Nein, der Oberste Gerichtshof in den USA hat nicht gegen Corona-Impfungen entschieden
Dutzende User auf Facebook und Zehntausende auf Telegram haben eine angebliche Entscheidung des Obersten Gerichtshofs der USA gegen Impfstoffe geteilt. Dieser habe der Klage einer Gruppe um den Anwalt Robert F. Kennedy Jr. stattgegeben und damit "die universelle Impfung annulliert", heißt es. Solch eine Entscheidung existiert allerdings nicht.
Dutzende User haben die vermeintliche Gerichtsentscheidung seit Juli auf Facebook geteilt (hier, hier, hier). Zehntausende sahen sie auf Telegram (hier, hier). Weitere Versionen der Behauptung verbreiteten sich unter anderem auch in Italien, Serbien, Frankreich und Südafrika.
Die Falschbehauptung: In den Vereinigten Staaten habe der Oberste Gerichtshof die universelle Impfung angeblich annulliert. (Ins Detail gehen die Postings nicht, AFP hat die Behauptung sowohl in Bezug auf eine mögliche Impfpflicht als auch die Zulassung von Impfungen überprüft.) In den Postings heißt es: "Bill Gates, US-Chefspezialist für Infektionskrankheiten, Fauci, und Big Pharma haben eine Klage vor dem Obersten Gerichtshof der USA verloren, da sie nicht beweisen konnten, dass alle ihre Impfstoffe in den letzten 32 Jahren für die Gesundheit der Bürger sicher waren!"
Dazu stellen die Autorinnen und Autoren der Postings bekannte Falschbehauptungen über Impfungen, etwas dass diese die DNA des Menschen verändern würden. AFP hat das bereits hier widerlegt.

So ist die Impfpflicht in den Vereinigten Staaten geregelt
Pflichtimpfungen fallen in den USA in die Zuständigkeit der Bundesstaaten, nicht des Bundes (dazu gleich mehr). Jeder Bundesstaat hat die rechtliche und verfassungsmäßige Befugnis, von seinen Bürgern zu verlangen, dass sie gegen ansteckende Krankheiten geimpft werden.
Heute gibt es in allen 50 Bundesstaaten allgemeine Gesetze, die Kindern Impfungen "gegen bestimmte übertragbare Krankheiten" vorschreiben, damit sie öffentliche und private Schulen besuchen dürfen. Die US-Gesundheitsbehörde CDC informiert auf ihrer Website ausführlich darüber. Es gibt außerdem bestimmte Pflichtimpfungen für Beschäftigte im Gesundheitswesen und für Personen, die einen Daueraufenthalt in den Vereinigten Staaten beantragen.
Nach Angaben der Nationalen Konferenz der Landesgesetzgeber lassen dabei allerdings alle Bundesstaaten medizinische Ausnahmen zu — etwa bei einer Allergie gegen einen Impfstoff – und 45 Bundesstaaten gewähren Ausnahmen aus religiösen Gründen.
Staatlich vorgeschriebene Impfungen gehen auf den Fall Jacobson gegen den Obersten Gerichtshof von Massachusetts aus dem Jahr 1905 zurück. In diesem Urteil entschied der Oberste Gerichtshof, dass die Impfpflicht wie oben beschrieben in die Zuständigkeit der Bundesstaaten fällt.
"Einige Jahre später zitierte der Oberste Gerichtshof diesen Fall als Präzedenzfall für die Verfassungsmäßigkeit von staatlichen Gesetzen, die eine Impfung von Kindern vor dem Schulbesuch vorschreiben (Zucht gegen King)", so Wendy E. Parmet, Expertin für öffentliche Gesundheitspolitik und Rechtsprofessorin an der Northeastern University, am 14. April gegenüber AFP.
Rechtlich gesehen könnten die einzelnen Bundesstaaten also auf Grundlage der Regeln für allgemeine Impfungen beschließen, auch die Covid-19-Impfung zur Pflicht zu machen, doch hat dies bisher noch keiner getan.
"Die Staaten haben die rechtliche und verfassungsmäßige Befugnis, die Menschen, die in diesem Staat leben, zu impfen oder ein Impfmandat einzuführen", erklärte die Rechtswissenschaftlerin Joanne Rosen in einem kürzlich von der Bloomberg School of Public Health der Johns Hopkins University veröffentlichten Interview.
Es gibt keine Entscheidung des Gerichtshofs gegen die Corona-Impfungen
AFP hat nach Entscheidungen in Bezug auf die aufgestellten Behauptungen gesucht.
Auf der Website des Obersten Gerichtshofs ist allerdings keine derartige Entscheidung zu finden. Dort werden alle Entscheidungen aufgeführt, unter "opinions of the court" (Stellungnahmen des Gerichts) für aktuell geprüfte Fälle und unter "orders of the court" (Anordnungen des Gerichts) für zusammenfassende Urteile.
"Meines Wissens wurde in letzter Zeit keine Entscheidung zu Impfstoffvorschriften vom Obersten Gerichtshof aufgehoben", so erklärte auch Parmet und weiter: "Mir ist kein Fall bekannt, in dem der Oberste Gerichtshof der USA seinen eigenen Präzedenzfall zu Impfstoffen aufgehoben hat."
Sicherheit von Impfstoffen
In dem Facebook-Posting heißt es weiter: Gates, Fauci und Big Pharma hätten deshalb die angeblich existierende Klage verloren, weil sie nicht beweisen konnten, dass alle ihre Impfstoffe der vergangenen 32 Jahre für die Gesundheit der Bürger sicher gewesen seien.
Diese Behauptung scheint sich auf ein anderes in den Vereinigten Staaten weitverbreitetes Gerücht zu beziehen, das wiederum auf einer Gerichtsentscheidung aus dem Jahr 2018 basiert.
Eine der größten Anti-Impf-Organisationen in den Vereinigten Staaten, das Anti-Vaccine Informed Consent Action Network (ICAN), reichte 2018 eine Klage auf Informationsfreiheit gegen das US-Gesundheitsministerium (HHS) ein und forderte die Behörden auf, detaillierte Berichte über Nebenwirkungen von Impfstoffen zu veröffentlichen.
Das Ministerium teilte damals mit, es könne diese Berichte nicht finden. ICAN wiederum deutete dies als Beweis dafür, dass die US-Regierung die Auswirkungen von Impfstoffen über 30 Jahre hinweg nicht vollständig untersucht habe. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und das Faktencheckportal "PolitiFact" stellten jedoch fest, dass das Gesundheitsministerium und andere US-Behörden zahlreiche ausführliche Berichte über die Nebenwirkungen von Impfstoffen veröffentlicht haben.
Außerdem wurde dieser Fall vom Southern District of New York und nicht vom Obersten Gerichtshof der USA behandelt.
"Es scheint sich um einen Fall zu handeln, der im Rahmen des Freedom of Information Acts eingereicht wurde. Er bezieht sich nicht auf die aktuelle Impfstoffpolitik. Der Fall wurde offenbar vor dem Bezirksgericht und nicht vor dem Obersten Gerichtshof verhandelt. Er könnte keinen Präzedenzfall erzeugen", so Parmet gegenüber AFP Fact Check.
Wer ist Robert F. Kennedy Jr.?
Der Facebook-Post behauptet, dass "eine Gruppe von Wissenschaftlern" unter der Leitung von "Senator Kennedy" die Klage eingereicht habe.
Kennedy Jr. war jedoch nie ein US-Senator. Er ist Anwalt für Umweltfragen und bekannt für seine Anti-Impf-Position (mehr dazu hier). Kennedy unterstützte zwar die ICAN in ihrer Klage gegen HHS im Jahr 2018, aber er hat keine aktuelle Berufung beim Obersten Gerichtshof eingereicht.
Fazit: Nein, es gibt keine solche Entscheidung des Obersten Gerichtshofs der USA gegen die Impfungen. Im Gegenteil, die US-Gesundheitsbehörde FDA hat etwa die Corona-Impfung von Biontech/Pfizer im August vollständig zugelassen (mehr dazu hier).