Auch laut Daten der Nasa ist die Erderwärmung real
- Veröffentlicht am 28. Dezember 2023 um 14:57
- 10 Minuten Lesezeit
- Von: Katharina ZWINS, AFP Österreich
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"Nasa-Daten belegen – die Erde kühlt ab", schreibt ein User auf Facebook. Dazu teilt er ein kurzes Video, in dem die Erderwärmung angezweifelt wird: "Klimaschwindel durch Satellitendaten widerlegt. Die Erde hat sich in den letzten zehn Jahren abgekühlt." Satellitendaten der US-amerikanischen Aeronautik- und Raumfahrtbehörde (Nasa) würden einen Rückgang der weltweiten Durchschnittstemperatur um 0,16 Grad zeigen. Von der University of Alabama in Huntsville (UAH) ausgewertete Datensätze von Messungen verschiedener Atmosphärenschichten würden dies belegen, heißt es weiter. Die falsche Schlussfolgerung daraus: "Damit hat der Ausstoß von bislang rund 475 Milliarden Tonnen Kohlendioxid nicht zur von Politik und Medien behaupteten Erderwärmung geführt."
Der Clip wurde am 6. Dezember 2023 vom österreichischen Online-Sender AUF1, der sich selbst als "ersten Online-TV-Sender, der professionelle, alternative und unabhängige Nachrichten anbietet" bezeichnet, hochgeladen. Der Sender trat in der Vergangenheit bereits mehrfach durch die Verbreitung von Falschinformationen und Verschwörungserzählungen in Erscheinung. AFP hat diese etwa hier oder hier überprüft. Das Video von AUF1 wurde auf Facebook und Instagram mehrfach geteilt. Auf Telegram wurde der Clip hunderttausendfach angesehen.
Auch der österreichische Blog tkp behauptet in einem Artikel vom 6. Dezember 2023 ähnliches und bezieht sich dabei auf Daten der US-amerikanischen Ozean- und Atmosphärenbehörde (NOAA): "Seit 2014 ist es um 0,11 Grad kälter geworden", heißt es. Es gäbe in den letzten zehn Jahren "keine Beweise dafür, dass es eine globale Erwärmung gebe. Die Website ist in der Vergangenheit ebenfalls bereits mehrfach mit Falschinformationen aufgefallen, die AFP etwa hier und hier überprüft hat.
Entsprechende Aussagen kursieren auch in anderen Sprachen wie Englisch oder Finnisch.
Zum Klima kursieren zahlreiche Falschinformationen. Userinnen und User stellen etwa immer wieder die Existenz des menschengemachten Klimawandels infrage. Faktenchecks zum Thema Klima sammelt AFP hier. Auch die Daten in den aktuellen Behauptungen werden laut Fachleuten irreführend dargestellt.
Behauptungen basieren auf Daten von Nasa und NOAA
Die geteilten Aussagen wurden bereits im Februar 2023 in einem englischsprachigen Artikel erwähnt. In den Grafiken des Beitrags ist allerdings von 0,016 Grad die Rede – AUF1 spricht demgegenüber von 0,16 Grad laut Nasa. Laut tkp kühlte die Erde wiederum seit 2014 um 0,11 Grad ab, diesmal aufgrund von NOAA-Daten. Anfragen an AUF1 sowie tkp blieben bis zur Veröffentlichung dieses Faktenchecks unbeantwortet.
Als Beweis für die Behauptungen werden hier Grafiken angeführt, die auf Material der UAH basieren. Diese Daten wiederum beruhen tatsächlich auf Satellitenmessungen zur Temperaturveränderungen zweier US-Institutionen, Nasa und NOAA, wie auf der UAH-Website selbst auch angeführt ist.
Aus den regelmäßig veröffentlichten Berichten dazu geht hervor, dass diese die Temperaturen in der unteren Troposphäre überwachen. Die Troposphäre ist die unterste Schicht der Erdatmosphäre, in der sich der Großteil des Wetters abspielt.
Von der Presseabteilung der NOAA hieß es in einer E-Mail vom 15. Dezember 2023 an AFP jedoch: "Die NOAA-Datenanalyse beweist nicht, dass sich die Erde nicht erwärmt."
Fehlende Aussagekraft der herangezogenen Daten
AFP hat sich bereits in der Vergangenheit hier näher mit Daten der Nasa und dem Klimawandel auseinandergesetzt. Der Klimaforscher Mika Rantanen vom Finnischen Meteorologischen Institut erklärte etwa am 23. Februar 2023 per E-Mail gegenüber AFP, dass die untere Troposphäre "die schwächste Erwärmung aller verschiedenen Temperaturdaten" zeige. Das liege daran, dass die Erwärmung in der unteren Atmosphäre schwächer sei als an der Erdoberfläche. Daher werde dieses Material häufig von Skeptikern verwendet, sagte Rantanen.
Hans Pörtner, Klimaforscher am Alfred-Wegener-Institut, teilte AFP per E-Mail am 16. Dezember 2023 mit: "Beim Klimawandel geht es um einen Treibhauseffekt, der die Temperaturen dort bestimmt, wo die Ökosysteme und wir leben. Es geht darum, was das Leben erlebt an Bedingungen in seiner Umwelt. Was woanders passiert, in der Troposphäre, ist nicht relevant." Hauke Schmidt, Geophysiker am Max-Planck-Institut für Meteorologie, schrieb AFP dazu am 16. Dezember 2023, dass die Daten in der Troposphäre nicht die Oberflächen- oder Zwei-Meter-Temperatur messen, "die üblicherweise für die Analyse der globalen Erwärmung diskutiert werden".
Stefan Rahmstorf, Klimaforscher am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, kommentierte die Behauptung in einer E-Mail an AFP am 18. Dezember 2023 ebenfalls kritisch: "Das sind die üblichen Klimaskeptiker-Nebelkerzen. Das Herauspicken eines kurzen Zeitraums und eines outlier-Datensatzes (zu Deutsch: Ausreißers, Anm. d. Red.) haben keinerlei Aussagekraft. Außerdem ist die Troposphäre nicht gleich der oberflächennahen Lufttemperatur, die für uns Menschen und Ökosysteme relevant ist."
Die aus Satellitenmessungen resultierenden Daten seien zudem "nicht das A und O", sagte Howard Diamond, leitender Klimawissenschaftler am Air Resources Laboratory der NOAA in College Park in Maryland, am 5. März 2023 gegenüber AFP. "Obwohl sie eine gute Grundlage sind, sind sie nicht stabil." Er erklärte, dass Satelliten vertikal und ihre Umlaufbahnen horizontal driften. "Daher müssen Satellitenbetreiber ihre Daten korrigieren, um sicherzustellen, dass die Drifts keine falsche Darstellung der Erwärmung oder Abkühlung darstellen, da sie die Temperatur nicht direkt messen."
Der US-amerikanische Klimaskeptiker und Klimatologe John Christy von der UAH schrieb AFP in einer E-Mail vom 19. Dezember 2023 wiederum, dass Satellitentemperaturen "von entscheidender Bedeutung" seien, da sie die Temperatur der Hauptatmosphäre darstellen, in der der verstärkte Treibhauseffekt am deutlichsten zu spüren sein soll. Die Nasa erklärte auf ihrer Website allerdings, dass sie Satellitenmessungen für ungenauer halte als Messungen, die auf Thermometern am Boden basieren.
Selbst Christy von der UAH, die von den Beiträgen als Quelle genannt wird, spricht jedoch von einer Erwärmung, nicht Abkühlung der Erde. "Unsere Satellitendaten zeigen, dass die Erwärmungsrate etwa plus 0,014 Grad pro Jahr oder 1,4 Grad pro Jahrhundert beträgt, keine sehr bemerkenswerte Erwärmungsrate."
Christy kommt auch in der wegen Fehlern heftig kritisierten britischen Doku "The Great Global Warming Swindle" (hier, hier) zu Wort. Im Film auftretende Experten vertreten mehr oder weniger klimawandelskeptische Positionen. Von einer Behauptung über einen Rückgang um 0,16 Grad habe allerdings auch er "noch nie gehört".
Zeitraum der betrachteten Daten ist zu kurz
Von der Presseabteilung der NOAA hieß es gegenüber AFP, dass die Betrachtung eines Acht-Jahres-Trends "kein realistischer Weg" sei, um bei so wenigen Datenpunkten einen aussagekräftigen Trend zu ermitteln. Eine Sprecherin der Nasa wies auf Anfrage von AFP zu den geteilten Behauptungen in einer E-Mail vom 18. Dezember 2023 ebenfalls auf andere Daten zur globalen Erwärmung – wie etwa diese hier, wonach die durchschnittliche globale Temperatur auf der Erde seit 1880 um mindestens 1,1 Grad gestiegen ist. Der größte Teil der Erwärmung ist seit 1975 eingetreten – mit einer Rate von etwa 0,15 bis 0,20 Grad pro Jahrzehnt. Dies kann auch aus weiteren Ressourcen, die von der Nasa gegenüber AFP angeführt wurden (etwa hier, hier und hier), herausgelesen werden. Hier werden jeweils langfristigere Trends betrachtet.
Gottfried Kirchengast, Klimaforscher am Wegener Center für Klima und Globalen Wandel der Universität Graz, erklärte gegenüber AFP am 16. Dezember 2023, dass die Behauptungen "Desinformation" und "falsch" seien. "Der Kern des Fakes ist es, absichtlich und irreführend auf Zeiträume kleiner als zehn bis 15 Jahre zu schauen, wo zwischenzeitlich mit 'cherrypicking' ausgewählte Kurzzeittrends auch immer wieder mal näherungsweise Null sein können." Diese hätten jedoch mit dem über Jahrzehnte zunehmenden, von den menschengemachten Treibhausgasemissionen angetriebenen, globalen Temperaturanstieg nichts zu tun, so der Experte.
Stefan Rahmstorf bezeichnete die Darstellung in den geteilten Behauptungen ebenfalls als "Trick mit der Rosinenpickerei kurzer Zeiträume". Hinsichtlich der "tatsächlichen Temperaturentwicklung" verwies er auf Daten der Weltorganisation für Meteorologie (WMO), wonach die letzten neun Jahre, 2015 bis 2023, die wärmsten seit Beginn der Aufzeichnungen waren.
AFP hat sich in der Vergangenheit bereits näher damit auseinandergesetzt, wie sich die globale Durchschnittstemperatur verändert hat und inwiefern das mit dem Klimawandel zusammenhängt. Der Weltklimarat (IPCC) erklärte in einem Bericht aus 2021 ebenfalls, dass die globalen Temperaturen seit dem Zeitraum 1850 bis 1900 um 1,1 Grad gestiegen sind, was auf die Verbrennung fossiler Brennstoffe durch den Menschen zurückzuführen sei und zu einer Zunahme der Intensität und Häufigkeit von Wetterkatastrophen geführt habe. Das spiegelt sich auch in aktuelleren Daten wider.
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Copernicus-Programm verzeichnet weltweiten Hitzerekord in erster Junihälfte: Temperaturabweichungen seit 1940 ( AFP / Julia Han JANICKI, Jan MROZINSKI, Thorsten EBERDING)
Veronika Eyring, Klimawissenschaftlerin am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt, verwies ebenfalls auf den IPCC-Bericht und schrieb AFP dazu am 18. Dezember 2023: "Die jüngsten Klimaveränderungen sind weitverbreitet, schnell, verstärken sich und sind seit Jahrtausenden beispiellos." Unter Bezugnahme auf die Weltorganisation für Meteorologie erklärte sie, dass die letzte Dekade (2011 bis 2020) mit Abstand das wärmste Jahrzehnt seit Beginn der Aufzeichnungen war – sowohl an Land als auch im Ozean. "Jedes aufeinanderfolgende Jahrzehnt seit den 1990er-Jahren war wärmer als alle vorherigen Jahrzehnte." Zudem verwies die Expertin auf den europäischem Klimadienst Copernicus, der ausgewertet hat, dass 2023 voraussichtlich als das heißeste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen in die Geschichte eingehen wird.
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Copernicus: 2023 ist heißestes Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen: Abweichungen von der Durchschnittstemperatur seit 1940 nach Dekaden und Monaten bis November 2023 ( AFP / Nalini LEPETIT-CHELLA, Paz PIZARRO)
Wetterphänomene sind miteinzubeziehen
Als Erklärung, warum man bei – laut Hauke Schmidt – "geschickter" Auswahl des Zeitraums auch über Perioden von etwa zehn Jahren keine oder nur eine leichte Erwärmung feststellen könne, führte der Fachmann: "Neben der anthropogenen globalen Erwärmung ist die globale Temperatur auch natürlicher Variabilität ausgesetzt."
Kirchengast erklärte ebenso, dass "der wichtigste Prozess der natürlichen Klimavariabilität", der für schwankende Kurzzeittrends sorge, der Wechsel der El Niño- und La Niña-Perioden sei. El Niño und La Niña sind Klimaphänomene im pazifischen Ozean, die das Wetter weltweit beeinflussen können. Sie treten typischerweise alle zwei bis siebenJahre auf und dauern neun bis zwölf Monate. Es handelt sich um Wärme- sowie Kälteanomalien.
"In El Niño-Jahren sind die globalen Temperaturen im Durchschnitt höher und in La Niña-Jahren niedriger", erklärte auch Rantanen gegenüber AFP und fügte hinzu, dass das Phänomen in der unteren Troposphäre noch ausgeprägter sei als am Boden. Der Fachmann meinte zudem, dass der Zeitraum von 2014 bis 2022, der in den verbreiteten Behauptungen herangezogen wird, "nicht irgendein zufälliger Zeitraum" sei. Der Anfang stelle eine "Super-El-Niño-Periode" dar, während es am Ende drei aufeinanderfolgende La Niña-Jahre gab.
Laut Douglas Maraun, Klimaforscher am Wegener Center für Klima und Globalen Wandel der Universität Graz, könnten zudem theoretisch auch Vulkanausbrüche über kurze Zeiträume starke Temperaturausschläge erzeugen. "Insgesamt macht es jedoch keinen Sinn, Trends über so kurze Zeiträume zu berechnen", schrieb er AFP am 15. Dezember 2023. Die geteilten Aussagen bezeichnete Maraun als "insgesamt sehr unseriös" und fügte an, dass auch auf der Seite der NOAA und der University of Alabama die Klimaerwärmung deutlich werde, wenn man nicht nur "bewusst irreführende kurze Ausschnitte" zeige, sondern langfristige Trends. Sein Fazit: "Man kann den Klimawandel durch einen negativen Trend über acht Jahre daher natürlich nicht widerlegen – und schon gar nicht, dass CO2 keinen Einfluss hätte."
Bezugnahme auf Faktenchecks
In den geteilten Beiträgen wird zudem jeweils kritisch auf Faktenchecks hingewiesen, die sich mit der Thematik bereits befasst haben. Die Nachrichtenagentur Reuters könne etwa "die Daten natürlich nicht wegdiskutieren, aber man beeilte sich zu versichern, dass die acht Jahre globaler Abkühlung kein Trend sind", heißt es in dem Beitrag von tkp.
AUF1 bezieht sich wiederum auf einen Faktencheck der ARD. AUF1 schreibt dazu: "Schnee werde seltener und wenn er falle, widerlege dies nicht die globale Erwärmung, so der Faktencheck. Doch mit den neuen Nasa-Daten fehlen auch den Klimaschutzmaßnahmen und dem 1,5 Grad-Ziel (...) die wissenschaftliche Grundlage."
Fazit: Die globale Temperatur steigt durch Treibhausgasemissionen an.Online wird jedoch behauptet, dass die Erderwärmung nicht existiere, da aus Daten der Nasa hervorgehe, dass die Durchschnittstemperatur seit 2014 um 0,16 Grad zurückgegangen sei. Fachleute wiesen die Behauptungen zurück, da aus derart kurzen Zeitreihen keine Trends zum Klimawandel gezogen werden könnten. Zudem bezeichnet auch die Nasa den Klimawandel als menschengemacht.