Brief zu Coronaimpfstoff erweckt fälschlich Eindruck offizieller Warnung

Pharmaunternehmen verbreiten wichtige Informationen zu Risiken von Arzneimitteln in sogenannten Rote-Hand-Briefen. Anfang Dezember 2023 versendete eine Firma einen Brief mit einer Warnung vor DNA-verunreinigten Coronaimpfstoffen an Ärztinnen und Ärzte. Durch seine offiziell wirkende Aufmachung sorgte er für Irritationen, wurde jedoch nicht von den zuständigen Behörden verschickt. Das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) und medizinische Fachverbände bezeichnen den Brief als Falschinformation. Die Firma hat Verbindungen zu namhaften Corona-Kritikern.

"Wichtige Mitteilung über ein Arzneimittel" ist in der großen Hand zu lesen, die neben dem Briefkopf auf einem Schreiben an zahlreiche deutsche Ärztinnen und Ärzte zu sehen ist. Es ist auf den 1. Dezember 2023 datiert, Absender ist die Firma "Medizinischer Behandlungsverbund GmbH". Darin warnt sie vor "DNA-Verunreinigungen in mRNA-basierten Covid-19-Impfstoffen" des Impfstoffherstellers Biontech/Pfizer und ruft Ärztinnen und Ärzte dazu auf, Chargen zur Laborüberprüfung an sie zu senden.

Der Brief wird in zahlreichen Beiträgen auf Facebook und X geteilt, auf Telegram wurde ein Beitrag von 50.000 Nutzerinnen und Nutzern gesehen.

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Facebook-Screenshot der Behauptung, Unkenntlichmachung durch AFP: 19. Dezember 2023

Bei dem Brief handelt es sich jedoch nicht um einen offiziellen sogenannten "Rote-Hand-Brief". Das Symbol unterliegt Markenrechten und wurde unautorisiert von der Firma verwendet.

Hersteller von Arzneimitteln teilen Ärztinnen und Ärzten sowie Apothekerinnen und Apothekern mit Rote-Hand-Briefen wichtige Informationen wie etwa Nebenwirkungen oder Fehlgebrauch und andere Risiken von Medikamenten mit, erklärt das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) auf seiner Webseite. Demnach müssen Pharmaunternehmen den Inhalt und den Empfängerkreis mit der zuständigen Behörde abstimmen, bevor sie einen Rote-Hand-Brief versenden. Je nach Art des Arzneimittels ist das Paul-Ehrlich-Institut oder das BfArM für die Abstimmung zuständig. Auch im Arzneimittelgesetz ist festgeschrieben, dass Sicherheitsinformationen immer auch gleichzeitig den zuständigen Behörden mitgeteilt werden müssen.

Bei der Medizinischer Behandlungsverbund GmbH (MBV GmbH) mit Sitz im niedersächsischen Jesteburg handelt es sich laut Selbstauskunft auf der Webseite um einen "Zusammenschluss von kompetenten Ärzten und engagierten Therapeuten für hochwertige Medizin und empathische Behandlung mit Erfahrung in der Therapie von Covid-19-Impfgeschädigten". Der von der Firma versendete Brief ist von Geschäftsführer Markus Bönig und dem wissenschaftlichen Leiter Andreas Sönnichsen unterzeichnet.

MBV versendete Brief eigenmächtig

Die Bildrechte des Symbols der roten Hand liegen beim Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI). In einer Pressemitteilung vom 4. Dezember 2023 auf der Webseite des Verbands (hier archiviert) stellte Geschäftsführer und Vorstandsmitglied Kai Joachimsen klar: "Der BPI hat die Verwendung des Symbols für dieses Schreiben nicht genehmigt." Weiter heißt es: "Wir nehmen diese Sache sehr ernst und verurteilen den Missbrauch des Warnhinweises aufs Schärfste, denn er führt zur Verunsicherung von Ärztinnen und Ärzte sowie Patientinnen und Patienten. Selbstverständlich behalten wir uns weitere juristische Konsequenzen vor." Die MBV GmbH habe die Verwendung des Symbols nicht beim BPI angefragt. "Zudem hätten wir in diesem Fall keine Freigabe erteilt", heißt es weiter.

Darüber hinaus sei die BMV GmbH vor der Veröffentlichung des Briefes laut PEI und BfArM an keine der beiden Behörden herangetreten. Am 5. Dezember 2023 schrieb das PEI in einer Stellungnahme (hier archiviert), es habe "Kenntnis davon erhalten, dass die Medizinische Behandlungsverbund GmbH (MBV) am 01.12.2023 einen Aufruf zu angeblichen Haftungsrisiken für Ärztinnen und Ärzte wegen DNA-Verunreinigungen in mRNA-basierten Covid-19-Impfstoffen in der medizinischen Fachcommunity verteilt hat." Bei dem Brief handele es sich um "keine behördlich geprüfte und autorisierte Information". Auch die Verwendung des Rote-Hand-Symbols sei "nicht in Absprache mit dem Paul-Ehrlich-Institut" erfolgt.

Auf Anfrage von AFP erklärte das BfArM ebenfalls, vor Versenden des Briefes nicht von der BMV GmbH kontaktiert worden zu sein. "Das BfArM erhielt in den ersten Dezembertagen 2023 von der AMK (Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker, Anm. d. Red.) sowie einigen Ärzten den Hinweis, dass bei ihnen ein Schreiben des 'Medizinischen Behandlungsverbundes' eingegangen sei", erklärte BfArM-Sprecher Michael Kasiske in einer E-Mail am 19. Dezember 2023. Die Arzneimittelkommission erklärte ihrerseits auf ihrer Webseite, auf den Brief aufmerksam gemacht worden zu sein und die Information an das PEI und das BfArM weitergeleitet zu haben. "Das BfArM erfuhr erst durch diese Hinweise von der Existenz des Briefes."

Laut BfArM sei das PEI in diesem Themenbereich für die Abstimmung von Rote-Hand-Briefen zuständig. Diese veröffentlicht das PEI auf seiner Webseite – gleiches gilt für das BfArM. Der Brief der MBV GmbH findet sich jedoch auf keiner der beiden Listen.

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Screenshot des Logos auf dem Schreiben der MBV GmbH (links) und offizielles Rote-Hand-Logo auf der Webseite des Paul-Ehrlich-Instituts (rechts), Unkenntlichmachung und Hervorhebung durch AFP: 21. Dezember 2023

Auf Anfrage von AFP erklärte MBV-Geschäftsführer Markus Bönig in einer E-Mail vom 20. Dezember 2023: "Dass es sich bei dem Schreiben des MBV um einen Rote-Hand-Brief handeln soll, ist eine Erfindung des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI)." Das PEI habe den Brief als Rote-Hand-Brief bezeichnet, "um ihn anschließend als Fälschung zu entlarven".

"Das Schreiben gibt aber an keiner Stelle vor, ein Rote-Hand-Brief zu sein. Er enthält zwar das Zeichen einer warnenden Hand, aber sie ist schwarz und nicht rot", erklärte Bönig. Zahlreiche Beiträge schenken dem Schreiben allerdings Glauben. Dort ist etwa von einer "hochbrisanten Angelegenheit" die Rede, nachdem durch medizinische Befunde "Verunreinigungen zweifelsfrei bestätigt" seien.

Impfstoffe gelten als sicher

In ihrem Brief warnt die BMV GmbH vor dem Coronaimpfstoff Comirnaty von Biontech/Pfizer: Untersuchungen hätten ergeben, dass DNA-Verunreinigungen des Impfstoffs "18- bis 70 Mal höher" als der erlaubte Grenzwert seien und beschuldigt das Paul-Ehrlich-Institut, den Impfstoff nicht ausreichend geprüft zu haben. Die Absender empfehlen den Ärztinnen und Ärzten, den Impfstoff nicht weiter zu verwenden und rufen dazu auf, ihnen Chargen zur Überprüfung zuzusenden.

"Das Schreiben ebenso wie die dort abgeleiteten Schlussfolgerungen sind falsch", erklärte das PEI in seiner Stellungnahme vom 5. Dezember 2023, die es auch auf X teilte. Es diene vielmehr "der Verunsicherung durch gezielte Desinformation". Bei zentral zugelassenen Impfstoffen wie den Coronaimpfstoffen seien amtliche Arzneimittelkontrolllabore (OMCL) für die Prüfung zuständig. "Alle in Deutschland vertriebenen Chargen des von der EU-Kommission zugelassenen Covid-19-Impfstoffprodukts Comirnaty (in allen Indikationen und Konzentrationen) wurden entsprechend OMCL-Leitfaden und Zulassungsvorgaben geprüft und für alle Chargen wurde nach erfolgreicher Prüfung die staatliche Chargenfreigabe für Deutschland erteilt", erklärte das PEI weiter.

Neben dem PEI warnt unter anderem die Kassenärztliche Bundesvereinigung sowie Landesverbände wie die Kassenärztliche Vereinigung Berlin oder auch die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft vor dem Brief der MBV GmbH. Auch die von der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände herausgegebene "Pharmazeutische Zeitung" berichtete darüber und widerlegte die Behauptungen.

Auch außerhalb Deutschlands sehen Behörden keinen Anlass zur Sorge. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) bezeichnete die Coronaimpfstoffe in einem Update vom 5. Dezember 2023 erneut als sicher.

Verbindungen zu namhaften Corona-Kritikern

Die Stellungnahme des PEI kommentierte die MBV GmbH mit einem offenen Brief und bezichtigt das Institut, über ihre Warnung "unzutreffende und irreführende Informationen verbreitet" zu haben. Die Firma veröffentlichte Quellenangaben zu ihrem öffentlichen Brief auf ihrer Webseite. Dort findet sich neben medialer Berichterstattung über die Coronaimpfung, wie einem Artikel der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" über unerwartete Zellvorgänge nach der Impfung, ein Video von Phillip Buckhaults, Professor an der University of South Carolina. Dessen Äußerungen wurden von AFP bereits in einem Faktencheck überprüft.

Daneben listet die MBV GmbH ein Schreiben der Gesellschaft "Mediziner und Wissenschaftler für Gesundheit, Freiheit und Demokratie e.V." zur Stellungnahme des PEI in den Quellen auf. Vorsitzender dieser Gesellschaft ist der Corona-Skeptiker und Professor Sucharit Bhakdi, dem Volksverhetzung und Holocaust-Verleumdung vorgeworfen wird. Zu den Gründern zählt laut Medienberichten auch der Querdenken-Aktivist Bodo Schiffmann. Auf der Mitgliederliste steht zudem der wissenschaftliche Leiter der MBV GmbH Andreas Sönnichsen. In der Vergangenheit hat Sönnichsen unter anderem coronakritische Aussagen getätigt und Corona-Regeln der Medizinischen Universität Wien missachtet, die in Folge seiner Aussagen das Dienstverhältnis beendet hat.

Geschäftsführer Markus Bönig ist in der Vergangenheit ebenfalls in verschiedener Weise während der Coronapandemie aufgefallen. So verkaufte er laut Medienberichten beispielsweise Ausweise, die von der Maskenpflicht befreien sollten, machte Falschaussagen zu Melderaten von Nebenwirkungen der Coronaimpfung und war in der coronakritischen Partei Die Basis aktiv.

MDR-Beitrag zum Thema

In einem Beitrag des MDR-Magazins "Umschau" vom 12. Dezember 2023 kam der Brief der MBV GmbH ebenfalls vor. Im Fokus des Beitrags stand Brigitte König, Professorin in einem Magdeburger Labor, die DNA-Verunreinigungen in mRNA-Impfstoffen gefunden habe. Sie wird als Professorin der Otto von Guericke Universität Magdeburg bezeichnet, wovon sich diese nach der Ausstrahlung distanzierte und klarstellte, dass König "schon seit Jahren keine Lehr- und Forschungstätigkeit mehr" an der medizinischen Fakultät der Universität ausübe. Veröffentlicht hat König ihre Ergebnisse nicht.

Königs Untersuchung sei dem Beitrag zufolge von dem Biologen Jürgen Kirchner in Auftrag gegeben worden, auf den sich auch die MBV GmbH in ihrem Brief bezieht. Kirchner veröffentlichte unter seinem Pseudonym David O. Fischer mehrere coronakritische Bücher und sprach öffentlich mit dem bekannten Corona-Skeptiker Paul Brandenburg auf dessen Youtube-Kanal über seine Thesen.

Der Beitrag des MDR hat eine Reihe von Kritik hervorgerufen, beispielsweise von der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" oder das Schweizer Nachrichtenportal "20 Minuten", die unter anderem auf Interessenskonflikte von König hinweisen. Auch vom MDR selbst wird der Beitrag in der hauseigenen Medienkolumne "Das Altpapier" kritisiert. Inzwischen wurde er aus der ARD-Mediathek entfernt. In einer Richtigstellung vom 21. Dezember 2023 schreibt der MDR: "Aufgrund sorgfältiger interner Prüfung steht fest: Dabei wurden unsere publizistischen Sorgfaltskriterien nicht eingehalten."

Fazit: Bei dem Brief der Medizinischen Behandlungsverbund GmbH an Ärztinnen und Ärzte mit der Bitte um Einsendung von Chargen des Coronaimpfstoffs von Biontech/Pfizer wegen DNA-Verunreinigungen handelt es sich nicht um einen offiziellen Rote-Hand-Brief. Institutionen wie das Paul-Ehrlich-Institut wurden nicht über den Brief informiert. Die Absender haben zudem Verbindungen zu Corona-Skeptikern und in der Vergangenheit selbst impfkritische Aussagen getätigt. Auch Organisationen wie die WHO empfehlen die Coronaimpfstoffe als sicher.

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