Auszählung im westfranzösischen Hédé Bazouges am 24. April 2022 ( AFP / DAMIEN MEYER)

Ein Fehler im französischen Fernsehen führt zu Behauptungen über zwei Millionen "verschwundene" Stimmen für Marine Le Pen

Hunderte Nutzerinnen und Nutzer haben seit Ende April die Behauptung verbreitet, dass bei der französischen Präsidentschaftswahl am 24. April mehr als zwei Millionen Stimmen für die rechtspopulistische Kandidatin Marine Le Pen "verschwunden" seien. Der vermeintliche Wahlbetrug basiert allerdings auf dem Fehler des französischen Fernsehsenders France 2, der in seiner Wahlberichterstattung falsche Zahlen verwendete. Zwischenzeitlich zählte der Sender einen Teil der Stimmen doppelt.

Die Postings zeigen meist vier verschiedene Ausschnitte von unterschiedlichen Zeitpunkten der Wahlberichterstattung von France 2, in denen die Stimmen für Marine Le Pen abnehmen. Während in der Sendung gegen halb zehn mehr Stimmen für Le Pen als für Macron angezeigt wurden, lag rund eine Stunde später Macron vorne.

Hunderte User teilten die Behauptung auf Facebook. Ein Blog verbreitete eine ähnliche Behauptung, genauso wie User in zahlreichen Sprachen, etwa auf Französisch, Kroatisch oder Tschechisch.

Die Behauptung: "Über 2 Mio Stimmen für Marine LePen innerhalb von 60 Minuten verschwunden", steht zu verschiedenen Ausschnitten aus der Wahlberichterstattung des französischen Fernsehsenders France 2. User interpretieren das als "Wahlbetrug". In anderen Postings ist von 1,1 Millionen verschwundenen Stimmen für Le Pen die Rede. Manche Beiträge sprechen außerdem davon, dass es bereits bei der letzten französischen Präsidentschaftswahl 2017 zu "Ungereimtheiten" gekommen sei.

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Facebook-Screenshot der Behauptung: 27.04.2022

Die zweite Runde der französischen Präsidentschaftswahl endete am 24. April mit einem Sieg des bisherigen Amtsinhabers Emmanuel Macron über Marine Le Pen, der Kandidatin der rechtspopulistischen Partei Rassemblement National. Nach der Auszählung erreichte Macron, Kandidat der pro-europäischen Partei La République en Marche, 58,5 Prozent der Stimmen.

Stimmen im französischen Fernsehen fälschlich doppelt gezählt

Die Screenshots sind echt und stammen aus der Wahlberichterstattung des französischen öffentlich-rechtlichen Senders France 2. Der Sender veröffentlichte im Laufe des Wahlabends am 24. April immer wieder Zwischenergebnisse.

Um 21.11 Uhr zeigte der Sender 13,7 Millionen Stimmen für Macron und 13,9 Millionen für Le Pen an. Eine Minute später erhöhte sich diese Zahl dann auf 14,2 Millionen für Macron und 14,4 Millionen für Le Pen. Um 22.46 Uhr zeigte der Sender erneut aktualisiert Ergebnisse. France 2 schrieb nun Macron 14,2 Millionen und Le Pen 11,6 Millionen Stimmen zu.

Die angeblich 14,4 Millionen Stimmen für Le Pen um 21.12 Uhr vergleichen die Postings dann mit dem später bekannt gegebenen Wahlergebnis von 13,3 Millionen Stimmen, was zu 1,1 Millionen vermeintlich "verschwundenen Stimmen" führte. Andere Postings vergleichen die erste bei France 2 angezeigte Zahl mit der eineinhalb Stunden später gesendeten Zahl und kommen so sogar auf angeblich mehr als zwei Millionen verschwundene Stimmen.

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Ausschnitte aus der Berichterstattung von "France 2" zu unterschiedlichen Zeitpunkten

In der Sendung kam es allerdings zu einem Fehler. Der Sender veröffentlichte dazu auf seinem Twitter-Account am 25. April eine Entschuldigung: "Ein Computerfehler hat uns dazu veranlasst, beim Wahlabend von France 2 am Sonntag, den 24. April, falsche Zahlen anzuzeigen. Wir bitten unsere Zuschauer, dies zu entschuldigen."

Dieser Fehler sei geschehen, weil "die Software, mit der der Sender die Daten des Innenministeriums anzeigt, die Stimmen aus einigen Gemeinden für beide Kandidaten doppelt gezählt hat". Der Fehler sei sofort bemerkt worden, zu keinem Zeitpunkt habe das Innenministerium Marine Le Pen 14 Millionen Stimmen zugeschrieben.

Christophe de Vallambras, Leiter des Medialabs von France Télévisions erklärte auf AFP-Anfrage, dass man die Zahlen nicht bewusst verändert habe: "Es gibt absolut kein menschliches Eingreifen zwischen dem Moment, in dem die Information vom Ministerium ausgeht, und dem Moment, in dem sie auf dem Bildschirm erscheint. Das ist eine technische Schwierigkeit bei uns."

Er betonte weiter, dass Le Pen zu keinem Zeitpunkt tatsächlich die während der Sendung gezeigten 14 Millionen Stimmen erhalten habe: "Es handelt sich um einen Verarbeitungsfehler der Maschine zum Zeitpunkt der Aktualisierung des Feeds des Ministeriums." Die eingehenden Daten hätten nicht schnell genug verarbeitet werden können und Gemeindeergebnisse seien so "mehrfach gezählt" worden.

"Unser Entwickler hat uns sofort darauf hingewiesen, dass es ein Problem gibt. Sie haben sofort ein Protokoll geändert, das die Berechnungen korrigiert hat", erläuterte de Vallambras das Vorgehen des Senders: "Man zeigt live Karten, die man sonst erst am nächsten Tag zeigt, aber es gab einen Moment, in dem der Computer gestottert hat. Er hat überhöhte Zahlen gezeigt und das ist leider auf Sendung gegangen. Das tut uns sehr leid." Das Problem sei "schnell behoben" worden.

AFP hat außerdem den technischen Verantwortlichen des Senders für den Wahlabend kontaktiert, der erklärte: "Ab 20 Uhr war das Prinzip, dass wir jede Minute die auf der Website des Ministeriums verfügbaren Ergebnisse in Echtzeit aktualisieren sollten. Wir haben festgestellt, dass die Anzeigen ein wenig zu schnell anstiegen. Es gab einen Rechenfehler."

Echte Zahlen des Ministeriums

Dass Le Pen zu Beginn des Abends vor Macron lag, ist nicht unbedingt überraschend. Das spiegelt die Wahlergebnisse in manchen ländlichen Gebieten wider, wo die Wahllokale früher schließen und schneller ausgezählt werden kann. Andererseits erscheint die Zahl der ausgezählten Stimmen nur rund eine Stunde nach Schließung der letzten Wahllokale viel zu hoch.

Auch AFP erhielt während der Wahlnacht regelmäßig Daten vom Innenministerium. Um 21.15 Uhr, wenige Minuten nach den ersten beiden Screenshots aus der Berichterstattung von France 2, zeigen die Zahlen aus dem Ministerium weitaus weniger Stimmen als die von France 2 gesendeten. Der Zwischenstand der Auszählung ergab zu diesem Zeitpunkt 50,4 Prozent für Macron und 50,6 Prozent für Le Pen.

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Zwischenstand der Auszählung nach Angaben des französischen Innenministeriums um 21.15 Uhr

Auch die in Internetarchiven mehrfach gespeicherte Website des Innenministeriums belegt die Größenordnung der Zahl. Laut der Sicherung von 21.42 Uhr (19.42 GMT) stand Macron zu diesem Zeitpunkt bei 9,6 Millionen Stimmen, Le Pen bei 8,6 Millionen.

Von AFP kontaktiert schrieb das Innenministerium am 26. April außerdem, dass die Meldung der Ergebnisse der zweiten Runde der Präsidentschaftswahl "problemlos" verlaufen sei und dass "keine Fehlermeldung an das Innenministerium weitergeleitet wurde, insbesondere auch nicht von den vielen mit den Daten verbundenen Journalisten".

Gültiges Wahlergebnis

Dem Endergebnis zufolge kam Emmanuel Macron schließlich auf 58,5 Prozent der Stimmen, Marine Le Pen auf 41,5 Prozent. Im Vergleich zu seiner Wahl im Jahr 2017 verlor Macron damit rund zwei Millionen Stimmen: 18,8 Millionen Französinnen und Franzosen stimmten aktuell für ihn, 2017 waren es noch 20,7 Millionen. Marine Le Pen legte in fünf Jahren fast acht Prozentpunkte zu und erzielte mit 41,5 Prozent ein historisches Ergebnis. Die Wahlenthaltung erreichte mit rund 28 Prozent den höchsten Wert seit der Präsidentschaftswahl von 1969. Zudem gaben 2,3 Millionen Wahlberechtigte einen leeren Stimmzettel ab.

Am 27. April verkündete der französische Verfassungsrat das amtliche Endergebnis. In 48 Wahllokalen hatte es nach Angaben des Verfassungsrats-Vorsitzenden Laurent Fabius "Unregelmäßigkeiten" gegeben. Daher wurden 20.594 Stimmzettel (0,06 Prozent) für ungültig erklärt.

Auch Marine Le Pen selbst nahm das Ergebnis noch am Wahlabend an: "Ein großer Wind der Freiheit hätte über dem Land aufkommen können. Das Schicksal der Wahlurnen, das ich respektiere, hat es anders gewollt."

Der auf Facebook verbreitete Blogartikel zweifelt außerdem das Wahlergebnis der französischen Präsidentschaftswahl von 2017 an. Dort habe es bereits "ganz ähnliche 'Ungereimtheiten'" gegeben. Damals seien angeblich Wahlzettel mit dem Namen Le Pens bereits beschädigt und daher ungültig ausgeliefert worden sein. Kurz vor der Wahl hatten Politikerinnen und Politiker des Front National, wie die Partei Marine Le Pens bis 2018 hieß, bereits mit dieser Behauptung Zweifel am rechtmäßigen Ausgang der Wahl gesät.

Der Verfassungsrat stellte zur Präsidentschaftswahl 2017 allerdings fest, dass die beiden Wahlgänge "insgesamt unter guten Bedingungen verliefen". Eine ähnliche Behauptung über die aktuelle Präsidentschaftswahl hat AFP bereits hier widerlegt.

Fazit: Bei der französischen Präsidentschaftswahl 2022 verschwanden nicht Millionen Stimmen für Marine Le Pen. Die unterschiedlichen Zahlen kamen durch einen technischen Fehler eines französischen Fernsehsenders zustande, wodurch manche Gemeindeergebnisse versehentlich doppelt gezählt wurden. Die vom Innenministerium veröffentlichten Zahlen entsprachen zu jedem Zeitpunkt den tatsächlichen Zwischenständen.

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