
Dieses Zitat stammt nicht von Justizministerin Christine Lambrecht
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- Veröffentlicht am 4. Mai 2021 um 16:57
- Aktualisiert am 4. Mai 2021 um 17:01
- 4 Minuten Lesezeit
- Von: Eva WACKENREUTHER, AFP Österreich
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Gegen Corona-Demonstrierende habe sich Lambrecht scharf geäußert, so ein auf Facebook tausendfach verbreitetes Posting (hier, hier, hier). Demnach habe die Justizministerin gesagt: "Wer gegen die Regierung und die überzogenen Maßnahmen in der Coronakrise demonstriert, hat das Zeugs dazu, ein Mörder zu werden." Als Zitat-Quelle geben die Postings die Nachrichtenagentur "Deutsche Textservice Nachrichtenagentur" ("dts") an, dazu heißt es neben einem Bild der Ministerin: "Mehr Hass und Hetze geht eigentlich nicht."

AFP hat zunächst auf Facebook nach dem angeblichen Zitat gesucht. Diese Suche führte zu einem Statement von Lambrecht selbst. Auf ihrer Facebook-Seite schrieb sie am 16. Mai 2020: "Dieser Fake wird seit gestern über mich verbreitet. Ich werde dagegen strafrechtlich vorgehen." Von einer Nutzerin auf Facebook dazu befragt, ob das Zitat echt sei, antwortete sie im Juli 2020 erneut: "nein. und alle, die das behauptet/verbreitet haben und ich das zur Kenntnis bekomme habe, habe ich angezeigt." Ein Sprecher der Ministerin bestätigte am 3. Mai 2021 außerdem schriftlich gegenüber AFP, "dass das angebliche Zitat nicht von Frau Ministerin Lambrecht stammt."
Als Quelle gibt das geteilte Bild die deutsche Nachrichtenagentur "dts" an. Unter Lambrechts Facebook-Dementi schrieb "dts"-Chefredakteur Michael Höfele bereits im Juli 2020: "Die dts Nachrichtenagentur hat dieses angebliche Zitat von Frau Lambrecht nicht verbreitet."
Auf ihrer Website stellte die Nachrichtenagentur ebenfalls richtig: "Im Juli 2020 waren wir Gegenstand eines "Faktencheck" der Deutschen Presse-Agentur (dpa). Zuvor war über Wochen ungerechtfertigt eine Grafik in Sozialen Netzwerken verbreitet worden, in dem irreführend "dts" als Quelle für ein angebliches Zitat von Justizministerin Christine Lambrecht angegeben wurde."
Der genannte Faktencheck der dpa ist hier abrufbar und kommt ebenfalls zum Schluss, dass es für das unterstellte Zitat keine Belege gebe.
Möglicher Ursprung
Auf Twitter kommentierte "dts" unter das dort geteilte Posting ebenfalls: "Der dts Nachrichtenagentur ist das scheinbare Zitat von Frau Lambrecht nicht bekannt und wir haben sie auch nie so zitiert." und fügte eine mögliche Quelle des Falschzitats hinzu: "Es handelt sich offenbar um eine irreführende Zuspitzung bzw. Kommentierung unserer Meldung vom 15.05.2020."
In dieser Meldung fasste "dts" einen Bericht über Lambrecht in der "Frankfurter Allgemeine Zeitung" vom 15. Mai 2020 zusammen, in dem die Justizministerin vor Verschwörungstheorien während der Coronakrise warnte. "Das Leugnen und Verdrehen von Fakten kann in der Pandemie Leben gefährden", sagte Lambrecht dort. Sie warnte vor rassistischer und antisemitischer Hetze und forderte von YouTube, Facebook und Co., stärker gegen gezielte Desinformation vorzugehen.
Von Demonstrationen spricht Lambrecht dort nicht. Der Artikel selbst greift aber Gewaltbereitschaft sowie Demonstrationen in Stuttgart auf und zitiert eine Einschätzung des Verfassungsschutzes von Baden-Württemberg. Demnach sei die Gefahr hoch, die von Verschwörungsmythen ausgehe. Solche Mythen würden eine Legitimationsbasis für eine vermeintliche Notwehr bilden: "Zunächst erschaffen sie eine vermeintliche Bedrohungslage, definieren ein Feindbild (das können beispielsweise Migranten oder Vertreter der Regierung sein) und liefern letztendlich eine Rechtfertigung zur 'Gegenwehr' gegen das zuvor erklärte Feindbild, die durchaus mit tödlicher Gewalt enden kann", zitiert die FAZ den Landesverfassungsschutz.
Die Aussagen Lambrechts in der FAZ griff auch der Rechtsaußen-Blog "Journalistenwatch" in einem Artikel vom 15. Mai 2020 auf. Er berichtet über Lambrechts Einschätzungen sowie Warnungen anderer Politiker. Die Aussagen fasst "Journalistenwatch" so zusammen: "Übersetzt und etwas verkürzt: Wer gegen die Regierung und die überzogenen Maßnahmen in der Coronakrise demonstriert, hat das Zeugs (sic) dazu, ein Mörder zu werden. Mehr Hass und Hetze geht eigentlich nicht."
Der Blog schreibt den Satz also gar nicht Lambrecht zu, sondern zieht nur "übersetzt und etwas verkürzt" ein Fazit. Sowohl der Satz "Mehr Hass und Hetze geht eigentlich nicht", als auch die Formulierung "hat das Zeugs dazu" tauchen auch im auf Facebook geteilten Bild wieder auf. Auch der Hinweis auf Material der Nachrichtenagentur "dts" kommt bereits im Beitrag von "Journalistenwatch" auf. Eine von der dpa archivierte Google-Suche nach dem exakten Zitat im Juli 2020 zeigte außerdem einzig den "Journalistenwatch"-Artikel als Suchergebnis.
Fotoherkunft und ähnliche Äußerung
AFP hat außerdem nach dem im geteilten Bild verwendeten Foto von Lambrecht gesucht. Medien verwendeten es mehrfach (hier, hier, hier) in der Berichterstattung über Lambrecht, als Quelle ist wiederum die Nachrichtenagentur "dts" angegeben. Von AFP am 4. Mai befragt, schrieb Chefredakteur Michael Höfele: "Das Foto zeigt Christine Lambrecht am 10.12.2015 auf dem SPD-Bundesparteitag in der Messe Berlin." Auch dort kann das Zitat nicht gefallen sein, das neuartige Coronavirus war 2015 noch nicht entdeckt.
Zu einem ähnlichen Thema gab es kurz nach Auftauchen des Falschzitats auch eine Kleine Anfrage der AfD an Lambrecht. Lambrecht antworte im Juni 2020 und äußerte sich in Bezug auf Demonstrierende bei Corona-Demos darin so: "Die Bundesministerin der Justiz und für Verbraucherschutz weiß aus vielen persönlichen Gesprächen mit Bürgerinnen und Bürgern, dass diese in der Regel eine überlegte Entscheidung treffen, an welchen Demonstrationen sie teilnehmen. In der ganz überwiegenden Zahl der Fälle distanzieren sich diese zudem von verschwörungstheoretischen und extremistischen Ansichten." Dem angeblichen Zitat, dass Corona-Demonstrierende das Zeug zum Mörder hätten, widerspricht das.
Fazit: Sowohl Lambrecht selbst als auch der Chefredakteur der Nachrichtenagentur, von der die vermeintliche Aussage angeblich stammen soll, weisen das Zitat zurück. Dieses findet sich allerdings wortgleich in einem rechten Blog, der es jedoch nicht Lambrecht zuschreibt, sondern nur ein Fazit über die Aussagen von Lambrecht und anderen Politikern zieht.