In Wien sind keine russischen Truppen einmarschiert
Hunderttausende Nutzerinnen und Nutzer sahen die seit Anfang März verbreitete Behauptung vom Einmarsch russischer Soldaten in einem Wiener Bezirk. Es gab allerdings keinen Einmarsch russischer Truppen seit dem russischen Angriff in der Ukraine, wie das österreichische Verteidigungsministerium gegenüber AFP bestätigte.
Knapp zwei Minuten lang ist die Sprachnachricht, die seit 7. März mehr als 180.000 Menschen auf Telegram erreicht hat. Auch auf Facebook verbreiten User die Nachricht vom angeblichen Einmarsch russischer Truppen in Wien.
Die Behauptung: "Wir haben Montag, 7. März 2022, absolute Eilmeldung: 19. Bezirk in Wien, da marschieren gerade russische Truppen ein", heißt es in der Sprachnachricht. Es sei mit Verhaftungen und Sprengungen zu rechnen. Außerdem sei es im und rund um den 19. Bezirk verboten zu arbeiten.

Die Sprachnachricht beginnt mit den Worten: "Guten Tag zusammen, hier spricht der Alexander vom Telegram-Kanal "Frag uns doch!" Der Kanal wird von QAnon-Influencer Alexander Quade betrieben. Die Nachricht endet mit dem QAnon-Slogan "where we go one, we go all". Den Kern der QAnon-Erzählung bildet die Behauptung von der Verschwörung einer globalen Elite, die aus dem Blut von Kindern ein Verjüngungsserum gewinnt.
AFP hat bereits eine andere Behauptung Quades über angeblich bevorstehenden Wahlbetrug bei der deutschen Bundestagswahl 2021 überprüft. Auch im Zuge des Kriegs in der Ukraine verbreiten sich zahlreiche Falschinformationen. AFP sammelt Faktenchecks dazu hier.
Kein russischer Einmarsch in Wien
AFP hat beim österreichischen Verteidigungsministerium nachgefragt. Sprecher Michael Bauer sagte am 9. März: "Das ist definitiv falsch." Einen Einmarsch russischer Truppen habe es nicht gegeben.
Auch eine Webcam der österreichischen Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG), die ihren Sitz im 19. Bezirk hat, zeigte keinen Hinweis auf russische Soldaten. Sie ist vom 19. Bezirk aus aufs Stadtzentrum gerichtet; zum Zeitpunkt der Sprachnachricht sind keine Auffälligkeiten zu sehen. Die Webcam filmt weiterhin.
Eine AFP-Journalistin war außerdem am 7. März im 19. Bezirk von Wien. Einen Einmarsch russischer Truppen oder andere Auffälligkeiten hat sie dort nicht bemerkt. Die Nachrichtenseite des österreichischen öffentlichen Rundfunks ORF meldete am 7. März ebenfalls keinen solchen Einmarsch, genauso wenig wie große österreichische Tageszeitungen (hier, hier, hier).
Möglicher Hintergrund
Manche User verknüpfen die Behauptung des angeblichen Einmarsches mit Aufnahmen eines Militärkonvois. Ein Nutzer veröffentlichte beispielsweise auf Facebook ein Video einer Kolonne an Militärfahrzeugen im 12. Bezirk Wiens, unter ein anderes Facebook-Posting verlinkt eine Nutzerin einen Artikel der österreichischen Tageszeitung vom 7. März mit dem Titel "Militärkonvois rollen jetzt auch durch Wien".
Mit einem Einmarsch des russischen Militärs haben diese Militärfahrzeuge allerdings nichts zu tun. Michael Bauer vom Verteidigungsministerium erklärte, dass es sich dabei um 13 Fahrzeuge des französischen Militärs handelte, die am 6. und 7. März Österreich auf dem Weg nach Ungarn durchquerten. Das sei im Rahmen eines sogenannten Host Nation Support geschehen, bei dem ein Gastland ausländisches Militär unterstützt.
Dass sich ausländisches Militär in Österreich aufhält, sei auch kein ungewöhnlicher Vorgang: "Das passiert ständig", erklärte Bauer. Überflüge über österreichisches Gebiet würden etwa rund 500 pro Monat angemeldet werden. Seit dem Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine habe es auch "keine signifikante Steigerung" von ausländischen Truppen in Österreich gegeben, erklärte Bauer.
Auch in der Vergangenheit gab es immer wieder Berichte über ausländisches Militär in Österreich. 2019 durchquerten beispielsweise 400 Fahrzeuge und 1500 Soldaten der US-Armee Österreich, 2021 verlegten die USA mehrere tausend Soldatinnen und Soldaten zu einer Übung durch das Land.
Welche ausländischen Truppen sich auf österreichischem Hoheitsgebiet unter welchen Bedingungen aufhalten dürfen, regelt das Truppenaufenthaltsgesetz. Die darin festgelegten Bestimmungen seinen auch bei dem Transit der französischen Truppen befolgt worden, sagte Bauer.
Österreichs Neutralität
Österreich selbst würde schon aus historischen Gründen keine Truppen in die Ukraine schicken. In der auf den Zweiten Weltkrieg folgenden Besatzungszeit rang Österreich lange um einen Staatsvertrag. Ermöglicht wurde der Abschluss durch die politische Vereinbarung des Moskauer Memorandums, in dem Österreich immerwährende Neutralität versprach. Damals wie heute war die Neutralität Österreichs immer wiederumstritten.
Die Position Österreichs im Ukraine-Konflikt führte auch zu Spannungen mit Moskau. Die russische Botschaft in Wien meldete etwa "Zweifel an der Qualität" der Neutralität Österreichs an. Das österreichische Außenministerium reagierte darauf mit einer Erklärung in der es hieß: "Österreich ist militärisch gesehen ein neutraler Staat. Aber wir sind politisch niemals neutral, wenn es um die Achtung des Völkerrechts geht."
Fazit: In Wien marschierten keine russischen Truppen ein. Ein Sprecher des Verteidigungsministeriums bezeichnete die Behauptung als "definitiv falsch". AFP war am 7. März in Wien vor Ort und fand für einen solchen Einmarsch keine Belege. Sichtungen von Militärfahrzeugen am 6. und 7. März in Wien gehen auf eine angemeldete Durchquerung des französischen Militärs zurück.