
Strenge Kriterien für Verhaftung von Journalistinnen und Journalisten nach dem EU-Medienfreiheitsgesetz
- Veröffentlicht am 3. September 2025 um 13:02
- 8 Minuten Lesezeit
- Von: Elena CRISAN, AFP Österreich
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Vor "Verhaftungen, Sanktionierungen oder das Ausspähen von Daten missliebiger Journalisten" warnten mehrere Beiträge in sozialen Plattformen Mitte August 2025. Sowohl auf Facebook, als auch auf Instagram, Telegram sowie X behaupteten Userinnen und User irreführenderweise, "die EU unter Ursula von der Leyen" hätte nun ein Gesetz eingeführt, welches "nicht genehmen" Journalistinnen und Journalisten gefährlich werden könnte. Für Verhaftungen seien "keine Straftaten mehr nötig", diese könnten willkürlich durch ein "Allgemeininteresse" gerechtfertigt werden.
Auch Plattformen wie Apollo und Freie Welt, deren Behauptungen AFP in der Vergangenheit öfter überprüfte, trugen zur Verbreitung dieses Irrtums bei. Durch das EU-Medienfreiheitsgesetz sei "die Verhaftung von Journalisten gerechtfertigt", wenn das im "Allgemeininteresse" liege, schrieb etwa Apollo am 9. August 2025. Das führte auch auf Facebook zu Unsicherheit. Eine Userin kommentierte etwa unter dem am selben Tag veröffentlichten Beitrag, dass es "jetzt keinen freien Journalismus mehr" gebe, weil die Medienmacherinnen und -macher "Angst haben" müssten, verhaftet zu werden, "wenn sie die Wahrheit über die Regierung und die EU sagen".
Andere Userinnen und User teilten zur Behauptung wiederum Videoszenen aus Nordkorea – einem Land, in dem Medien streng von staatlicher Propaganda kontrolliert und unabhängig berichtende Journalistinnen und Journalisten unterdrückt werden. Auch wenn das Video in dem Beitrag mit einem Satire-Hinweis versehen ist, fühlten sich Nutzerinnen und Nutzer dadurch in ihrer Ansicht bestätigt: "Offiziell jetzt Diktatur", kommentierte etwa eine Userin in Bezug auf das neue EU-Medienfreiheitsgesetz.

Zur Behauptung wurde eine Illustration von Ursula von der Leyen geteilt, welche die EU-Kommissionspräsidentin zeigt. Unregelmäßigkeiten wie unnatürlich wirkende Fingernägel deuten auf eine Bearbeitung hin. Mithilfe einer umgekehrten Bildsuche fand AFP das Foto zudem auf der Website des deutschen AfD-Politikers Lars Schieske, der von der Leyen in einem Beitrag vom 7. April 2025 kritisierte. In der Vollansicht der Illustration ist von der Leyen in Handschellen zu sehen.
Die Behauptung, dass die EU Journalistinnen und Journalisten bei "Allgemeininteresse" verhafte, beruht jedoch auf mehreren Irrtümern, wie verschiedene Experten gegenüber AFP erklärten.
Gesetz trat 8. August 2025 vollständig in Kraft
Die EU-Kommission hatte das Europäische Medienfreiheitsgesetz (European Media Freedom Act, EMFA) im Jahr 2022 vorgeschlagen, um die Pluralität und Unabhängigkeit von Medien zu stärken. Vor allem in Ungarn sah Brüssel die Pressefreiheit bedroht, das gleiche galt für Polen bis zur Wahl von Ministerpräsident Donald Tusk im Oktober 2023. Das Gesetz trat am 7. Mai 2024 in Kraft und gilt seit 8. August 2025 in vollem Umfang.
Der Gesetzestext besagt in Kürze, dass Regierungen nicht in redaktionelle Entscheidungen eingreifen dürfen. Auch der Quellenschutz wurde EU-weit festgeschrieben. Festgelegt wurden zudem Hürden für den Einsatz von Spionagesoftware wie Pegasus sowie für Inhaftierungen. Dafür ist eine richterliche Anordnung vorgeschrieben.
Für Medienrechtler Nikolaus Forgó von der Universität Wien verrät schon die Überschrift des europäischen Medienfreiheitsgesetzes, dass es "darin um die Rechte" der Journalistinnen und Journalisten gehe. "Die Unabhängigkeit von Medien zu stärken" sei "die Regel und das Ziel des gesamten Rechtsaktes", schrieb Forgó am 27. August 2025 an AFP.
Die international tätige Organisation "Reporter ohne Grenzen" (RSF) erklärte im Dezember 2023, die EU gehe mit dem EMFA einen "wichtigen Schritt für das Recht auf Information".
In welchen Fällen es tatsächlich zur Verhaftung kommen kann
Anders als Userinnen und User in den irreführenden Beiträgen behaupteten, erklärten mehrere Rechtswissenschaftler gegenüber AFP, dass das europäische Medienfreiheitsgesetz, gemeinsam mit weiteren Gesetzen, die Pressefreiheit stütze. Die Behauptung, dass Journalistinnen und Journalistinnen aufgrund des EU-Medienfreiheitsgesetzes die Haft drohe, sei zudem "irreführend".
Im Artikel 4 Absatz 3b behandelt die Verordnung die Voraussetzungen für Inhaftierungen von redaktionellem Personal. Darin steht ausdrücklich, dass "journalistische Quellen und vertrauliche Kommunikation" in den Mitgliedsstaaten "wirksam geschützt" werden müssen. Die Staaten dürfen Journalistinnen und Journalisten demnach nicht dazu verpflichten, Informationen bezüglich ihrer Quellen offenzulegen. Redaktionelles Personal darf auch nicht inhaftiert, sanktioniert oder abgehört werden.
Der darauffolgende Absatz 4 regelt Ausnahmen davon, "unter folgenden Voraussetzungen", etwa wenn die Inhaftierungen "im Einzelfall durch einen überwiegenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt und verhältnismäßig" sind und ihnen "vorab von einer Justizbehörde oder einem unabhängigen und unparteiischen Entscheidungsgremium zugestimmt" wurde.
"Bestünde diese Ausnahme (laut Artikel 4, Anm. d. Red.) nicht", so Forgó, "könnte es zum Beispiel legal unmöglich werden, Redaktionsräume zu durchsuchen, selbst wenn von diesen bekannt wäre, dass darin terroristische Straftaten vorbereitet oder auch schon verübt werden." Der Experte veranschaulicht dies an einem fiktiven Szenario: "Würde sich Al-Quaida in einer Redaktion verschanzen, wäre sie dann möglicherweise 'immun' – und das kann natürlich nicht sein."
Der Wissenschaftliche Direktor des Instituts für Europäisches Medienrecht Mark David Cole bestätigte AFP in einem Telefongespräch am 28. August 2025 ebenfalls, dass die Ausnahmen im Artikel 4 "so eng gefasst" seien, dass Journalistinnen und Journalisten nicht ohne Weiteres "ins Gefängnis gesteckt" werden könnten.
"Das neue EU-Medienfreiheitsgesetz erlaubt keine willkürlichen Verhaftungen von Journalisten", stellte auch Rechtsanwalt Christian Solmecke über einen Sprecher in einer E-Mail am 27. August 2025 gegenüber AFP klar. "In Wahrheit stärkt die Verordnung den Schutz von Medien und Quellen." Eingriffe wie Verhaftungen oder Überwachung seien nun vielmehr "ausdrücklich verboten" und "nur in ganz eng begrenzten Ausnahmefällen möglich". Solmecke fasste zusammen, dass eine Verhaftung von Journalisten "nur dann möglich" sei, wenn "eine ganze Reihe von Voraussetzungen erfüllt sind und rechtsstaatliche Kontrollen sichergestellt werden". Dazu zähle etwa, dass sie "gesetzlich vorgesehen, verhältnismäßig, durch ein überwiegendes Allgemeininteresse gerechtfertigt und von einer unabhängigen Justizbehörde genehmigt" sein müsste.
Durch die Notwendigkeit einer Genehmigung durch eine unabhängige Justizbehörde nimmt die unterliegende Verordnung Rücksicht auf unterschiedliches nationales Recht in der EU, wie auch die deutsche Nachrichtenagentur dpa in einem Faktencheck vom 15. August 2025 anmerkte. Die Behauptungen auf sozialen Medien unterschlagen diesen Aspekt.
Laut Verordnung dürfen Maßnahmen wie eine Inhaftierung zudem nicht gegen die Charta der Grundrechte der Europäischen Union verstoßen. Die EU-Grundrechtecharta besagt im Artikel 11: "Jede Person hat das Recht auf freie Meinungsäußerung. Dieses Recht schließt die Meinungsfreiheit und die Freiheit ein, Informationen und Ideen ohne behördliche Eingriffe und ohne Rücksicht auf Staatsgrenzen zu empfangen und weiterzugeben." Weiters: "Die Freiheit der Medien und ihre Pluralität werden geachtet."
"Ein allgemeiner Hinweis auf ein angebliches Allgemeininteresse reicht nicht aus", resümierte Rechtsexperte Forgó – anders als online behauptet wurde.
Laut Experten überwiegt Schutzfunktion des Gesetzes
Auch der Aspekt, wie es zur Einführung des neuen Gesetzes kam, wurde laut Sachkundigen in sozialen Medien überspitzt dargestellt.
Medienrechtler Forgó erklärte, dass das europäische Medienfreiheitsgesetz nicht durch von der Leyen oder der Kommission beschlossen wurde: "Eine Verordnung wie diese ist ein Gesetz, sie bedarf der Zustimmung des Rats (also der Vertreter der EU-Regierungen) und des Europäischen Parlaments", stellte Forgó klar.
AFP fragte Europarechtsexperte Cole, ob ausgeschlossen werden könne, dass die Mitgliedstaaten das EMFA für Zwecke der Einschränkung der Meinungsäußerung missbrauchen könnten. "Vollkommen" könne man dies nicht in allen Mitgliedsstaaten ausschließen, lautete seine Antwort, denn auch Europa zeige "bestimmte Entwicklungen, die man vor Jahren nicht unbedingt für möglich gehalten hätte."
Doch das EMFA befeuere oder erleichtere diese "eindeutig" nicht, unterstrich Cole.
"Die Rechtslage für Journalisten ist nicht unsicherer, sondern erheblich sicherer geworden als sie zuvor war", stimmte Solmecke überein.
In diesem Zusammenhang verbreitete sich im August 2025 ein Video von EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen, welches sie bei einem Auftritt vor der EU-Wahl im Juni 2024 in Helsinki zeigte. Nach Zwischenrufen eines Mannes, den lokale Medien als einen ehemaligen Kandidaten für das EU-Parlament identifizierten, wurde dieser von Polizisten aus der Menschenmenge getragen und musste später "wegen Beamtenbeleidigung" eine Strafe in Höhe von 110 Euro zahlen, wie ein lokales Medium am 12. August 2025 berichtete. Nutzerinnen und Nutzer sahen darin ihre Sorge bestätigt, dass Bürgerinnen und Bürger für ihre Meinungsäußerung aufgrund des von der "EU unter Ursula von der Leyens" eingeführten EMFA Repressalien fürchten müssten.
Fazit: Online behaupteten Nutzerinnen und Nutzer im August 2025, dass das Europäische Medienfreiheitsgesetz die Inhaftierung von "nicht genehmen" Journalistinnen und Journalisten im "Allgemeininteresse" erlaube. Doch wie mehrere Fachleute gegenüber AFP betonten, sind die Aussagen stark verkürzt und irreführend. Die Experten argumentierten, dass das Gesetz einen zusätzlichen Schutz der Pressefreiheit darstelle.