Geimpfte dürfen ganz normal weiterfliegen

Aus Angst vor angeblichen Blutgerinnseln dürften insbesondere mit mRNA-Impfstoff geimpfte Menschen bald nicht mehr fliegen. Das behauptet ein auf Facebook und Telegram tausendfach geteilter Blog-Artikel Ende Mai. Flug-Thrombosen kommen allerdings selten vor und haben nichts mit Immun-Thrombosen zu tun. Letztere treten als seltene Nebenwirkung bestimmter Impfungen auf. Flughäfen und die Europäische Luftverkehrsvereinigung dementierten gegenüber AFP Planungen zu solch einem Verbot.

Auf Facebook haben Hunderte Nutzer die Behauptung vom kommenden Flugverbot für Geimpfte geteilt (hier, hier, hier), Zehntausende User sahen sie auf Telegram (hier, hier, hier). Als Grundlage dient ein Blogpost vom 29. Mai. Darin heißt es, die Geimpften hätten Pech und weiter: "Haben Sie eine Impfung? – Dann können Sie vielleicht nicht mehr fliegen." Der Post behauptet, dass die Fluggesellschaften "genau in diesem Moment über die geimpften Kunden und das große Risiko, dass sie durch das experimentelle mRNA-Serum Blutgerinnsel bekommen", beratschlagen würden.

Auch auf Englisch, Niederländisch und Spanisch teilten Nutzerinnen und Nutzer die Fehlinformation bereits. Auf Französisch kursierte im Mai eine ähnliche Behauptung, ohne jedoch explizit mRNA-Impfstoffe als Auslöser zu nennen. AFP hat auch diese überprüft.

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Facebook-Screenshot: 03.06.2021

Grundsätzlich gibt es aktuell zwei Arten von zugelassenen Impfungen gegen das Coronavirus: neuartige mRNA-Impfstoffe wie etwa von Pfizer/BioNTech und Moderna und sogenannte Vektorimpfstoffe wie jenen von AstraZeneca und Johnson & Johnson. Wie mRNA-Impfungen funktionieren, hat AFP in diesem Video erklärt.

Im April 2021 hatte die Europäische Arzneimittelbehörde (EMA) bekannt gegeben, dass Blutgerinnsel als "sehr seltene" Nebenwirkungen der Vektorimpfstoffe von AstraZeneca und Johnson & Johnson gelistet werden sollten (mehr dazu hier). Über mRNA-Impfungen sagte die EMA im Mai, dass es keinen Anhaltspunkt für einen Zusammenhang zwischen Blutgerinnseln und den Impfstoffen von Moderna und Pfizer/BioNTech gebe (AFP berichtete). Für den von den Postings vermuteten Zusammenhang  zwischen mRNA-Impfungen und Thrombosen gibt es also keine Anhaltspunkte, die den Flugunternehmen für eine Risiko-Diskussion dienen könnten. Die Blutgerinnsel, die bei Flugreisen entstehen können, sind abgesehen davon völlig andere als jene, die im Verdacht stehen, nach Impfungen aufzutreten.

Trotz der Behauptung im Blog-Artikel, der mRNA-Impfstoffe mit Blutgerinnseln in Verbindung bringt, wurden solche schweren – und "sehr seltenen" – Auswirkungen also bisher nur im Zusammenhang mit Vektorimpfstoffen beobachtet. Einige Länder haben Maßnahmen ergriffen, um dies zu verhindern. Dänemark zum Beispiel verzichtet auf die Verwendung von AstraZeneca und Janssen, während andere Länder wie Frankreich, Deutschland und die Niederlande sich dafür entschieden haben, AstraZeneca für bestimmte Altersgruppen zuzulassen.

Verschiedene Arten von Blutgerinnseln

Der Fachbegriff für eine durch Impfstoffe verursachte Verringerung der Blutplättchen lautet vakzine-induzierte immunthrombotische Thrombozytopenie. Eine solche Impfreaktion sei "eine seltene Nebenwirkung für eine oder vielleicht zwei Arten von Covid-Impfstoffen", bestätigte der medizinische Berater der Internationalen Luftverkehrsvereinigung Iata, David Powell, im Mai gegenüber AFP

Es handele sich dabei um eine "andere Erkrankung als die Blutgerinnsel im Bein (tiefe Venenthrombose) und / oder in den Lungen (Lungenembolie), die mit Immobilität verbunden sein können, vor allem nach einer Operation, Gliedmaßen-Verletzung, längeren Bettruhe oder manchmal längerem Sitzen während einer Reise". Powell führt fort: "Fälle, die mit einer langen Reise mit dem Flugzeug, der Bahn oder auf der Straße verbunden sind, weisen in der Regel vorbestehende Risikofaktoren auf."

Marie-Antoinette Sevestre-Pietri, Professorin für Gefäßmedizin am Universitätskrankenhaus von Amiens und Präsidentin der Französischen Gesellschaft für Gefäßmedizin, bestätigte gegenüber AFP im Mai, dass die beiden Thromboseformen "nichts miteinander zu tun haben". Sie erklärte: "Die Thrombose, die mit Flugreisen verbunden ist, ist ein Risikofaktor, den wir seit mehr als zehn Jahren kennen."

Bei Flugreisen kommen für solche herkömmlichen Thrombosen mehrere Faktoren zusammen: "Die Höhe kann eine Rolle spielen, der Druck, die Luft ist trocken und die Menschen sind dehydriert. Wenn sie ein wenig zwischen zwei Sitzen eingeklemmt sind, werden sie nicht viel gehen, und wenn sie ein wenig Alkohol zu sich nehmen, wenn sie Angst im Flugzeug haben, werden sie noch mehr dehydriert", so Sevestre-Pietri und weiter: "Grundsätzlich ist ein Risiko mit längeren Reisen verbunden, vor allem mit solchen von mehr als acht Stunden und mit Patienten, die bereits Risikofaktoren haben."

"Wenn wir in diesen Fällen einen Doppler-Ultraschall machen, um zu sehen, ob es eine Thrombose in den Beinen – eine Venenentzündung – gibt, finden wir eine Häufigkeit zwischen einem und fünf Prozent bei Patienten mit hohem Risiko. Eine Lungenembolie, die potenziell tödlich ist, ist extrem selten. Eine oder zwei Embolien pro Million Reisende", fährt sie fort. Und "wenn wir uns sehr lange Reisen anschauen" für Menschen, die einen Risikofaktor haben, "können wir bis zu zwei oder fünf Fälle pro Million Reisende“ beobachten, erklärte sie.

Im Jahr 2007 veröffentlichte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) einen Bericht über das Risiko von Venenthrombose bei Flugreisen. Auch das Institut für Tropenmedizin in Antwerpen veröffentlichte 2014 ebenfalls ein Dokument zu diesem Thema. Mit Impfungen hatte all das nichts zu tun.

Keine Impf-Gerinnsel bei Flugreisen

Die Thrombose hingegen, die durch einen Impfstoff verursacht werden kann, ist eine "immunologische Thrombose". Es handele sich um "eine Allergie gegen Bestandteile des Impfstoffs, die die Blutgerinnung mit dem Auftreten von Blutgerinnseln aktivieren – überall oder an ungewöhnlichen Stellen, wie den Hirnvenen oder den Verdauungsvenen", so Gefäßmedizinerin Sevestre-Pietri.

"Es gibt absolut keinen Grund, dass eine Flugreise eine solche immunologische Thrombose im Zusammenhang mit dem Impfstoff fördert", sagte sie und fügte hinzu, dass ihr "kein einziger beschriebener Fall bekannt" sei. "Es gibt überhaupt keinen Anlass, einen Patienten unter dem Vorwand, dass er geimpft ist, nicht mit auf eine Flugreise zu nehmen", sagte sie und plädiert im Gegenteil dafür, Menschen mit Thromoboserisiko zu impfen, da sie aufgrund einer Covid-Erkrankung tatsächlich gefährdet seien, eine solche zu entwickeln. 

Erfundenes Flugverbot

AFP hat außerdem bei der Internationale Luftverkehrsvereinigung Iata nachgefragt, ob ein solches Flugverbot für Geimpfte geplant sei. Die Iata vertritt nach Eigenangaben 290 Fluggesellschaften in 120 Ländern. Eine Sprecherin sagte im Mai, dass ihr "keine Unternehmen bekannt" seien, die erwägen, geimpften Passagieren wegen des Risikos von Blutgerinnseln den Zugang an Bord zu verweigern.

Auch der Verband Airlines for Europe (A4E) bestätigte das gegenüber AFP. Sprecherin Jennifer Janzen schrieb am 3. Juni in einer E-Mail: "Sie können sicher sein, dass zwischen den Fluggesellschaften keine solchen Diskussionen über ein Flugverbot für Geimpfte oder gar Ungeimpfte Reisende stattfinden."

Der Flughafen Berlin schrieb am 1. Juni ebenfalls an AFP, dass der Flughafen kein solches Verbot plane und keine Pläne von Fluggesellschaften in diese Richtung bekannt sei. Dasselbe schrieb ein Sprecher des Flughafen Wiens. Auch eine Sprecherin der Lufthansa bestätigte am 3. Juni gegenüber AFP: "Lufthansa befördert selbstverständlich sowohl geimpfte als auch ungeimpfte Passagiere immer unter höchsten Sicherheits- und Hygienevorschriften und unter Berücksichtigung der Gesamtpandemielage."

Fazit: Thrombosen bei langen Reisen und solche, die in seltenen Fällen bei bestimmten Impfungen auftreten, sind verschiedene Arten von Thrombosen. Für Geimpfte gebe es deshalb keine Einwände, nicht zu fliegen, erklärte eine Ärztin gegenüber AFP. Bei Flughäfen und der Luftverkehrsvereinigung Iata ist kein Plan eines Flugverbots für Geimpfte bekannt.

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