
Postings stellen Social-Media-Analyse in Polen nach Drohnenangriffen verzerrt dar
- Veröffentlicht am 16. September 2025 um 12:00
- 6 Minuten Lesezeit
- Von: Ede ZABORSZKY, AFP Ungarn
- Übersetzung und Adaptierung: Katharina ZWINS , AFP Österreich
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"Die Polen geben hauptsächlich der Ukraine die Schuld am Drohnenvorfall", schrieb ein Nutzer am 10. September 2025 auf Facebook. Laut dem Beitrag gaben 38 Prozent der Polinnen und Polen der Ukraine die Schuld an dem Drohnenvorfall in der Nacht zum 9. September 2025, nur 34 Prozent machten Russland verantwortlich. Das zeige eine "Analyse der Publikation Res Futura" zur "Verantwortung für das Eindringen der Drohnen auf polnisches Gebiet", hieß es.
Auch in anderen Facebook-Beiträgen wurde die Behauptung geteilt. Auf Threads, X und Telegram kursierte die Aussage ebenfalls. Dazu teilten Userinnen und User ein Diagramm. Der Text in der Grafik lautet auf Polnisch: "Verantwortung für den Drohnenangriff – prozentuale Verteilung in Kommentaren (9.–10. September 2025). Ukraine – 38 %; Russland – 34 %; polnische Regierung – 15 %; Medien – 8 %; NATO und der Westen – 5 %".

Die Grafik mit derselben Behauptung verbreitete sich auch auf Ungarisch, Französisch, Bulgarisch, Griechisch und Spanisch. Die meisten Beiträge enthielten entweder das Diagramm selbst oder deren Inhalt in Textform. Eine der frühesten Versionen der Behauptung unter Verwendung der Grafik war ein Telegram-Post auf Russisch, der am 10. September 2025 veröffentlicht wurde. Der Beitrag wurde über 430.000 Mal aufgerufen.

AFP-Recherchen ergaben jedoch, dass die derzeit in sozialen Medien geteilte Grafik irreführend dargestellt wird. Res Futura, die polnische Forschungsstiftung, die den Bericht erstellt hatte, bestätigte, dass die Daten aus einer Analyse öffentlicher Kommentare in sozialen Medien stammen und "nie als repräsentative Umfrage zur öffentlichen Meinung in Polen gedacht waren".
Russische Drohnen über Polen Anfang September 2025
Polen versammelte seine Nato-Verbündeten zu dringenden Gesprächen, nachdem es erklärt hatte, dass russische Drohnen in der Nacht des 9. September 2025 bei einem Angriff auf die Ukraine in den polnischen Luftraum eingedrungen seien. Der polnische Luftraum sei 19 Mal verletzt worden, mindestens drei Drohnen seien abgeschossen worden, nachdem Warschau und seine Verbündeten Jets aufsteigen ließen. Polen und Nato-Verbündete wie Deutschland verurteilten den Vorfall als gezielte Provokation gegen das gesamte westliche Militärbündnis.

Das Eindringen der Drohnen ereignete sich dreieinhalb Jahre nach Beginn der russischen Invasion in die Ukraine. Polen bezeichnete den Vorfall als einen "beispiellosen" Angriff auf das Land, die Nato und die Europäische Union. Moskau bestritt, das Land ins Visier genommen zu haben.
Polen, ein wichtiger Unterstützer der Ukraine, beherbergt mehr als eine Million ukrainische Geflüchtete und ist ein zentrales Transitland für westliche humanitäre und militärische Hilfe an die Ukraine. Russische Medien begannen sofort, unterschiedliche Narrative über den Drohnenvorfall zu verbreiten, darunter Verschwörungserzählungen, Polen oder die Ukraine hätten den Angriff inszeniert.
Originaldaten stammen von polnischer Organisation
AFP fand den Originalbericht von Res Futura, einer polnischen Organisation, "die sich der Forschung, Analyse und Beratung in den Bereichen Informationssicherheit und digitaler Datenschutz widmet" (hier archiviert). Die in den irreführenden Beiträgen zitierten Prozentsätze stammen aus einem Blogbeitrag von Res Futura vom 10. September 2025 mit dem Titel "Sonderbericht".
Der Bericht stellt fest, dass "der russische Drohnenangriff auf polnisches Territorium sofort als Katalysator für eine organisierte Informations- und psychologische (PSYOPS-)Kampagne genutzt wurde". Es heißt zudem weiter, dass "die Inhaltsanalyse polnischer Postings in sozialen Medien eine hohe Dichte an wiederholten Narrativen zeigt, die für koordinierte Aktionen typisch sind, nicht ausschließlich für spontane Reaktionen von Bürgerinnen und Bürgern".
Ein wiederkehrendes Narrativ, das Res Futura in seiner Analyse von 179.000 Beiträgen auf Facebook, X, Youtube und Instagram identifizierte, war, dass die Drohnen als "Provokation durch die Ukraine" gestartet worden seien. Dieses Narrativ tauchte in 38 Prozent der analysierten Inhalte auf. Irreführende Beiträge verzerren dies, indem sie behaupten, dass 38 Prozent der Polinnen und Polen die Ukraine für den Vorfall "verantwortlich machen" würden.
Der Bericht weist außerdem darauf hin, dass diese Narrative rund um den Drohnenvorfall wahrscheinlich Teil eines Versuchs sind, "Keile zwischen Polen und die Ukraine zu treiben" und "Verwirrung und Polarisierung zu erzeugen".
Analyse wurde irreführend interpretiert
Res Futura bestätigte in einer E-Mail an AFP am 12. September 2025, dass "der Bericht, auf den Sie sich beziehen, keine repräsentative Umfrage zur öffentlichen Meinung in Polen ist und niemals dazu gedacht war", und fügte hinzu, dass "Res Futura keine Meinungsumfragen durchführt".
Die Organisation erklärte, dass der Bericht "zeigt, welche Meinungen in welchem Umfang in den von uns überwachten polnischsprachigen sozialen Medien während eines bestimmten Zeitraums erschienen sind, nicht jedoch die tatsächliche Meinung der polnischen Öffentlichkeit insgesamt". Es sei "falsch", diese Daten als repräsentative Umfrage zur öffentlichen Meinung zu behandeln.
In einem Folgebericht, der am 11. September 2025 veröffentlicht wurde, stellte Res Futura fest, dass 41 Prozent der analysierten Kommentare in sozialen Medien nach dem Drohnenvorfall Russland für die Angriffe verantwortlich machten, während 24 Prozent die Ukraine verantwortlich machten. Die Organisation erklärte gegenüber AFP, dass es sich hierbei um eine unabhängige Folgestudie handelte, die in einem späteren Zeitraum durchgeführt wurde. "In unserer Arbeit überwachen wir regelmäßig die Dynamik von Online-Diskussionen, weshalb wir Updates und neue Berichte veröffentlichen, die Veränderungen im Informationsumfeld widerspiegeln, das wir untersuchen", sagte ein Sprecher.
Polnische Meinungsumfrage lieferte anderes Ergebnis
Laut einer repräsentativen Umfrage der polnischen Forschungsagentur Ibris aus dem Juni 2025 finden etwas mehr als die Hälfte der Polinnen und Polen (52 Prozent), dass ihr Land die Ukraine nach der Invasion durch Russland unterstützen sollte, während etwas mehr als ein Drittel (35 Prozent) die Fortsetzung von wirtschaftlicher Hilfe befürwortet (hier archiviert).
Die Umfrage ergab, dass die Mehrheit der Polinnen und Polen der Meinung ist, die Ukraine sollte Friedensverhandlungen aufnehmen, jedoch nur unter Garantien der Nato. Andererseits gaben nur 37 Prozent an, sie unterstützten den Beitritt der Ukraine zur Nato. 35 Prozent sagten, sie befürworteten den Beitritt des Landes zur EU.
Laut dem Eurobarometer-Frühjahrsbericht 2025 der EU-Kommission unterstützen die meisten EU-Bürgerinnen und -bürger weiterhin die Ukraine und die Sanktionen gegen Russland.
Alle Faktenchecks zum Krieg in der Ukraine sammelt AFP auf der Website.
Fazit: Online kursierte eine Grafik, wonach die Polinnen und Polen hauptsächlich die Ukraine für russische Drohnen im polnischen Luftraum Anfang September 2025 verantwortlich halten. Tatsächlich wurde die Grafik einer polnischen Forschungsstiftung irreführend dargestellt. Laut der Stiftung zeigt die Grafik lediglich eine Analyse von Kommentaren in sozialen Medien und kann nicht als Meinungsumfrage interpretiert werden.