Dieses Video ist ein Sketch aus dem Irak und zeigt kein vorgetäuschtes Opfer des Assad-Regimes
- Veröffentlicht am 27. Dezember 2024 um 17:53
- 5 Minuten Lesezeit
- Von: Dounia MAHIEDDINE, AFP Frankreich
- Übersetzung: Elena CRISAN , AFP Österreich
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Die von der islamistischen Miliz Hayat Tahrir al-Scham (HTS) angeführten Rebellen übernahmen am 8. Dezember 2024 die Macht in Syrien und vertrieben den ehemaligen Präsidenten Baschar al-Assad, dessen Familie das Land über fünf Jahrzehnte lang regiert hatte. Der Machthaber, dem Entführung, Folter und Ermordung von Andersdenkenden vorgeworfen werden, floh nach Russland. Daraufhin wurden Anlagen wie das Saidnaja-Gefängnis nahe Damaskus befreit. Dort soll das Assad-Regime laut Menschenrechtsorganisationen Menschen gefoltert und getötet haben.
Im Internet stellten Userinnen und User jedoch den Wahrheitsgehalt einiger dieser Berichte in Frage, indem sie beispielsweise ein Video teilen, das als Inszenierung eines Syrers dargestellt wird. Laut den Behauptungen soll der Mann im Clip lediglich so tun, als wäre er unter Baschar al-Assad im Saidnaja-Gefängnis verletzt worden. "Assads 'Folteropfer' springt auf sein 'krankes' Bein, bis er einen Schlag auf die Ohren bekommt", schrieb einer der zahlreichen User auf Facebook. Im Begleittext kommentierte er weiter: "Die Medien werden nicht müde, den gestürzten syrischen Präsidenten Baschar al-Assad als 'Diktator', als blutrünstigen 'Schlächter', als die Inkarnation des Bösen zu dämonisieren."
In dem etwa zehn Sekunden langen Video steigt ein Mann mit eingegipstem rechten Bein aus einem Taxi. Der angeblich Gefolterte stützt sich zuerst auf sein verletztes Bein – bis ihm der Taxifahrer mit einem Klaps auf den Hinterkopf zu verstehen gibt, dass er das Bein wechseln soll.
Auch auf X und Telegram kursierte das Video inklusive der Behauptung, dass der US-amerikanische Fernsehsender CNN die Aufnahmen ausgestrahlt hätte.
Die Sequenz wurde auch in anderen Sprachen verbreitet, darunter auf Englisch, Spanisch, Chinesisch und Italienisch. Behauptungen auf Französisch, Bulgarisch sowie auf Rumänisch hat AFP bereits überprüft. AFP fand auch keine Hinweise darauf, dass CNN das Video ausgestrahlt hätte.
Alles fing mit Humor an
Um den Drehort zu bestimmen, führte AFP eine umgekehrte Bildsuche mit Sequenzen aus dem Video durch. Sie lieferte eine Version des Clips in besserer Qualität, die eine Telefonnummer und den Schriftzug "x_hayder_r" auf einem Taxi erkennen lässt. Eine erweiterte Websuche mit diesen Informationen führte zum Instagram-Konto der Person, die das Video ursprünglich am 8. Dezember 2024 geteilt hat (hier archiviert).
In seiner Instagram-Beschreibung erwähnt der Nutzer, dass ihm ein Geschäft im Viertel al-Kadhimiya in Bagdad gehöre, welches sich in der Nähe einer Feuerwache befindet. Außerdem sind im Hintergrund des Videos Namen von Restaurants auf Arabisch zu erkennen. Laut Google Lens-Übersetzung befindet sich im Hintergrund ein Falafel-Shop.
Dieser Hinweis hilft dabei, den genauen Aufnahmeort zu finden. Eine Suche nach Falafel-Restaurants auf Google Earth Pro im Stadtteil al-Kadhimiya in Bagdad lieferte AFP den genauen Drehort.
Das Video wurde also in Bagdad gedreht.
CNN dementierte Austrahlung
Mittels einer Stichwortsuche konnte AFP zudem keine Ergebnisse über die Behauptung finden, CNN hätte das Video ausgestraht – wie zahlreiche Userinnen und User in deutschen Facebook-Posts behaupteten.
Auf AFP-Anfrage antwortete eine Sprecherin des Nachrichtenkonzerns am 19. Dezember 2024: "CNN hat dieses Filmmaterial auf keiner Plattform ausgestrahlt oder veröffentlicht."
Video kursierte bereits zuvor
AFP-Recherchen ergaben, dass dasselbe Video bereits zuvor von Nutzerinnen und Nutzern mit anderen falschen Behauptungen auf Internetplattformen geteilt worden war. "Schon wieder ein Pallywood (Anspielung auf Palästina und Hollywood, Anm. d. Red.)! Ein Schauspieler aus Gaza gibt sich als 'Opfer' aus, benutzt aber versehentlich den falschen Fuß, indem er mit einem angeblich gebrochenen Fuß humpelt. Das nennen sie Völkermord!", hieß es etwa in einem X-Beitrag auf Französisch vom 13. Dezember 2024.
Angesichts der verbreiteten Behauptungen reagierte der Autor des Videos selbst mit einem Dementi und versicherte, dass das Video in Bagdad aufgenommen worden sei und vor allem, dass es humorvoll gemeint gewesen sei. Die Aufnahme habe keinen Bezug zur Situation in anderen Ländern.
"Dieses Video wurde im Irak, in Bagdad, genauer gesagt im Stadtteil al-Kadhimiya, aufgenommen", erklärte der Nutzer "x_hayder_r" am 14. Dezember 2024 auf Arabisch auf Instagram. "Das Video wurde 25 Millionen Mal angesehen. Ein humorvolles Video, das Sie jungen Palästinensern zuschreiben und als in Gaza befindlich darstellen. Was hat das mit Gaza zu tun, sagen Sie mir das?", fügte er hinzu.
Seit dem Beginn des Krieges zwischen Israel und der Hamas am 7. Oktober 2023 werden vielfach Videos und Fotos aus dem Zusammenhang gerissen und geteilt, um die öffentliche Meinung zu beeinflussen. Manche Internetnutzerinnen und -nutzer unterstellen Palästinenserinnen und Palästinensern zum Beispiel vemeintliche Inszenierungen, um bezüglich eigener Verluste zu übertreiben. Dieser Vorwurf kursiert oft mit dem Begriff "Pallywood", einer Zusammensetzung aus Palästina und Hollywood.
Auch seit dem Fall Baschar al-Assads kursieren im Internet zahlreiche falsche oder aus dem Zusammenhang gerissene Bilder. Manche werden fälschlich als Beleg für Gewaltvorwürfe unter der Assad-Führung ausgegeben, was AFP etwa auf Französisch überprüfte. In anderen Posts wird mit einem alten Video fälschlicherweise vor einem "Ansturm" von Geflüchteten in Europa gewarnt.
Fazit: Ein vielfach geteiltes Video zeigt keinen Syrer, der vorgibt, vom Assad-Regime verletzt worden zu sein. Die Aufnahme stammt von einem Iraker, der einen Sketch in Bagdad aufzeichnete und auf Instagram teilte.