Nein, Ursula von der Leyen hat keinen Lohnverzicht von Angestellten gefordert

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  • Veröffentlicht am 21. Oktober 2020 um 10:49
  • Aktualisiert am 21. Oktober 2020 um 12:50
  • 4 Minuten Lesezeit
  • Von: Eva WACKENREUTHER, AFP Deutschland
Seit Mitte Oktober verbreitet sich  auf Facebook tausendfach eine Behauptung, wonach die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, sämtliche Angestellten in der EU zu einem teilweisen Verzicht ihres Lohnes aufgefordert habe. Die angeschlagene EU-Wirtschaft solle so in der Coronakrise unterstützt werden, heißt es weiter. Die Behauptung ist alt – und falsch. Von der Leyen hat diese Forderung nie gestellt, auch die Quelle für das angebliche Zitat ist gefälscht.

Seit dem 14. Oktober verbreitet sich eine alte Behauptung erneut über 1.800 Mal auf Facebook (hier). User teilen dabei den Screenshot eines angeblichen Artikels von Focus Online. Zu sehen ist ein Bild der Präsidentin der EU-Kommission, Ursula von der Leyen. Darunter steht ein Text: "Aufruf zum Verzicht. Die Präsidentin der EU, Ursula von der Leyen, ruft sämtliche Arbeitnehmer der EU zu einem teilweisen Lohnverzicht auf, um die durch die Corona-Krise schwer angeschlagene Wirtschaft zu unterstützen. Sie sieht dieses als Zeichen der Solidarität."

Weitere Accounts haben den angeblichen Artikel seitdem aufgegriffen und damit mehrere hundert weitere User erreicht (hier, hier oder hier). Das Bild wurde auch in zahlreichen AfD-nahen Gruppen verbreitet (hier, hier oder hier).

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Die falsche Behauptung auf Facebook – Screenshot: 20.10.2020

Eine Suche nach dem Screenshot mithilfe des Social-Media-Tools CrowdTangle zeigt, dass das der angebliche Artikel schon länger kursiert. Diverse Facebook-Accounts hatten damit schon Anfang Mai hunderte Shares erzielt (siehe hier, hier und hier). Mehrere Faktenchecks hatten sich damals mit dem falschen Bild beschäftigt (hier, hier und hier).

Auch eine AFP-Suche nach dem Text des angeblichen Artikels führte weder bei Focus Online, noch bei Suchmaschinen oder in Archiven von Nachrichtenagenturen zu einem Ergebnis. AFP hat außerdem am 20. Oktober bei Burda Forward, zu dem das Nachrichtenportal Focus Online gehört, nach dem Artikel gefragt. Eine Sprecherin antwortete per Mail: "Ein Beitrag mit diesem Inhalt wurde bei uns nie veröffentlicht."

Sehr wohl Ergebnisse brachte eine anschließende Bilder-Suche nach der Aufnahme von der Leyens. Sie tauchte bereits mehrfach in Artikeln über die Politikerin auf (hier, hier und hier). Auch Focus Online selbst hat das Bild 2018 benutzt. Die Nachrichtenplattform gibt als Quelle dafür die Nachrichtenagentur dpa an. Tatsächlich fand AFP das Foto im dortigen Bildarchiv wieder. Dpa-Fotograf Mohssen Assanimoghaddam hatte die damalige Verteidigungsministerin von der Leyen am 4. September 2018 beim Besuch einer Marineschule fotografiert.

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Das Bild in der Datenbank von dpa - Screenshot: 20.10.2020 (Das Bild in der Datenbank von dpa - Screenshot: 20.10.2020)

 

AFP hat sich daraufhin das Bild im Posting noch einmal genauer angeschaut und mit dem Screenshot eines standardmäßigen Focus-Online-Artikels verglichen. Dabei fielen weitere Ungereimtheiten auf.

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Links ein Screenshot eines Artikels auf Focus Online durch AFP am 20.10.2020, rechts das im Posting verbreitete Bild mit Hervorhebungen durch AFP

 

Erstens existiert im falschen Focus-Online Screenshot ein schmaler Streifen über dem Bild. Zweitens gibt es weitere kleine graue Fragmente unter dem Bild (im obigen Screenshot mit roten Pfeilen markiert). Diese Bildfehler deuten auf eine Bearbeitung hin: Dass also entweder ein neuer Text über dem alten platziert wurde, oder dass von der Leyens Bild mit einem Bearbeitungsprogramm eingesetzt wurde. Es gibt noch weitere Möglichkeiten.

Im falschen Artikel fehlen außerdem Bildquelle und Datum, die Focus Online allerdings normalerweise standardmäßig über seinen Artikeln angibt. Weiterhin stimmen die Schriftarten des Screenshots nicht mit denen auf Focus.de überein. Burda Forward bestätigte gegenüber AFP, dass sich das Layout von Focus Online seit dem Jahresbeginn nicht verändert habe und schreibt: "Die gesamte Aufmachung (zb Schriftart, Farbe) in dem angeblichen FOCUS Online-Artikel entspricht nicht dem eigentlichen Layout von Focus Online. (..) Zudem scheint das Foto von Frau von der Leyen über ein anderes platziert worden zu sein. Es kann sich aus unserer Sicht nur um eine Fälschung handeln."

Auch ein inhaltlicher Fehler springt ins Auge: Ursula von der Leyen ist nicht "Präsidentin der EU", sie ist Präsidentin der Europäischen Kommission. "Die EU" hat nicht eine einzelne Vorsitzende, sondern besteht aus mehrere Säulen, etwa aus dem Europäischen Parlament oder dem Europäischen Rat.

AFP hat bei der Europäischen Kommission rückgefragt, ob dort die angebliche Aussage von der Leyens bekannt sei. Eine Sprecherin antwortet am 20. Oktober: "Von unserer Seite kann ich erneut bestätigen, dass es sich hierbei um eine Falschmeldung handelt und eine solche Aussage der Präsidentin von der Leyen nicht existiert."

Das Bild im Facebook-Beitrag ist also eine Fälschung. Auf Focus Online ist kein solcher Artikel erschienen. Ursula von der Leyen hat zumindest öffentlich nie dazu aufgerufen, dass Angestellte in der EU auf einen Teil ihres Lohns verzichten sollen.

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