
Nein, diese Liste beweist keine Planung der Omikron-Variante des Coronavirus
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- Veröffentlicht am 1. Dezember 2021 um 10:06
- Aktualisiert am 2. Dezember 2021 um 15:15
- 5 Minuten Lesezeit
- Von: Paula CABESCU, AFP Rumänien, AFP Deutschland
- Übersetzung: Max BIEDERBECK
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Hunderte Nutzer haben die Tabelle auf Facebook geteilt (hier, hier, hier). Zehntausende sahen sie auf Telegram (hier). Versionen der Behauptung verbreiteten sich zuvor in Frankreich,den USA, Rumänien und Indonesien.
Die Falschbehauptung: Die geteilte Tabelle zeigt die angeblichen unterschiedlichen Varianten des Coronavirus, jeweils versehen mit einem Datum. Sie beginnt mit Delta im Juni 2021 und endet mit Omega im Februar 2023. Auch Omikron kommt mit dem Datum Mai 2022 vor. Dazu stehen die Logos mehrerer Organisationen: die WHO, das Weltwirtschaftsforum (WEF), die Johns Hopkins Universität und die "Bill and Melinda Gates"-Stiftung. Dazu schreiben User etwa: "Hellseher und Kartenleger: Wenn das WEF seine Mutationsplanung früher durchzieht als geplant und die Omikron-Variante jetzt schon ins Rampenlicht stellt, dann sind die hoffentlich so richtig im Arsch."

Prominente Institutionen, die im Zusammenhang mit dem Coronavirus auftreten, werden immer wieder Ziel von Falschinformationen. Die WHO etwa hier. Das WEF hier. Die Gates-Stiftung hier. Auch die aktuell geteilte Tabelle gehört in diese Reihe an Falschinformationen. Sie kursierte bereits im Juli 2021 auf Facebook, verbreitete sich also lange, bevor die Omikron-Variante überhaupt entdeckt wurde.
Auf Nachfrage von AFP erklärten die WHO und das WEF, dass die Liste nicht von ihnen stamme. "Dies ist kein WHO-Dokument", sagte WHO-Sprecher Tarik Jašarević in einer E-Mail vom 2. August 2021. WEF-Sprecherin Chloe Laluc sagte AFP am 28. Juli 2021: "Wir haben dieses Bild noch nie gesehen und waren an seiner Erstellung nicht beteiligt." Auch die Pressestelle der Gates-Foundation dementierte die Behauptung und nannte sie "falsch". Am 29. November schrieb schließlich ein Sprecher der Johns Hopkins Universität: "Diese Behauptungen haben sich bereits als offenkundig falsch erwiesen, und die Johns Hopkins Universität hat keine Rolle bei der Verbreitung der Desinformation gespielt."
Ungenauer Zeitplan
Zusätzlich zur irreführenden Verwendung offizieller Logos stimmen die in den sozialen Medien kursierenden Daten nicht mit den tatsächlichen Zeiten überein, an denen die jeweiligen Varianten von Sars-CoV-2 entdeckt wurden.
Die offizielle WHO-Liste der SARS-CoV-2-Varianten enthält derzeit vier "besorgniserregende Varianten" – Alpha, Beta, Gamma und Delta – und vier "Varianten von Interesse" – Eta, Iota, Kappa und Lambda.
Laut der in den sozialen Medien verbreiteten Tabelle soll die Delta-Variante etwa im Juni 2021 "eingeführt" worden sein. Forschende dokumentierten die hoch ansteckende Delta-Variante des Coronavirus allerdings erstmals im Oktober 2020 in Indien, wie folgende Tabelle der WHO zeigt.

Die WHO stufte Delta im April 2021 zu einer Variante von Interesse und im Mai zu einer besorgniserregenden Variante hoch (mehr hier). Alpha, Beta und Gamma finden in den Postings keine Erwähnung.
Im kursierenden Zeitplan heißt es auch, die Eta-Variante seien im September 2021 eingeführt worden, Iota im November 2021, gefolgt von Kappa und Lambda in den beiden darauffolgenden Monaten. Forschende haben diese Varianten jedoch alle bereits Ende 2020 entdeckt. Die WHO stufte Eta und Iota im März 2021 als Varianten von Interesse ein, die Gesundheitsorganisation fügte Kappa im April und Lambda im Juni zu dieser Liste hinzu (siehe folgender Screenshot).

Auch wenn die WHO die bisherigen Varianten in alphabetischer Reihenfolge benannt hat, tauchen in diesen offiziellen Listen die Bezeichnungen Ny und Xi nicht auf. In der verbreiteten Liste fälschlicherweise schon. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hatte allerdings entschieden, Xi und Ny zu überspringen und Omikron als Bezeichnung für die Variante B.1.1.529 zu wählen. Ny klinge nach "new" und wäre deshalb missverständlich gewesen, beim Namen “Xi” habe man die Diskriminierung eines weitverbreiteten Nachnamens vermeiden wollen, erklärte die WHO (mehr dazu hier).
Varianten tauchen zufällig auf
Viren mutieren routinemäßig, und das Auftreten von Varianten von Sars-CoV-2 ist kein Beweis dafür, dass heimliche Kräfte die Pandemie inszeniert oder geplant hätten. Wie in folgendem AFP-Video erläutert, entstehen Varianten zufällig durch die aktive Verbreitung des Virus, wenn es sich in einem menschlichen Wirt vermehrt.
Nachdem das Virus in eine Zelle eingedrungen ist, kopiert es sich selbst, um sich zu verbreiten. Bei jeder Replikation können Fehler auftreten, die zu Mutationen führen. Die meisten dieser Mutationen haben keine größeren Auswirkungen, einige können das Virus allerdings auch infektiöser, tödlicher oder resistenter gegen Antikörper machen. Diese Informationen gibt es bisher etwa über die Mutationen der Omikron-Variante:
Forschende nutzen die sogenannte Genomsequenzierung, um neue Varianten zu identifizieren und um deren Auswirkungen auf die Gesundheit zu untersuchen. Catherine Hill, Epidemiologin am Institut Gustave Roussy in Frankreich, bestätigte den Zufallscharakter von viralen Mutationen am 14. Juli gegenüber AFP. Sie sagte:
Laut den von AFP befragten Fachleuten ist die Impfung die beste Möglichkeit, die Verbreitung des Virus einzudämmen und das Risiko des Auftretens resistenterer oder ansteckenderer Varianten zu verringern.
"Je mehr das Virus zirkuliert, desto mehr Möglichkeiten hat es, Lösungen für ein Problem zu finden, wie z. B. die Impfung oder die natürliche Immunität", sagte etwa Pascal Crépey, Epidemiologe und Biostatistiker an der französischen Hochschule für öffentliche Gesundheit, Mitte Februar.
Fazit: Die verbreitete Liste ist kein Beweis für die Planung der Omikron-Variante oder anderer Mutationen. Die aufgeführten Institutionen dementierten gegenüber AFP, die kursierende Liste erarbeitet zu haben. Auch die dort angegebenen zeitlichen Abläufe ergeben keinen Sinn.
2. Dezember 2021 Stellungnahme Johns Hopkins Universität ergänzt.