Wahlhelfer zählen Stimmzettel in Phoenix, Arizona. ( AFP / OLIVIER TOURON)

Der Film "2000 Mules" belegt keinen Betrug bei der US-Wahl 2020

Hunderte User haben seit Anfang Mai einen Dokumentarfilm und zugehörige Berichte im Netz verbreitet, wonach dem damaligen US-Präsidenten Donald Trump angeblich im Jahr 2020 der Sieg der US-Wahl gestohlen wurde. Der Film behauptet, anhand von Videoaufnahmen und Handydaten nachweisen zu können, dass massenweise illegale Stimmen abgegeben worden seien. Laut Expertinnen und Experten sind dies aber keine ausreichenden Nachweise für einen Wahlbetrug. Erneute Auszählungen und Überprüfungen in verschiedenen US-Bundesstaaten bestätigten zudem Joe Bidens Sieg bei der Wahl.

Hunderte Nutzerinnen und Nutzer haben die Behauptungen zur US-Wahl 2020 auf Facebook geteilt (hier, hier, hier). Auch auf Instagram und Twitter wird über einen vermeintlichen Wahlbetrug gesprochen. Auf Telegram sahen Hunderttausende den Film, über den verschiedene Blogs berichteten (hier, hier, hier).

Die Behauptung: Der Dokumentarfilm "2000 Mules" soll angeblich beweisen, dass Donald Trump im Jahr 2020 aufgrund von Manipulation die Präsidentschaftswahl verlor. Der Film spricht von tausenden Stimmen, die in einigen US-Bundesstaaten zu Unrecht abgegeben worden seien und das Ergebnis verfälscht hätten. Besonderes Augenmerk liegt dabei auf den Staaten Arizona, Georgia, Michigan, Pennsylvania und Wisconsin. Sogenannte "Mules", im Englischen umgangssprachlich Kuriere für kriminelle Geschäfte, hätten dort angeblich massenweise illegale Stimmzettel abgegeben. Videoaufnahmen und Standortdaten von Mobiltelefonen sollen das belegen.

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Facebook-Screenshot der Behauptung: 13.05.2022

Bereits 2020 wurden die Ergebnisse der US-Wahl immer wieder von Trump-Unterstützern angezweifelt. Auch Trump selbst behauptete, bei der Wahl sei betrogen worden. AFP überprüfte diese und weitere Behauptungen in mehreren Faktenchecks (hier, hier, hier).

Als Beweise für den angeblichen Wahlbetrug trägt die konservative Wahlbeobachtungsgruppe "True the Vote" in dem Film "2000 Mules" Überwachungsaufnahmen und Standortdaten von Mobiltelefonen zusammen. Die Organisation fiel bereits in der Vergangenheit mit Fehlinformationen über Wahlen auf. Produziert wurde der Film vom konservativen Filmemacher Dinesh D’Souza. Dieser erklärt darin, die Präsidentschaftswahlen 2020 seien manipuliert worden. Bereits 2014 bekannte sich D’Souza in Sachen Wahlkampf-Finanzbetrug schuldig, da er im Namen anderer illegal Spenden zu einer Kampagne für den US-Senat sammelte. Wie der aktuelle Film zeigt, begnadigte Trump D’Souza für das Vergehen.

Trotz einzelner Fälle von Wahlbetrug, beispielsweise in Texas, stützte in den 18 Monaten seit der US-Wahl im November 2020 bisher kein Gericht die Behauptung, dass eine relevante Veränderung des Wahlergebnisses vorliege. "Die angeblichen Beweise in dem Film sind lediglich Indizien, und die Filmemacher sind ohne ausreichende Begründung zu einer ungeheuerlichen Schlussfolgerungen gelangt", erklärte zudem Barry Burden, Direktor des Forschungszentrums für Wahlen an der US-amerikanischen Universität von Wisconsin-Madison, am 9. Mai gegenüber AFP.

Ex-Präsident Trump äußerte sich am 3. Mai 2022 in einer Mitteilung zu dem Film und behauptete, die Dokumentation beweise eine "massive illegale Stimmensammlung". Trump zeigte den Film selbst während einer Feier in Florida am 4. Mai. Dort waren unter anderem Parteigrößen wie die republikanische Kongressabgeordnete Marjorie Taylor sowie Trumps ehemaliger Anwalt und Ex-Bürgermeister von New York City, Rudy Giuliani, anwesend.

Die Videoplattform Rumble erklärte am 9. Mai, der Film habe in den zwölf Stunden nach Veröffentlichung mehr als eine Million Dollar eingespielt. Produzent D’Souza selbst schrieb am 13. Mai auf Twitter, sein Film habe mehr als zehn Millionen Dollar eingenommen und sei damit die erfolgreichste politische Dokumentation seit einem Jahrzehnt.

AFP kontaktierte D’Souza, "True the Vote" und Trumps Büro für einen Kommentar. Bis zur Veröffentlichung dieses Faktenchecks erhielt die Redaktion keine Rückmeldung.

Standortdaten belegen keinen Wahlbetrug

Im Dokumentarfilm erklären die "True the Vote"-Vorsitzenden Catherine Engelbrecht und Gregg Philips, der bereits in der Vergangenheit Falschbehauptungen zu Wahlbetrug verbreitet hatte, die Organisation habe mithilfe von Standortdaten von Mobiltelefonen gearbeitet. Diese würden belegen, dass bei den Wahlen 2020 "ballot harvesting" stattfand, welches angeblich illegal ablief. Beim "ballot harvesting" werden Stimmzettel von Wählerinnen und Wählern eingesammelt und für diese abgegeben.

Wie auch im Film "2000 Mules" gezeigt, können die Stimmzettel dann in dafür vorgesehenen Kästen im öffentlichen Raum eingeworfen werden. Seit Beginn der Corona-Pandemie hat der Anteil der Stimmabgaben in solchen Einwurfkästen zugenommen. Viele Bundesstaaten nutzten die Kästen und das Sammeln von Stimmzetteln aber schon zuvor. Bei den US-Wahlen 2016 gab jeder Sechste seine Stimme so ab.

In Apps geteilte Standortdaten, auf welche sich "True the Vote" beruft, werden in manchen Fällen anonymisiert weiterverkauft. Auch Netzwerkanbieter wie der US-Telekommunikationskonzern AT&T haben in der Vergangenheit anonymisiert solche Daten ihrer Kunden verkauft. Das ist unter bestimmten Bedingungen legal.

"Diese Unternehmen verkaufen die Daten nicht direkt an Personen, sondern meist an Dritte, um sie zu bündeln", erklärte Jason Hong, Professor am Human Computer Interaction Institute der Carnegie Mellon University in den USA am 12. Mai gegenüber AFP: "Es gibt auch andere Unternehmen, die Daten von Smartphone-Apps sammeln und diese verkaufen."

"True the Vote" sollen angeblich entsprechende Daten aus mehreren umkämpften US-Bundesstaaten vor und nach der Präsidentschaftswahl 2020 erworben haben.

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Zwei Frauen stehen neben einem Kasten zur Stimmabgabe in Santa Ana, Kalifornien am 13. Oktober 2020. ( AFP / Frederic J. Brown)

Die Organisation erläutert im Film, die Standortdaten zeigten mehr als 2000 Menschen, die mehrere Abgabestellen für Stimmzettel sowie NGOs in Städten wie zum Beispiel Atlanta und Philadelphia besucht hätten. Menschen, die sich einem solchen Einwurfkasten zwischen dem 1. Oktober 2020 und dem Wahltag mehr als zehnmal näherten und zudem mehr als fünf Mal einer NGO nahe kamen, werden in dem Dokumentarfilm als "Mule", also als eine Art Stimmzettelkurier, bezeichnet. Diese von "True the Vote" angeführten Bewegungen zu mehreren Orten erscheinen den Filmemachern verdächtig, sie sehen sie als Beleg für Wahlbetrug.

Angeblich hätten diese NGOs Menschen bezahlt haben, um mehrere Stimmzettel von alten oder verstorbenen Menschen auszufüllen, einzusammeln und einzuwerfen. Die Behauptungen des Films stützen sich dabei außerdem auf ein Interview mit einem anonymen Whistleblower aus Arizona. Dieser gibt allerdings weder preis, von wem er angeblich bezahlt wurde, noch wieviel er damit verdient haben soll.

Charles Stewart, Professor für Politikwissenschaft am Massachusetts Institute of Technology, erklärte am 9. Mai gegenüber AFP, die Standortdaten von Mobiltelefonen würden lediglich Aufschluss darüber geben, dass sich jemand im Umkreis von etwa 30 Metern um einen bestimmten Ort herum befand. "Es kann nicht nachgewiesen werden, wo sie sich genau befanden und noch wichtiger, was sie dort gemacht haben."

Jemand, der beispielsweise mehrere Abgabestellen aufsuchte, könnte demnach ein Zusteller, Taxifahrer oder Postangestellter sein. Barry Burden erklärte, Wahlbeamte hätten ebenfalls legitime Gründe, die Einwurfkästen aufzusuchen. Beispielsweise könnten die Beamten Stimmzettel aus den Kästen an andere Lagerorte bringen oder die Sicherheitsvorkehrungen an den Einwurfstellen überprüfen.

Die Wahlkästen sind zudem mit mehreren Sicherheitsmechanismen wie etwa Schlössern, Siegeln und Videoüberwachung ausgestattet. Die Kästen seien zudem absichtlich an viel besuchten Orten wie Bibliotheken oder Universitäten platziert. Daher könnten Menschen auch im Alltag in ihre Nähe kommen."Viele Daten von Mobilfunkmasten nutzen kein GPS", erklärte zudem Jason Hong. Die Abfragen seien deshalb nicht besonders genau.

Das Georgia Bureau of Investigation (GBI), die Kriminalbehörde des Bundesstaates Georgia, veröffentlichte zudem im September 2021 einen unter anderem an "True the Vote" adressierten Brief", wonach die von der Organisation bereitgestellten Standortdaten kein Beweis für illegales "ballot harvesting" seien. GBI-Direktor Vic Reynolds erklärte darin: "Obwohl sie seltsam sind, geben die Daten keinen Anlass dazu, von einem Verbrechen auszugehen." Es seien keine Belege dafür bereitgestellt worden, dass die gesammelten Telefondaten im Zusammenhang mit "ballot harvesting" stünden. Auch Zeugen wurden nicht genannt, eine von "True the Vote" genannte angebliche Quelle wurde gegenüber dem GBI nicht offengelegt.

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Ein Wahlhelfer hilft bei der Abstimmung in der Robert E. Lake Elementary School am 3. November 2020 in Las Vegas. ( AFP / Ronda Churchill)

Die Abgabe von Stimmzetteln für andere ist vielerorts legal

Neben Standortdaten beruft sich der Dokumentarfilm auf Überwachungsvideos von Einwurfkästen in besonders umkämpften US-Bundesstaaten. "True the Vote" erklärt im Film, die Aufnahmen von öffentlichen Stellen auf Anfrage erhalten zu haben.

Die leicht verpixelten Videos scheinen Menschen zu zeigen, die mehreren Stimmzettel auf einmal in die Kästen werfen, in manchen Fällen spät in der Nacht. Keiner der Clips zeigt allerdings dieselbe Person zweimal. Ein Beweis dafür, dass die gezeigten Personen Teil einer illegalen Stimmabgabe waren, sind die Videos nicht. Politikwissenschaftler Stewart erklärte: "Selbst wenn Videoaufnahmen zeigen, wie Menschen mehrere Stimmzettel einwerfen, haben alle Bundesstaaten Ausnahmen für die Gesetze zur Abgabe."

In den USA wird die Abgabe von Stimmzetteln für andere Personen "ballot collection" oder, wie erwähnt, auch "ballot harvesting" genannt. Laut der National Conference of State Legislatures, der Vertretung der US-Bundesstaaten gegenüber den übergeordneten Behörden, ist es in 30 US-Bundesstaaten erlaubt, Stimmzettel im Namen anderer Wahlberechtigter abzugeben. Unter diesen Bundesstaaten seien auch Arizona, Georgia und Michigan, die ebenfalls im Film "2000 Mules" erwähnt werden.

Viele der Bundesstaaten erlauben es nur einem Familienmitglied, einem Bewohner des gleichen Haushalts oder einer Betreuungsperson, die Stimmzettel abzugeben. Auch Obergrenzen für die Anzahl der möglichen Abgaben von Stimmzetteln sind in einigen Fällen gegeben. Solche Beschränkungen gelten allerdings nicht in allen Bundesstaaten.

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Wähler am 3. November 2020 auf dem Weg zur Waddell Language Academy in Charlotte, North Carolina. ( AFP / Grant Baldwin)

Nach Angaben der US-Tageszeitung "Atlanta Journal-Constitution", überprüften Wahlbeamte aus Georgia mehrere der Videos aus "2000 Mules". Sowohl die "Washington Post" als auch der öffentliche Rundfunksender Georgia Public Broadcasting berichteten zudem Mitte Mai 2022, der Wahlausschuss des Bundesstaates habe drei angeblich illegale Fälle von “ballot harvesting” zurückgewiesen. Einer der Fälle sei auch im Film "2000 Mules" genannt worden. Dabei handelte es sich allerdings um einen Mann, der Stimmzettel für sich und seine Familie einwarf. In den anderen Fällen ging es ebenfalls um Stimmzettel für andere Mitglieder eines Haushalts.

Die US-Behörde für Cybersicherheit, Cisa, erklärte bereits im November 2020, die Präsidentschaftswahl sei die "sichersten in der US-Geschichte" gewesen. Seitdem mehren sich die Beweise dafür, dass es keinen verbreiteten Wahlbetrug gab.

Trump und seine Anhänger scheiterten mit dutzenden Gerichtsverfahren, mit denen sie versuchten, die Wahlergebnisse in einzelnen Bundesstaaten anzufechten. Der Oberste Gerichtshof der USA wies zudem mehrere Fälle zurück, bei denen die Wahlergebnisse in einigen umkämpften US-Bundesstaaten infrage gestellt wurden. Zahlreiche Überprüfungen und Nachzählungen in diesen Staaten, darunter Arizona, Georgia, Michigan, Pennsylvania und Wisconsin, bestätigten nochmals den Sieg von Präsident Joe Biden. Vertreterinnen und Vertreter der beiden großen US-Parteien, darunter auch Trumps eigener Justizminister William Barr, haben wiederholt Behauptungen über weit verbreiteten Betrug zurückgewiesen.

Douglas Jones, Associate Professor am Institut für Computerwissenschaften der Universität in Iowa, erklärte am 9. Mai gegenüber AFP: "Sie sagen, dass es etwa 2000 'Mules' gab, die dafür bezahlt wurden, Wahlurnen zu füllen." Bei so vielen Teilnehmern sei es aber außerordentlich schwierig zu rekrutieren, ohne dass einige von ihnen Gespräche aufzeichneten und kriminelle Details durchsickern lassen würden.

Fazit: Nein, der Film "2000 Mules" liefert keinen Beleg für einen Betrug bei den US-Wahlen im Jahr 2020. Die als Beweis angeführten Standortdaten von Mobiltelefonen und Videoaufnahmen lassen diesen Rückschluss nicht zu. Versuche, die Ergebnisse der Wahlen anzufechten, scheiterten bereits mehrfach vor Gericht. Laut der US-Behörde für Cybersicherheit waren die Wahlen 2020 die sichersten in der US-Geschichte.

23. Mai 2022 Ergebnisse des Wahlausschusses von Georgia genauer wiedergegeben

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