
Besatzungspolitik Israels von internationalem Gerichtshof für illegal erklärt, nicht Staat selbst
- Veröffentlicht am 2. Juli 2025 um 12:27
- 5 Minuten Lesezeit
- Von: Agustin BAGNASCO, AFP Argentinien
- Übersetzung: Elena CRISAN , AFP Österreich
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Der andauernde Konflikt im Nahen Osten ließ eine alte Falschbehauptung wieder aufleben, wonach der Internationale Gerichtshof (IGH), ein Rechtsprechungsorgan der Vereinten Nationen (UN), Israel als "illegalen Staat" eingestuft hätte.
"* Eilmeldung * Israel wurde vom Internatioalen Gerichtshof zum illegalen Staat erklärt", hieß es am 25. Juni 2025 in einem auf Facebook geteilten Video. Auch auf Instagram, Telegram und Tiktok verbreitete sich die Behauptung. Das Video zeigt den ehemaligen palästinensischen Außenminister Riad al-Maliki, der sich zu einem Gutachten des Internationalen Gerichtshofs vom 19. Juli 2024 zum rechtlichen Status der israelischen Präsenz in den palästinensischen Gebieten äußerte.
Im Video sagte al-Maliki gegenüber Journalistinnen und Journalisten in Den Haag, dass das Gutachten "ein Wendepunkt für Palästina, die Gerechtigkeit und das Völkerrecht" sei.
Ähnliche Behauptungen wurden bereits 2024 auf Griechisch, Englisch und Spanisch aufgestellt.

Diese Behauptungen sind jedoch falsch. Der IGH hat Israel nicht als "illegalen Staat" bezeichnet, sondern lediglich ein Gutachten veröffentlicht, in dem er die Präsenz Israels in den palästinensischen Gebieten für illegal erklärte.
Was der IGH 2024 tatsächlich sagte
Am 30. Dezember 2022 hat die UN-Generalversammlung den IGH um ein Rechtsgutachten (Englisch: advisory opinion) gebeten. Dabei handelt es sich um eine Erklärung, die der Gerichtshof zu jeder Rechtsfrage auf Antrag der durch die UN-Charta ermächtigten Organe abgeben kann.
Die UN-Anfrage an den IGH betraf zwei Punkte: "Die rechtlichen Folgen der fortgesetzten Verletzung des Selbstbestimmungsrechts des palästinensischen Volkes durch Israel, der anhaltenden Besatzung, der Besiedlung und der Annexion des seit 1967 besetzten palästinensischen Gebiets". Und "die Auswirkungen der Politik und der Praktiken Israels" auf den Rest der Welt und die Vereinten Nationen.
Am 19. Juli 2024 beantwortete der IGH die Fragen der Generalversammlung mit einer Reihe von Schlussfolgerungen. Der Bericht hielt fest, dass "die fortdauernde Präsenz des Staates Israel in den besetzten palästinensischen Gebieten rechtswidrig ist" und merkte an, dass Israel verpflichtet sei "seine rechtswidrige Präsenz in den besetzten palästinensischen Gebieten so schnell wie möglich zu beenden".
Gleichzeitig stellte das Gutachten fest, dass "alle Staaten verpflichtet sind, die Situation, die sich aus der illegalen Präsenz des Staates Israel in den besetzten palästinensischen Gebieten ergibt, nicht als rechtmäßig anzuerkennen". Darüber hinaus sollten internationale Organisationen "die Situation, die sich aus der illegalen Präsenz des Staates Israel in den besetzten palästinensischen Gebieten ergibt, nicht als rechtmäßig anerkennen dürfen".
Zahlreiche deutsche Medien berichteten über die Aussagen des Gutachtens. Jenes Gutachten stufte Israel dennoch nicht als unrechtmäßigen Staat ein. AFP fand keine öffentliche Aufzeichnung, wonach der IGH Israel als "illegalen Staat" bezeichnete. Eine Anfrage an den IGH zur geteilten Behauptung blieb bis zur Veröffentlichung dieses Faktenchecks unbeantwortet.

AFP-Bildmaterial belegt zusätzlich, dass die Videoaufnahme, in der der palästinensische Politiker al-Maliki das Gutachten kommentierte, nicht aktuell ist. Die Aufnahme wurde am 19. Juli 2024 aufgenommen.
Welche Spannungen sich im Nahen Osten zuletzt ereigneten
Der Krieg im Gazastreifen war durch den brutalen Großangriff der islamistischen Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 ausgelöst worden. Dabei wurden nach israelischen Angaben mehr als 1210 Menschen getötet, 251 Menschen wurden als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt. Noch immer werden 49 Geiseln von den Islamisten festgehalten, mindestens 27 von ihnen sind nach Armeeangaben tot.
Als Reaktion auf den Hamas-Angriff geht Israel seither massiv militärisch in dem Küstenstreifen vor. Dabei wurden nach Angaben der Hamas-Behörden bislang mehr als 56.500 Menschen getötet.
Die humanitäre Lage für die Menschen im Gazastreifen ist seit Monaten katastrophal, nach Einschätzung der UN sind alle dort lebenden Menschen akut von einer Hungersnot bedroht.
Am 13. Juni 2025 eskalierte die Lage im Nahen Osten erneut, als Israel einen überraschenden Großangriff gegen den Iran durchführte, wodurch hochrangige Militärkommandanten und Atomwissenschaftler getötet wurden. Nach zwölf Tagen gegenseitiger Angriffe und der Bombardierung iranischer Atomanlagen durch die USA war am 24. Juni 2025 eine Waffenruhe in Kraft getreten. Mindestens 935 Menschen wurden während des zwölftägigen Krieges zwischen dem Iran und Israel getötet, wie iranische Staatsmedien am 30. Juni 2025 bekannt gaben. Unter den Toten seien 132 Frauen und 38 Kinder. In Israel wurden nach Angaben der dortigen Behörden 28 Menschen getötet.
Die Präsenz Israels in den palästinensischen Gebieten
Nach dem Sechstagekrieg 1967 und dem entscheidenden militärischen Sieg Israels über Jordanien, Syrien und Ägypten besetzte Israel die Gebiete des Gazastreifens, des Westjordanlands, der Altstadt von Jerusalem und der Golanhöhen.

Der Status dieser Gebiete war in der Folge ein wichtiger Streitpunkt im arabisch-israelischen Konflikt.
Das Westjordanland steht seit 1967 unter israelischer Besatzung. Seit den 1980er-Jahren hat Israel den Bau von Siedlungen genehmigt, die von den Vereinten Nationen als illegal angesehen werden und im Mittelpunkt der Spannungen zwischen der internationalen Gemeinschaft und Israel stehen.
AFP widerlegte mehrere Behauptungen über den Nahostkonflikt, nachzulesen auf der Website.
Fazit: AFP fand keine öffentliche Aufzeichnung, wonach der IGH Israel als "illegalen Staat" bezeichnete. In einem Rechtsgutachten erklärte das Gericht Israels Besatzung palästinensischer Gebiete für illegal.