Wahlunterlagen zur französischen Präsidentschaftswahl. ( AFP / JOEL SAGET)

Nein, dieses Video zeigt keine ungültig gemachten Stimmzettel für Marine Le Pen

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  • Veröffentlicht am 26. April 2022 um 15:44
  • 5 Minuten Lesezeit
  • Von: AFP Frankreich
  • Übersetzung: Saladin SALEM
Tausende User haben nach den französischen Präsidentschaftswahlen im April ein Video im Netz gesehen, das einen angeblichen Wahlbetrug belegen soll. Ein Mann erklärt, die Stimmzettel für die rechtspopulistische Kandidatin Marine Le Pen seien beschädigt gewesen, daher sei deren Abgabe ungültig. Er zeigt einen kleinen Riss auf einem Stimmzettel mit dem Namen Le Pens. Das französische Innenministerium erklärte jedoch, dies führe nicht zu einer Nichtigkeit der Stimmzettel. Das französische Département Nord, aus dem das Video stammt, bestätigte, über beschädigte Stimmzettel informiert worden zu sein. Die Betroffenen hätten aber ausreichend Ersatz in den örtlichen Wahllokalen bekommen.

Hunderte Nutzerinnen und Nutzer haben das Video der angeblich ungültigen Stimmzettel auf Facebook geteilt (hier, hier, hier). Auf Telegram sahen es Hunderttausende (hier, hier, hier). Auch auf Instagram, Tiktok und Twitter wurde der Clip verbreitet.

Die Behauptung: Zu einem online geteilten Video heißt es, in Frankreich gebe es Hinweise auf Wahlbetrug. Im Video ist zu sehen, wie ein Mann Briefe mit Wahlunterlagen öffnet und dies auf Französisch kommentiert. Auf den Stimmzetteln für Marine Le Pen deutet er Risse am Rande des Papiers an. Die Stimmzettel, mit denen die Wähler ihre Stimme der rechtspopulistischen Kandidatin geben konnten, seien daher unbrauchbar. Im Beitragstext zu einem der Postings steht: "Stimmzettel von Le Pen wurden schon ungültig ausgeliefert."

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Facebook-Screenshot der Behauptung: 25.04.2022

Die zweite Runde der französischen Präsidentschaftswahl endete am 24. April mit einem Sieg des bisherigen Amtsinhabers Emmanuel Macron über Marine Le Pen, der Kandidatin der rechtspopulistischen Partei Rassemblement National. Nach der Auszählung erreichte Macron, Kandidat der pro-europäischen Partei La République en Marche, am Sonntag 58,5 Prozent der Stimmen.

Woher stammt das Video?

Das nun auch auf Deutsch verbreitete Video, das angeblich einen möglichen Wahlbetrug in Frankreich zeigt, ist bereits seit dem 22. April auf Youtube zu finden. Es ist zu sehen, wie ein Mann nacheinander drei verschiedene Umschläge mit Wahlunterlagen öffnet. Darin enthalten sind zwei Zettel, einer mit der Aufschrift Macron, ein anderer mit dem Namen Le Pen. In Frankreich wird statt eines Kreuzes der Wahlzettel des Kandidaten oder der Kandidatin für die Stimmabgabe eingereicht. Auf den Stimmzetteln Le Pens deutet er jeweils am unteren Rand auf einen kleinen Riss.

AFP kontaktierte den Urheber des Youtube-Videos am 25. April, der bestätigte, das Video aufgenommen zu haben. Der Mann aus der Gemeinde Romeries im Départment Nord erklärte, er habe mehrere Gespräche mit Freunden geführt, die von beschädigten Stimmzetteln berichtet hätten. "Ich habe meiner Frau angeboten, mich zu filmen, während ich die Briefe öffne, um zu beweisen, dass es sich um einen Fehler handelt, aber die drei Stimmzettel hatten tatsächlich einen kleinen Riss", sagte er.

Beschädigte Wahlunterlagen im Département Nord

Die Nachbargemeinde des Orts Romeries, Saint-Aubert, berichtete am 22. April auf ihrer Facebook-Seite ebenfalls, dass Einwohner "zerrissene oder mit Druckunregelmäßigkeiten versehene Stimmzettel erhalten haben (...)", ohne zu präzisieren, welche Kandidaten dies betraf. Die französische Tageszeitung Libération berichtete am 24. April, es seien auch Emmanuel Macrons Stimmzettel betroffen gewesen.

Das Département Nord bestätigte auf AFP-Anfrage am 25. April, dass in 16 der 648 Gemeinden im Département Nord "leicht beschädigte Stimmzettel unter den Unterlagen" gemeldet wurden, die den Wählerinnen und Wählern nach Hause gesendet worden waren.

Sie? fügte jedoch hinzu, dass dies nicht die Stimmzettel betreffe, die am Wahltag in den Wahllokalen verfügbar waren. Zudem "wurde mit jedem der betroffenen Bürgermeister überprüft, ob die Stimmzettel in den Wahllokalen in ausreichender Menge vorhanden waren".

Wählerinnen und Wähler, die zuvor einen leicht beschädigten Stimmzettel erhalten hatten, hätten so in jedem Fall einen anderen, unbeschädigten Stimmzettel im Wahllokal abholen können. Dies hat auch der Urheber des online verbreiteten Videos getan, wie dieser gegenüber AFP erklärte.

"Ich bin zur Wahl gegangen und habe mir direkt vor Ort einen Stimmzettel geholt. Der Zweck meines Videos bestand vor allem darin, meine Familie und Freunde davor zu warnen, die zerrissenen (Stimmzettel, Anm. d. Red.) zu verwenden", erklärte er.

Was die beschädigten Stimmzettel betrifft, "wurde dies dem Vorsitzenden der Kommission zur Kontrolle der Wahlvorgänge zur Kenntnis gebracht, der den Eingang bestätigt hat", erklärte das Département Nord. Es bestätigte zudem, dass der Vorsitzende der Wahlaufsichtsbehörde über die beschädigten Stimmzettel in Kenntnis gesetzt wurde.

"Kein Grund für Ungültigkeit"

Auf AFP-Anfrage erklärte das französische Innenministerium am 25. April, dass es "durchaus möglich ist, dass punktuell Wahlzettel Druckfehler aufweisen oder beschädigt werden".

Dies könne bei der mechanischen Zusammenstellung der Unterlagen und dem Eintüten in Briefumschläge passieren. Die Herstellung der Stimmzettel sei ein umfangreiches Vorhaben. Es würden "mehr als eine Milliarde für den ersten Wahlgang und mehr als 200 Millionen für den zweiten - innerhalb eines sehr engen Zeitrahmens" benötigt.

Gemäß Artikel 66 des französischen Wahlgesetzes werden "Stimmzettel oder Umschläge mit inneren oder äußeren Erkennungszeichen (...) nicht in das Ergebnis der Stimmenauszählung einbezogen". Aber könnte ein leichter Riss dazu führen, dass die Stimmzettel ungültig werden? "Das ist wirklich von Fall zu Fall zu entscheiden und die Annullierung des Stimmzettels erfolgt auf jeden Fall unter der Kontrolle eines Richters", erklärte am 25. April Louis le Foyer de Costil, Anwalt für öffentliches Recht und Experte für Wahlrecht, gegenüber AFP.

Als Beispiel verwies Le Foyer de Costil auf eine Entscheidung des Conseil d’État, dem höchsten Verwaltungsgericht Frankreichs, vom März 2021. Bei dem Fall ging es um zwei Stimmzettel, die bei den Kommunalwahlen in der südwestfranzösischen Gemeinde Frayssinet aufgrund äußerlicher Mängel für ungültig erklärt wurden.

"Entgegen der Auffassung des Wahlbüros konnten diese beiden Stimmzettel, die beim ersten einen einfachen Kratzer und beim zweiten einen kaum wahrnehmbaren Fleck aufwiesen, nicht für ungültig erklärt werden," erklärte Le Foyer de Costil. Diese Mängel seien nicht ausreichend gewesen, um als "Erkennungszeichen" zu gelten, wie es auch im Wahlgesetz beschrieben wird.

Am wichtigsten sei es, erläuterte Le Foyer de Costil, sicherzustellen, dass es nicht möglich sei, den Wähler zu identifizieren. Zufällige Mängel wie ein falscher Druck auf dem Stimmzettel seien kein Grund, die Stimmabgabe für ungültig zu erklären.

Das Innenministerium sah in dem leichten Riss am Rande der Stimmzettel keinen Grund für eine Ungültigkeit. Die Beurteilung obliege jedoch in erster Linie dem Vorsitzenden des Wahlbüros. "Wenn einige für ungültig erklärt werden, werden sie den Protokollen beigefügt und von der Zählkommission und anschließend vom Verfassungsrat geprüft." So werde sichergestellt, dass die Bedingungen für eine Nichtigkeit tatsächlich erfüllt sind.

So teilte das französische Verfassungsgericht beispielsweise zur ersten Runde der Präsidentschaftswahl am 13. April mit, 10.216 von 35.923.707 abgegebenen Stimmen für ungültig erklärt zu haben. Das Gericht fügte hinzu, keine "nennenswerten Vorfälle" im Zusammenhang mit dem Ablauf der Wahl festgestellt zu haben.

Betreffend des zweiten Wahlgangs hat sich das Verfassungsgericht noch nicht zu den offiziellen Ergebnissen geäußert.

Fazit: Nein, leichte Risse im Stimmzettel für Marine Le Pen sind kein Beleg für einen Wahlbetrug bei den französischen Präsidentschaftswahlen. Der Urheber des Videos betonte selbst, im Wahllokal vor Ort einen unbeschädigten Stimmzettel erhalten zu haben. Dies sei den Bewohnern im Département Nord möglich gewesen, der Region, aus der das Video stammt. Das französische Innenministerium sieht in den kleinen Beschädigungen keinen Grund für eine Nichtigkeit der Stimmabgabe.

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