze für Barzahlungen oder eine Kontrolle von Ausgaben durch die Einführung des digitalen Euro angekündigt. Das Video, das der Falschbehauptung zugrunde liegt, ist ein Ausschnitt aus einem Streich der beiden russischen Komiker "Wowan" und "Lexus", auf den Lagarde 2023 hereingefallen ist. Sie sprechen darin zwar über den digitalen Euro, jedoch nicht über Kontrollen oder Zahlungslimits. Der digitale Euro befindet sich zudem noch in der Vorbereitungsphase, eine Umsetzung ist noch nicht sicher.