Dieses Foto zeigt keine niederländische Bar, die Stühle verkaufte, um Strafen zu vermeiden

Mehrere Tausend Nutzerinnen und Nutzer haben auf Facebook ein Bild geteilt, das angeblich Gäste, einen Kellner und zwei Polizeibeamte vor einem Lokal bei einem Trick zeigen soll. Der Kneipenwirt habe den Gästen seine Terrassenstühle inklusive Bier verkauft – damit könnten die Coronaregeln umgangen werden. Der Barbesitzer dementiert die Behauptung jedoch. Das Foto stammt außerdem bereits aus dem Juni 2020, als Terrassen in den Niederlanden unter Auflagen geöffnet waren.

Die Idee scheint elegant: "Ein Kneipenbesitzer in den Niederlanden 'verkaufte' seine Terrassenstühle für 5€ pro Stück inklusive 2 Biere. Die Menschen saßen also in ihren eigenen Stühlen in der Öffentlichkeit und die lästigen ‚Vollstrecker‘ konnten gar nichts tun." Tausende haben ein Bild samt dieser Behauptung auf Facebook geteilt (hier, hier, hier). Zehntausende sahen sie auf Telegram (hier, hier, hier). Auch auf Französisch und Niederländisch verbreitete sich das Bild tausendfach.

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Facebook-Screenshot: 28.04.2021

Woher stammt das Foto?

Nach einer Bildersuche fand AFP einen Artikel aus der niederländischen Zeitung "de Volkskrant", in dem das Bild zu sehen ist.

Der Artikel wurde am 1. Juni 2020 veröffentlicht, dem Datum, an dem in den Niederlanden Restaurants und Cafés unter bestimmten Bedingungen (Kapazität auf 30 Personen begrenzt und Abstand zwischen den Kunden) wieder öffnen durften. Dieser angebliche "Trick" wäre damals also für die Besitzer der Terrasse uninteressant gewesen. 

Das deckt sich mit der Bildunterschrift unter dem Foto im Artikel, die sich stattdessen auf einen Einsatz von außerordentlichen, vereidigten Ermittlungsbeamten (sogenannter BOAs) in Haarlem bezieht, die darüber sprechen, dass "die Kunden nicht im Abstand von 1,5 m zueinander sitzen".

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Screenshot von „de Volkskrant“, aufgenommen: 28.04.2021

Das Foto hat auch eine bessere Qualität als die Version in den Facebook-Postings. Dadurch ist es möglich, direkt in das Foto hineinzuzoomen. Mit dem Lupenwerkzeug des Tools Invid-Weverify kann man ein Logo auf der Schürze des Kellners erkennen. Beim Heranzoomen lässt sich der Schriftzug "Koops" erkennen.

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Screenshot aus dem Invid-Weverify-Werkrzeug, aufgenommen: 27.04.2021

In dem Volkskrant-Artikel ist ebenfalls von einem "Koops"-Café und der Wiedereröffnung der Terrassen die Rede.  Mit diesen Informationen hat AFP auf Google Maps nach "Koops Haarlem" gesucht. Es werden zwei Ergebnisse angezeigt, die Straßenansicht zeigt schnell das richtige Café. Die Gebäude auf der linken Seite und im Hintergrund stimmen überein.

Erfundene Geschichte

Anschließend hat AFP das Café selbst kontaktiert. Die Manager dementierten, je die von den Postings angesprochenen Taktik verwendet zu haben. "Diese Geschichte kommt nicht von uns. Das Foto, das nach dem ersten Lockdown aufgenommen wurde, wurde missbraucht", schrieben sie per E-Mail und weiter: "Wir haben keine Ahnung, wer diese Urban Legend gestartet haben könnte."

AFP hat versucht, den von der Website Volkskrant.nl genannten Fotografen zu kontaktieren, erhielt bisher jedoch keine Antwort.

Aber würde der Trick trotzdem funktionieren?

AFP hat außerdem bei Jörg Ennuschat nachgefragt. Ennuschat hält den Lehrstuhl für öffentliches Recht und Verwaltungsrecht an der Ruhr-Universität Bochum inne. Am 28. April schrieb er AFP: "Diese Umgehung klappt in Deutschland nicht."

Bei dem Vorgehen des angeblichen niederländischen Wirts handle es sich um ein Scheingeschäft, so Ennuschat. Wer nur so tut, als ob er einen Stuhl kaufen würde, für den gelten gemäß dem Bürgerlichen Gesetzbuch die "für das verdeckte Rechtsgeschäft geltenden Vorschriften". Die im April beschlossenen bundeseinheitlichen Regeln für Gastronomie im Fall einer Schließung lassen sich so also nicht umgehen, genauso wenig wie die zuvor geltenden Regeln.

In Österreich sei das ähnlich, bestätigte Rechtsanwalt Philipp Miller, der auf Corona-Bestimmungen spezialisiert ist. In Österreich ist derzeit aufgrund der 4. COVID-19-Schutzmaßnahmenverordnung das Betreten von Gastgewerben grundsätzlich untersagt, außer für Sonderfälle, etwa um Essen abzuholen und woanders zu essen oder für Hotelgäste. Ausnahme ist Vorarlberg, wo Restaurants unter Auflagen offen haben. Im Rest des Landes darf in Gastrobetrieben jedoch nichts konsumiert werden.

Miller schrieb am 28. April in einer E-Mail: "Wenn der Kunde jetzt das Mobiliar kauft, damit er Getränke des Gastro-Betriebs dort konsumieren kann, liegt ein Umgehungsgeschäft vor. Die Vorgehensweise wird offensichtlich nur deswegen gewählt, um in der Gastronomie etwas konsumieren zu können, nicht um Möbel zu kaufen. Das ergibt sich auch durch die anscheinend vorgesehene Vereinbarung der Rück-Spende."

Demnach gilt laut den Rechtsexperten immer das tatsächlich beabsichtigte Geschäft. Das wäre in diesem Fall das Biertrinken auf der Terrasse direkt vor dem Café und das ist derzeit in weiten Teilen Deutschlands und Österreichs nicht erlaubt.

In den Niederlanden ist das nicht anders. Anwalt Stephan Yuen schrieb am 28. April ebenfalls: "Es ist verboten, die Anlage oder ihre Terrasse zum Zwecke des Handels zu nutzen. Der Verkauf von ‚Stühlen‘ auf der Terrasse ist also illegal." Auch in Frankreich sei so eine Umgehung der Regeln nicht zulässig, erklärte Anwalt Laurent Bidault gegenüber AFP Frankreich.

Tatsächlich hatte es auch Versuche von Gastronomen gegeben, die geltenden Corona-Maßnahmen kreativ zu umgehen. Im österreichischen Pinzgau hatten etwa zwei Konditoren ihre Gastgärten getauscht. In Österreich war Gastronomiebetrieben zu diesem Zeitpunkt Take-Away erlaubt, die Speisen müssen aber 50 Meter vom Lokal entfernt konsumiert werden. Mehr als 50 Meter fanden die Gäste dann "zufällig" die bereitgestellten Stühle im Gastgarten des jeweils anderen Cafés. Die zuständige Gesundheitsbehörde unterband diesen Gastgarten-Tausch jedoch.

In den Niederlanden kündigte Ministerpräsident Mark Rutte eine Lockerung der Corona-Maßnahmen an, einschließlich einer Aufhebung der Ausgangssperre und einer teilweisen Wiedereröffnung der Gastroterrassen ab dem 28. April.

Fazit: Das Foto zeigt keine aktuelle kreative Praktik, mit der ein niederländischer Wirt Widerstand gegen Corona-Maßnahmen leistet. Es stammt von einer Kontrolle im Juni 2020, als die Gastrobetriebe in den Niederlanden unter Auflagen öffnen durften. Der Wirt dementiert den angeblichen Trick.

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