Diese Studie aus Schweden belegt keinen Zusammenhang zwischen Corona-Impfstoffen und Problemen des Immunsystems
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- Veröffentlicht am 26. November 2021 um 09:31
- 7 Minuten Lesezeit
- Von: Saladin SALEM, AFP Deutschland
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Dutzende Nutzerinnen und Nutzer haben die Studie seit Mitte November auf Facebook geteilt (hier, hier, hier). Zehntausende sahen zwei Blogartikel (hier, hier) dazu auf Telegram (hier, hier).
Die irreführende Behauptung: Die Studie aus Schweden soll zeigen, dass die Spike-Proteine des Coronavirus ebenso wie Spike-Proteine aus Impfungen in den Zellkern eindringen können. Im Zellkern würde das S-Protein dann die sogenannte adaptive Immunantwort behindern. Grund für die Aufregung ist eine Aussage der Studienautoren selbst. Diese empfehlen tatsächlich auf Grundlage ihrer Ergebnisse, vollständige Spike-Protein nicht länger als Grundlage für Impfstoffe zu verwenden, so wie es aktuell der Fall ist.
Einer der beiden Blog-Einträge titelt dazu: "Schock-Studie: Kann Spike-Protein Krebs verursachen?" Dazu stellen Postings eine weiere Studie, mit der sie einen Zusammenhang zur Entwicklung von Krebs zeigen wollen.
Um welche Studie geht es?
Die schwedische Studie trägt den Titel "Sars–CoV–2 Spike Impairs DNA Damage Repair and Inhibits V(D)J Recombination In Vitro". Die Universität Stockholm hat sie am 13. Oktober veröffentlicht.
Die beteiligten Forschenden untersuchten darin tatsächlich, wie das Coronavirus die adaptive Immunantwort beeinflusst. Dabei handelt es sich um den Teil des Immunsystems, welcher für die Entstehung eines Gedächtnisses für bestimmte Krankheitserreger verantwortlich ist. Bei erneutem Kontakt mit dem gleichen Erreger baut der Körper damit schneller eine geeignete Immunantwort auf.
Die Studienautoren kamen zum Ergebnis, die Spike-Proteine des Sars-CoV-2 würden wesentlich die Schadensreparatur der DNA behindern. Das Coronavirus braucht solche Spike-Proteine, um Zellen zu befallen und seine Erbinformationen in die Zelle zu schleusen.
Die Studie weiter: Habe das S-Protein die DNA-Schadensreparatur herabgesetzt, könne auch die sogenannte V(D)J-Rekombination nicht mehr richtig arbeiten. Dabei handelt es sich um einen wichtigen Mechanismus im Immunsystem, mit dessen Hilfe es Viren oder Bakterien erkennt.
Die Studienautoren schlussfolgern: "Dies deutet darauf hin, dass die Verwendung antigener Epitope des Spikes als SARS-CoV-2-Impfstoff sicherer und wirksamer sein könnte als der Spike in voller Länge." Die Arbeit solle dazu beitragen, sicherere und effizientere Impfstoffe herzustellen.
Die Studie liefert keine Daten zur Bewertung der Impfung und hat Fehler
Abseits dieser Einschätzung der Autoren untersucht die schwedische Studie nicht, wie in den Artikeln behauptet, wie die Spike-Proteine nach einer Impfung wirken. Sie hat demnach ebenso wenig gezeigt, dass diese in den Zellkern eindringen. Die Arbeit wollte lediglich zeigen, wie Spike-Proteine des Sars-CoV-2 sich verhalten. Davon ausgehend stellten die Autoren lediglich Überlegungen zu den Impfstoffen an.
Auf AFP-Anfrage erklärte ein Sprecher der zuständigen Universität Stockholm am 22. November:
Die Forscher hätten die Versuche außerdem künstlich und nicht an lebenden Organismen vorgenommen. Schlüsse auf die Auswirkungen der Spike-Proteine im Körper ließen sich so grundsätzlich nicht ziehen. Die Universität habe die Arbeit zudem gegengeprüft und Fehler gefunden:
Auch die Universität Umeå, welche ebenfalls an der Auswertung der wissenschaftlichen Arbeit beteiligt war, bestätigte diesen Umstand am 22. November gegenüber AFP. Der Leiter der dortigen Abteilung für klinische Mikrobiologie, Anders Sjöstedt, erklärte, er sei über die Bitte um Rücknahme der Arbeit informiert worden.
Die Leiterin der Forschungsgruppe Biochemie und Bioorganische Chemie an der Universität Leipzig, Annette Beck-Sickinger, erklärte in Bezug auf die Studie am 19. November gegenüber AFP: "Der Ansatz (der Studie) ist an mehreren Punkten fraglich."
Proteine seien nur in der Lage, in den Zellkern zu gelangen, wenn sie das sogenannte Zellkernimport-System überwinden. Dies sei bei Spike-Proteinen aber nicht der Fall. Laut Beck-Sickinger sei das Protein in der Studie mit einem sogenannten His-Tag, einer Art Kennzeichnung, ausgestattet worden. Becker-Sickinger weiter: "Dieses allein könnte für den Transport in den Zellkern die Ursache sein. In guten Papern würde man immer noch ein zweites Tag-System verwenden zur Überprüfung, das fehlt in der Arbeit."
Spike-Proteine der Impfung sind unbedenklich
Im Gegensatz zum Spike-Protein des Virus kann sich das S-Protein der Impfung nicht vermehren. Muskelzellen produzieren Letzteres hauptsächlich lokal und nur für einen kurzen Zeitraum, der Körper baut es dann wieder ab. AFP widerlegte in der Vergangenheit bereits mehrmals Behauptungen, die nach der Impfung produzierten Spike-Proteine seien gefährlich (siehe hier, hier).
Peter Murray, Forschungsgruppenleiter für Immunregulation am Max-Planck-Institut, erklärte gegenüber AFP am 2. Juni in einer E-Mail, dass körperfremde Stoffe immer aus dem Körper entfernt würden. Ausnahme seien etwa von klein auf tolerierte Nahrung, Darmbakterien, Kleidung am Körper. Das Spike-Protein gehöre aber nicht zu diesen Ausnahmen. "Das bedeutet, dass es, egal was passiert, eingefangen und entfernt wird", erklärte Murray.
Zudem können nur sehr große Mengen an Spike-Proteinen, die mit einer Impfung nicht erreicht werden, eine toxische Wirkung entfalten.
Harvard Medicine School Professor David Walt erklärte das AFP am 11. Juni in Zusammenhang mit früheren Studien: Verwechselt werde in diesen Fällen "die toxischen Wirkungen hoher Konzentrationen von Spike-Protein bei einigen infizierten Patienten mit den sehr niedrigen Spike-Konzentrationen, die bei einigen unserer geimpften Studienteilnehmer gefunden wurden. Es ist wahr, dass die Spikes, die bei einigen schweren Infektionen auftreten, toxisch sind. Die Werte, die wir nach der Impfung bei einigen Personen messen, sind unglaublich niedrig, und wir fanden bei den meisten geimpften Personen keine vollständigen Spikes. Unsere Schlussfolgerung war, dass der Impfstoff wie beabsichtigt wirkt. Der Impfstoff ist unglaublich sicher!"
Auch der Virologe Frank Kirchhoff bestätigte das am 11. Juni gegenüber AFP: "Ich bezweifle, dass die Mengen an freiem Spike-Protein, die möglicherweise nach einer Impfung entstehen könnten, ausreichen, um schädliche Nebenwirkungen hervorzurufen."
Krebs als Konsequenz der gehemmten Immunantwort?
Grundlage für Spekulationen ist auch ein Ergebnis der schwedischen Studie, wonach das S-Protein unter anderem das DNA-Reparaturprotein 53BP1 behindere. Verschiedene User und Blogartikel behaupten, dass dieser Umstand eine Rolle bei der Entstehung von Krebsgeschwüren spielen könne. Als zusätzliche Grundlage für diese Behauptung dient eine zweite Studie aus der Fachzeitschrift "DNA Repair" aus dem Jahr 2019, die tatsächlich einen Zusammenhang mit den Problemen dieses Proteins und der Entstehung von Krebs beschreibt.
Eine Sprecherin des Deutschen Krebsforschungszentrums (dkfz) erklärte am 20. Oktober gegenüber AFP, eine komplette Hemmung des Immunsystems könne tatsächlich durchaus die Krebsentstehung begünstigen.
Ein Sprecher des Niederländischen Krebs-Instituts erklärte AFP zudem bereits am 27. August: "Mir sind keine Daten bekannt, die darauf hinweisen, dass das Vorhandensein dieser Impf-Immunisierung eine Immunantwort gegen Krebszellen negativ beeinflussen würde, und aufgrund des Wirkmechanismus der Impfstoffe gibt es auch keinen Grund, dies zu vermuten."
In einem Artikel der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie vom 11. März heißt es zudem: "Viele Krebspatient*innen befürchten, dass eine Impfung eine 'schlummernde' Krebserkrankung wieder zum Ausbruch bringen kann – aus zahlreichen Impfstudien mit Krebspatient*innen und anderen Impfstoffen gibt es keine Berichte darüber, dass tatsächlich Impfungen einen Krebsrückfall auslösen können." Die Informationen zeigten: Die Covid-19-Impfung löse Krebserkrankungen ebenso wie schwere Autoimmunerkrankungen und Unfruchtbarkeit weder aus noch verschlimmere sie sie.
Eine Sprecherin der Deutschen Krebsgesellschaft (DKG) erklärte am 23. November gegenüber AFP, die Ergebnisse seien schon deshalb nicht ohne Weiteres auf den menschlichen Organismus übertragbar, weil die schwedische Studie in Zellkulturen durchgeführt wurde. Sie bestätigte auch:
"Für eine Hemmung der DNA-Reparatur, wie sie von den Autoren postuliert wird, muss Spike-Protein in den Zellkern gelangen." Die Menge an Spike-Proteinen, die in den Versuchen der Studienautoren aufgeführt wird, sei allerdings nicht vergleichbar mit der Menge an Spike-Proteinen, die nach einer Corona-Impfung vorübergehend in der Oberarmmuskulatur vorhanden sind.
Forscherin Beck-Sickinger bestätigte dies ebenfalls. Die Krebsentstehung sei ein langer Prozess. Das Reparatursystem müsse dauerhaft gestört sein, um Krebs entstehen zu lassen.
"Selbst wenn bei einer Impfung minimale Mengen Spike-Protein in den Zellkern gelangen würden und diese am Tag zwei nach der Impfung die Reparatur der DNA in den geimpften Muskelzellen etwas beeinträchtigen würden, wäre die Zellreparatur an Tag drei, wenn das Protein abgebaut ist, wieder in Takt. Immunzellen, die ja hauptsächlich für die Eliminierung von Krebszellen verantwortlich sind, nehmen aber überhaupt kein Spike-Protein auf, daher spielt es hier keine Rolle."
Fazit: In der schwedischen Studie wurde nicht die Wirkung der durch die Impfung gebildeten Spike-Proteine untersucht, sondern nur eine Empfehlung ausgesprochen. Die zuständigen Universitäten erklärten zudem, dass eine Rücknahme der Publikation wegen Fehlern angefordert wurde. Die Spike-Proteine der Impfung gelten laut Expertinnen und Experten als unbedenklich und werden nach kurzer Zeit aus dem Körper entfernt. Auch erhöhte Zahlen an Krebserkrankungen gab es nach Impfungen bisher nicht. Die Studie selbst stellt zu keinem Zeitpunkt einen solchen Zusammenhang auf. Die Deutsche Krebsgesellschaft verneint ihn außerdem.