Dieses "Tagesschau"-Bild über ein Zitat von Lambrecht zu Meinungsfreiheit ist gefälscht
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- Veröffentlicht am 30. Juni 2022 um 17:41
- Aktualisiert am 6. Juli 2022 um 16:13
- 4 Minuten Lesezeit
- Von: Jan RUSSEZKI, AFP Deutschland
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Dutzende User haben das Lambrecht-Zitat Mitte Juni auf Facebook geteilt (hier, hier). Auch auf Instagram kursiert das Bild.
Die Behauptung: User teilen ein Zitat-Bild, das unten rechts das Logo der Tageschau zeigt. Laut der Grafik soll Christine Lambrecht als Bundesjustizministerin gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) gesagt haben: "Es ist nur eine Frage von Zeit, bis Telegram, VK.com und GETTR aus dem deutschen Internet verschwinden, damit der Staat wieder die Vormachtstellung bei der Verteilung der Meinungsfreiheit innehat." Dazu wird ein Porträt der Ministerin gezeigt.
In der Vergangenheit wurde berühmten Menschen immer wieder falsche Zitate in den Mund gelegt (hier, hier). Teilweise verwenden die User dazu auch Grafiken, die bekannte Medien imitieren. AFP überprüfte beispielsweise ein vermeintliches Zitat von Tesla-Chef Elon Musk gegenüber CNN und auch eines von Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) im WDR.Das aktuell verbreitete Zitat reiht sich in diese Falschinformationen ein.
Zweifel an der Echtheit der "Tagesschau"-Zitattafel
In der Beschreibung unter dem Namen Christine Lambrecht steht allerdings in der Zitattafel "Bundesjustizministerin". Lambrecht ist seit dem 8. Dezember 2021 Bundesverteidigungsministerin. Justizministerin war sie von Juni 2019 bis Dezember 2021.
Ein genauer Blick auf den Texthintergrund lässt außerdem erkennen, dass hinter dem verbreiteten Zitattext Reste einer weißen und nicht gründlich übermalten Schrift zu sehen sind (oberer roter Kreis).
Eine Rückwärtssuche mit dem Porträt aus dem Screenshot des Postings führte AFP zu einer ähnlichen Zitattafel der Facebookseite der "Tagesschau" vom 11. Juni 2020. Der Post zeigt das gleiche Porträt Lambrechts, die gleiche Berufsbezeichnung und Quellenangabe, jedoch ein anderes Zitat: "Das sind zum Beispiel Berührungen von Kindern in sexueller Weise. Im Gesetz muss ganz klar zum Ausdruck kommen, dass es sich hierbei ohne Wenn und Aber um Verbrechen handelt." Damit äußerte sie sich in einer Debatte um härtere Strafen bei Kindesmissbrauch in ihrer Amtszeit als Bundesjustizministerin.
AFP hat bei der "Tagesschau" nach dem aktuell verbreiteten Bild gefragt. Am 23. Juni 2022 schrieb "ARD Aktuell"-Sprecherin Barbara Jung: "Es gibt verschiedene Anhaltspunkte, dass es sich bei diesem Foto um eine Fälschung handelt."
Sie erklärte, dass die verwendete Schriftart nicht zu den üblichen Schriftarten gehöre, die die Social-Media-Redaktion verwende. Zudem würden Zitate in der Regel kursiv geschrieben. Das ist im verbreiteten Bild nicht der Fall.
Lambrecht äußerte den verbreiteten Satz nicht gegenüber Medien
Auf die Frage, ob Lambrecht einen solchen Satz gegenüber der "Tagesschau" geäußert habe oder es in deren Archiven zu finden sei, antwortete Jung: "Nein, eine solche Äußerung der Ministerin ist der 'Tagesschau'-Social-Media-Redaktion nicht bekannt."
Den Postings zufolge hat Lambrecht das von der "Tagesschau" aufgegriffene Zitat gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) gesagt. AFP hat auch bei dieser angeblichen Quelle nachgefragt. Am 23. Juni 2022 antwortete Tim Zöllnick, Projektleiter beim RND: "Da es sich hier um einen Fake handelt, finden wir das Zitat nicht in unseren Archiven. Das Originalzitat dagegen finden wir dagegen in unseren Archiven."
Auch das Bundesjustizministerium dementierte die vermeintliche Äußerung Lambrechts. Am 23. Juni 2022 schrieb Sprecherin Rabea Bönnighausen: "Die Behauptung ist falsch. Es handelt sich um kein Zitat, das Christine Lambrecht in ihrer Zeit als Bundesjustizministerin gegenüber RND oder der 'Tagesschau' geäußert hat. Es findet sich dementsprechend auch nicht in unseren Archiven."
Auch eine Online-Recherche nach ähnlichen Äußerungen Lambrechts führte AFP zu keinem relevanten Ergebnis.
Lambrechts Position zu Regulierungen von Messengerdiensten
Lambrecht äußerte sich in ihrer Zeit als Justizministerin mehrfach zur Strafverfolgung auf Messengerdiensten. Sie sprach solche Forderungen aber im Kontext von strafrechtlich relevantem Hass und Hetze sowie Terrorismus aus – nicht im Kontext von Grundrechtsverletzungen wie der Meinungsfreiheit.
Lambrecht nahm im Januar 2021 private Gespräche oder kleinerer Gruppen auf Messengerdiensten wie Telegram vom Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) aus, wie sie dem "Handelsblatt" im Interview am 14. Januar 2021 mitteilte.
Sie sagte dort allerdings auch: "Mittlerweile gibt es aber Messengerkanäle, mit denen Zehntausende erreicht werden. Wir dürfen nicht zulassen, dass ungebremst strafbare Hasskommentare oder Aufrufe zur Gewalt verbreitet werden."
Fazit: Das in sozialen Netzwerken verbreitete Zitatbild ist eine Fälschung. Die darin als Quellen genannten Medien widersprach der Echtheit des Zitats gegenüber AFP. Auch das Bundesjustizministerium dementierte Christine Lambrechts Aussage zur Meinungsfreiheit in sozialen Medien. AFP fand keinerlei Belege für das verbreitete Zitat.
6. Juli 2022 Tippfehler korrigiert